LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7970 23.02.2015 Datum des Originals: 20.02.2015/Ausgegeben: 26.02.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3037 vom 15. Januar 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/7753 Experimente mit pupsenden Kühen, Kot- und Haaranalyse bei Fledermäusen, Survival, Biber-Beauftragte und Fischotter-Spurensucher, Pflanzenmeditation, neue Landlust, Wildkräuter-Power, Upcycling und einfaches Überleben in Harmonie mit sich selbst – Wieviel Steuergeldverschwendung für die Promotion grüner Lebensstile wird von der Landesregierung praktiziert? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3037 mit Schreiben vom 20. Februar 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Passend zum Jahresbeginn hat die nordrhein-westfälische Landesregierung auch in diesem Jahr ihr neues sogenanntes „Bildungsprogramm 2015“ veröffentlicht. Zusammen mit verschiedenen Naturschutzverbänden wird von Umweltminister Johannes Remmel das über 120 Seiten umfassende Seminarprogramm mit mehr als 200 Veranstaltungen beworben, das sich um zahlreiche Fragen der Selbstbesinnung und alternative Lebensformen kümmert. Fast nichts ist dieser Landesregierung dabei gleichgültig. In seinem Geleitwort formuliert die Landesregierung zur Bedeutung dieser Angebote wörtlich: „Bildung für Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Menschen im Land zu rüsten für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Mit dem aktuellen Jubiläumsprogramm leistet die NUA dazu zusammen mit ihren Partnern erneut wichtige Beiträge. (...) Die NUA adressiert dabei insbesondere auch junge Menschen und vermittelt Gestaltungskompetenz, ohne die eine zukunftsfähige Entwicklung unseres Landes nicht gelingen kann.“ Das zurückliegende Jahr 2014 hat in eindrucksvoller Weise verdeutlicht, wie stark das Land finanziell mit dem Rücken an der Wand steht. Mit einer Haushaltssperre sind Ausgaben fast LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7970 2 ein halbes Jahr lang auf ein unabweisbares Minimum reduziert, Gäste in der Staatskanzlei mit Leitungswasser bewirtet worden, und mit der drastischen Grunderwerbsteuererhöhung leider gleich mehrere einhundert Millionen Euro Mehreinnahmen zu Lasten der Mitte unserer Gesellschaft beschlossen worden. Es bestehen trotzdem erhebliche fachliche Zweifel vieler Sachverständiger, ob das Land das Neuverschuldungsverbot zum spätestmöglichen Termin im Jahr 2020 überhaupt wird einhalten können. Parallel stehen viele Energieversorger mit dem Rücken an der Wand, Zehntausende Industriearbeitsplätze sind gefährdet, und unser Finanzminister klagt über wegbrechende Steuereinnahmen in traditionell ertragsstarken Branchen. Trotzdem sind offenbar noch genügend öffentliche Ressourcen für das Marketing grüner Lebensstile vorhanden. So ehrenwert die Motivation der Landesregierung sein mag, ihren Bürgern lebenspraktische Hilfen zu geben, wie man im Freien bequem und trocken auch ohne Zelt und Schlafsack nächtigen kann, wie man sich mit Seilkonstruktionen im Gelände fortbewegt, wie man in der Natur überlebt und dabei Methoden verinnerlicht, sich wieder mit der Natur zu verbinden, so stellt sich doch ernsthaft die Frage, ob angesichts der dramatischen Verschuldungslage der öffentlichen Kassen nicht im Industrieland Nordrhein-Westfalen eine Schwerpunktsetzung für Bildungsmaßnahmen angeraten ist, die die Zukunftsfähigkeit und die tatsächlich benötigten Lebenskompetenzen in unserer heutigen Zeit stärker im Blick hat, um in der Lebensrealität tatsächlich keinen Menschen zurückzulassen. Beispielhaft enthält dieses Bildungsprogramm des Landes in diesem Jahr folgende Seminare inklusive der jeweils wörtlich zitierten Auszüge aus der Angebotsbeschreibung, die aufgrund des Umfangs leider nur exemplarisch und verkürzt an dieser Stelle wiedergegeben werden können:  Wildnispädagogik und Survival: „Wie kann man sich wärmen, ein Feuer entfachen – ohne moderne Hilfsmittel? Wie schläft man draußen bequem und trocken – ohne Zelt und Schlafsack? Wovon kann man sich ernähren – ohne Proviant? Die Antworten gibt die Natur – und dieses Seminar.“  Weiterbildung Wildnispädagogik: „In dieser Fortbildung lernen Sie wirkungsvolle Wege und Methoden kennen, sich selbst wieder mit der Natur zu verbinden. Über den eigenen Verstand hinaus werden Sie mit Sinnen, Gefühl und Körper ganzheitliche Erfahrungen machen können, um an die tief verwurzelte Vertrautheit mit der Schöpfung wieder anzuknüpfen. Eng vertraut mit den natürlichen Kreisläufen, Erscheinungsformen und Gesetzmäßigkeiten von Wildnis, fühlten sich die indigenen Völker und Kulturen dieser Welt als Teil von ihr.“  Jetzt aber Sense: „Der Kurs richtet sich an Interessierte, die im Sensen nicht nur die Möglichkeit sehen, auf alternativem Wege zu mähen. Neben dem fachkundigen Führen der Sense vermittelt der Kurs in Theorie und Praxis das notwendige Know-How im Dengeln, Wetzen und Schärfen , um die Sense in Schuss zu halten. Sensen können mitgebracht werden. Mittagessen und nachbereitender Kaffee inklusive.“  Fledermausfreundliches Haus: „Wie gestalte ich ein fledermausfreundliches Haus?“  Haaranalyse von Fledermäusen: „Es können sowohl Fachleute als auch Laien teilnehmen. Es sollen verschiedene Untersuchungsmethoden und Geräte zur Baumhöhlenuntersuchung, wie z. B. Endoskopie, Kot-/Mulmuntersuchungen und Haaranalysen (auch von den Teilnehmern) vorgestellt und diskutiert werden.“  Wildkräuter-Power: Vom grünen Smoothie bis zur Baumblatt-Caprese: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7970 3 „Vitalstoffreiche frisch gesammelte wilde Kost wird an diesem Wochenende Grundlage jeder Mahlzeit sein. Beim gemeinsamen Zubereiten lernen wir geschickte und raffinierte Kräuter-, Knospen-, Blüten- und Baumblattkreationen.“  Was geht da in die Luft?: „Wenn Kühe pupsen, entsteht das Treibhausgas Methan. Experimente dürfen hier selbstverständlich nicht fehlen.“  Wanderausstellung „NRW wird leiser“: „Schall nicht nur hören, sondern auch fühlen und sehen...“  Niedrigseilelemente im Gelände – Seilbrücken, Netze und Schaukeln: „Wir stellen die Grundausrüstung und -techniken vor und knüpfen einfache Knoten, um tragfähige Seilkonstruktionen zwischen Bäumen zu errichten. Diese dienen als Grundlage für Brücken, Netze und Schaukeln.“  Konfliktmanagement in der Umweltbildung: „Die Methoden der Fortbildungsveranstaltung zum Thema Konfliktmanagement sind abgeleitet aus dem Anti-Aggressions-Training (AAT) mit jugendlichen und erwachsenen Gewaltstraftäterinnen.“  Wildnisbasis: „Dieser Kurs eröffnet das grundlegende praktische Wissen zum Leben in und mit der Natur . Er gestaltet die Möglichkeit, sich erneut mit der Natur verbunden und in ihr zu Hause zu fühlen. Er entfaltet ein nachhaltiges Wiederentdecken des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten und für ein einfaches (Über)Leben in Harmonie mit sich Selbst und den natürlichen Lebenszyklen. Die Wildnisbasisthemen sind: Feuer machen nur mit Hilfsmitteln der Natur, Bau einer Schutzbehausung ohne Werkzeuge, Herstellung von Schnüren; Wasser-/ Nahrungsfindung und Aufbereitung, Einstieg in die Philosophie der Erde; Kunst des Spurenlesens und der lautlosen Fortbewegung.“  Schulung für Biber-Beauftragte: „Um bei punktuell auftretenden Problemen rasch vermitteln zu können, ist ein Netz von Biber-Beratern in NRW notwendig. Diese nicht ganz leichte Aufgabe erfordert neben ausreichendem Fachwissen und konkreten Ortskenntnissen vor allem kommunikative Fähigkeiten und Konfliktmanagement.“  Fortbildung zum Spurensucher Fischotter: „Alle Interessierten, die viel an Gewässern unterwegs sind, können in dieser zweitägigen Schulung mehr über die Lebensweise, Ökologie, Gefährdung und Verbreitung des Fischotters in NRW sowie die Meldung von Nachweisen dieser Art erfahren. Hierbei erlernen Sie das Erkennen und Aufnehmen von Spuren.“  Schulung von Wolfsbotschaftern: „Gelegentlich begegnet man den Wölfen auch mit Vorbehalten und Sorgen, denn wir Menschen in Deutschland müssen erst wieder lernen, mit dem Wolf in unserer Nachbarschaft zu leben.“  Fledermausbotschafter-Schulungen: „In Theorie- und Praxiseinheiten lernen Sie von erfahren Fledermausfachleuten Wissenswertes über Fledermäuse.“  Gemeinsam für die Schlingnatter: „Die gewonnenen Erkenntnisse im Bereich der Lebensraumpflege, aber auch Umsiedlung bei Eingriffen, Monitoring und Erfassung, oder Populationsgrößenschätzung der FFH-Art Schlingnatter werden durch die beteiligten Experten vorgestellt.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7970 4  Pflanzenportraits: „Zu diesen ganzheitlichen Erfahrungen mit den Pflanzen gehören unter anderem die Schulung der Sinneswahrnehmung über Pflanzenmeditationen oder das Erkennen und Deuten von Signaturen. Wir beschäftigen uns mit Heilpflanzenzubereitungen und Anwendungen und begegnen den Pflanzen in der Natur aber auch in Märchen und Mythen oder Volksbräuchen und Ritualen.“  Freche Früchtchen aus holzigen Hecken: „Im Rahmen der Fortbildung werden durch praktisches Tun methodische Möglichkeiten erarbeitet, Wildfrüchte und -kräuter zu einem nachhaltigen Teil des Schul(all)tags werden zu lassen.“  Re- und Upcycling: „Aus Haushalts- und Industrieabfällen wird in dem Workshop Nützliches und Schönes.“  Begleiter im Untergrund: „Gesteine und ihre Strukturen sind unsere ständigen Begleiter, auch wenn sie nicht immer sichtbar sind.“  Hirschbrunftführung: „Nicht nur der Ablauf des Brunftgeschehens wird fachmännisch erläutert (…).“ Verschiedene Seminare sind mit Teilnehmerbeiträgen, beispielsweise für Übernachtung oder Verpflegung verbunden, andere werden kostenfrei angeboten – gerne auch inklusive eines „nachbereitenden Kaffees“. Fraglich ist, welches Zukunftsbild die nordrhein-westfälische Landesregierung genau von der Landesentwicklung vor Augen hat, wenn die Bürger ihres Landes als Breitenangebot in der Herstellung diverser Smoothies in unterschiedlicher Farbe, dem Mähen mit der Sense, selbstentzündetem Feuer oder einem primitiven Überleben im Wald geschult werden sollen. Das Parlament hat daher ein Anrecht darauf, nähere Einzelheiten zur Veranlassung und den Kosten der neuen Seminarangebote des Landes zu erfahren. Vorbemerkung der Landesregierung Bei dem in der Anfrage genannten „Veranstaltungskalender der Landesregierung“ handelt es sich um das Bildungsprogramm 2015 der Natur- und Umweltschutz-Akademie (NUA) des Landes NRW. Die NUA NRW ist seit 2006 durch Entscheidung der damaligen CDU/FDPLandesregierung als Fachbereich 35 in das LANUV NRW eingegliedert. Die Arbeit der NUA fußt auf einem Kooperationsmodell des Landes mit den vier anerkannten Naturschutzverbänden BUND, NABU, LNU und der SDW. Die Naturschutzverbände haben jeweils Sitz und Stimme im Kuratorium der NUA (neben MKULNV, MSW und LANUV). So müssen gemäß NUA-Einrichtungserlass aus dem Jahre 1996 u.a. die Grundsätze und Schwerpunkte der jährlichen Arbeitsprogramme im Einvernehmen mit dem Kuratorium ergehen. Die Naturschutzverbände wirken somit maßgeblich am Bildungsprogramm mit und bringen etwa 80 eigene Veranstaltungen jährlich in das Programm ein. Die Veranstaltungen der Kooperationspartner werden in das NUA-Programm integriert. Die jeweiligen Ausrichter sind im Programm der NUA ausgewiesen. Die NUA beteiligt sich nur zum Teil an den Kosten dieser Veranstaltungen. Es handelt sich beim NUA-Programm also nicht um ein Bildungsprogramm der Landesregierung (wie die Kleine Anfrage suggeriert), sondern es ist das Ergebnis eines mehrstufigen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7970 5 Beteiligungsverfahrens und Ausdruck des Kooperationsmodells, das konzeptionell seit der Errichtung der NUA 1985 Bestand hat. 1. Welche genauen Informationen liegen der Landesregierung vor zur erwähnten neuen 120-seitigen Bildungsprogrammbroschüre in puncto Auflage, Kosten der Herstellung auf Vollkostenbasis (Druck, Agentur, Redaktion etc.) und Verbreitungswegen in 2015? Das NUA-Bildungsprogrammheft 2015 ist mit einer Auflage von 15.000 Heften erschienen. Gestaltung und Druck des Heftes kosteten 11.000 Euro. Zu den weiteren Ausführungen wird auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 1856 (Drs. 16/4974) verwiesen. 2. In jeweils welchem Umfang werden die einzelnen der rund 200 Fortbildungsan- gebote mit öffentlichen Geldern direkt oder indirekt bezuschusst? Im Vergleich zu 2014 haben sich keine grundsätzlichen Veränderungen bezüglich der Veranstaltungstypen und der damit einhergehenden Förderung ergeben. Auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 1856 wird daher verwiesen. 3. Aus jeweils welchen einzelnen Erwägungen heraus hält der Finanzminister das oben dargestellte Bildungsangebot des Landes angesichts der desolaten Haushaltslage auch in diesem Jahr für eine sinnvolle Ausgabe von Steuergeld? Auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 1856 wird verwiesen. 4. Welche genauen Informationen liegen der Landesregierung vor zur Teilnehmer- zahl und finanziellen Förderung jedes einzelnen Fortbildungsangebots aus dem bisherigen vergleichbaren Bildungsveranstaltungsprogramm des Jahres 2014? Nach der vorläufigen Datenerfassung wurden 2014 über 240 Veranstaltungen erfolgreich durchgeführt. Insgesamt wurden damit über 11.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht , in der Hauptsache Multiplikatoren aus Verwaltung, Verbänden, Unternehmen und dem Bildungsbereich. Auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 1856 wird verwiesen. 5. Welches konkrete Zukunftsbild von der nordrhein-westfälischen Landesentwick- lung hat die Landesregierung vor Augen, wenn ihr die Fortbildung der Bürger in der Herstellung diverser Smoothies, dem Mähen mit der Sense, selbstentzündetem Feuer oder einem primitiven Überleben im Wald auch in Zeiten der dramatischen Haushaltsverschuldung sinnvoll erscheint? Die Landesregierung bewertet bei den Bildungsträgern erarbeitete Konzeptionen von Veranstaltungen nicht, begrüßt aber das dortige Engagement. Abgesehen davon werden für diese Veranstaltungen keine Mittel aus dem Landeshaushalt aufgewendet. Diesbezüglich wird ebenfalls auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 1856 verwiesen.