LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7996 26.02.2015 Datum des Originals: 26.02.2015/Ausgegeben: 03.03.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3062 vom 21. Januar 2015 der Abgeordneten Birgit Rydlewski und Michele Marsching PIRATEN Drucksache 16/7823 Kleine Anfrage zu antisemitischen Straf- und Gewalttaten in Nordrhein-Westfalen Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3062 mit Schreiben vom 26. Februar 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im vergangenen Jahr haben sich Straf- und Gewalttaten gegen jüdische Einrichtungen und Menschen jüdischen Glaubens gehäuft. So listet die Amadeu-Antonio-Stiftung auf Ihrer Webseite eine ganze Fülle dieser Straf- und Gewalttaten auf – viele davon in NordrheinWestfalen . Eine der schwersten dieser Straftaten war der Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge am 29. Juli 2014, dessen mutmaßlichen Täter dieser Tage vor dem Wuppertaler Amtsgericht ein Geständnis abgelegt haben. Vorbemerkung der Landesregierung Die statistische Erfassung Politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren er Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierter Kriminalität“. Der PMK werden danach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie - den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7996 2 - sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, - durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Die Straftaten werden unter einem der Phänomenbereiche „Politisch motivierte KriminalitätLinks “, „Politisch motivierte Kriminalität-Rechts“, „Politisch motivierte Ausländerkriminalität“ oder „Sonstige/nicht zuzuordnen“ erfasst. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) liefert als Verlaufsstatistik zeitnah eine detaillierte Übersicht über das polizeilich relevante Geschehen im Bereich der PMK. Die Fallzahlen im Bereich der PMK sind eine Zusammenstellung aller der Polizei bekannt gewordenen, politisch motivierten strafrechtlichen Sachverhalte unter Beschränkung auf ihre erfassbaren, wesentlichen Inhalte. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Diese Themenfelder sind in einem bundeseinheitlichen Katalog festgelegt und bilden somit die Grundlage für die einheitliche Erfassung und Auswertung. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Leitung des BKA hat derzeit den Auftrag, das Definitionssystem PMK und den Themenfeldkatalog zur KTA-PMK unter Einbeziehung von Expertenwissen aus den Bereichen Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu überprüfen. 1. Welche Informationen liegen zu Straf- und Gewalttaten gegen jüdische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. Januar 2013 vor? (Bitte listen Sie diese nach den folgenden Kriterien auf: a) Datum b) Adresse c) Objektart (z. B.: spezifische Gebäude wie z. B. Synagoge, KiTa, Bildungseinrichtung, Supermarkt; allgemein: Ein- und Mehrfamilienhaus, Wohngebäude oder Bürokomplex, Kfz, Mülltonne, etc.) d) Straftatbestand (Sachbeschädigung (Hakenkreuze etc.) Brandstiftung, Sonstiges, wenn ja, welcher Straftatbestand?) e) Personenschaden, wenn ja, in welchem Ausmaß? f) Ermittlungsstand g) zuständige Staatsanwaltschaft und Aktenzeichen) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7996 3 2. Welche Informationen liegen zu Straf- und Gewalttaten gegen Menschen jüdischen Glaubens und gegen Menschen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes für solche gehalten wurden, in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. Januar 2013 vor? (Bitte listen Sie diese nach den folgenden Kriterien auf: a) Datum b) Ort c) Wegen welcher Straftat(en) wurde/wird ermittelt? d) Personenschaden, wenn ja, in welchem Ausmaß? e) Ermittlungsstand f) zuständige Staatsanwaltschaft und Aktenzeichen) „Straftaten gegen Menschen jüdischen Glaubens“ oder „Straftaten gegen jüdische Einrichtungen“ werden über das Definitionssystem PMK unter dem Themenfeld „Antisemitisch“ abgebildet. Eine Differenzierung der unter diesem Themenfeld erfassten Straftaten nach den geforderten Kriterien ist in der Kürze der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit weder umzusetzen noch darstellbar. Unter dem Themenfeld „Antisemitisch“ wurden im Berichtszeitraum folgende Straftaten statistisch erfasst: Ausländer Links Rechts Sonstige/ Nicht zuzuordnen Gesamt Deliktsgruppen Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Tötungsdelikte (einschließlich Versuche) 0 0 0 0 0 Branddelikte 2 0 1 0 3 Sprengstoffdelikte 0 0 0 0 0 Landfriedensbruchdelikte 0 0 0 0 0 Gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr etc. 0 0 0 0 0 Körperverletzungsdelikte 6 1 19 0 26 Widerstandshandlungen 2 0 0 0 2 Raub 1 0 1 0 2 Erpressung 0 0 0 0 0 Freiheitsberaubung 0 0 0 0 0 Sexualdelikte 0 0 0 0 0 Zwischensumme Gewaltdelikte 11 1 21 0 33 Bedrohungen/Nötigungen 1 1 7 1 10 Sachbeschädigungen 13 2 54 13 82 Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB 4 0 104 2 110 Volksverhetzungen 63 1 230 10 304 Störung des öffentlichen Friedens 1 0 0 1 2 Beleidigungen 8 0 32 5 45 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 1 0 0 0 1 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7996 4 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 2 0 0 0 2 sonstige Straftaten 2 0 7 0 9 Summe Gesamt 106 5 455 32 598 Tabelle „Straftaten der PMK zum Themenfeld „Antisemitisch“ im Zeitraum 01.01.2013 bis 31.12.2014 nach Deliktsgruppen und Phänomenbereich“ 3. Wie sieht die Landesregierung die Entwicklung von Straf- und Gewalttaten gegen Menschen jüdischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen in den letzten 10 Jahren? In den letzten zehn Jahren wurden unter dem Themenfeld „Antisemitisch“ folgende Straftaten erfasst: Tabelle „Straftaten der PMK zum Themenfeld „Antisemitisch“ im Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2014“ 4. Wie schätzt die Landesregierung insgesamt das Gefahrenpotenzial für Menschen jüdischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen ein? Für israelische/jüdische Einrichtungen besteht in Verbindung mit dem Nahost-Konflikt eine aktuelle Gefährdung insbesondere aus dem Phänomenbereich des islamistischen Terrorismus, auch in Nordrhein-Westfalen. Zudem wird auf mögliche fanatisierte Einzeltäter hingewiesen, die sich grundsätzlich einer polizeilichen Prognostizierbarkeit entziehen. Darüber hinaus besteht für Menschen jüdischen Glaubens die Gefahr, Opfer einer rechtsmotivierten Straftat zu werden. Rechtsextremistische Ideologiestrukturen beinhalten stets einen antisemitischen Aspekt. Insoweit ist bei aller Unterschiedlichkeit des Auftretens für alle Rechtsextremisten eine gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtete Fremdenfeindlichkeit und ein ausgrenzender Nationalismus bis hin zu einem rassistisch begründeten Antisemitismus gemeinsames Ideologieelement. 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Gewaltstraftaten 10 9 11 9 6 5 10 9 14 19 Straftaten insg. 221 310 278 244 300 247 247 226 249 349 10 9 11 9 6 5 10 9 14 19 221 310 278 244 300 247 247 226 249 349 1 10 100 1000 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7996 5 5. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung seitens der zuständigen Behörden von Stand und Land für notwendig, um solche Straf- und Gewalttaten zukünftig besser entgegenwirken zu können? Die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und des Rechtsextremismus sind seit langem strategische Schwerpunkte der Sicherheitsbehörden des Landes NordrheinWestfalen . Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus ist in Nordrhein-Westfalen seit 2011 ein 8-Punkte-Programm in Kraft, das neben umfassenden repressiven Elementen auch einen deutlichen Schwerpunkt auf die Prävention des Rechtsextremismus legt. Zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus hat die Landesregierung die Arbeit der Sicherheitsbehörden noch stärker auf die Bedrohung insbesondere von salafistischen Extremisten ausgerichtet. Durch die zusätzliche Einstellung von insgesamt 360 Polizeibeamtinnen und -beamten bis zum Jahr 2017 und der sofortigen Bereitstellung weiterer 25 Stellen für den Verfassungsschutz werden die Aufklärungs-, Beobachtungs- und Ermittlungskapazitäten deutlich verstärkt und das Angebot spezifischer Präventionsangebote ausgebaut. Zur Einschätzung und Bewertung der Gefährdung für jüdische Einrichtungen erheben die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen fortlaufend entsprechende Erkenntnisse. Im Zusammenhang mit antisemitischen Delikten steht zumeist die Symbolträchtigkeit des Objekts, die Botschaft der Tat und die damit verbundene Öffentlichkeitswirkung im Vordergrund. Insbesondere diese sind Grundlage der Beurteilung der Gefährdungslage durch die jeweiligen Kreispolizeibehörden und die darauf basierenden Schutzmaßnahmen.