LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7386 24.11.2014 Datum des Originals: 24.11.2014/Ausgegeben: 27.11.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2741 vom 1. Oktober 2014 des Abgeordneten Nicolaus Kern PIRATEN Drucksache 16/6941 Was unternimmt die Landesregierung gegen die Zweckentfremdung von Bußgeldern durch Richter und Staatsanwälte? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2741 mit Schreiben vom 24. November 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Ausgabe 08/2014 des Wirtschaftsmagazins „brand eins“ und Anfang dieses Monats in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 3. September 2014 erschienen Artikel zu Zuweisungen von Geldern an Vereine, welche durch Gerichtsverfahren eingenommen wurden, die gegen Geldauflagen eingestellt wurden. Grundlage dafür ist die Einführung des §153a Strafprozessordnung im Jahr 1974, wodurch in minderschweren Fällen das Verfahren verkürzt und somit die Gerichte entlastet werden sollten. Allerdings wird diese Praxis des „Freikaufens“ in der Öffentlichkeit bereits seit einiger Zeit kritisch diskutiert, gerade wenn bekannte Persönlichkeiten durch einen sogenannten „Deal“ einer Verurteilung entgehen können. Der letzte bekanntgewordene Fall war der Korruptionsprozess gegen Bernie Ecclestone im August dieses Jahres: Gegen eine vom Gericht festgelegte Zahlung in Höhe von 100 Mio. Dollar wurde das Verfahren eingestellt. Die Verteilung dieser Bußgelder obliegt den Richtern bzw. Staatsanwälten. Sie können festlegen wie viel Geld der Staat bzw. gemeinnützige Vereine erhalten. Darüber hinaus können die Amtsträger bestimmen welcher Verein in den Genuss der Strafzahlungen kommt. Momentan werden die Empfänger jedoch nur über den Umweg des Rechtsausschusses veröffentlicht , was es den Bürgern erschwert an die Informationen zu gelangen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7386 2 In Brandenburg hingegen werden die Empfängerlisten der Bußgelder – einfach auffindbar – im Internet veröffentlicht. In Hamburg wiederum wurde nach einem Skandal in den Siebzigerjahren ein neues Vergabesystem implementiert. Dies geschah nachdem Richter und Staatsanwälte über die Umwege eines eigenen Vereins, den „Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr “, sich selbst das Geld überwiesen hatten. Daraufhin wurde ein Mehraugenprinzip eingeführt . Seitdem verteilen in der Hansestadt zweimal jährlich ein Richter, ein Staatsanwalt und ein Vertreter der Justizbehörde die Gelder. Auch die Staatsanwaltschaft der nordrheinwestfälischen Stadt Krefeld wird im Beitrag von „brand eins“ unter den negativen Beispielen aufgelistet. Die Vereine der Nachbarstadt Tönisvorst – unter anderem die Freiwillige Feuerwehr, der Turnverein, der Baby- und Kindertreff, die Rumänienhilfe, der Badminton-Club etc. – profitierten demnach von den Bußgeldern, die durch Gerichtsverfahren in Krefeld eingenommen wurden. Die Hauptaufgabe der genannten Vereine hat jedoch wenig mit den Richtlinien (Nr. 93 Abs. 4 RiStBV) zu tun, in denen die Verteilung der Gelder geregelt ist. So sollen diese Gelder für Hilfseinrichtungen für Verbrechensopfer , Kinder, Jugendliche und Straffällige sowie Bewährungs- und Suchthilfen verwendet werden. Außerdem gehören die begünstigten Vereine, laut „brand eins“ nicht zu den Einrichtungen, die für den Empfang der Bußgelder von der Staatsanwaltschaft Krefeld empfohlen werden. Über dieses Thema wurde am 4. März dieses Jahres ebenfalls im ARD-Magazin „Report Mainz“ berichtet. In dem Beitrag wurde über die oben beschriebene Praxis hinaus ein neues Phänomen vorgestellt: Demnach existieren Fundraising-Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben, die Aufmerksamkeit von Richtern und Staatsanwälten auf bestimmte Vereine zu lenken, damit diese von den Bußgeldern profitieren. 1. Wie viele Fälle von zweifelhaften Zuweisungen, wie oben genannt, sind der Lan- desregierung in Nordrhein Westfalen bekannt? Bitte um eine detaillierte Auflistung der einzelnen Fälle. Die Fragestellung impliziert durch ihre Bezugnahme auf die Vorbemerkungen und die dort wiedergegebenen Ausführungen in der Ausgabe 08/2014 des Wirtschaftsmagazins „brand eins“, dass es sich bei Zuweisungen an z. B. Freiwillige Feuerwehren und Sportvereine grundsätzlich um „zweifelhafte“, mithin beanstandungswürdige handele. Dies trifft nicht zu. Nummer 93 Absatz 4 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren sieht vor, dass die Staatsanwaltschaft neben spezialpräventiven Erwägungen bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, Kinder- und Jugendhilfe , Straffälligen- und Bewährungshilfe, Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang berücksichtigt. Diese Regelung steht einer Zuweisung an andere gemeinnützige Einrichtungen, die § 153a Strafprozessordnung (StPO) ausdrücklich vorsieht, nicht entgegen. Die AV des Justizministeriums "Geldauflagen in Ermittlungs-, Straf- und Gnadenverfahren zu Gunsten gemeinnütziger Einrichtungen" (4100 - III. 210) sieht vor, dass Zuweisungen durch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nur an gemeinnützige Einrichtungen erfolgen dürfen, die von der Zentralstelle „Gemeinnützige Einrichtungen“ bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf in der von ihr geführten Datenbank aufgenommen worden sind. Bei den in der Ausgabe 08/2014 des Wirtschaftsmagazins „brand eins“ und den Vorbemerkungen als Empfänger von Zuweisungen aufgeführten Vereine in Tönisvorst handelt es sich um solche. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7386 3 Der Leitende Oberstaatsanwalt in Krefeld hat den Artikel in der Ausgabe 08/2014 des Wirtschaftsmagazins „brand eins“ - wie dort bereits ausgeführt - gleichwohl zum Anlass genommen , die Zuweisungen von Dezernentinnen und Dezernenten seiner Behörde an die angeführten Vereine einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Zuweisungen durch Richterinnen und Richter sich im Hinblick auf die ihnen durch Artikel 97 Grundgesetz eingeräumte Unabhängigkeit einer Reglementierung durch Verwaltungsvorschriften entziehen. 2. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung in Zukunft, um solche Fälle zu verhindern? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. 3. Warum werden die Empfängerlisten der Bußgelder in NRW nicht so veröffentlicht wie es in Brandenburg der Fall ist? Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten hat die Zentralstelle „Gemeinnützige Einrichtungen “ bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf bislang davon abgesehen, ihre jährlichen Auswertungen zu von den Gerichten und Staatsanwaltschaften gemeinnützigen Einrichtungen und der Staatskasse zugewiesenen Geldauflagen im Internet einer unbeschränkten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die gebotene Transparenz der Zuweisungspraxis ist durch eine jährlich erfolgende umfassende Unterrichtung des Rechtsausschusses des Landtags gewährleistet. 4. Auch das Hamburger Modell des Mehraugenprinzips bietet die Möglichkeit, die Interessenskonflikte von Richtern und Staatsanwälten zu verringern. Mit welcher Begründung wird dieses Modell nicht in NRW angewandt? Nach dem so genannten Hamburger Modell erfolgen Zuweisungen von Geldauflagen zunächst zugunsten eines Fonds. Ein dazu eingesetztes Gremium entscheidet dann in regelmäßigen Abständen über die Verteilung des Geldes an von ihm bestimmte Einrichtungen. Weder ist eine solche so genannte „Fondslösung“ noch gar eine Zuweisung durch ein Gremium statt durch die das Verfahren bearbeitenden Richterinnen/Richter und Staatsanwältinnen /Staatsanwälten gesetzlich in der einschlägigen Norm (§ 153a StPO) vorgesehen. Gleichwohl ist die Möglichkeit der Einführung einer „Fondslösung“ bereits im Jahre 2008 geprüft worden. Gegen eine solche hat die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Praxis des Landes Bedenken geltend gemacht und dabei insbesondere auf folgende Aspekte abgestellt:  Es bestehe die Gefahr, dass bei der „Fondslösung“ die Gelder vornehmlich an große Einrichtungen verteilt würden, die ohnehin über ein hohes Spendenaufkommen verfügten, während lokale Einrichtungen weitgehend außen vor blieben. Sinnvolle Vorschläge der Beschuldigten (z. B. der Wunsch von Ärztinnen/Ärzten, Teile der Geldbuße an medizinische Hilfsorganisationen zahlen zu dürfen) müssten unberücksichtigt bleiben. Da die Bereitschaft von Beschuldigten, einer Verfahrensweise nach § 153a StPO zuzustimmen, oftmals auch von der Auswahl der Geldbußenempfänger abhänge, sei bei Einrichtung einer zentralen Verteilungskommission mit einem Rückgang dieses Instruments der Verfahrenserledigung zu rechnen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7386 4  Andererseits bestehe bei einer zentralen Vergabe der Zuwendungen jedenfalls in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen die Gefahr einer Verteilung von Zuwendungen nach dem Gießkannenprinzip.  Überdies seien Zweifel angebracht, dass das Ziel, eine Verquickung privater Interessen auszuschließen, mit einem landesweiten Gremium tatsächlich erreicht werden könne. Auch dessen Mitglieder würden Prioritäten setzen, die hinsichtlich der Einschätzung der Förderungswürdigkeit subjektiv geprägt sein könnten.  Auch sei die „Fondslösung“ skeptisch in Bezug auf die Sachnähe zum Zahlungsverpflichteten zu sehen. Die Akzeptanz bei Beschuldigten/Angeschuldigten/Angeklagten dürfte wesentlich höher sein, wenn sie die Zahlung an eine ihnen bekannte örtliche Einrichtung leisten müssten. Sobald der örtliche Bezug verloren gehe, schwinde beim Zahlungspflichtigen die Bereitschaft zur Zahlung. 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Existenz der Fundraising-Agenturen mit dem Ziel bestimmte Vereine finanziell zu begünstigen? Bitte um die Auflistung der einzelnen Agenturen. Die Existenz von Fundraising-Agenturen und der Umstand ihrer (nicht notwendig offenkundigen ) Zwischenschaltung durch gemeinnützige Organisationen im Einzelfall sind für sich genommen weder zu beanstanden noch zu unterbinden. Eine Auflistung einzelner Agenturen liegt der Landesregierung nicht vor. Nach den Berichten der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis soll in Nordrhein-Westfalen bislang nur die pro bono Fundraising GmbH tätig geworden sein.