LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7711 09.01.2015 Datum des Originals: 08.01.2015/Ausgegeben: 14.01.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 2971 vom 8. Dezember 2014 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/7549 An der Schnittstelle zwischen Gesellschafts- und Kommunalrecht: Bleiben nordrheinwestfälische Kommunen auch bei uneinheitlicher Abstimmung ihrer Vertreter in den Gremien privatrechtlicher Gesellschaften handlungsfähig? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 2971 mit Schreiben vom 8. Januar 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft , Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nordrhein-Westfälische Kommunen verfügen von Rechts wegen über die Möglichkeit, sich an privatrechtlichen Gesellschaften zu beteiligen. Da Gemeinden weder rechtlich gezwungen noch gehalten sind, ihre Aufgaben in den Formen des bürgerlichen Rechts wahrzunehmen, unterliegt diese Beteiligung jedoch engen (bundes-) rechtlichen Grenzen. Von Verfassungs wegen gilt der Vorrang des Bunderechts, also der für die jeweilige Gesellschaft maßgebenden Bestimmungen insbesondere des GmbH- oder Aktiengesetzes gegenüber dem kommunalen Wirtschaftsrecht. Diese Lage führt stets dann zu Kollisionsproblemen, wenn bundesrechtliche Vorgaben und Gemeindewirtschaftsrecht widerstreitende Aussagen treffen. In einer nordrhein-westfälischen Kommune hat sich jüngst eine derartige Konfliktlage ergeben, da die in die Gesellschafterversammlung einer vollständig von der Kommune gehaltenen GmbH ein Teil der entsandten Mitglieder des Rates und der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister) in jener Versammlung mehrfach uneinheitlich abstimmten. § 113 Abs. 2 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen (GO) sieht vor, dass im Falle unmittelbarer gemeindlicher Beteiligungen an Gesellschaften in Privatrechtsform grundsätzlich ein vom Rat bestellter Vertreter die Gemeinde in den Gremien der Gesellschaft vertritt. So- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7711 2 fern allerdings mehr als ein Vertreter in die Gesellschaftsgremien zu entsenden ist, muss der Bürgermeister oder ein von ihm vorgeschlagener Bediensteter der Gemeinde dazuzählen. Dies bedeutet, dass es § 113 Abs. 2 GO auch bei einhundertprozentigen städtischen Töchtern in der Rechtsform einer GmbH erlaubt, die einzige Stimme des kommunalen Gesellschafters in der Gesellschafterversammlung durch mehr als eine Person zu vertreten. Bei zwei Vertretern ist die zweite Person daher zwingend der jeweilige Bürgermeister oder der von ihm vorgeschlagene Bedienstete. Das juristische Schrifttum vertritt überwiegend die Auffassung, dass die kommunalen Vertreter das städtische Stimmrecht nach den Vertretungsregelungen des BGB als gesamtvertretungsberechtigte Vertreter auszuüben haben. § 113 Abs. 2 GO NRW stellt in diesem Rahmen eine Spezialregelung der gesetzlichen Vertretung dar, die der allgemeinen Außenvertretungsbestimmung des § 63 Abs. 1 GO NRW vorgeht (vgl. z.B. Leitzen, in: ZNotP 2011, 453, 457). Die Vorschrift gilt selbst dann, wenn die Gemeinde Alleingesellschafterin einer juristischen Person des Privatrechts ist; von ihr kann auch gesellschaftsvertraglich nicht abgewichen werden. Werden mehrere Personen zu besonderen Vertretern in einem Gremium der Gesellschaft bestimmt, sind diese daher stets Gesamtvertreter der Gemeinde. In dieser Konstellation müssten die gemeinsam vertretungsbefugten Personen vor Ausübung des Stimmrechts eine einstimmige Regelung über den Stimminhalt herbeiführen oder herbeiführen lassen und ggf. einen Stimmführer bestimmen. Bei uneinheitlicher Stimmabgabe läge hingegen keine wirksame Stimmausübung des kommunalen Gesellschafters vor; das Gesellschaftsrecht bestimmt nämlich in § 18 Abs. 1 GmbHG, dass Rechte aus einem Geschäftsanteil an einer GmbH von mehreren Mitberechtigten nur gemeinschaftlich ausgeübt werden können. Dies bedeutet, dass die Ausübung nur einheitlich erfolgen kann. Die Bevollmächtigung eines einzelnen Mitberechtigten zur Ausübung des Rechts ist zulässig; kann zwischen den Mitberechtigten keine Einigkeit hergestellt werden, so hat die Rechtsausübung zu unterbleiben. Ein Gesellschafter (die Gemeinde) kann mit Blick auf seinen jeweiligen Gesellschaftsanteil deshalb nur einheitlich abstimmen; unterlässt er dies, sind sämtliche Stimmen aus dem jeweiligen Anteil ungültig. Regelungsbedürftige Probleme in der kommunalen Praxis entstehen deshalb, wenn – wie jüngst in einer nordrhein-westfälischen Kommune geschehen – diese einstimmige Einigung über die Stimmrechtsausübung nicht gelingt, die Uneinigkeit nach außen sichtbar wird und die Gesellschaft des Privatrechts aus diesem Grunde keine wirksamen Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung herbeiführen kann. Daraus könnte eine rechtliche Handlungsunfähigkeit der kommunalen Gesellschaft in Privatrechtsform folgen, sofern diese aufgrund der Uneinigkeit ihrer besonderen Vertreter in der Gesellschafterversammlung dauerhaft keine wirksamen Beschlüsse mehr fassen kann. Die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung trifft für diesen Fall keine Vorkehrungen; sie enthält insbesondere keine Anhaltspunkte dahin, wie in den Fällen der Uneinigkeit besonderer Vertreter nach § 113 Abs. 2 S. 2 GO weiter verfahren werden kann, um den Konflikt aufzulösen, etwa, indem maßgebend auf die Stimme des Bürgermeisters abgestellt oder ein verpflichtender Ratsentscheid herbeigeführt wird. 1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass eine uneinheitliche Abstimmung der besonderen Vertreter der Kommune in den Gremien sogar einer von der Kommune vollständig allein gehaltenen privatrechtlichen Gesellschaft in Form der GmbH nicht mit der bundesrechtlichen Vorgabe einheitlicher Abstimmung aus §§ 18 Abs. 1, 47 Abs. 1 GmbHG vereinbar ist? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7711 3 2. Dürfen Kommunen in den Gründungsverträgen oder Satzungen von Kapitalgesellschaften , an denen sie beteiligt sind, bindende Regelungen für jede der gesamtvertretungsberechtigten Personen treffen zum Verfahren vor Stimmabgabe in den Gesellschaftsgremien, um die Einheitlichkeit – etwa durch Mehrheitsbeschluss der besonderen Vertreter im Sinne des § 113 Abs. 2 S. 2 GO – vor Durchführung der Abstimmung herzustellen? 3. Falls derartige Regelungen nicht getroffen werden dürfen: Setzt ein Verfahren zur verbindlichen Herstellung der Einheitlichkeit bloße interne Mehrheitsabstimmung der besonderen Vertreter der Kommune im Sinne des § 113 Abs. 2 S. 2 GO oder eine Beteiligung des Rates oder seiner Ausschüsse oder sonstiger gemeindlicher Organe voraus? 4. Falls nur zwei Vertreter nach § 113 Abs. 2 S. 2 GO NW benannt sind, muss dann bei interner Uneinigkeit zwingend auf Antrag einer der beiden Personen eine Ratsentscheidung herbeigeführt werden? Wegen des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 bis 4 zusammengefasst beantwortet . Ausweislich der Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage ist Auslöser der Fragestellungen eine besondere Fallkonstellation, die sich in einer nordrhein-westfälischen Kommune ergeben hat. Danach sind in einer zu hundert Prozent von der Kommune gehaltenen GmbH vom Rat mehrere Personen in die Gesellschafterversammlung entsandt worden. Nach den Ausführungen der Vorbemerkung stimmten die vom Rat entsandten Personen in der Gesellschafterversammlung mehrfach uneinheitlich ab. Der Fragesteller sieht darin eine Konfliktlage, die auf widerstreitende Vorgaben im Bundesrecht (Gesellschaftsrecht) und im Landesrecht (Gemeindewirtschaftsrecht) zurückzuführen sei. Diese Auffassung wird nicht geteilt. Ausgangspunkt der Würdigung ist die herrschende Meinung im Gesellschaftsrecht, nach der jeder Gesellschafter für einen Gesellschaftsanteil grundsätzlich nur einheitlich abstimmen kann (s. hierzu Zöllner im Kommentar zum GmbH-Gesetz von Baumbach/Hueck, 20. Auflage von 2013 in Rdnr. 22 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung und der Literatur und Hinweisen auf abweichende Auffassungen). Entsendet der Rat einer Gemeinde (zulässigerweise) in die Gesellschafterversammlung einer GmbH, an der die Gemeinde hundert Prozent der Anteile hält, mehr als eine Person, ist er gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass verfahrensmäßige Vorkehrungen zur Sicherung einer einheitlichen Stimmabgabe (z.B. durch eine entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung) getroffen werden. Eine gemeindewirtschaftsrechtliche Problemstellung liegt hier nicht vor. Die gemeindewirtschaftsrechtlichen Bestimmungen geben keineswegs eine uneinheitliche Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung vor; erst recht verhindern sie nicht gesellschaftsvertragliche Regelungen, die eine einheitliche Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung sicherstellen . Insofern ist die in den Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage angenommene Konfliktlage zwischen bundesrechtlichem Gesellschaftsrecht und dem landesrechtlichen Gemeindewirtschaftsrecht nicht erkennbar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7711 4 5. Wie hat der Bürgermeister zu reagieren, wenn der Rat sich weigert, Abhilfe zu schaffen, etwa, indem er den Punkt von der Tagesordnung absetzt oder ausdrücklich beschließt, keine Abstimmungsweisung zu erteilen? Die kommunalaufsichtliche Würdigung erfolgt stets in Ansehung aller Umstände des Einzelfalls . Von daher verbietet sich eine abstrakt -generelle kommunalaufsichtliche Bewertung.