LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8034 02.03.2015 Datum des Originals: 27.02.2015/Ausgegeben: 05.03.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3030 vom 13. Januar 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/7743 Problemlösung zur Vermeidung eines großflächigen Baustopps in der Stadt Essen – Welche genaue Verabredung haben Umweltminister und Bezirksregierung Düsseldorf nun mit der betroffenen Stadtverwaltung zur Entwässerungsproblematik getroffen? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3030 mit Schreiben vom 27. Februar 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ein für die Ruhrregion eher ungewöhnliches Vorgehen der Bezirksregierung Düsseldorf hat im November 2014 in der Stadt Essen gleichermaßen für Entsetzen wie Empörung gesorgt und in der Plenarsitzung am 4. Dezember 2014 auch den nordrhein-westfälischen Landtag beschäftigt: Am 20. November 2014 hat die Fachverwaltung der Stadt Essen im zuständigen Ratsausschuss mitgeteilt, dass die Stadt Essen ab sofort in weiten Bereichen der südlichen Stadtteile Rüttenscheid, Bredeney und Stadtwald für die Dauer mehrerer Jahre keine neuen Bauvorhaben mehr genehmigen darf, da die zuständige Düsseldorfer Bezirksregierung eine Ordnungsverfügung verhängt habe. Betroffen wäre dadurch wohl die weitere städtebauliche Entwicklung auf einer Fläche von rund 600 Hektar in einem attraktiven Wohnumfeld. In der Essener WAZ vom 21. November 2014 wurde das Vorgehen seinerzeit wie folgt begründet: „Denn die Bezirksregierung Düsseldorf hat Anstoß an der seit Jahrzehnten unzureichenden Entwässerung genommen und ein ‚Verschlechterungsverbot‘ erlassen. Das Verbot tritt demnach ab sofort in Kraft. Im Klartext: Es darf kein weiteres Gebäude an das Entwässerungssystem angeschlossen werden. (…) Hintergrund: Abwasser wird in den drei Stadtteilen in LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8034 2 den Rellinghauser Mühlenbach geleitet, der in offener Bauweise durch das Walpurgistal bis ins Annental fließt. Bei starkem Regen könne die Brühe ungeklärt in die Ruhr gelangen.“ Die Essener NRZ hat dies vergleichbar berichtet. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kämpft die Stadt Essen nun seit einigen Jahren entschlossen gegen den Einwohnerschwund an. Ihr Ziel ist es, die Einwohnerzahl zumindest dauerhaft zu halten. Dies könnte die Stadt Essen realistisch schaffen, wenn es dort beispielsweise gelänge, die hohe Zahl an beruflich bedingten Einpendlern zu bewegen, mit ihren Familien in die Stadt Essen zu ziehen. Voraussetzung dafür wiederum ist jedoch die Ausweisung und Entwicklung von Flächen für neuen attraktiven sowie bezahlbaren Wohnraum gerade auch in gefragteren Wohnlagen. Ein Baustopp für hunderte Wohnungen würde dieses Ziel konterkarieren und hätte somit auch enorme Auswirkungen für die hochverschuldete Kommune. Die Verunsicherung in der Essener Bevölkerung wie bei potentiellen Investoren war groß und ist dies unverändert. Der erste Wohnungsbauinvestor ist so auch in Folge des Entwässerungsstreites bereits vom Kauf eines Grundstückes zurückgetreten. Schon am 8. Dezember 2014 hat ein Gespräch zwischen Vertretern der Bezirksregierung Düsseldorf und der Stadt Essen stattgefunden mit dem Ziel, größeren Schaden von der Stadt Essen abzuwenden. Der Essener WAZ war dann auch am 9. Dezember 2014 nach Aussagen der Essener Baudezernentin zu entnehmen, dass die Kommunalaufsicht wohl ein Entgegenkommen signalisiere und die drohende Ordnungsverfügung aufgrund der offenbar unzureichenden Entwässerung des Rellinghauser Mühlenbachs demnach doch nicht ganz so gravierende Konsequenzen für die geplanten Bauvorhaben haben könnte wie zunächst befürchtet. Durchatmen können laut Zeitungsbericht vom 9. Dezember 2014 zum heutigen Zeitpunkt zumindest die Bestandsimmobilienbesitzer in dem betroffenen Gebiet, auch wenn weiterhin als Fertigstellungstermin für ein neues Kanalnetz jedoch erst April 2018 angepeilt ist: „Der Ausbau im Bestand sei „kein Problem“. Soll heißen: Wer sein Dachgeschoss ausbauen will, kann getrost in den Baumarkt fahren und Material holen. Weder die Kommunalaufsicht, noch die Stadt werden dem Bauherrn trotz der Ordnungsverfügung Steine in den Weg legen .“ Dies ist ursprünglich anders kommuniziert worden. Nach dem Gespräch hieß es ferner, dass der Aufstellung neuer Bebauungspläne nichts im Wege stehe: „Allerdings dürfen neue Gebäude erst dann ans Kanalnetz angeschlossen werden, wenn der geplante Entwässerungskanal durch das Walpurgistal fertiggestellt ist, laut Plan der Stadtwerke also frühestens Ende 2017.“ Den Medienberichten zufolge hat die Essener Verwaltung gegenüber der Bezirksregierung Düsseldorf auch für Liegenschaften dahingehend argumentiert, dass nach der Fertigstellung bestimmter Bauvorhaben weniger Fläche versiegelt sei als gegenwärtig und somit zukünftig weniger Niederschlagswasser ins Kanalnetz abfließe. Diese Auffassung sollte die Essener Stadtverwaltung anhand belastbarer Berechnungen bis zum 9. Januar 2015 gegenüber der Kommunalaufsicht konkretisieren. Die Abläufe zeigen, dass es dringend angeraten ist, dem Parlament einen umfassenden Sachstand über das in Rede stehende abwasserrechtliche Verschlechterungsverbot und den diesbezüglichen Wortlaut der Verfügungen zu übermitteln. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8034 3 1. Wie stellen sich der genaue Sachverhalt und voraussichtliche Termin des Anschlusses neuer Gebäude im betreffenden Gebiet der Stadt Essen an das Kanalnetz aktuell, bitte unter Bekanntgabe aller diesbezüglichen Verfügungen von Landesbörden im jeweiligen Wortlaut, im Einzelnen dar? In den abwassertechnischen Einzugsgebieten Essen-Rüttenscheid und EssenRellinghausen , die im Wesentlichen mit den Gebieten der Stadtteile Essen-Rüttenscheid und Essen-Rellinghausen übereinstimmen, entsprechen die Abwasseranlagen - konkret die Regenüberläufe Birkenstraße, Walpurgistal/Kleingartenanlage und Gönterstraße/Im Walpurgistal sowie das Regenüberlaufbecken Im Walpurgistal/Sperberstraße - nicht den Regeln der Technik. Der Rellinghauser Mühlenbach ist derzeit aufgrund der zahlreichen Abwassereinleitungen stark überlastet. Mit Ordnungsverfügungen wurde der Stadt Essen die Sanierung der Anlagen seit 1986 aufgegeben . Zuletzt wurden die Ordnungsverfügungen für diese Abwasseranlagen mit Datum vom 09.11.2009, 15.11.2011 und 01.10.2012 fortgeschrieben. Aufgrund des Auslaufens dieser Ordnungsverfügungen sind diese fortzuschreiben und zu aktualisieren. Da die entwässerungstechnische Erschließung aufgrund der städtebaulichen Entwicklung und der damit einhergehenden höheren Abwasserbelastung in den Gebieten EssenRüttenscheid und Essen-Rellinghausen nicht mehr gesichert ist, ist in diesen Ordnungsverfügungen als Nebenbestimmung erstmalig aufgenommen, dass der Anschluss der Abwässer weiterer Gebäude – über den Ist-Zustand hinaus - unzulässig ist. Zusätzlich anfallendes Schmutz- und Niederschlagswasser darf erst nach Inbetriebnahme des neuen QmaxSammlers Sankt Annental über das öffentliche Kanalnetz abgeführt werden. Erst nach Inbetriebnahme des Qmax-Sammlers Sankt Annental kann die erforderliche entwässerungstechnische Erschließung sichergestellt werden. Die Sanierung soll spätestens im Jahr 2018 abgeschlossen werden. Eine frühere Fertigstellung wird angestrebt. Im Rahmen der Anhörung führte die Stadt Essen aus, dass vor Fertig-stellung des QmaxSammlers Sankt Annental die Realisierung der fol-genden Bau-Vorhaben innerhalb rechtsverbindlicher Bebauungspläne oder innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile geplant sei: - Fabrica Italiana (Müller-Breslaustraße), - Weltzien-Pattberg (Veronikastraße 21 – 29), - Hopf-Messeparkplatz (Veronikastraße), - Wittenbergstraße 10 – 12. Genauere Angaben zum Zeitpunkt des von der Stadt Essen geplanten Anschlusses von Schmutz- und Niederschlagswasser dieser Vorhaben an die Kanalisation liegen der Bezirksregierung Düsseldorf derzeit nicht vor (Stand 22.1.2015). Daneben sind weitere kleinere Bauvorhaben, insbesondere Schließung von Baulücken zu erwarten, deren Realisierung jedoch von den jeweiligen Bauherren abhängt, so dass diesbezüglich Angaben zum Anschlusszeitpunkt nicht möglich sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8034 4 2. Welche konkreten Erkenntnisse und genauen Vereinbarungen hat das Gespräch vom 8. Dezember 2014 zwischen Landesbehörden und der Essener Verwaltung im Einzelnen hervorgebracht, die der Stadt eine neue Planungssicherheit geben? Die Bezirksregierung Düsseldorf stellte klar, dass Ausbauten im Bestand (wie etwa Dachausbauten ) aufgrund ihrer fehlenden bzw. vernachlässigbaren Relevanz für die Abwassermenge unproblematisch möglich sind. Die Stadt Essen stellte dar, dass sich aus ihrer Sicht durch die Bau-Vorhaben keine Verschlechterung der Abwassersituation ergeben würde, da ein Zuwachs der Abwassermenge aufgrund einer erhöhten Einwohnerzahl durch die gleichzeitige Entsiegelung von Flächen im Einzugsgebiet überkompensiert werde. Sie sagte zu, hierzu nachvollziehbare Berechnungen vorzulegen. 3. Wie bewertet die Landesregierung im Detail die Stellungnahme der Stadt Essen mit der darin vertretenen Argumentation einer zukünftig geringeren Flächenversiegelung , die die Kommune nunmehr Anfang Januar 2015 der Bezirksregierung vorgelegt hat? Die Bezirksregierung Düsseldorf prüft derzeit die zwischenzeitlich vorgelegten Berechnungen der Stadt Essen. Soweit die fachtechnische Prüfung der Bezirksregierung die Annahme bestätigt, dass durch die Bau-Vorhaben keine Verschlechterung der Abwassersituation zu erwarten ist, steht den geplanten Bau-Vorhaben aus entwässerungstechnischer Sicht nichts mehr im Weg. 4. Für die Errichtung in etwa jeweils wie vieler neu geplanter Gebäude, differenziert nach Anzahl der Büro- oder Wohneinheiten, werden sich in Essen in den nächsten Jahren voraussichtlich einerseits trotzdem ausreichende Handlungsmöglichkeiten und andererseits faktische Handlungsbeschränkungen bei der Inbetriebnahme aufgrund eines noch nicht erfolgenden Anschlusses an das Kanalnetz ergeben? Bereits jetzt steht fest, dass Ausbauten im Bestand unproblematisch zulässig sind (siehe Frage 2). Für die o.g. 4 Bau-Vorhaben findet aktuell die Prüfung statt (siehe Frage 3). Darüber hinaus ist bereits 2013 zwischen der Bezirksregierung und der Stadt Essen festgelegt worden, dass im Hinblick auf die Aufstellung von weiteren Bebauungsplänen ein Anschluss an die Kanalisation grundsätzlich erst nach Fertigstellung des Qmax-Sammlers Sankt Annental zulässig ist. 5. Aus welchen einzelnen Gründen geht die Bezirksregierung neuerdings in derart rigider Weise gegen die Stadt Essen und dort beabsichtigte zukünftige Inbetriebnahmen bei neuen Gebäuden vor, obwohl die Problematik seit 1986 offensichtlich allen Beteiligten ohne irgendwelche bisherigen Handlungsfolgen bekannt ist? Eine Änderung der Vorgehensweise der Bezirksregierung Düsseldorf ist – entgegen der Berichterstattung in der Presse – nicht gegeben. Seit 1986 ist der Stadt Essen bekannt, dass Sanierungsmaßnahmen für eine ordnungsgemäße Entwässerung erforderlich sind. Aufgrund der fortschreitenden städtebaulichen Entwicklung und der damit in der Regel einher gehenden höheren Abwassermenge und -belastung, kann die Bezirksregierung die Einleitung wei- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8034 5 terer Schmutz- und Niederschlagswassermengen – insbesondere vor dem Hintergrund weiterer geplanter Bau-Vorhaben - nicht ohne weiteres mehr zulassen. Infolgedessen ist dieser Tatbestand als Nebenbestimmung in die Ordnungsverfügung aufgenommen worden. Insofern waren Aussagen in der Lokalpresse missverständlich, nach denen ein „Baustopp“ durch die Bezirksregierung Düsseldorf verhängt worden sei. Tatsächlich wurde ein derartiger Baustopp zu keinem Zeit-punkt von der Bezirksregierung Düsseldorf verhängt.