LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7603 15.12.2014 Datum des Originals: 11.12.2014/Ausgegeben: 22.12.2014 (18.12.2014) Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2911 vom 12. November 2014 der Abgeordneten Susanne Schneider FDP Drucksache 16/7309 Schadet der Aktionismus des Bundesgesundheitsministers und der Großen Koalition den Ärzten in NRW? Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 2911 mit Schreiben vom 11. Dezember 2014 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit der Einführung von Terminservicestellen will Bundesgesundheitsminister Gröhe Patientinnen und Patienten einen schnelleren Facharzt-Termin ermöglichen. Nicht nur betroffene Ärztinnen und Ärzte befürchten mit der Einführung einen immensen bürokratischen und finanziellen Aufwand. Auch Ärzteverbände kritisieren, dass mit den geplanten Servicestellen den Patientinnen und Patienten in populistischer Weise eine Verbesserung in der ärztlichen Betreuung vorgegaukelt werden würde, die so nicht der Wahrheit entspräche. So führt der Bundesvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Gassen, in einem Interview mit der Rheinischen Post vom 18. August 2014 aus: „Was sich die Patienten von der Termingarantie versprechen, nämlich dass man bei seinem Wunscharzt einen Termin zu einem Wunschzeitpunkt bekommt, können wir nicht leisten. Bei einer vierwöchigen Termingarantie kann den Patienten allenfalls ein Termin bei einem (beliebigen) Facharzt in seiner Stadt geboten werden. Ob das den Patienten hilft, weiß ich nicht.“ Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung sieht insbesondere die aus vielen Eingaben und Umfragen erkennbare Benachteiligung von GKV-Versicherten gegenüber Privatversicherten bei der Terminvergabe und den damit verbundenen Wartezeiten sehr kritisch. Lange Wartezeiten, die insbesondere bei Facharztterminen zu beobachten sind, können für Patientinnen und Patienten sehr belastend und mit erheblichen gesundheitlichen Folgen verbunden sein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7603 2 Im Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen ist ausdrücklich eine Zwei-Klassen-Medizin abgelehnt und der gemeinsame Willen erklärt worden, die solidarische Krankenversicherung und Pflegeversicherung in Richtung einer Bürgerversicherung mit einer einheitlichen Ärztevergütung weiter zu entwickeln. Damit könnte das Problem der unterschiedlichen Wartezeiten grundsätzlich angegangen werden. 1. Wie stellt sich die Landesregierung zu den Plänen der Bundesregierung zur Einrichtung von Servicestellen zur Vermittlung von Facharztterminen, die derzeit expertenseitig sehr kritisch beurteilt werden? Der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen schließt ausdrücklich auch eine angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung mit ein. Die Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgabe hat sich allerdings als schwierig herausgestellt . Insbesondere ist es nicht gelungen, entsprechende Regelungen in den Gesamtverträgen zu treffen, obwohl dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist. Daher wird das Ziel der Bundesregierung, die Wartezeiten von GKV-Versicherten auf Facharzttermine durch ergänzende Regelungen zu verkürzen, von der Landesregierung grundsätzlich begrüßt. Allein die Ankündigung entsprechender Regelungen hat bereits zu einigen regionalen Vereinbarungen zur Verkürzung der Wartezeit geführt. Ob die Einführung von gesonderten Terminservicestellen und die Vermittlung von Terminen bei Krankenhausärztinnen und –ärzten als Ultima Ratio letztendlich zielführend ist, ist auch aus Sicht der Landesregierung noch fraglich. Entscheidend muss aus Sicht der Landesregierung der damit einhergehende Nutzen für die Patientinnen und Patienten sein. Insoweit gibt es im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsprozesses Klärungsbedarf. Insbesondere sind die Kassenärztlichen Vereinigungen gefordert, gemeinsam mit den Krankenkassen alternative Lösungen für die unstreitig bestehende Wartezeitproblematik zu entwickeln . Letztlich muss es vorrangiges Ziel sein, ausreichende Behandlungskapazitäten im ambulanten Bereich zur Verfügung zu stellen, um eine „angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung“ bedarfsgerecht sicher zu stellen. 2. Wie viele fachärztliche Überweisungen werden pro Quartal in den KV-Regionen Nordrhein und Westfalen-Lippe ausgestellt? Nach Angaben der beiden Kassenärztlichen Vereinigungen wurden in den letzten Quartalen folgende Überweisungen an Fachärztinnen und -ärzte in Anspruch genommen: Quartal Anzahl Überweisungen Nordrhein Anzahl Überweisungen Westfalen-Lippe 3/2013 1.906.849 2.070.039 4/2013 1.831.078 1.998.193 1/2014 1.940.990 2.176.052 2/2014 1.698.793 1.855.003 Gesamt 7.377.710 8.099.287 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7603 3 3. Wie lange müssen Patientinnen und Patienten (GKV und PKV) in den KVRegionen Nordrhein und Westfalen-Lippe durchschnittlich auf einen Termin bei einem Facharzt warten? Valide Zahlen über Wartezeiten liegen nicht vor, da diese statistisch nicht erfasst werden. Hinweise hierzu ergeben sich in der Regel aus Befragungen. In diesem Zusammenhang kann z.B. auf die aktuelle telefonische Erhebung von Bündnis 90/Die GRÜNEN für NRW (http://www.klein-schmeink.de/data/user/PDF-Dokumente/210914_Wartezeiten_NRW.pdf) oder die Versichertenbefragung der KBV 2014 (http://www.kbv.de/media/sp/MHH_Studie_2014_Bericht_24072014.pdf) verwiesen werden. Nach der KBV-Befragung bekommen privat Versicherte deutlich schneller Arzttermine als Befragte, die gesetzlich versichert sind, wobei die Unterschiede bei den Fachärztinnen und – ärzten besonders eklatant sind: Hier bekämen rund die Hälfte der PKV-Versicherten, aber weniger als ein Drittel der GKV-Versicherten innerhalb von drei Tagen einen Termin. Bei fast dreimal so vielen gesetzlich Versicherten wie privat Versicherten habe es über drei Wochen gedauert, bis sie einen Termin bei einer Spezialistin/einem Spezialisten bekommen haben. Eine Überweisung zur Fachärztin/zum Facharzt beschleunige die Wartezeit prinzipiell nicht. Festgestellt wird aber auch, dass dann, wenn die Hausarztpraxis für Patientinnen und Patienten mit Überweisung die Terminvereinbarung übernimmt, die Wartezeit für den Facharzttermin deutlich kürzer sei. 4. In welcher Höhe werden bei den kassenärztlichen Vereinigungen die Mehrkos- ten aufgrund des jährlichen Personal-Mehraufwands liegen? 5. Wie hoch wird der zeitliche Mehraufwand, der folglich den Ärztinnen und Ärzten weniger Raum für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten lässt, für zusätzliche Dokumenta-tionspflichten in den Arztpraxen bspw. für die Feststellung der „medizinischen Dringlichkeit“ ausfallen? Eine valide Aussage zur Höhe der Kosten einer Terminservicestelle sowie die Aufwände in den Arztpraxen sind derzeit nicht möglich. Der vorliegende Referentenentwurf des GKV-VSG enthält dazu Folgendes: „Durch die Regelung zur Einführung von Terminservicestellen nach § 75 Absatz 1a SGB V entsteht bei den Kassenärztlichen Vereinigungen ein einmaliger Erfüllungsaufwand. Die Höhe des Erfüllungsaufwandes ist allerdings nicht quantifizierbar. Bereits heute übernehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen in Einzelfällen die Vermittlung von Behandlungsterminen . Es ist daher nicht auszuschließen, dass durch die Regelung kein neuer Bedarf an zusätzlichen Maßnahmen entsteht. Möglicherweise müssen jedoch zusätzliche Organisationsstellen für die Vermittlung von Behandlungsterminen geschaffen werden. Die verschiedenen organisatorischen Voraussetzungen sind regional sehr unterschiedlich und hängen im Wesentlichen auch von der Versorgungssituation ab. Darüber hinaus entsteht bei den Kassenärztlichen Vereinigungen durch den Betrieb der Terminservicestellen ein jährlicher Erfüllungsaufwand für die Vermittlung von Behandlungsterminen bei Leistungserbringern nach § 95 Absatz 1 Satz 1 SGB V bzw. durch das Anbieten von Behandlungsterminen in Krankenhäusern. Aufgrund der nicht bekannten Anzahl der möglichen Inanspruchnahme der Terminservicestellen und dem Aufwand der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7603 4 Vermittlungstätigkeiten kann auch der jährliche Erfüllungsaufwand nicht bestimmt werden, der hiermit verbunden ist. Der Aufwand hängt im Wesentlichen auch von der Versorgungssituation vor Ort ab; diese wird von der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung maßgeblich mitgeprägt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen können die Terminservicestellen auch gemeinsam mit den Landesverbänden der Krankenkassen sowie den Ersatzkassen unterhalten. Inwieweit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, ist nicht abzusehen.“ Die KVWL hat im Rahmen einer Bürokratiekostenschätzung eine eigene Analyse nach dem Standard-Kosten-Modell erstellt. Danach geht die KVWL von Bürokratiekosten in Höhe von 1,368 bis 3,647 Mio. € für die Einrichtung der Terminservicestelle für die KVWL aus. In den Arztpraxen würden danach pro Jahr ca. 16 Stunden für die Kennzeichnung der Dringlichkeit anfallen. Diese Analyse geht von bestimmten Annahmen aus; je nach tatsächlicher Ausgestaltung des Gesetzes und dessen Umsetzung kann es auch zu anderen Auswirkungen kommen. Die KVNO hat auf gleicher Basis Aufwand und Kosten für Nordrhein geschätzt. Nähmen nur zehn Prozent der Patientinnen und Patienten mit Überweisung zur Fachärztin/zum Facharzt die Terminservicestelle in Anspruch, würde dies 3.000 Vermittlungsfälle je Werktag auslösen . Selbst im günstigsten Fall von 10 Minuten Bearbeitungsdauer fielen 492 Arbeitsstunden täglich an, das entspräche dem Arbeitspensum von 78 Vollzeitstellen und jährlichen Personalkosten in Höhe von 2,7 Mio. Euro. Analog zu der Schätzung der KVWL würde nach Angaben der KVNO bei einer halben Minute Dokumentationsaufwand je Überweisung ein Mehraufwand in Höhe von 61.481 Stunden in den Arztpraxen entstehen. Das entspräche ca. 23 Vollzeitstellen. Selbst wenn der Aufwand nur 5 Sekunden betrüge, wären 10.247 Stunden zusätzlich zu leisten. Ob diese Berechnungen derzeit realistisch sind, kann seitens der Landesregierung nicht bewertet werden, da die Auswirkungen der geplanten Regelung ganz entscheidend von der endgültigen gesetzlichen Regelung, deren regionaler Umsetzung und vom Inanspruchnahmeverhalten der Patientinnen und Patienten beeinflusst werden.