LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7380 24.11.2014 Datum des Originals: 21.11.2014/Ausgegeben: 27.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2890 vom 7. November 2014 der Abgeordneten Nicolaus Kern und Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/7266 Welche spezifischen Aus- und Fortbildungsprogramme existieren für Juristen zum Thema Rechtsextremismus? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2890 mit Schreiben vom 21. November 2014 namens der Landesregierung beantworte. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Um die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aufzuarbeiten, befassten sich bislang drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse – einer auf Bundesebene und jeweils einer in Thüringen und Sachsen – mit den Taten des Terror-Trios und zogen Konsequenzen für die Zukunft. In Nordrhein-Westfalen wurde der parlamentarische Untersuchungsausschuss in der jetzigen Woche eingesetzt und auch in Baden-Württemberg ist die Einrichtung eines solchen Gremiums in der Diskussion. Einige der angesprochenen Konsequenzen wurden bereits öffentlich diskutiert und auch in den politischen Gremien beraten. Andere Empfehlungen wiederum haben noch nicht den Einzug in den politischen Diskurs geschafft. So forderte beispielsweise der CDU-Obmann im Bundestags-Untersuchungsausschuss, Clemens Binninger, als Schlussfolgerung aus den Vorfällen um das Terror-Trio des NSU in einem Beitrag auf n-tv.de vom 22. August 2013, dass der Umgang mit der Verbrechensserie Eingang in die Aus- und Fortbildung bei Polizei, Verfassungsschutz und der Justiz finden sollte. Über mögliche Konsequenzen beim Verfassungsschutz und auch bei der Polizei wurde im nordrhein-westfälischen Landtag bereits debattiert, der Bereich der Justiz wurde bislang jedoch nicht breit in der Öffentlichkeit diskutiert und Konzepte, wie die bisherigen Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in die Aus- und Fortbildung von Juristen und Angestellten im Bereich der Justiz einbezogen werden können und sollen, um rechtsext- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7380 2 reme Gewalt früher zu erkennen bzw. einzudämmen, wurden ebenfalls noch nicht vorgestellt . Vorbemerkung der Landesregierung Die Sensibilisierung der Justizangehörigen im Umgang mit extremistischen Strömungen ist schon seit langem Bestandteil der Aus- und Fortbildung. Ein besonderes Augenmerk wird hier auf das Erkennen extremistischer Strukturen und die interkulturelle Bildung gelegt. Juristinnen und Juristen werden in ihrer Arbeit oft vor Entscheidungen gestellt, die die Grundlagen des Verständnisses von Recht und Unrecht berühren. Daher müssen sie sich bewusst sein, dass sie in der Entscheidungsfindung mit politischer und gesellschaftlicher Einflussnahme konfrontiert sein können. Hierzu wird ein vielschichtiges Bildungsangebot bereitgestellt. 1. Warum liegt ein Konzept für die Aus- und Fortbildung von Juristen und Justiz- angestellten zum Thema Rechtsextremismus nicht vor? Die Aus- und Fortbildung von Justizangehörigen zum Thema Rechtsextremismus sieht eine Sensibilisierung für die Problematik von Beginn der Ausbildung an vor und wird in der berufsbegleitenden Fortbildung fortgesetzt: Bereits im Grundstudium der Rechtswissenschaft werden die Grundpfeiler der freiheitlich demokratischen Grundordnung gelehrt und gelernt. Die rechtsstaatlichen Garantien des Grundgesetzes gehören ebenso zum Kernbestand des Ausbildungsstoffes wie das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“, die sich gegen extremistische Angriffe zu schützen weiß. Auch politische Bildung gehört für junge Juristinnen und Juristen zum Lehrstoff. Nach § 7 Abs. 2 des Juristenausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (JAG NRW) ist für die Zulassung zur staatlichen Pflichtfachprüfung vorgesehen, dass Bewerberinnen und Bewerber an Lehrveranstaltungen zur politischen Wissenschaft teilgenommen haben sollen. Außerdem müssen sie nach § 2 Abs. 2, § 11 Abs. 3 JAG NRW in der Staatsprüfung zeigen, dass sie die philosophischen , geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des Rechts mit den politischen Bezügen verstanden haben. Im Vorbereitungsdienst findet diese Sensibilisierung ihre Fortsetzung. Gem. § 39 Abs. 1 JAG NRW lernen die Rechtsreferendarinnen und -referendare die rechtspraktische Tätigkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates. Ergänzt wird dies durch das Angebot einer Referendartagung zur juristischen Zeitgeschichte. In diesem rechtshistorischen Seminar wird ein Schwerpunkt auf die Verstrickung der Justiz in den NS-Unrechtsstaat gelegt . In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen bereits seit 1988 die Dokumentations- und Forschungsstelle "Justiz und Nationalsozialismus" eingerichtet ist. Die Hauptaufgabe dieser Einrichtung besteht in der Erforschung der Verstrickung der Justiz in den Unrechtsstaat und der Vermittlung dieser Erkenntnisse an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der nordrheinwestfälischen Justiz im Rahmen der Fortbildung. Die Dokumentations- und Forschungsstelle veranstaltet zudem regelmäßig Referendartagungen und wissenschaftliche Symposien. Aus dem Veranstaltungsangebot ist insbesondere das am 14./ 15. April 2014 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ in Recklinghausen durchgeführte internationales Symposium zum Thema „Transitional Justice“ zu erwähnen. Hieran konnten alle Justizangehörigen teilnehmen. Angesehene Wissenschaftler aus dem In- und Ausland refe- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7380 3 rierten über die Bemühungen, die im Zuge des Übergangs von Diktaturen und Gewaltherrschaften zu demokratischen Zivilgesellschaften aufgenommen wurden. Als Eröffnungsredner trat der Publizist und Holocaust-Überlebende Dr. h.c. Ralph Giordano auf, der unter dem Titel „Der perfekte Mord“ sein – Zitat Dr. Giordano – „politisches Testament“ verlas. Nach der Einstellung in den Justizdienst widmet sich ein Fortbildungsmodul, das von allen Berufsanfängerinnen und -anfängern im richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst besucht wird, der Gefahr rechtsextremen Gedankenguts. Dabei arbeiten Experten der Dokumentations - und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ in Recklinghausen mit den jungen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in NordrheinWestfalen das nationalsozialistische Unrechtsregime und die unrühmliche Beteiligung der Justiz hieran auf. Auch in den weiteren Berufsjahren steht für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu diesem Themenbereich ein fundiertes Fortbildungsangebot zur Verfügung. Zu nennen sind hier Seminare zu den Themen "Deutsche Justizgeschichte ab 1945", "Zwischen Recht und Unrecht - Deutsche Justizgeschichte im 20. Jahrhundert", "Politischer Extremismus - Herausforderung für Gesellschaft und Justiz", "Die nationalsozialistische Justiz und ihre Aufarbeitung", "Rechtsradikalismus und Neonazismus, neuste Tendenzen ", "Rechtsextremismus", "Justiz und Judentum" sowie "Justiz und Islam". Dieses Angebot wird noch ergänzt durch Seminare zur interkulturellen Bildung. Diese wenden sich neben Angehörigen des richterlichen und staatsanwaltlichen Dienstes auch an die übrigen Justizangehörigen , insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug. Außerdem ist Nordrhein-Westfalen durch eine gemeinsame Erklärung mit Yad Vashem, der Gedenkstätte für Holocaust und Heldentum in Israel, in besonderer Weise verbunden. Im Rahmen des in Ziff. 2 (2) dieser Erklärung festgeschriebenen Fortbildungsprogramms für Richterinnen und Richter bzw. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unternehmen in regelmäßigen Abständen nordrhein-westfälische Justizangehörige Studienfahrten nach Israel. Bei der letzten Fortbildungsreise im Jahr 2013 haben sich 25 Justizangehörige aus verschiedenen Dienstzweigen über die Arbeit von Yad Vashem informiert. Bei dieser Maßnahme wurden gezielt die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer sowie Bedienstete des Justizvollzugs berücksichtigt, die in ihrer täglichen Arbeit mit rechtsgerichteter Kriminalität befasst sind. Ergänzend hierzu wird allen Studierenden der Fachhochschule für Rechtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen sowie den Teilnehmenden an den Ausbildungsgängen des Ausbildungszentrums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen jährlich ein Besuch der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang unter sachkundiger Führung ermöglicht. Die ehemalige NSOrdensburg Vogelsang war eine von der NSDAP getragene und betriebene Parteiführerschule für Funktionäre der mittleren Ebene, in der die Erziehung eines "Neuen Menschen" im Sinne einer rassisch bestimmten "Volksgemeinschaft" propagiert wurde. Heute bietet der historische Ort die Möglichkeit, den NS-Täterort in seiner historischen Dimension als Schulungsstätte und politischen Kultort der NSDAP zu begreifen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das Justizministerium des Landes Nordrhein -Westfalen seit 1993 durch die Dokumentations- und Forschungsstelle eine Schriftenreihe zum Thema "Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen" herausgibt. Mittlerweile sind 20 Bände erschienen, die auch in die Bibliothek der Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen worden sind. Sie befassen sich u.a. mit den Themenbereichen Justiz und Nationalsozialismus , Strafjustiz im Dritten Reich, dem nationalsozialistischen Volksgerichtshof sowie den Majdanek-Prozessen in Düsseldorf. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7380 4 Abgerundet wird das geschilderte Bildungsangebot durch die in der Justizakademie des Landes-Nordrhein-Westfalen seit Januar 2002 präsentierte Dauerausstellung "Justiz im Nationalsozialismus - über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes". Diese ist in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung erarbeitet worden . Die Ausstellung ist als Wanderausstellung immer wieder bei Justizeinrichtungen im Land Nordrhein-Westfalen zu Gast. Hierfür wird jeweils ein Regional- und/ oder Fachteil erarbeitet , der die lokale Justizgeschichte beleuchtet. 2. Ist ein solches Konzept in Planung? siehe Antwort zu Frage 1 3. Wenn ja, wann kann mit der Vorlage des Entwurfs gerechnet werden? siehe Antwort zu Frage 1 4. Erachtet die Landesregierung die bisherige Ausbildungen von Juristen und Jus- tizangestellten im Bereich des Rechts-extremismus, vor dem Hintergrund der Taten des NSU, für ausreichend? ja, siehe Antwort zu Frage 1 5. Wenn nein, in welchen Bereichen müssen Änderungen vollzogen werden und sollen diese bereits in der Ausbildung bzw. im Studium ansetzen? siehe Antwort zu Frage 4