LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7678 05.01.2015 Datum des Originals: 05.01.2015/Ausgegeben: 08.01.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2973 vom 9. Dezember 2014 des Abgeordneten Ernst-Ulrich Alda FDP Drucksache 16/7563 Geldfluss der Salafisten – Inwieweit finanziert der Staat ausreisende Dschihadisten über staatliche Transferleistungen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2973 mit Schreiben vom 5. Januar 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nordrhein-Westfalen gilt mit aktuell 1.800 bis 2.000 anerkannten Anhängern als Hochburg radikaler Salafisten. Innenminister Ralf Jäger führt weiter aus: „Alleine aus den EU-Staaten sind insgesamt 2.500 Anhänger oder gewaltbereite Salafisten nach Syrien ausgereist. (…) Wir haben eine Zunahme der Ausreisen für den Dschihad in Syrien und in Teilen Iraks, insbesondere über die Drehscheibe Türkei. Aus dem Bund sind über 400 gewaltbereite Salafisten ausgereist, um am Dschihad insbesondere in Syrien teilzunehmen . Aus Nordrhein-Westfalen waren es 130 (vgl. öffentliche Sitzung des PKG, APr 16/635 am 2.09.2014) …“ „Seit 2010 wurden mehr als 55 passentziehende Maßnahmen eingeleitet“ (vgl. Drs. 16/7461 vom 2.12.2014). Die Behörden sind alarmiert. Dabei setzt man neben Überwachungsmaßnahmen auf den Versuch, gewaltbereiten Islamisten bis zu 18 Monate den Personalausweis zu entziehen, um deren Ausreise in Kampfgebiete wie Syrien und Irak zu verhindern. Die Kosten für die Einführung von Ersatzpapieren sind mit rund 400.000 Euro veranschlagt. Von einem Fall in Hessen ist jedoch bekannt, dass diesem trotz elektronischer Fußfessel nach Ermittlungen wegen Einbruchs die Ausreise gelang. Zudem ist oft eine Ausreise auch ohne Pass möglich. Von denen, die zurückkehren, geht eine abstrakte Gefahr aus, insbesondere von der sog. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7678 2 Gruppe der zusätzlich Radikalisierten, die laut Innenminister geübt sind im Umgang mit Waffen und Sprengstoff, als Helden in der Szene gelten und natürlich ein sicherheitspolitisches Risiko darstellen. Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27.11.2014 über eine dieser vorliegenden Studie der deutschen Sicherheitsbehörden über das Profil von Dschihadisten (Auswertung von Daten über 378 Personen, die bis Ende Juni 2014 aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien ausgereist sind) ergibt sich Folgendes: Die meisten der Dschihadisten (nämlich 125 von 322) waren zum Zeitpunkt ihrer Ausreise 21 bis 25 Jahre alt. Ausgereist sind aber auch 56 Personen im Alter von 15 bis 20 Jahren, also halbe Kinder, und 37 Personen im Alter von 31 bis 35 Jahren. Die Hälfte der Ausgereisten war verheiratet; 104 von ihnen haben Kinder. 37 Prozent haben nur die deutsche und 24 Prozent die deutsche und zugleich eine andere Staatsangehörigkeit. In zahlreichen Fällen wird eine Untersagung der Wiedereinreise ausscheiden (vgl. Drs. 16/7461 Antwort zu Frage 4). Die Überwachung der und 230 bekannten gefährlichen Islamisten in Deutschland stellt laut dem Bundesinnenminister eine enorme Belastung dar, die an die Grenzen dessen geht, was die Sicherheitsbehörden imstande sind zu leisten. Aktuell werden beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz die Sach- und Personalmittel spürbar hochgefahren; aktuell um 28 Stellen. Unklar bleibt bisher indes in allen Berichten der Sicherheitsbehörden zu den Gefahren des Salafismus und der entsprechenden Personen, aus welchen Geldmitteln eigentlich Missionierungs - und Propagandamaßnahmen der Salafisten in NRW sowie Ausreisen und Aufenthalt in Krisengebiete(n) – oftmals unter Zuhilfenahme von Schleusern – und Teilnahme an Kampfhandlungen sowie die spätere Wiedereinreise und das Leben nach der Rückkehr nach Deutschland und NRW finanziert werden. Die oben genannte Studie der deutschen Sicherheitsbehörden über das Profil von Dschihadisten kommt dabei zu folgenden weiteren Ergebnissen: 82 Personen (21 Prozent) waren vor ihrer Ausreise arbeitslos und nur von 46 Personen (12 Prozent) ist bekannt, dass sie einem Beruf nachgegangen sind (ganz überwiegend im gering-qualifizierten Sektor und damit dem Niedriglohnbereich). Hinzu kommt demnach eine bemerkenswerte Neigung zur Straffälligkeit: 249 Ausgereiste haben Straftaten begangen, darunter am häufigsten Gewaltdelikte , gefolgt von Eigentums- und Drogendelikten. Ferner wurde jüngst bekannt, dass neun Männer aus Nordrhein-Westfalen dschihadistische Gruppierungen in Syrien unterstützt haben durch organisierte bzw. bandenmäßig begangene Einbrüche in bzw. Diebstähle aus Kirchen und Schulen. Es sind ferner mehrere Fälle bekannt, in denen durch führende Köpfe der Salafisten bzw. Hassprediger Sozialleistungen in beträchtlicher Höhe – teilweise evident zu Unrecht – bezogen wurden. Die Staatsanwaltschaft Köln hat 2013 gegen einen Salafisten Anklage wegen Sozialhilfebetrugs erhoben. Diese Person soll zu Unrecht über 54.000 Euro an Hartz IVBezügen erhalten haben. Dass dieses Geld je zurückerlangt wird, ist mehr als unwahrscheinlich . Es wurde längst verausgabt. Die wichtige und richtige Überwachung und strafrechtliche Sanktionierung sind somit eins. Es stellt sich aber gerade auch die Frage, inwieweit die Sicherheitsbehörden die Sozialbehörden ausreichend informieren, um bereits den unberechtigten Bezug staatlicher Transferzahlungen erfolgreich konsequent zu unterbinden. Sofern es entsprechend der Studie zutrifft, dass ein großer Teil der Salafisten/Dschihadisten LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7678 3 in Deutschland bzw. NRW ihren Lebensunterhalt durch staatliche Transferleistungen finanzieren , ist zu befürchten, dass auch aus diesen Geldern – ggfs. auch aus solchen für Familienangehörige wie Kindergeld – erst eine Ausreise in Krisengebiete zur Ausbildung oder Teilnahme an Kampfhandlungen bewältigt werden kann bzw. eine finanzielle Unterstützung der IS erfolgt. Personen, die bisher einer Arbeit nachgingen, aber für längere Zeit in den „heiligen Krieg“ ziehen, werden regelmäßig ihre Arbeitsstelle vor Ort verlieren und eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe erhalten. Für Nichterwerbstätige besagt § 7 Abs. 4 a SGB II ferner, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte keine Leistungen erhalten, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nach diesem Buch außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhalten und deshalb nicht für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehen. Wenn sich Gefährder somit für eine Zeit ins Ausland absetzen, hat dies negative Auswirkungen auf ihren Anspruch auf staatliche Unterstützung, ggfs. auch nach der Rückkehr. Unklar ist aber, ob und inwieweit insbesondere praktisch sichergestellt ist, dass nicht Personen staatliche Transferleistungen auf ihr deutsches Bankkonto überwiesen bekommen, während diese in Abwesenheit im Ausland Kampfhandlungen und Gräueltaten verüben, was Sicherheitsbehörden bekannt ist, aber nicht unbedingt den Sozialbehörden. Zweifel über eine fehlende oder schleppende Informationsweitergabe kommen auf, etwa weil immer wieder Fälle bekannt werden, in denen Salafisten trotz Beobachtung und Kenntnis der Sicherheitsbehörden in sensiblen Bereichen in NRW – etwa am Düsseldorfer Flughafen – tätig sein konnten oder trotz Erkenntnissen auf zweifelhafte Hilfebedürftigkeit aufgrund anderweitiger Einkommen oder Vermögen weiter Sozialleistungen erhielten. Die Ausführungen in Vorlage 16/127, S. 6 zu Frage 7 zeigen, dass die Sicherheitsbehörden regelmäßig über Geldflüsse einschlägiger Personen gut im Bilde sind. 1. Aus welchen Geldmitteln werden von Salafisten/Dschihadisten in NRW nach Er- kenntnissen der Sicherheitsbehörden Missionierungs- und Propagandamaßnahmen in Deutschland und NRW, Ausreisen aus islamistischer Motivation aus Deutschland/NRW in Richtung Krisengebiete – ggfs. unter Zuhilfenahme von Schleusern -, Aufenthalt und Teilnahme an Kampfhandlungen sowie die spätere Wiedereinreise und das Leben in den Monaten nach der Rückkehr nach Deutschland /NRW finanziert? Die genannten Aktivitäten werden aus Spendenaufkommen bei Benefizveranstaltungen, durch den Einsatz eigener Ressourcen bis hin zur Auflösung von Privathaushalten und in Einzelfällen durch die Begehung von Vermögensdelikten finanziert. 2. Wie viele der rund 130 gewaltbereiten Salafisten, welche aus NRW ausgereist sind, um am Dschihad insbesondere in Syrien teilzunehmen, bezogen vor der Ausreise bzw. während des Auslandsaufenthalts bzw. nach der etwaigen Rückkehr nach Deutschland/NRW staatliche Transferleistungen (bitte aufschlüsseln nach Art und Dauer der Leistung, Höhe, Daten der jeweiligen Ausreise und ggfs. Wiedereinreise etc.)? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7678 4 3. Bei wie vielen dieser Personen wurden bisherige staatliche Transferzahlungen – insb. aufgrund der Ausreise – eingestellt (bitte Angabe Dauer, Datum Ausreise, Datum sowie Umfang Zahlungseinstellung, Datum etwaiger Wiedereinreise und Zahlungsfortsetzung)? 5. In wie vielen Fällen seit 2010 haben nordrhein-westfälische Sicherheitsbehörden bei Erkenntnissen, die begründete Zweifel an der rechtmäßigen Inanspruchnahme staatlicher Transferleistungen gaben, entsprechende Hinweise an die zuständigen Sozialbehörden gegeben (bitte aufgeschlüsselt nach Zahl anerkannter Salafisten in NRW, die derzeit staatliche Transferleistungen beziehen; Zahl und Grund der Fälle, wo Hinweise auf unberechtigten Bezug vorliegen; Fallzahl der Hinweise an zuständige Sozialbehörde; Reaktion der Sozialbehörde; entstandener Schaden und ggf. strafrechtliche Ermittlungen etc.)? Die abgefragten Detailinformationen sind bislang statistisch nicht erfasst. Mit den mit den Ausreisen verbundenen rechtlichen Fragestellungen einschließlich des Umfangs von Datenübermittlungen zwischen Sicherheitsbehörden und anderen öffentlichen Stellen befasst sich eine am 12.12.2014 von der Innenministerkonferenz eingesetzte Bund-LänderArbeitsgruppe . 4. Bei wie vielen Personen gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass Missio- nierungs- und Propagandamaßnahmen, unzulässige Unterstützungsleistungen der IS, Ausreisen und Aufenthalt in Krisengebieten – ggfs. unter Zuhilfenahme von Schleusern – und Ausbildung zu sowie Teilnahme an Kampfhandlungen aus den bezogenen staatlichen Transferleistungen finanziert wurden bzw. worden sein müssen, da offiziell keine andere Einkünfte vorhanden sind? Für Missionierungs- und Propagandamaßnahmen werden auch andere Finanzierungsmöglichkeiten (s. Antwort zu Frage 1) genutzt. Eine konkrete Zuordnung der Gelder ist in der Regel nicht möglich. In Einzelfällen erfolgen Finanzermittlungen nach § 5 Absatz 2 Nummer 13 VSG NRW, um Finanzströme aufzudecken.