LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/780 31.08.2012 Datum des Originals: 30.08.2012/Ausgegeben: 05.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 308 vom 1. August 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/481 Verwertung der vielen „Schrottpapiere“ aus US-amerikanischen Hypothekenkrediten im Bestand der EAA bzw. der Portigon AG – Wie stellt die Landesregierung bestmöglich sicher, dass die zukünftige Abwicklung den nordrhein-westfälischen Steuerzahler nicht noch teurer zu stehen kommt? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 308 mit Schreiben vom 30. August 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Ursachen der gegenwärtigen Finanz-, Wirtschafts-, Währungs- und Staatsschuldenkrise nicht nur im Euroraum werden innerhalb der Wirtschaftswissenschaften weiterhin fachlich kontrovers diskutiert. Eines der markantesten und stets am deutlichsten zu identifizierenden Auslöseereignisse liegt jedoch in der US-amerikanischen Hypotheken- und Subprime-Krise, deren Wirkungen bereits im Jahre 2007 deutlich sichtbar geworden sind. Nach dem Platzen der sog. „Dotcom-Blase“ zur Jahrtausendwende hielt die US-Notenbank Fed die Zinssätze über Jahre hinweg äußerst niedrig. Aufgrund der geringen Zinssätze konnten sich im weiteren Verlauf in den Jahren bis 2005/2006 auch die Bezieher niedriger Einkommen in den USA ein Eigenheim leisten. Ermutigt durch den niedrigen Leitzins der USNotenbank vergaben US-Banken Kredite mit variablem Zinssatz an Schuldner mit mäßiger oder sogar schlechter Bonität. Wegen des niedrigen Zinsniveaus waren die Raten anfänglich – gerade im Zeitraum nach Abschluss der jeweiligen Kreditverträge – niedrig. Aufgrund des erweiterten Käuferpotentials stieg die Nachfrage nach Immobilien und damit auch der Immobilienpreis . Die finanzierenden Banken gingen davon aus, aufgrund stetig steigender Immobilienpreise im Falle einer Zahlungsunfähigkeit die jeweilige Immobilie zu einem noch höhe- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/780 2 ren Marktwert veräußern zu können. Die Schuldner gingen ihrerseits davon aus, im Notfall ihr Haus mit Gewinn weiterverkaufen zu können. Kreditvergebende Banken sahen sich mit erhöhtem Kapitalbedarf zur Gestellung weiterer Kredite konfrontiert. Dies führte zur Schaffung neuer Finanzinstrumente, die sich als Verbriefungen der Forderungen aus den Finanzierungs- und Hypothekenkrediten darstellten. In diesem Rahmen verkauften die kreditgebenden Banken die Zahlungsansprüche aus den Hypothekenkrediten zusammen mit deren Kreditrisiken verbrieft an Investoren – etwa andere Banken, Versicherungen, Hedgefonds, Vermögensverwalter – weltweit. Dies geschah, indem die Ansprüche und Risiken aus ganzen Portfolien von Hypothekenkrediten in Zweckgesellschaften eingebracht wurden und dann als „Mortgage Backed Securities “ (MBS) – einer Form von forderungsbesicherten Wertpapieren – veräußert wurden. Um die MBS bei Investoren platzieren zu können, ließen die Verkäufer diese Papiere von Ratingagenturen bezüglich ihrer Bonität beurteilen. Die fast immer von den verbriefenden Banken beauftragten Agenturen arbeiteten dabei eng mit diesen zusammen mit dem Ziel, so die Verbriefung zu strukturieren und damit möglichst große Tranchen mit gutem Rating zu erhalten . Eigenkapitaleinsatz der MBS-ausgebenden Banken war insoweit nicht oder in weitaus geringerem Umfang erforderlich als im Rahmen der „regulären“ Kreditvergabe, so dass von den MBS in großem Umfang Gebrauch gemacht worden ist. Im weiteren Verlauf wurden sogar bereits verbriefte und zusammengefasste MBS nochmals zu weiteren Papieren („Collateralized Debt Obligations“, CDO) gebündelt, um höhere Ratings und damit bessere Verkaufsmöglichkeiten zu erzielen. Nicht nur gestiegene Leitzinsen der US-Notenbank lösten ab dem Jahre 2006 ein Zusammenbrechen dieser Konstruktionen aus, da infolge der Illiquidität vieler Schuldner diese ihre Raten nicht mehr bedienten, die Immobilienpreise zu fallen begannen und im weiteren Verlauf die auf die „faulen Kredite“ gestützten Finanzinstrumente zusammenbrachen. Die weiteren Folgen sind bekannt. Weniger bekannt ist der Öffentlichkeit jedoch, dass sich auch deutsche Landesbanken in erheblichem Umfang am Geschäft mit den MBS und CDOs beteiligten. Wie das „Handelsblatt “ in seinem Bericht „Schwere Hypothek“ vom 24. Juli 2012 berichtet, haben deutsche Institute – darunter auch die frühere WestLB – jahrelang Verbriefungen dieser Art aufgekauft – offenbar ohne jede valide Risikoeinschätzung. Zu Spitzenzeiten verfügten die deutschen Landesbanken über Bestände derartiger Papiere im Nominalwert von 200 Mrd. Euro. Diese Papiere sind auch gegenwärtig noch bei den Landesbanken oder ihren Abwicklungsgesellschaften – in Nordrhein-Westfalen der EAA bzw. der Portigon AG – vorhanden; der tatsächliche Wert dieser Verbriefungen ist inzwischen jedoch ins nahezu Bodenlose gefallen. Eine ehemalige Mitarbeiterin der US-Großbank JP Morgan Chase gab laut „Handelsblatt“ gegenüber einem US-Fernsehsender an, sie und ihre Kollegen hätten kaum fassen können, dass die deutschen Landesbanker – von ihr insoweit als naiv bezeichnet – die fraglichen Papiere in diesem Umfang erworben hätten. Inzwischen ist bekannt geworden, dass unter anderem verschiedene Landesbanken untereinander Kontakt aufgenommen haben, um die möglichen rechtlichen Implikationen der gegenwärtigen Lage zu klären. Hintergrund ist eine Regelung des US-Wertpapierrechts, wonach – gerade im Falle von MBS – rund 25% der Anteilseigner zusammen einen Rückkauf der „Schrottpapiere“ durch die Emittenten, mit anderen Worten durch die ausgebenden USBanken , zum Ausgangswert erzwingen können. Es handelt sich dabei um sog. PutbackForderungen . Zwar sollen bereits einzelne Institute in den USA Klage erhoben haben – deren Position ist aber weitaus ungünstiger, da sie isoliert betrachtet nicht das notwendige Quorum von 25% der Anteile an den MBS halten. Eine allein auf Beratungsfehler gestützte Klage verspricht danach kaum oder zumindest weitaus weniger Erfolg, da es sich bei den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/780 3 Landesbanken um Kaufleute handelte, denen eine halbwegs valide eigene Risikoeinschätzung – anders als etwa bei Endverbrauchern – üblicherweise durchaus zugetraut werden dürfte. Fachleute beziffern den über Putback-Forderungen aktuell realisierbaren „Restwert“ der Verbriefungen in den Beständen der verschiedenen deutschen Institute auf etwa 20 Mrd. Euro und damit immerhin etwa auf ein Zehntel deren ursprünglichen Nominalwerts. Zur Entlastung der deutschen Steuerzahler, bei denen der Umfang der „Einstandspflicht“ für die Krisenbewältigung etwa in Gestalt eines möglichen ESM noch gar nicht zu beziffern ist, dürfen Kreditinstitute, deren Anteile durchweg oder überwiegend vom Staat (hier den Ländern ) gehalten werden, auf derartige Beträge nicht einfach durch Untätigkeit oder einen Mangel an eigener Fachkompetenz verzichten. Dies gilt umso mehr, als das amerikanische Recht eine Verjährungsfrist für Putbacks von sechs Jahren ab Ausgabe der Papiere vorsieht, für viele der erworbenen Schrottpapiere die Verjährung der Rückforderungsansprüche also unmittelbar bevorsteht. Angesichts des gigantischen Forderungsvolumens, um das es hierbei geht, und des völlig überschuldeten Landeshaushalts muss die Landesregierung dem Parlament dringend vollständig und im Detail darlegen, welche Maßnahmen sie konkret ergreift, um die elementaren Belange des nordrhein-westfälischen Steuerzahlers zu wahren. Vorbemerkung der Landesregierung Es wird davon ausgegangen, dass mit den in der Kleinen Anfrage genannten „toxischen Papieren “ ausschließlich strukturierte Wertpapiere in Form von US-amerikanischen Mortgage Backed Securities (sog. MBS) und Collateralized Debt Obligations (sog. CDO´s) mit Bezug zum US-Immobilienmarkt gemeint sind. Die Landesregierung ist nicht Inhaberin oder Treuhänderin derartiger Wertpapiere mit Bezug zum US-Immobilienmarkt. Inhaberin der Wertpapiere bzw. für diese verantwortlich ist vielmehr rechtlich und/oder wirtschaftlich die Erste Abwicklungsanstalt. Diese hält auch die Verbindlichkeiten von Phoenix Light SF Ltd., die im Jahr 2008 derartige Wertpapiere von der früheren WestLB AG, seit 1. Juli 2012 firmierend als Portigon AG, übernommen hat. Die zur Refinanzierung der Transaktion begebenen Anleihen sind in 2009 und 2010 von der früheren WestLB AG auf die Erste Abwicklungsanstalt übergegangen, so dass die Erste Abwicklungsanstalt 100 v.H. der von Phoenix emittierten Verbindlichkeiten hält. Die frühere WestLB AG ist von sämtlichen Risiken aus den vorgenannten strukturierten Wertpapieren wirtschaftlich befreit. Sämtliche Rahmenbedingungen incl. der disquotalen Garantie für Verluste aus den Phoenixpapieren sind unter Beteiligung der damaligen Landesregierung ausgehandelt worden. Der Ersten Abwicklungsanstalt obliegen die risikominimierende Verwaltung und der Abbau des ihr übertragenen Portfolios. An ihr ist das Land Nordrhein-Westfalen mit rund 48,2 v.H. beteiligt. Das Vorliegen und die Durchsetzbarkeit von Rechtsansprüchen wurden und werden von dem jeweiligen Inhaber der Wertpapiere, dem Treuhänder bzw. der Verbriefungsgesellschaft geprüft. Bei hinreichenden Erfolgsaussichten werden in Abwägung insbesondere der Chancen und Risiken durch das jeweilige Management bzw. den Treuhänder geeignete Rechts- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/780 4 maßnahmen ergriffen (vgl. insoweit auch Ausführungen im Geschäftsbericht 2011 der Ersten Abwicklungsanstalt, Seiten 21 f., abrufbar über https://www.aa1.de/presse/geschaeftsberichte/). 1. Wie stellt sich im Einzelnen hinsichtlich der Rückveräußerung und der Geltend- machung von Schadensersatz bezogen auf in Beständen der EAA oder der Portigon AG vorhandener „toxischer Papiere“ – insbesondere MBS und CDOs – die Rechtslage prozess- und materiell-rechtlich aus Sicht der Landesregierung genau dar? Der Vorstand führt die Geschäfte der Ersten Abwicklungsanstalt nach kaufmännischen und wirtschaftlichen Grundsätzen unter Berücksichtigung des Abwicklungsziels und des Grundsatzes der Verlustminimierung. Er hat insbesondere das rechtlich Mögliche und wirtschaftlich Sinnvolle zu prüfen und zu veranlassen. Dem Verwaltungsrat der Ersten Abwicklungsanstalt obliegen die Beratung des Vorstands der Ersten Abwicklungsanstalt und die Überwachung seiner Geschäftsführung. Hierzu werden ihm geeignete Unterlagen bzw. Informationen zur Verfügung gestellt. Aufgrund der Tatsache, dass die strukturierten Wertpapiere neben Phoenix in verschiedenen Zweckgesellschaften liegen, müssen diese eventuelle Rechtsmaßnahmen ergreifen. Sollte beispielsweise die Phoenix Light SF Ltd. im Rahmen einer Klage unterliegen, würden vor allem die Rückflüsse aus dieser Zweckgesellschaft für die Erste Abwicklungsanstalt verringert bzw. blieben aus. Ein Bestandteil der Strategie der Ersten Abwicklungsanstalt ist es, Rückführungen auf das Phoenix-Portfolio zu erzielen. Entsprechend befasst sich die Erste Abwicklungsanstalt intensiv mit der Thematik Rechtsmaßnahmen. Das beinhaltet auch eine Erörterung im Verwaltungsrat mit dem Vorstand. Nach der Erörterung obliegt es dem Vorstand, gegebenenfalls für sinnvoll erachtete bzw. gebotene weitere Schritte – wie ein optimierendes Einwirken im Rahmen des Zulässigen auf die Zweckgesellschaften bzw. Treuhänder – zu ergreifen. Unter Umständen regt er dabei die Durchführung von Rechtsmaßnahmen an, um Schadensersatzoder Vergleichsforderungen bzw. Rückführungen auf das Phoenix-Portfolio zu erreichen. Die Erste Abwicklungsanstalt kann jedenfalls aus eigenem Recht keine Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den strukturierten Wertpapieren aktiv führen. Entsprechend haben nach öffentlich zugänglichen und der Landesregierung vorliegenden Informationen auch die Direktoren von Phoenix Light SF Ltd. und weiterer Zweckgesellschaften, deren Verbindlichkeiten von Phoenix gehalten werden, Rechtsmaßnahmen wegen des Vorwurfs eines Fehlverhaltens von Akteuren, die an den Verbriefungstransaktionen mitgewirkt haben, eingeleitet. Nach Kenntnis der Landesregierung handelt es sich zum Stichtag 15. August 2012 um zwei laufende Verfahren. 2. Aus welchen einzelnen Gründen genau erachtet die Landesregierung eine konzertierte, über die Grenzen Nordrhein-Westfalens beispielsweise im Verbund mit anderen Ländern und deren Landesbanken hinausgehende Rückforderungen aus „toxischen Papieren“ an US-amerikanische Banken für (nicht) sinnvoll und umsetzbar? Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen verfügt in Bezug auf die in der Kleinen Anfrage bezeichneten Wertpapiere über keine Klagebefugnis. Sie erachtet es als sinnvoll, wenn der jeweilige Inhaber der Wertpapiere oder der Treuhänder bzw. die Verbriefungsgesellschaft LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/780 5 selbst das Vorliegen von Rechtsansprüchen prüft und bei Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten in Abwägung der Chancen und Risiken sowie unter Berücksichtigung von Aspekten der Wirtschaftlichkeit geltend macht (beispielsweise über Sammelklagen). 3. Mit welcher Erfolgsaussicht strebt die Landesregierung in ihrer Eigentümerver- antwortung für die noch zahlreich vorhandenen Schrottpapiere im Besitz der EAA bzw. der Portigon AG (falls nötig auch im Alleingang Nordrhein-Westfalens) eine Klageerhebung gegen verantwortliche US-amerikanische Banken an? Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen verfügt in Bezug auf die in der Kleinen Anfrage bezeichneten Wertpapiere über keine Klagebefugnis. Ebenso wenig kann - wie zu Frage Nr. 1 ausgeführt - die Erste Abwicklungsanstalt aus eigenem Recht Rechtsstreitigkeiten insoweit selbst aktiv führen. Eine Eigentümerverantwortung der Landesregierung für Zweckgesellschaften, denen möglicherweise Rechtsansprüche zustehen könnten, besteht nicht. 4. Wann genau läuft die Verjährungsfrist im denkbaren Falle einer Klageerhebung, jeweils spezifiziert nach den unterschiedlichen Volumina und Erwerbungszeitpunkten der jeweils verschiedenen „toxischen Papiere“ im Einzelnen exakt ab? Die Dauer der Verjährungsfrist richtet sich nach der jeweiligen Rechtsmaßnahme und dem zugrundeliegenden Rechtsraum. Die Prüfung obliegt zum einen dem jeweiligen Inhaber der Wertpapiere, dem Treuhänder bzw. der Verbriefungsgesellschaft, zum anderen im Falle einer Klageerhebung dem zuständigen Gericht. 5. Falls die Landesregierung doch keine Klage zur Realisierung ihrer Regressan- sprüche anstrengt: Welche konkreten Ziele, insbesondere zum Volumen der Einnahmeerzielung in Euro, hat sich die Landesregierung dann aus heutiger Sicht jeweils für ihre einzelnen alternativen Vorgehensweisen (wie Vergleichsvereinbarung mit US-Emittenten etc.) gesetzt, um die Finanzinteressen des Landes zu wahren? Sollten der Landesregierung eigene Rechte im Zusammenhang mit den bezeichneten Wertpapieren zustehen, wird sie diese bei hinreichenden Erfolgsaussichten nutzen.