LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7693 07.01.2015 Datum des Originals: 06.01.2015/Ausgegeben: 12.01.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2951 vom 2. Dezember 2014 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/7480 Das Märchen von den vermeintlich niedrigen Ausgaben in Nordrhein-Westfalen – Warum erkennt die Landesregierung nicht die offizielle Berechnung des Statistischen Bundesamtes DESTATIS an, das die Länderausgaben sachgerecht vergleicht? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 2951 mit Schreiben vom 6. Januar 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Sowohl Ministerpräsidentin Hannelore Kraft als auch Finanzminister Dr. Norbert WalterBorjans kritisieren die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und fordern Abhilfe zugunsten des Landes Nordrhein-Westfalen. Dabei greifen sie interessanterweise weniger die in der Wissenschaft häufig thematisierten negativen Anreizeffekte des Finanzausgleichs an, sondern vielmehr eine überbordende Belastung des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Fazit der Regierungsmitglieder ist dabei einfach: Das Land Nordrhein-Westfalen sei nicht aufgrund einer schlechten Finanz- und Haushaltspolitik der rot/grünen Landesregierung auf jährlich neue Schulden angewiesen, sondern insbesondere wegen des Finanzausgleichs. Als Kronzeugenrechnung des Finanzministers über die Solidität der Finanzen in NordrheinWestfalen soll ein Vergleich der Landesausgaben aller Bundesländer miteinander dienen. Nordrhein-Westfalen habe demnach die niedrigsten Ausgaben pro Kopf aller Länder (siehe auch: Presseinformation des Finanzministeriums vom 10. September 2014). Dieser herangezogene Vergleich ignoriert dabei gleich mehrere Aspekte und weist deshalb gravierende methodische Mängel auf. Abgesehen von einem stark verzerrenden Vergleich von Flächenländern mit Stadtstaaten ignoriert die Gegenüberstellung die unterschiedlichen Haushaltsstrukturen der Flächenländer sowie die unterschiedliche Aufgabenwahrnehmung der jeweiligen Kommunen. Da die Daten des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalens nur die Kernhaushalte berücksichtigen, führen Ausgliederungen aus dem Haushalt zu scheinbar LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7693 2 geringeren Ausgaben, obwohl sie dann nur durch eine neugeschaffene Institution an anderer Stelle getätigt werden. Zusätzlich erfahren die deutschen Flächenländer eine unterschiedlich starke Entlastung durch ihre Kommunen in ihrer Aufgabenwahrnehmung. Dies alles führt dazu, dass Ausgaben, die in einigen Bundesländern bei den Kommunen anfallen, in anderen wiederum den Landeshaushalt belasten. Dieser sogenannte Kommunalisierungsgrad ist laut einer vom Land in Auftrag gegeben Auswertung in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu den anderen westdeutschen Flächenländern besonders hoch (PwC 2012). Keinesfalls müssen die vom Finanzministerium praktizierten methodischen Ungenauigkeiten bei einem Ausgabenvergleich der Bundesländer enthalten sein. DESTATIS liefert für die Flächenländer in Deutschland folgende besser vergleichbare Daten: Bundesland Bereinigte Ausgaben Kern- und Extrahaushalte der Länder und Kommunen gemeinsam in Mio. Euro 2013 1 Baden-Württemberg 61.151 Bayern 70.102 Brandenburg 13.935 Hessen 37.950 Mecklenburg-Vorpommern 9.055 Niedersachsen 39.774 Nordrhein-Westfalen 101.433 Rheinland-Pfalz 21.527 Saarland 5.713 Sachsen 22.220 Sachsen-Anhalt 12.557 Schleswig-Holstein 14.717 Thüringen 11.420 Quelle: Fachserie 14, Reihe 2, Finanzen und Steuern, Vierteljährliche Kassenergebnisse des öffentlichen Gesamthaushalts, 1.-4. Vierteljahr 2013, eigene Darstellung. 1 nur Flächenländer. Das Statistische Bundesamt DESTATIS verwendet hierbei Kassenergebnisse der Länder und Kommunen des Jahres 2013. Somit spiegeln diese Daten die Realität durch Nutzung von Ist-Ausgaben von Ländern und Kommunen gut wider. Diese um Zahlungen zwischen den Ebenen – also von Land an Kommunen und umgekehrt – bereinigten Werte ermöglichen dabei einen Ausgleich der unterschiedlichen Kommunalisierungsgrade der Länder, da eine verschieden starke Aufgabenwahrnehmung der Kommunen nicht zu variierenden Ausgaben des Bundeslandes insgesamt führt. Zusätzlich werden von DESTATIS die Extrahaushalte der Länder und Kommunen mit in die Betrachtung einbezogen. Somit wird richtigerweise der Tatsache Rechnung getragen, dass manche Länder beispielsweise ihre Bautätigkeiten in einen Landesbetrieb oder ein Sondervermögen ausgegliedert haben und andere wiederum nicht. Auch Ausgaben, die beispielsweise von Fonds im Landeseigentum getätigt werden, sind hierbei konsequent erfasst, um eine größtmögliche Vergleichbarkeit herzustellen. Betrachtet man die oben dargestellten Daten als Pro-Kopf-Werte, ergibt sich ein klar vom Standpunkt der rot/grünen Landesregierung abweichendes Bild der Ausgabenstruktur in Nordrhein-Westfalen, das die behaupteten Verhältnisse schon fast auf den Kopf stellt: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7693 3 Bundesland Ausgaben pro Kopf1 in Euro Rangfolge der Effizienz Niedersachsen 5.105 1 Schleswig-Holstein 5.226 2 Thüringen 5.285 3 Rheinland-Pfalz 5.389 4 Sachsen 5.491 5 Bayern 5.562 6 Sachsen-Anhalt 5.594 7 Mecklenburg-Vorpommern 5.672 8 Brandenburg 5.690 9 Baden-Württemberg 5.752 10 Saarland 5.767 11 Nordrhein-Westfalen 5.772 12 Hessen 6.277 13 Quelle: Eigene Berechnung auf Grundlage der oben dargestellten DESTATIS-Daten sowie Zensus 2011, eigene Darstellung, nach Höhe aufsteigend sortiert. 1 Ausgaben der Länder und Kommunen, Kern- und Extrahaushalte. Grundlage der Berechnung sind die ebenfalls von DESTATIS für das Jahr 2013 gelieferten nachfolgenden Daten der Bevölkerungsstatistik: Bundesland Bevölkerung zum 31.12.2013 Baden-Württemberg 10.631.278 Bayern 12.604.244 Brandenburg 2.449.193 Hessen 6.045.425 Mecklenburg-Vorpommern 1.596.505 Niedersachsen 7.790.559 Nordrhein-Westfalen 17.571.856 Rheinland-Pfalz 3.994.366 Saarland 990.718 Sachsen 4.046.385 Sachsen-Anhalt 2.244.577 Schleswig-Holstein 2.815.955 Thüringen 2.160.840 Quelle: DESTATIS-Datenbank GENESIS online, Ergebnisse auf Grundlage des Zensus 2011, Fortschreibung bis 2013 Den Daten des Statistischen Bundesamtes folgend werden in Nordrhein-Westfalen nicht die geringsten Ausgaben je Einwohner getätigt, sondern mit die höchsten. Anstelle auf Platz eins bei der Effizienz der Aufgabenerledigung im Bundesländervergleich befindet sich NordrheinWestfalen auf Platz zwölf der 13 Flächenländer. Die Landesregierung sollte daher zeitnah dem Parlament darlegen, warum sie selbst stets von vermeintlich niedrigen Ausgaben in Nordrhein-Westfalen spricht anstatt die bereinigten Daten des Statistischen Bundesamtes DESTATIS zu verwenden, die die Ausgaben aller Bundesländer insgesamt durch Elimination struktureller Effekte sachgerecht vergleichbarer machen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7693 4 Vorbemerkung der Landesregierung Es ist eine Tatsache und kein Märchen, das der Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen die geringsten Pro-Kopf-Ausgaben aller Länder ausweist. Einzig richtige und allgemein anerkannte Vergleichsgröße dafür sind Länderhaushalte. Denn nur auf dieser Basis lassen sich die Konsolidierungserfolge der Länder vergleichen. Auf Konsolidierungsbemühungen von einzelnen Kommunen haben die Länder nur einen sehr begrenzten Einfluss. Wenn der Landeshaushalt nur im Aggregat mit kommunalen Haushalten aussagefähig wäre, wäre nicht zu erklären, warum die schwarz-gelbe Landesregierung bis 2010 den Kommunen 1,96 Milliarden Euro zur Konsolidierung des Landeshaushaltes entzogen hat. Richtig ist, dass Nordrhein-Westfalen einen hohen Kommunalisierungsgrad aufweist und aufgrund der Bevölkerungsverdichtung und der großen kommunalen Einheiten viele Aufgaben effizient und bürgernah auf kommunaler Ebene wahrgenommen werden können. Der Grad der kommunalen Aufgabenwahrnehmung ist allerdings nicht der Grund für die niedrigen Pro-Kopf-Ausgaben des Landes. Diese Arbeitsteilung zwischen Land und Kommunen schlägt sich in sehr hohen Zuweisungen des Landes an seine Kommunen im Landeshaushalt nieder. Nordrhein-Westfalen hat im Jahr 2013 im Ländervergleich die zweithöchsten Zuweisungen pro Einwohner an seine Gemeinden getätigt. Entgegen der Behauptung des Fragestellers ist es auch richtig, die Stadtstaaten in den Vergleich mit einzubeziehen. Nordrhein-Westfalen weist eine sehr hohe Siedlungsdichte (2.332 EW/km² Siedlungs- und Verkehrsfläche) auf, die eher mit Stadtstaaten (z. B. HB 2.848 EW/km²) als mit dem Durchschnitt der übrigen Flächenländer (1.473 EW/km²) vergleichbar ist. Selbst unter Hinzurechnung der Gemeindeausgaben zu den Ausgaben des Landeskernhaushaltes bleibt Nordrhein-Westfalen deutlich unter den Ausgaben pro Kopf der Stadtstaaten . Einwendungen dergestalt, dass große Länder mit weniger Geld pro Einwohner auskämen als kleine, verkennen, dass die Kosten der politischen Führung nur einen Bruchteil der Landesausgaben ausmachen. Die Zahl der notwendigen Stellen bei Lehrern, Polizei, Justiz, Finanzverwaltung – also die personalintensiven Bereiche mit über 90 v. H. der Stellen – sinkt nicht mit der Größe des Landes. Sie steigt sogar mit der Dichte der Stadtbevölkerung und den damit einhergehenden soziodemografischen Strukturen. Während es in Bayern und BadenWürttemberg nur je drei Städte mit mehr als 250.000 Einwohnern gibt und in Niedersachsen und Hessen sogar nur je zwei, sind es in Nordrhein-Westfalen zwölf. Das sind insgesamt mehr als in den vier nächstgrößten Ländern, in denen 37 Millionen Menschen leben. 1. Aus welchen einzelnen fachlichen Erwägungen operiert die Landesregierung bislang nicht mit obigen DESTATIS-Daten, die auch für Ländervergleiche so aufbereitet sind? Die Daten von DESTATIS bilden nicht den richtigen Vergleichsmaßstab, um die Konsolidierungsbemühungen der Länder zu vergleichen, da sie sich nicht nur auf die Haushalte der Länder beziehen, sondern unter anderem auch die Kommunen und Teile der Extrahaushalte mit einbeziehen. Es macht einen Unterschied, ob – wie in NRW – ein Drittel der Bevölkerung in Großstädten mit mehr als einer Viertelmillionen Einwohner lebt. Hier fallen deutlich höhere Aufwendungen für ÖPNV, Kultur, Integration und Sozialfürsorge an als in allen anderen Bundesländern. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, RheinlandPfalz , Saarland, Thüringen und Sachsen-Anhalt gibt es keine städtisch zu finanzierenden UBahnen , um den Autoverkehr im Fluss zu halten. Deswegen arbeiten die Länder mit den Daten der Zentralen Datenstelle der Landesfinanzminister (ZDL) und verwendeten die bereinigten Gesamtausgaben pro-Kopf als geeigneten Indikator, um das Ausgabenverhalten der Länder sachgerecht zu vergleichen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7693 5 Darüber hinaus ist die in den Veröffentlichungen von DESTATIS enthaltene konsolidierte Betrachtung der Kassenzahlen unvollständig, da noch nicht alle Extrahaushalte einbezogen wurden, insbesondere auf der kommunalen Ebene. Außerdem wird bei der Integration von Extrahaushalten, die nicht ausschließlich der öffentlichen Aufgabenerfüllung dienen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten agieren, wie z.B. die EAA, deren Ertragsseite gänzlich außer Acht gelassen. Zu einer Verzerrung im Ländervergleich führen des Weiteren folgende Punkte: Bei der (teilweisen) Einbeziehung von Extrahaushalten und Kommunen werden die Daten aus völlig unterschiedlichen Rechnungslegungssystemen aggregiert. Während dem Kernhaushalt des Landes die kamerale Haushaltssystematik auf Basis von Gruppierungs- und Funktionsplänen zugrunde liegt, folgen die Kommunen der kaufmännischen Rechnungslegung auf Basis von Konten- und Produktrahmen. Auf Ebene der Extrahaushalte wiederum sind beide Rechnungslegungsstandards anzutreffen; bei den Kommunen in der Regel kaufmännisch und auf Ebene des Landes je nach Rechtsnatur kameral oder kaufmännisch. Hier findet also eine Vermengung von „Ausgabe“ und „Aufwand“ statt, die unter hohem Arbeitsaufwand auf Seiten von DESTATIS versucht wird zu bereinigen. Diese Bereinigung ist nicht in allen Fällen möglich und auch nicht immer nachvollziehbar. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Datengüte. Jede Kommune und jeder Extrahaushalt ist laut Finanz- und Personalstatistikgesetz eine eigenständige Meldeeinheit. In NordrheinWestfalen sind das insgesamt deutlich über 1.000 Einheiten1. Jede Einheit meldet ihre eigenen Daten nach bestimmten Kriterien direkt an DESTATIS oder an IT.NRW. Aufgrund des Statistikgeheimnisses sind diese Meldungen seitens des Landes weder auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit überprüfbar. Des Weiteren ist der Prozess der Konsolidierung von Kernhaushalten und ihren Extrahaushalten noch nicht abgeschlossen, da allein die Diversität der Rechts- und Organisationsformen und die Tiefe der Staffelung einzelner Gebietskörperschaften sowie ihrer Extrahaushalte langwierige Konsolidierungsprozesse und eine wechselseitige Bereinigung der Zahlungsströme erfordern. 2. Wie ist der Finanzminister bei seiner Berechnung methodisch schrittweise vor- gegangen? Der hier in Rede stehende Ländervergleich der „bereinigten Gesamtausgaben“ basiert auf der „Vierteljahresstatistik über die Ausgaben und Einnahmen der staatlichen Haushalte", die bei der ZDL zusammengeführt und anschließend nach finanzstatistischen Grundsätzen bereinigt werden. In diesem Kontext handelt es sich um die Bruttoausgaben, die um Zahlungen innerhalb der gleichen Ebene bereinigt werden. Sie geben somit an, wie viele Mittel zur Aufgabenerfüllung eingesetzt wurden, unabhängig davon, welche anderen öffentlichen Bereiche zur Ausgabenfinanzierung beigetragen haben. Namentlich werden die Gesamtausgaben um die Tilgungsausgaben am Kreditmarkt, Zuführungen zu Rücklagen, Ausgaben zur Deckung von Vorjahresfehlbeträgen und haushaltstechnischen Verrechnungen bereinigt. Am Ende wird durch die Einwohnerzahl zum Stichtag dividiert. 1 Eine Liste der Extrahaushalte ist auf der Internetseite von DESTATIS abrufbar; ohne Zuordnung zu einzelnen Kommunen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7693 6 3. Wie bewertet der Finanzminister den zuvor dargestellten Befund, dass nach DESTATIS das Land Nordrhein-Westfalen in 2013 nur den vorletzten Platz im Effizienzranking der Flächenländer belegt? Wie bereits erwähnt, sind die von DESTATIS verwendeten Zahlen für Vergleichszwecke nicht aussagekräftig, wenn es darum geht, die Konsolidierungserfolge der Länder zu vergleichen . 4. Welche Gründe für unterschiedliche Ausgabenstrukturen und kostenrelevante Parameter zwischen den einzelnen Bundesländern sind dem Finanzminister bekannt ? Der Landesregierung liegen keine gesicherten Kenntnisse über die Ursachen für die jeweiligen Ausgabenstrukturen der übrigen Länderhaushalte vor. 5. Welche einzelnen Maßnahmen plant die Landesregierung noch bis zum Ende dieser Wahlperiode zur Ausgabenreduktion und größeren Effizienz des öffentlichen Handelns? Über die geplanten Maßnahmen der Landesregierung zur Kostenreduktion wird zeitnah im Zusammenhang mit der jeweiligen Haushaltsaufstellung entschieden.