LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/7998 26.02.2015 Datum des Originals: 26.02.2015/Ausgegeben: 03.03.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3064 vom 21. Januar 2015 der Abgeordneten Birgit Rydlewski und Michele Marsching PIRATEN Drucksache 16/7825 Kleine Anfrage zu antimuslimischen Straf- und Gewalttaten in Nordrhein-Westfalen Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3064 mit Schreiben vom 26. Januar 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im vergangenen Jahr haben sich Straf- und Gewalttaten auf muslimische Einrichtungen und Menschen muslimischen Glaubens gehäuft, so gab es zwei Brandanschläge auf eine Moschee in Bielefeld und einen auf eine Moschee in Bad Salzuflen Ende letzten Jahres. Darüber hinaus gibt es derzeit an vielen Orten in der Bundesrepublik, darunter auch in Nordrhein-Westfalen, Aufmärsche, in denen Vorurteile gegen Muslime geschürt und vor einer sogenannten „Islamisierung des Abendlandes“ gewarnt wird. Vorbemerkung der Landesregierung Die statistische Erfassung Politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren er Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierter Kriminalität“. Der PMK werden danach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie - den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7998 2 - sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, - durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Die Straftaten werden unter einem der Phänomenbereiche „Politisch motivierte KriminalitätLinks “, „Politisch motivierte Kriminalität-Rechts“, „Politisch motivierte Ausländerkriminalität“ oder „Sonstige/nicht zuzuordnen“ erfasst. Der Kriminalpolizeiliche Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) liefert als Verlaufsstatistik zeitnah eine detaillierte Übersicht über das polizeilich relevante Geschehen im Bereich der PMK. Die Fallzahlen im Bereich der PMK sind eine Zusammenstellung aller der Polizei bekannt gewordenen, politisch motivierten strafrechtlichen Sachverhalte unter Beschränkung auf ihre erfassbaren, wesentlichen Inhalte. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Diese Themenfelder sind in einem bundeseinheitlichen Katalog festgelegt und bilden somit die Grundlage für die einheitliche Erfassung und Auswertung. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Leitung des BKA hat derzeit den Auftrag, das Definitionssystem PMK und den Themenfeldkatalog zur KTA-PMK unter Einbeziehung von Expertenwissen aus den Bereichen Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu überprüfen. 1. Welche Informationen liegen zu Straf- und Gewalttaten gegen muslimische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. Januar 2013 vor? (Bitte listen Sie diese nach den folgenden Kriterien auf: a) Datum b) Adresse c) Objektart (z. B.: spezifische Gebäude wie z. B. Moschee, KiTa, Bildungseinrichtung; allgemein: Ein- und Mehrfamilienhaus, Wohngebäude oder Bürokomplex, Kfz, Mülltonne, etc.) d) Straftatbestand (Sachbeschädigung (Hakenkreuz etc.), Brandstiftung, Sonstiges, wenn ja, welcher Straftatbestand?) e) Personenschaden, wenn ja, in welchem Ausmaß? f) Ermittlungsstand g) zuständige Staatsanwaltschaft und Aktenzeichen) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7998 3 2. Welche Informationen liegen zu Straf- und Gewalttaten gegen Menschen muslimischen Glaubens und gegen Menschen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes für solche gehalten wurden, in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. Januar 2013 vor? (Bitte listen Sie diese nach den folgenden Kriterien auf: a) Datum b) Ort c) Wegen welcher Straftat(en) wurde/wird ermittelt? d) Personenschaden, wenn ja, in welchem Ausmaß? e) Ermittlungsstand f) zuständige Staatsanwaltschaft und Aktenzeichen) „Antimuslimische Straf- und Gewalttaten“ oder „Straf- und Gewalttaten gegen muslimische Einrichtungen“ bildet das Definitionssystem PMK derzeit nicht ab. Gleiches gilt für „Straf- und Gewalttaten gegen Menschen muslimischen Glaubens“ oder gegen Personen, die „aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes“ für Muslime gehalten werden könnten. Straftaten in diesem Zusammenhang werden hierin am ehesten unter dem Themenfeld „Religion“ erfasst. Unter diesen Bereich werden allerdings auch Straftaten in Zusammenhang mit christlichen Einrichtungen oder Einrichtungen anderer Glaubensgemeinschaften und gegen Personen christlichen oder anderen Glaubens subsumiert. Eine Differenzierung der unter diesem Themenfeld erfassten Straftaten nach den geforderten Kriterien ist in der Kürze der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit weder umzusetzen noch darstellbar. Zur Beantwortung wurden daher alle Straftaten des KPMD-PMK, die dem Themenfeld “Religion“ statistisch zugeordnet sind, für den Berichtszeitraum erhoben. Ausländer Links Rechts Sonstige/ Nicht zuzuordnen Gesamt Deliktsgruppen Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Anzahl Tötungsdelikte (einschließlich Versuche) 0 0 0 0 0 Branddelikte 0 0 1 0 1 Sprengstoffdelikte 0 0 1 0 1 Landfriedensbruchdelikte 0 0 0 0 0 Gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr etc. 0 0 0 0 0 Körperverletzungsdelikte 7 2 9 4 22 Widerstandshandlungen 0 1 1 0 2 Raub 0 0 1 0 1 Erpressung 0 0 0 0 0 Freiheitsberaubung 0 0 0 0 0 Sexualdelikte 0 0 0 0 0 Zwischensumme Gewaltdelikte 7 3 13 4 27 Bedrohungen/Nötigungen 8 0 4 2 14 Sachbeschädigungen 5 1 28 26 60 Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB 0 1 25 3 29 Volksverhetzungen 4 0 50 6 60 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7998 4 Störung des öffentlichen Friedens 1 0 0 0 1 Beleidigungen 7 1 30 3 41 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 1 0 0 0 1 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 0 2 4 0 6 sonstige Straftaten 3 0 9 10 22 Summe Gesamt 36 8 163 54 261 Tabelle „Straftaten der PMK zum Themenfeld „Religion“ im Zeitraum 01.01.2013 bis 31.12.2014 nach Deliktsgruppen und Phänomenbereich“ 3. Wie sieht die Landesregierung die Entwicklung von Straf- und Gewalttaten gegen Menschen muslimischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen in den letzten 10 Jahren? Das Definitionssystem PMK bildet „Antimuslimische Straf- und Gewalttaten“ oder „Straf- und Gewalttaten gegen muslimische Einrichtungen“ und „Straf- und Gewalttaten gegen Menschen muslimischen Glaubens“ oder gegen Personen, die „aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes“ für Muslime gehalten werden könnten, derzeit nicht ab. Unter dem Themenfeld „Religion“ wurden in den letzten zehn Jahren nachfolgende Straftaten erfasst: Tabelle „Straftaten der PMK zum Themenfeld „Religion“ im Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2014“ 4. Wie schätzt die Landesregierung insgesamt das Gefahrenpotenzial für Menschen muslimischen Glaubens in Nordrhein-Westfalen ein? Bei den Straf- und Gewalttaten gegen Menschen aufgrund ihres unterschiedlichen Glaubens handelt es sich überwiegend um Delikte der Politisch motivierten Kriminalität-Rechts. Islamfeindlichkeit ist bei rechtsextremen Parteien und Organisationen fest verwurzelt. Insoweit stehen Menschen muslimischen Glaubens grundsätzlich im Zielspektrum rechtsmotivierter Straf- und Gewalttäter und ihren Agitationen. Im Vordergrund antimuslimischer Straftaten stehen die Symbolträchtigkeit des Objekts, die Botschaft der Tat und die damit verbundene Öffentlichkeitswirkung. Damit sind Farbschmierereien oder Sachbeschädigungen gegen Moscheen, aber auch Beleidigungen gegenüber Muslimen auch zukünftig nicht auszuschließen. 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Gewaltstraftaten 2 10 2 4 4 3 7 5 7 20 Straftaten insg. 64 99 76 62 68 40 69 81 117 144 2 10 2 4 4 3 7 5 7 20 64 99 76 62 68 40 69 81 117 144 0 20 40 60 80 100 120 140 160 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/7998 5 Die Ergebnisse bei Wahlen und das hohe Engagement der Zivilgesellschaft zum Beispiel im Zusammenhang mit Versammlungen der rechten Szene oder Versammlungen rechtsextremistischer Anmelder zeigt jedoch, dass die große Mehrheit der nordrheinwestfälischen Bevölkerung Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ablehnt und entschieden für eine offene Gesellschaft eintritt. 5. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung seitens der zuständigen Behörden von Stand und Land für notwendig, um solche Straf- und Gewalttaten zukünftig besser entgegenwirken zu können? Für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus eine hohe Priorität. Sie hat bereits 2011 die Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus in ein 8-Punkte-Programm zusammengefasst, das neben umfassenden repressiven Elementen auch einen deutlichen Schwerpunkt auf die Prävention des Rechtsextremismus legt. Darüber hinaus hat die Landesregierung aktuell die Eckpunkte zur Entwicklung eines integrierten Handlungskonzeptes gegen Rechtsextremismus und Rassismus verabschiedet, welches als Ergebnis eines umfangreichen Beteiligungsverfahrens von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren entstanden ist. Mit dem Handlungskonzept werden die bestehenden präventiven Aktivitäten der Landesregierung gestärkt und mit einer nachhaltigen Strategie zukünftig noch besser aufeinander abgestimmt. Die Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden und Organisationen gestaltet sich in Nordrhein-Westfalen positiv. Sie wird nicht zuletzt durch die Kontaktbeamten für muslimische Institutionen gefördert. Zahlreiche interkulturelle „Runde Tische“ auf behördlicher Ebene entfalten ebenso positive Wirkungen und sind fester Bestandteil der Präventionsarbeit nordrhein-westfälischer Sicherheitsbehörden.