LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7463 02.12.2014 Datum des Originals: 01.12.2014/Ausgegeben: 04.12.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2870 vom 3. November 2014 des Abgeordneten Dietmar Brockes FDP Drucksache 16/7220 Von der Polizei überreichte Antragsformulare „Entschädigungsverfahren“ – Adhäsionsverfahren gemäß §§ 403 ff. StPO Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2870 mit Schreiben vom 1. Dezember 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch die Kreispolizeibehörden in NRW werden Opfer einer Straftat auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, mit Hilfe des Adhäsionsverfahrens gemäß §§ 403 ff. StPO schon im Strafverfahren Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu erlangen. Hierzu erhält das Opfer den Flyer "2 in 1", der ein entsprechendes Antragsformular enthält. Auf http://www.justiz.nrw.de/BS/opferschutz/polizeilicher_opferschutz/index.php) heißt es weiter: „Wird diese Möglichkeit genutzt, ist ein kosten- und zeitaufwändiges Zivilverfahren nicht mehr erforderlich. Bei Bedarf unterstützen die für den Opferschutz besonders geschulten Beamtinnen und Beamten der Polizei das Opfer bei der Antragstellung.“ Die Aushändigung eines Antragsformulars an den Geschädigten im Zusammenhang mit einer gestellten Strafanzeige durch Kreispolizeibehörden erzeugt aus Sicht der Opfer die trügerische Hoffnung, dass auch der erlittene Schaden schnell und kostengünstig behoben wird. Mit dem Adhäsionsverfahren können aber – etwa verfahrenstechnische – Probleme und schwierige Folgefragen einhergehen, die ein nicht anwaltlich beratenes und juristisch unkundiges Opfer an seine Grenzen bringen kann. In der gerichtlichen Praxis kommt zudem eine verbundene Entscheidung im Adhäsionsverfahren immer noch selten vor, da das Gericht von einer Entscheidung absehen kann, wenn sich der Antrag selbst unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Antragstellers zur Erledigung im Strafverfahren nicht eignet (§ 406 Abs. 1 Satz 4 StPO). Nach Einschät- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7463 2 zungen aus der Anwaltschaft wird das Verfahren von Straftrichtern ungerne angewandt, da sie sich im Strafverfahren mit zivilrechtlichen Fragen zusätzlich befassen müssten und das Strafverfahren dadurch verlängert bzw. komplizierter würde. Oft werde nach Einschätzung der Anwaltschaft dafür der Weg des § 406 Abs. 5 StPO gewählt. Zudem kann es aus rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen geboten sein, Schadensersatz - und Schmerzensgeldansprüche separat in einem Zivilprozess geltend zu machen, was einer vorherigen juristischen Abwägung des jeweils vorliegenden Falls bedarf. Es ist zu ersehen, dass mit dem Adhäsionsverfahren neben vorab zu klärender Rechtsfragen auch später oft ein Auseinanderfallen von Erwartung des Opfers und Wirklichkeit im Gerichtsverfahren (Gericht sieht meist von einer Entscheidung ab) einhergeht. Deshalb gilt es zu hinterfragen, wie sinnvoll es ist, Opfern durch die Polizei als besonderer und auch gutgemeinter Kundendienst neben einer Infobroschüre auch ein Formular zu überreichen, durch das ein solches Verfahren bereits durch formularmäßiges „ankreuzen“/ „ausfüllen“ eingeleitet werden kann, ohne zugleich das Adhäsionsverfahren zu einem in der Praxis tatsächlich erfolgversprechenderen Instrument weiterzuentwickeln. 1. Wie wertet die Landesregierung die Praxis der Aushändigung des Antragsformu- lars durch die Kreispolizeibehörden an Opfer als i.d.R. juristische Laien? Die Landesregierung stellt mit der Verbreitung und Aushändigung des vom Justizministerium entwickelten Informationsflyers "2 in 1 - Recht einfach: Schadensersatz im Strafprozess" an Opfer von Straftaten, der ein Antragsformular zur Durchführung des Entschädigungsverfahrens im Falle einer Anklagerhebung enthält, sicher, dass auch Opfer, die juristische Laien sind, entsprechend der sich aus § 406h Satz 1 Nr. 2 der Strafprozessordnung (StPO) ergebenden gesetzlichen Verpflichtung von der Möglichkeit der Durchführung eines Adhäsionsverfahrens Kenntnis erlangen. Das Justizministerium hat den von der Vorgängerregierung entwickelten Informationsflyer "2 in 1" in enger Abstimmung mit Vertretern der Richterschaft und der „Expertengruppe Opferschutz Nordrhein-Westfalen“ im Jahr 2014 überarbeitet und verständlicher gefasst. Der Flyer erläutert den durch eine Straftat Verletzten bzw. deren Erbinnen und Erben den Weg, wie sie im Strafprozess zugleich eine gerichtliche Entscheidung über Entschädigungsansprüche erlangen können. Die Neufassung bietet Opfern von Straftaten dabei noch deutlichere Hinweise und Erläuterungen zu den Voraussetzungen für das Adhäsionsverfahren. Sie enthält im Vergleich zur bisherigen Fassung u. a. einen ausdrücklichen Hinweis auf das Erfordernis, Gegenstand und Grund des Antrags genau zu bezeichnen, sowie den Hinweis, dass sich in bestimmten Fällen (komplexe Sachverhalte, schwierige zivilrechtliche Haftungsfragen, Durchsetzung zuerkannter Ansprüche nach der Gerichtsentscheidung im Wege der Zwangsvollstreckung ) die Beauftragung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts empfehlen kann. Der Informationsflyer wird von den Kreispolizeibehörden (KPB) in Nordrhein-Westfalen Opfern von Straftaten bei der Aufnahme der Strafanzeige zusammen mit dem Merkblatt des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen „Über Rechte von Verletzten und Geschädigten in Strafverfahren“ (AVR 32) ausgehändigt. Begleitend ist von den aufnehmenden Polizeibeamtinnen und -beamten darauf hinzuweisen, dass das Adhäsionsverfahren in Betracht kommt, wenn ein Tatverdächtiger ermittelt wurde und nach Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft die Gerichtsverhandlung durchgeführt wird. In der polizeilichen Praxis bedeutet dies konkret, dass mit der Aushändigung des Flyers die wesentlichen Voraussetzungen zum Adhäsionsverfahren im persönlichen Gespräch mit den Opfern erläutert werden. In diesem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7463 3 Zusammenhang sind die speziell geschulten Beamtinnen und Beamten für den Opferschutz in jeder KPB als Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner benannt. Sie unterstützen im Bedarfsfall bei der Antragstellung. Sie sind themenbezogen fortgebildet und fungieren in ihrer Behörde als Multiplikatoren. Sie gewährleisten die erforderliche Einweisung der aufnehmenden Polizeibeamtinnen und -beamten. Die in den Vorbemerkungen des Fragestellers angeführten, gegebenenfalls mit dem Adhäsionsverfahren einhergehenden Probleme sind daher unabhängig von der juristischen Vorbildung eines Opfers zu sehen. 2. Wie will die Landesregierung sicherstellen, dass Opfer nicht zusätzliche Nachteile und Enttäuschungen aus den Verfahren ziehen? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. 3. Welche Statistiken führt die Landesregierung über die Anwendung des Adhäsi- onsverfahrens gemäß §§ 403 ff. StPO bei Strafverfahren in Nordrhein-Westfalen? Über die Anwendung des Adhäsionsverfahrens gemäß §§ 403 ff. StPO gibt die StP/OWiStatistik Auskunft. Sie erfasst sowohl die Anzahl der ergangenen End- und Grundurteile als auch die Anzahl der gerichtlich protokollierten Vergleiche bei Amts-, Land- und Oberlandesgerichten . 4. In wie vielen Fällen erging im Jahr 2013 und 2012 in Strafverfahren in NRW der Beschluss des Gerichts, von einer Entscheidung über den Antrag nach § 404 StPO abzusehen? Hierzu liegen der Landesregierung keine Daten vor. In der StP/OWi-Statistik werden neben den unter Ziffer 3 genannten Daten nur pauschal alle Fälle ausgewiesen, in denen das Adhäsionsverfahren nicht durchgeführt worden ist; sei es, dass Verletzte keinen Antrag gestellt, diesen zurückgenommen haben oder das Gericht von einer Entscheidung abgesehen hat. 5. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um auf Bundesebene zu errei- chen, dass sich das Adhäsionsverfahren zu einem in der Praxis erfolgversprechenderen Instrument weiterentwickelt? Derzeit keine. Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen und ergänzend darauf hingewiesen, dass die die gegenwärtige Bundesregierung tragenden Parteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben, die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen in Strafverfahren (Adhäsionsverfahren ) zu fördern und es den Opfern zu erleichtern, sich im Zivilprozess auf bindende Feststellungen eines Strafgerichts zu berufen.