LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7536 09.12.2014 Datum des Originals: 09.12.2014/Ausgegeben: 12.12.2014 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2905 vom 11. November 2014 der Abgeordneten Ursula Doppmeier und Astrid Birkhahn CDU Drucksache 16/7287 Immer weniger Männer in NRW ergreifen den Lehrerberuf – Wie beurteilt die Landesregierung diese Entwicklung? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 2905 mit Schreiben vom 12. Dezember 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Zahl von Männern im Lehrerberuf in Nordrhein-Westfalen sinkt immer weiter. Die Daten von IT.NRW offenbaren, dass von 154 844 hauptberuflichen Lehrkräften an den allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2013/2014 lediglich 29 Prozent Männer waren. In absoluten Zahlen heißt dies, dass 45 060 Lehrer 109 784 Lehrerinnen gegenüberstehen. Der Anteil der männlichen Lehrkräfte ist gegenüber dem Schuljahr 2012/13 um 0,6 Prozent und gegenüber dem Schuljahr 2003/04 um 4,7 Prozent damit gesunken . Diese Entwicklung wird von vielen Experten und Verbänden kritisch gesehen, da es aus pädagogischer Sicht wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche auch mit männlichen Rollenbildern Umgang haben. Entwicklungs- und Tiefenpsychologen haben dabei die Bedeutung von männlichen Bezugspersonen für die Identitätsentwicklung vor allem von Jungen hervorgehoben . Vor dem Hintergrund eines wachsenden Bewusstseins über die Bedeutung des Gender -Mainstreamings und einer Weiterentwicklung des Lehrerberufs wird dieses Thema auch für Politik, Verbände und Eltern immer wichtiger. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7536 2 1. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung, dass immer weniger Männer in NRW den Lehrerberuf ergreifen? Ein sinkender Anteil von Männern im Lehramt an Schulen ist seit langem bereits als bundesund sogar europaweite Entwicklung zu beobachten. Nordrhein-Westfalen liegt nach der Datenübersicht des Statistischen Bundesamts mit 29,3% noch über dem Bundesdurchschnitt von 28,1%. Nach Schulformen differenziert ergibt sich in Nordrhein-Westfalen folgendes Bild zur Zahl männlicher Lehrkräfte: Grundschule 8,9 % Hauptschule 34,1 % Realschule 32,2 % Gesamtschule 38,6 % Gymnasium 42,4 % Förderschule 24,8 % Berufskolleg 51,0 % Weiterbildungskolleg 46,3 % (Quelle: Amtl. Schuldaten 2013/2014) In Bezug auf mögliche Auswirkungen hat die pädagogische Forschung keine belastbaren Belege dafür gefunden, dass das Geschlecht der Lehrkräfte generell einen ungünstig prägenden Einfluss hat auf die Lernerfolge von Jungen (und Mädchen). Vielmehr ist der Ursachenzusammenhang einer gelegentlich insbesondere unterstellten Benachteiligung von Jungen sehr komplex. So zeigt beispielsweise die Expertise zum ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung auf, dass angenommene Benachteiligungen von Jungen nicht ausschließlich als Folge geschlechterrollenbezogener Effekte erklärbar sind, sondern als Wirkungsergebnis einer Kumulation verschiedener Einflüsse betrachtet werden müssen, das sich u.a. aus dem Bildungsniveau der Eltern, dem Sozialmilieu und der ethnischen Herkunft ergibt. Eine Studie im Auftrag des Bundesbildungsministeriums weist darüber hinaus darauf hin, dass „die Leistungsdifferenzen zwischen Jungen und Mädchen an jenen Schulformen besonders gering aus[fallen], an denen viele Frauen arbeiten: an den Hauptschulen und insbesondere an den Grundschulen. Auch international stehen diese Schulformen sehr viel besser da als die Sekundarstufe I (…). Die größten Leistungsrückstände zu Lasten der Jungen und die größte Schulunzufriedenheit finden sich an jener Schulform, an der die meisten Männer unterrichten, nämlich am Gymnasium.“ 2. Welche Erklärung hat die Landesregierung für diese Entwicklung? Das veränderte Berufswahlinteresse von jungen Männern am schulischen Lehramt bzw. an pädagogischen Berufen allgemein wird sozialpsychologisch begründet mit der Fortgeltung hergebrachter Geschlechterrollen: es besteht unter Jungen und jungen Männern verbreitet die Auffassung, dass der Lehrerberuf – insbesondere auf den unteren Stufen der Schulbildung – vor allem mit Begriffen wie Fürsorge und Erziehung in Verbindung zu bringen ist und Anforderungen stellt, die traditionell eher der Frau als dem Mann zugeschrieben werden. Insbesondere für den Bereich der Grundschulen scheint eine Einstellung vorzuherrschen, nach der diese Arbeit typisch weiblich und fachlich weniger anspruchsvoll ist und insoweit im Selbstbild junger Männer nicht mit Vorstellungen von „Männlichkeit“ in Einklang zu bringen ist. Zuweilen wird darüber hinaus auch - speziell für die Ebene der Grundschulen - das Argument unzureichender Vergütung angeführt. Ein europäischer Vergleich zeigt jedoch „dass auch in den Staaten, in denen der Lehrerberuf den Berichten zufolge ein hohes Ansehen genießt (z. B. in Finnland) und/oder relativ gut bezahlt wird (z. B. Luxemburg), die überwiegende Mehrheit der Lehrkräfte auf der Ebene der Pflichtschulbildung Frauen sind.“ (Europäische Kommission / Euridice „Geschlechterunterschiede bei Bildungsresultaten“ - 2009) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7536 3 3. Inwieweit sieht die Landesregierung die Notwendigkeit dieser Entwicklung entgegenzuwirken ? Wie die Leistungsergebnisse insbesondere an Grundschulen zeigen, sind Frauen als Lehrerinnen ebenso wie Männer in der Lage, auf besondere Förderbedürfnisse von Jungen einzugehen . Gleichwohl teilt die Landesregierung die Auffassung, dass ausgewogene Anteile von Männern und Frauen am pädagogischen Personal in der Schule für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen wichtig und förderlich sein können, denn diese sollten eine Vielzahl verschiedener männlicher und weiblicher Vorbilder und Rollenmodelle in alltäglichen Beziehungen erleben und sich mit ihnen auseinandersetzen. Allerdings muss bei der Forderung nach quantitativer Erhöhung des Männeranteils zugleich danach gefragt werden, welche Vorstellungen von Männlichkeit in diesen Rollenvorbildern vermittelt werden sollen bzw. welche Anforderungen an eine neue Männerrolle durch gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen bestehen (vgl. Bundesjugendkuratorium 2009). Zu bedenken ist, dass die Schule für Kinder und Jugendliche nicht die einzige Sozialisationsinstanz ist. Eine grundlegende Prägung der Persönlichkeit und die Vermittlung von Wissen über das, was „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ ist, erfahren Kinder schon ab dem Tag ihrer Geburt und bringen diese Prägungen bei Schuleintritt mit. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Effekt der Selbstsozialisation der Jugendlichen in ihren peer-groups, bei der eine Tendenz zur Reproduktion tradierter Geschlechterrollen beobachtet wird - insbesondere bei Jungen (vgl. hierzu Bericht des Beirats Jungenpolitik des BMFSFJ, 2013, der u.a. die Forderung nach Einführung einer Männerquote an Schulen nicht unterstützt). 4. Von welchen Interventionsmöglichkeiten will die Landesregierung Gebrauch ma- chen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Das Ministerium für Schule und Weiterbildung engagiert sich mit Print- und OnlineInformationen seit Jahren dafür, verstärkt Interesse für den Lehramtsberuf zu wecken. Es ist seit 2011 auch auf Berufsbildungsmessen präsent und wirbt insbesondere für mehr männliche Lehrkräfte an Grundschulen. Ein früher Ansatz in der Bildungslaufbahn ist darüber hinaus die geschlechtersensible Berufsorientierung ab der Jahrgangsstufe 8 mit dem Ziel, die Geschlechtercodierungen des Berufswahlverhaltens aufzubrechen. Bei der Prüfung von Möglichkeiten weitergehender Maßnahmen zur Steigerung der Quantitäten bei Studienwahlentscheidungen für das Lehramt setzt jedoch die verfassungsrechtlich garantierte Berufswahlfreiheit (Art. 12 GG) Grenzen in der Abwägung zulässiger Interventionen.