LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7891 06.02.2015 Datum des Originals: 05.02.2015/Ausgegeben: 11.02.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3009 vom 7. Januar 2015 des Abgeordneten Dietmar Brockes FDP Drucksache 16/7700 Wie will die Landesregierung Waffengleichheit für Bergbaubetroffene bei der Anerkennung von Bergschäden gewährleisten? Der Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk hat die Kleine Anfrage 3009 mit Schreiben vom 5. Februar 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bergbauunternehmen sind verpflichtet, für Gewinnungsbetriebe und untertägige Aufsuchungsbetriebe ein Risswerk anfertigen und nachtragen zu lassen. Für untertägige Betriebe muss dies (einschließlich des Grubenrisses) ein von der Bergbehörde anerkannter Markscheider vornehmen. Markscheider sind dabei u.a. zuständig für die Eintragung von Erdspalten und Geländeabrissen in das von ihnen anzufertigende und nachzutragende Risswerk und sind befugt, innerhalb ihres Geschäftskreises Tatsachen mit öffentlichem Glauben zu beurkunden. Die im Risswerk eintragungspflichtigen Sachverhalte können ursächlich für Bergschäden an Gebäuden sein. Die fachgerechte Führung des Risswerks hat insoweit auch eine Bedeutung für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber dem Bergbauunternehmen und ist auch deshalb sicherzustellen. Das für untertätige Aufsuchungs- oder Gewinnungsbetriebe vorgeschriebene Risswerk muss nach § 64 Abs. 1 Bundesberggesetz (BBergG) von einem von der Behörde anerkannten Markscheider angefertigt und nachgetragen werden. Die Markscheider Bergverordnung, die die eintragungspflichtigen Sachverhalte regelt, dient laut ihrer amtlichen Begründung auch dem Schutz von Sachgütern vor Bergschäden. In der Praxis erfolgt die Risswerkführung durch den beim bergbautreibenden Unternehmen angestellten risswerkführenden Markscheider. Die praktizierte Risswerkführung steht seit einigen Jahren jedoch vermehrt in der Kritik. Obwohl Markscheider bei der Anwendung ihrer Fachkunde formal keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, besteht häufig die Befürchtung, dass die Unabhängigkeit gegenüber dem Unternehmen für angestellte Markscheider nur auf dem Papier besteht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7891 2 Da ein von der Behörde anerkannter Markscheider gem. § 64 Abs. 2 BBergG befugt ist, innerhalb seines Geschäftskreises Tatsachen mit öffentlichem Glauben zu beurkunden, stellt das Risswerk für die Existenz bzw. das Nichtvorliegen von Erdspalten und Geländeabrissen insoweit eine öffentliche Urkunde dar. Wollen Bergbaubetroffene mögliche fehlerhafte Eintragungen bei der Risswerkführung geltend machen, so kann ihnen dies wegen des besonderen Urkundscharakters nur gelingen, wenn sie den Beweis für die Unrichtigkeit des Risswerks erbringen. Selbst von Sachverständigen festgestellte und begründete Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung reichen dafür nicht. Diese von der Erfüllung hoher Anforderungen abhängige Rechtsschutzmöglichkeit läuft in der Praxis allerdings leer. Im Ergebnis sieht die Landesbergbehörde die Feststellungen und Eintragungen des risswerkführenden Markscheiders als allein entscheidend an, so dass für Betroffene kaum die Möglichkeit besteht, die etwaige Fehlerhaftigkeit des Risswerks überhaupt rechtswirksam geltend machen zu können. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beinhaltet das Prinzip der Waffengleichheit, dass jeder Partei eine vernünftige Möglichkeit eingeräumt werden muss, ihren Fall vor Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die für diese Partei keinen substanziellen Nachteil im Verhältnis zu seinem Prozessgegner bedeuten. Es muss sichergestellt werden, dass die Anforderungen an eine faire Anhörung erfüllt sind (EGMR, Urteil vom 27.10.1993 – 37/1992/382/460 (Dombo Beheer B. V. /Niederlande), NJW 1995, 1413). Die Verwirklichung des Prinzips der Waffengleichheit erfordert, dass auch Personen im Rahmen des Bundesberggesetzes Urkunden über die Existenz oder Nichtexistenz von in das Risswerk eintragungspflichtigen Tatsachen wie z. B. Erdstufen erstellen können, die dieselbe Beweiskraft haben wie das Risswerk des beim Unternehmen angestellten risswerkführenden Markscheiders. 1. Welche Personen sind nach Maßgabe des Bundesberggesetzes befugt, für Bergbaubetroffene eine öffentliche Urkunde über die Existenz oder Nichtexistenz von in das Risswerk eintragungspflichtigen Tatsachen, wie z. B. Erdstufen, zu erstellen? Das Risswerk ist das Dokument, welches der Bergbauunternehmer der zuständigen Behörde gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 Bundesberggesetz (BBergG) schuldet, und zu dessen Erstellung er sich gemäß § 64 Abs. 1 S. 1 BBergG eines von der Behörde anerkannten Markscheiders zu bedienen hat. Der Unternehmer trägt die Verantwortung dafür, dass ein Risswerk in dem vorgeschriebenen Umfang angefertigt und in den festgelegten Zeitabständen nachgetragen wird. Die ihm obliegende Pflicht besteht insbesondere darin, eine geeignete Person mit der Anfertigung des Risswerks zu beauftragen und sicherzustellen, dass diese ihre Aufgaben erfüllen kann (Boldt/Weller, § 63 Rn. 7). § 64 Abs. 2 Satz 2 BBergG regelt, dass der Markscheider befugt ist, innerhalb seines Geschäftskreises Tatsachen mit öffentlichem Glauben zu beurkunden. Den öffentlichen Glauben genießen nur Urkunden, die der Markscheider innerhalb des ihm zugewiesenen Geschäftskreises, d.h. in Ausführung der ihm durch das BBergG oder durch eine aufgrund des BBergG erlassenen Rechtsverordnung übertragenen Aufgaben angefertigt hat (Boldt/Weller, BBergG, § 64 Rn. 11). Zum gesetzlichen Geschäftskreis des Markscheiders gehört u.a. die Anfertigung und Nachtragung des Risswerks. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7891 3 Die §§ 63, 64 BBergG, auf die vorstehend Bezug genommen wird, bilden unter den Überschriften „Risswerk“ (§ 63) und „Markscheider“ (§ 64) innerhalb des Dritten Teils und dort des Vierten Kapitels des Bundesberggesetzes die „Sonstigen Bestimmungen für den Betrieb“. Losgelöst von einer Tätigkeit für einen bergbaulichen Betrieb kann ein anerkannter Markscheider z.B. Erdstufen nicht mit öffentlichem Glauben beurkunden. 2. Wie können Bergbaubetroffene bei Streitigkeiten über die fehlerhafte Risswerkführung erreichen, dass ihnen die durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgeurteilte Waffengleichheit zu Teil wird? Der Gesetzgeber hat zugunsten Schadensbetroffener im Einwirkungsbereich des Bergbaus die oft als Beweislastumkehr angesehene Bergschadensvermutung zu Lasten des Bergbauunternehmers eingeführt (§ 120 BBergG). In strittigen Fällen obliegt es daher dem Bergbauunternehmer nachzuweisen, dass andere als bergbauliche Ursachen zum Schaden geführt haben können oder dass die schadensauslösenden Bodenbewegungen keine bergbauliche Ursachen haben. Die Landesregierung hat zur Entlastung Schadensbetroffener von prozessualen Risiken die Schlichtungsstelle Bergschaden eingerichtet, an die sich jeder Geschädigte wenden kann, der mit dem Unternehmen keine Einigung über die Ursache und ggf. die Regulierung eines vermuteten Bergschadens erreichen konnte. Im Schlichtungsverfahren kann ein für das jeweilige Sachgebiet anerkannter und öffentlich bestellter Sachverständiger hinzugezogen werden. Die Bergbauunternehmen tragen sämtliche Kosten des Verfahrens, sodass dem Geschädigten keine Kosten im Schlichtungsverfahren entstehen. Der ordentliche Rechtsweg steht dem Geschädigten weiterhin und unabhängig vom Ausgang des Schlichtungsverfahrens offen. Die bei der Bergbehörde (Bezirksregierung Arnsberg) eingerichtete Arbeitsgruppe „Risswerkführung“ hat gemäß einem Auftrag des Unterausschusses Bergbausicherheit des Landtags Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Interessenvertretungen Bergbaubetroffener ein Verfahren erarbeitet, das unabhängig von der derzeit bestehenden Rechtslage zur Eintragung ausgewählter schadensrelevanter Sachverhalte in das Risswerk eine darüber hinausgehende, erweiterte Dokumentation von potenziell bergschadensrelevanten Sachverhalten gewährleistet. Die RAG AG führt auf dieser Grundlage seit 2012 diese auch für Schadensbetroffene zugängliche „Dokumentation besonderer Sachverhalte“. Auch damit soll Schadensbetroffenen die Geltendmachung und Durchsetzung von Ersatzansprüchen - ggf. auch im gerichtlichen Verfahren - erleichtert werden. Wie in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage ausgeführt, können die im Risswerk eintragungspflichtigen Sachverhalte möglicherweise ursächlich für Bergschäden an Gebäuden sein. Das Risswerk stellt jedoch weder einen Nachweis einer zweifelsfrei bergbaubedingten Ursache des Schadens noch eine hinreichende Dokumentation von Bergschäden dar. Sind bestimmte, von Bergbaubetroffenen für eintragungspflichtig gehaltene Sachverhalte im Risswerk nicht eingetragen, bedeutet dies keineswegs den Nachweis, dass es sich bei einem Schaden nicht um einen Bergschaden handelt. Das für Bergbau zuständige Wirtschaftsministerium hat zudem u. a mit der RAG AG eine Vereinbarung für mehr Transparenz und einen fairen Interessenausgleich zwischen Bergbaubetroffenen und Bergbauunternehmen geschlossen. Danach wird in Fällen, in denen ein Grundstückseigentümer die Risswerkführung beanstandet, ein Ortstermin mit der Bergbehörde, dem risswerkführenden Markscheider und dem Grundeigentümer durchgeführt. Der Grundstückseigentümer kann auf Kosten des Bergbauunternehmens LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7891 4 einen auf dem Gebiet des Markscheidewesens öffentlich bestellten Sachverständigen hinzuziehen. Die Bergbehörde entscheidet anschließend, ob eine behördliche Anordnung zur Nachtragung des Risswerks erforderlich ist. Sehen Geschädigte eigene Schadensersatzansprüche gegen das von ihnen als Verursacher betrachtete Bergbauunternehmen trotz der vorstehend erläuterten zu ihren Gunsten bestehenden Regelungen nicht zu ihrer Zufriedenheit bedient oder sind Geschädigte mit einer sie betreffenden behördlichen Entscheidung nicht einverstanden, steht ihnen der Rechtsweg offen. In das gerichtliche Verfahren können sämtliche Erkenntnisse aus den o. g. Befassungen eingebracht werden. Es ist dann Aufgabe des Gerichts, die von den Parteien dargelegten Zeugnisse, Erkenntnisse und Beweise zu würdigen und auch erforderlichenfalls zusätzlich weitergehende sachverständige Ermittlungen zum streitbefangenen Sachverhalt anzustellen. Insoweit ist nicht erkennbar, dass es an „Waffengleichheit“ mangele. 3. Inwieweit können neben dem beim Unternehmen angestellten risswerkführenden Markscheider auch andere, anerkannte Markscheider, Tatsachen mit öffentlichem Glauben beurkunden, die in das Risswerk eintragungspflichtige Sachverhalte betreffen? Im Bundesberggesetz ist geregelt, dass der Markscheider befugt ist, innerhalb seines Geschäftskreises Tatsachen mit öffentlichem Glauben zu beurkunden. Zu seinem Geschäftskreis gehört u. a. die Anfertigung des Risswerks für bestimmte Aufsuchungs- und Gewinnungsbetriebe im Auftrag des Bergbauunternehmers, der verpflichtet ist, ein Risswerk anfertigen und in vorgeschriebenen Zeitabständen nachtragen zu lassen. Der damit beauftragte Markscheider muss dazu nicht im beauftragenden Unternehmen angestellt sein. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass kleinere Bergbauunternehmen, die außerhalb des Steinkohlen- und Braunkohlenbergbaus ebenfalls der Pflicht zur Risswerkführung unterliegen, sich dazu selbständiger anerkannter Markscheider bedienen und diese entsprechend beauftragen. Eine Regelung, nach der ein behördlich anerkannter Markscheider auch außerhalb dieses Geschäftskreises befugt ist, bestimmte Tatsachen mit öffentlichem Glauben zu beurkunden, ist im Bundesberggesetz nicht enthalten.