LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7424 26.11.2014 Datum des Originals: 25.11.2014/Ausgegeben: 01.12.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2821 vom 22. Oktober 2014 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/7094 Wie bewertet die Landesregierung den Streit zwischen der Schulabteilung und der Leitung der Heinrich-Kölver-Realschule in Velbert? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2821 mit Schreiben vom 25. November 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Velbert ist es zu einem bemerkenswerten Streit zwischen der Leitung der Heinrich-KölverRealschule und dem dortigen Leiter der Schulabteilung gekommen. Laut Informationen der Westdeutschen Zeitung hat der Leiter der Schulabteilung die Realschule im Internet angegriffen und ihr laut Artikel „undemokratisches Verhalten und Desinformation der Eltern“ vorgeworfen . Zum Hintergrund heißt es: „Offenbar aus Verärgerung darüber, dass die Realschule weiterhin für ihren Fortbestand kämpft und die Eltern der Viertklässler gegen den erklärten Willen des Stadtrates am Abend des 23. Oktober zu einer Informationsveranstaltung einlädt, giftet der Amtsleiter nun in aller Öffentlichkeit gegen die eigene Schule“. Der Abteilungsleiter der Schulverwaltung, der laut Westdeutscher Zeitung sowie laut Impressum die Internetseite für eine neue Sekundarschule verantwortet, hat demnach der Realschule „eine gezielte Kampagne zur Verhinderung der Sekundarschule“ vorgeworfen. Er hat laut Artikel behauptet, dass Fakten verdreht und, wider besseres Wissens, Behauptungen aufgestellt würden, die nicht den Tatsachen entsprächen. Ebenfalls habe der Leiter der Schulabteilung der Schulleitung der Realschule ein paar Worte „zur Demokratie und Demografie“ mitgegeben . Abschließend heißt es: „Im Rathaus zeigte sich der Sprecher der Stadtverwaltung Donnerstagvormittag überrascht vom Inhalt der Internetseite, für die das Büro des Bürgermeisters am Vortag noch – in Unkenntnis des neuen Textes – Werbung betrieben hatte. Nur wenige Stunden, nachdem die WZ die Verwaltung auf den Inhalt hingewiesen hatte, wurden die Vorwürfe gestrichen. Die Überschrift lautet nun: „EINE SCHULE FÜR ALLE!!!“ Da die angegriffenen Lehrkräfte an der Realschule letztlich dem Land unterstehen, wäre es wichtig zu erfahren, wie die Landesregierung diesen bemerkenswerten Vorgang bewertet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7424 2 Darüber hinaus stellt sich allerdings auch die Frage, ob der Vorwurf einer undifferenzierten „Kampagne“ und einer teilweise an „Irreführung“ der Eltern grenzenden Formulierung nicht auch für die Internetseite zur Sekundarschule zutrifft. Ganz offenkundig werden in Verantwortung des Leiters der Schulabteilung alle Register rot-grüner Propaganda gezogen. Darüber hinaus heißt es dort: „Durch die Schließungen der Hauptschulen entwickeln sich die Realschulen in NRW immer mehr zu den Basisschulen. Unabhängig von den Schulformempfehlungen werden die Realschulen künftig alle angemeldeten Schüler aufnehmen (müssen). Dabei wird die Zahl der Schüler, die durch die Lehrpläne der Realschulen überfordert sind, immer größer werden. Diese Schüler bedürfen einer besonderen Förderung. Eine „Abschulung “ dieser Schüler, wie in den vergangenen Jahren üblich, wird es mangels Hauptschulen nicht mehr geben. Die Realschulen werden „Auffangklassen“ bilden, um die Schüler dort zu entsprechenden Schulabschlüssen zu führen. Gleichzeitig binden die vorgenannten Förderungen räumliche und personelle Ressourcen, um die Förderung aller Schülerinnen und Schüler adäquat umzusetzen. Bedingt durch den Ganztagsbetrieb und der wesentlich besseren Schüler/Lehrer-Relation, wird die Sekundarschule 40 % mehr Lehrkräfte als die Realschule zur Verfügung haben. Gleichzeitig unterrichten diese Lehrer kleinere Klassen und haben weniger Unterricht zu erteilen , so dass mehr Zeit für individuelle Förderung aller Schüler bleibt.“ Bezüglich dieser teilweise verwundernden Ausführungen stellt sich die Frage, inwieweit hier Tatsachen wiedergegeben oder Behauptungen aufgestellt werden:  Es stellt sich z.B. die Frage, ob tatsächlich Realschulen alle angemeldeten Schülerinnen und Schüler aufnehmen müssen. Eine Anmeldekapazität bzw. Bandbreiten werden allerdings nicht erwähnt.  Wird es grundsätzlich zukünftig eine „Abschulung“ von Realschulen – sprich z.B. einen Wechsel an eine Sekundarschule oder eine Gesamtschule – nicht mehr geben, wie es hier dargestellt wird?  Auch stellt sich die Frage, wo rechtlich verankert ist, dass die Realschulen „Auffangklassen “ bilden, um die Schüler dort zu entsprechenden Schulabschlüssen zu führen ?  Ist es zutreffend, dass durch den Ganztagsbetrieb und die Schüler-Lehrer-Relation – im Verhältnis zur Schülerzahl vor Ort – eine Sekundarschule vor Ort 40 Prozent mehr Lehrkräfte als die Realschule zur Verfügung haben wird? Gerade auch der letztgenannte Punkt ist interessant, da die FDP-Fraktion wiederholt auf die deutliche Benachteiligung der Realschulen sowie der Gymnasien – und damit der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrerinnen und Lehrer – durch Rot-Grün hingewiesen hat. Insofern ist es auch interessant zu erfahren, wie unter dem Aspekt der Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler Formulierungen bewertet werden, die aufgrund rot-grüner Schulpolitik zu dem Schluss kommen (und offensiv damit werben), dass eine Sekundarschule im Vergleich zur bestehenden Realschule durch den Ganztagsbetrieb und die wesentlich bessere Schüler/Lehrer-Relation 40 Prozent mehr Lehrkräfte zur Verfügung hat und gleichzeitig diese Lehrer kleinere Klassen unterrichten sowie weniger Unterricht zu erteilen haben, so dass „mehr Zeit für individuelle Förderung aller Schüler bleibt.“ Insbesondere letztere LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7424 3 Aussage ist bezeichnend, weil es die massive Benachteiligung von Realschülern durch SPD und Grüne belegt. 1. Wie bewertet die Landesregierung, der die Lehrkräfte an der Heinrich-Kölver- Realschule letztlich unterstehen, die genannten Angriffe des Leiters der Schulabteilung ? Zum Zeitpunkt des Eingangs der Kleinen Anfrage waren die Ausführungen des Leiters der Schulabteilung nicht mehr auf der angegebenen Internetseite der Sekundarschule präsent. Eine Bewertung ist aus diesem Grund nicht möglich. Die Differenzen zwischen dem Leiter des Schulamtes der Stadt Velbert und dem Leiter der Heinrich-Kölver-Realschule hinsichtlich der Schulentwicklung in der Stadt Velbert werden zur Zeit aufgearbeitet. 2. Was unternimmt die Landesregierung in entsprechenden Fällen, um Lehrerkolle- gien gegebenenfalls bei entsprechenden Angriffen zu unterstützen? Die Schulaufsicht sucht frühzeitig das Gespräch, um in solchen Fällen die Bedingungen und Abläufe von Unterricht und individueller Förderung an der jeweiligen Schule entsprechend den rechtlichen Vorgaben transparent zu machen. 3. Hat die Realschule gegen geltendes Recht verstoßen, als sie zu einer Informati- onsveranstaltung für Eltern eingeladen hat? Schulen werden im Rahmen schulorganisatorischer Maßnahmen vom Schulträger angehört. Darüber hinaus haben sie nach § 80 Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen kein Mandat, aktiv in die Schulentwicklungsplanung vor Ort einzugreifen. 4. Wie bewertet die Landesregierung die auf der Internetseite aufgestellten Behaup- tungen des Leiters der Schulabteilung Zu den aufgeworfenen Fragen nimmt die Landesregierung wie folgt Stellung:  Aufgrund des Wegfalls der Verbindlichkeit von Empfehlungen der Grundschulen sind alle Realschulen bereits jetzt gehalten, im Bereich ihrer Möglichkeiten (Aufnahmekapazität / Zügigkeit) alle Schülerinnen und Schüler dem Elternwunsch entsprechend aufzunehmen. Dabei gelten die Klassenbildungsrichtwerte gem. VO zu § 93 Abs. 2 SchulG.  Nach der gültigen Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I (APO-S I) ist ein Schulformwechsel weiterhin vorgesehen, wenn die Schülerin oder der Schüler trotz individueller Förderung und Ausschöpfung aller pädagogisch-didaktischen Möglichkeiten die Bedingungen der Realschule nicht erfüllt.  Die Bildung von Auffangklassen ist nach den geltenden Vorschriften der APO-S I nicht zulässig. Individuelle Förderung findet i.d.R. in innerer Differenzierung, nur in Ausnahmefällen und über einen begrenzten Zeitraum in äußerer Differenzierung statt.  Die Verordnung zu § 93 Absatz 2 SchulG sieht für Realschulen eine Schüler-LehrerRelation von 20,94 Schüler/innen pro Stelle vor. Für die Sekundarschulen 16,27 Schüler/innen pro Stelle. Zur Begründung siehe Antwort zu Frage 5. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7424 4 Die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden der Lehrerinnen und Lehrer beträgt in der Regel an der Sekundarschule 25,5 Stunden und an der Realschule 28 Stunden. Der Klassenfrequenzrichtwert an Realschulen beträgt nach § 6 der Verordnung zu § 93 Absatz 2 SchulG 28 und bei Sekundarschulen 25. 5. Wie bewertet die Landesregierung die als Folge rot-grüner Politik vom Leiter der Schulabteilung angeführten Aspekte einer Schlechterstellung der Realschulen im Verhältnis zu Sekundarschulen im Hinblick auf die demnach offensichtlich schlechteren Möglichkeiten für eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler an Realschulen? Die Landesregierung weist den Vorwurf einer Schlechterstellung der Realschulen im Verhältnis zu Sekundarschulen im Hinblick auf schlechtere Möglichkeiten für eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler an Realschulen zurück. Alle Schulen des Landes, gleich welcher Schulform, haben den Auftrag zur individuellen Förderung. Realschulen stehen in der Stundentafel 14 Ergänzungsstunden für die individuelle Förderung zur Verfügung. Gesamtschulen haben dafür nur 9-12 Stunden. Mit diesem Stundenkontingent haben die Realschulen erfolgreiche Förderkonzepte erarbeitet. Dass Realschulen damit erfolgreich arbeiten können, zeigt die statistische Erhebung der Abschlüsse an Realschulen. Im Schuljahr 2013 erreichten 95,6 % der Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 10 am Ende ihres Schulbesuches einen mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife ) – davon über 50 % die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe. Bei der Einführung der Sekundarschulen orientierte sich die den Schulkonsens tragenden Parteien bei den Festlegungen der Relation „Schüler je Lehrerstelle“ und den Klassenfrequenzrichtwerten an den Bedingungen der Sekundarstufe I der Gesamtschule. Dabei wird davon ausgegangen, dass an den Sekundarschulen eine ähnlich heterogene Schülerschaft vorherrscht wie an einer Gesamtschule und somit ein erhöhter Förderbedarf existiert. Die Berechnungswerte der Realschule lehnen sich an die des Gymnasiums an.