LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8156 11.03.2015 Datum des Originals: 10.03.2015/Ausgegeben: 16.03.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3126 vom 5. Februar 2015 des Abgeordneten Theo Kruse CDU Drucksache 16/7920 Keine einheitliche Position der Landesregierung zum Thema Kirchenasyl? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3126 mit Schreiben vom 10. März 2015 namens der Landeregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Neue Rhein Zeitung (NRZ) berichtete am 05.02.2015, dass das Thema Kirchenasyl innerhalb der Landesregierung unterschiedlich beurteilt werde. Justizminister Kutschaty habe im Gespräch mit der NRZ deutlich gemacht, dass er keinen Bedarf sehe, an der aktuellen Rechtslage etwas zu ändern. Nach Ansicht des Justizministers werde das Kirchenasyl weder überreizt noch überstrapaziert. Herrn Kutschatys Kabinettskollege und Parteifreund Ralf Jäger soll dies laut NRZ „offenbar ganz anders“ sehen. Im Rahmen einer Bürgerdiskussion zur Flüchtlingspolitik in Moers habe Minister Jäger am 03.02.2015 erklärt: „Es darf keinen Rückzugsort geben, wo die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gilt.“ Nach einem abgelehnten Asylantrag dürften Flüchtlinge nicht von der Kirche aufgenommen werden. Das Ergebnis des Asylverfahrens müsse bindend sein und dürfe im Nachgang nicht mehr untergraben werden, so Minister Jäger laut NRZ. Nachdem Innenminister Jäger und Justizminister Kutschaty schon im Rahmen der Debatte um eine mögliche Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung öffentlich gegensätzliche Positionen geäußert haben, besteht damit offenbar bei einem weiteren sensiblen Thema Uneinigkeit innerhalb der Landesregierung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8156 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung ist im Unterschied zum Bundesinnenminister der Meinung, dass derzeit im Hinblick auf das Kirchenasyl kein Handlungsbedarf besteht. Es gibt kein Rechtsinstitut des „Kirchenasyls“ im Sinne eines gegenüber dem staatlichen Asylrecht autonomen kirchlichen Asylrechts. Asyl zu gewähren obliegt ausschließlich dem Staat. Alleine der Staat besitzt die Kompetenz, festzustellen, wer politisch verfolgt ist und deshalb Asyl erhält, und welche Maßnahmen nach endgültiger Ablehnung des Asylgesuches zu ergreifen sind. Ist in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren die Ausreisepflicht eines Ausländers festgestellt , muss nach geltendem Ausländerrecht die Ausreiseverpflichtung zwangsweise durchgesetzt werden, wenn dieser Verpflichtung nicht freiwillig nachgekommen wird. In diesem Fall haben weder die obersten Landesbehörden noch die örtlich zuständigen Ausländerbehörden die Möglichkeit, hiervon aus humanitären Gründen abzusehen. Nur ein Ersuchen der beim Ministerium für Inneres und Kommunales angesiedelten Härtefallkommission an die zuständige Ausländerbehörde aus anderen als zielstaatsbezogenen Gründen gemäß § 23a AufenthG berechtigt die Ausländerbehörde, davon aus humanitären Gründen abzuweichen . Zur Durchsetzung der Ausreisepflicht ist der Zugriff der Behörden in kirchlichen Räumen nach denselben Rechtsregeln möglich wie an jedem anderen Ort auch. Selbst sakrale kirchliche Räume sind weder exterritorial, noch sind sie von der staatlichen Rechtsordnung ausgenommen . Sie sind also keine rechtsfreien Räume. Diese Rechtsauffassung wird in vollem Umfang auch von den in den Kirchenleitungen Verantwortlichen vertreten. Sie bestreiten dem Staat auch nicht das Recht, seine Entscheidungen gegebenenfalls auch innerhalb solcher kirchlichen Räume durchzusetzen. In Nordrhein-Westfalen haben die Vollzugskräfte in entsprechenden Situationen ein hohes Maß an Zurückhaltung im Einsatz walten lassen und sich damit in umsichtiger Weise dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet gefühlt. In NRW gibt es seit 1995 eine Vereinbarung zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche im Rheinland, dem Innenministerium und einigen Ausländerämtern hinsichtlich des Verfahrens bei einem „Kirchenasyl“. Diese hat folgenden Inhalt: 1. Bereits im Vorfeld eines möglichen Kirchenasyls sucht die Kirchengemeinde / Flücht- lingsberatungsstelle den Kontakt mit dem zuständigen Ausländeramt und trägt nachprüfbare Fakten vor, die belegen, dass der Flüchtling / die Flüchtlinge bei einer Rückkehr oder Abschiebung in das Herkunftsland ernsthaft an Leib, Leben oder Freiheit gefährdet sind. Ziel dieser Verhandlungen im Vorfeld eines Kirchenasyls ist es, Möglichkeiten einer ausländerrechtlichen Lösung des Falles zu suchen. 2. Soll auf Beschluss des Presbyteriums Kirchenasyl gewährt werden, informiert die Kirchengemeinde das betroffene Ausländeramt. 3. Die Kirchengemeinde klärt mit der Ausländerbehörde, ob für die Zeit der Prüfung der von der Kirchengemeinde / Flüchtlingsberatungsstelle vorgetragenen Argumente auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen verzichtet werden kann. 4. Beabsichtigt die Ausländerbehörde, nach Prüfung der von der Kirchengemeinde vorgelegten Fakten den Flüchtling / die Flüchtlinge abzuschieben, wird sie die Kirchengemeinde möglichst über aufenthaltsbeendende Maßnahmen informieren. Dieses Verfahren misst dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung bei und ist darauf ausgerichtet, durch die im Vordergrund stehende, frühzeitige Konsultation und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8156 3 Information über relevante Fallumstände bzw. das beabsichtigte Vorgehen, mögliche Handlungsspielräume im Rahmen des geltenden Rechts sorgfältig auszuloten. 1. Wie vielen Personen wurde seit dem Jahr 2000 in Nordrhein-Westfalen Kirchen- asyl gewährt? (Bitte jeweils unter Angabe der Herkunft der kirchenasylsuchenden Personen, der kirchenasylgewährenden Gemeinden und der Dauer der Gewährung des Kirchenasyls nach Jahren getrennt auflisten.) Hierzu liegen der Landesregierung keine Angaben vor. Es erfolgt keine statistische Erfassung durch NRW-Behörden. 2. Hat die Landesregierung inzwischen eine einheitliche Position zum Thema Kir- chenasyl gefunden? Es bestanden und bestehen keine unterschiedlichen Positionen innerhalb der Landesregierung zum Thema Kirchenasyl. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Gewährung von Kirchenasyl im Allgemei- nen? Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. 4. Inwieweit besteht aus Sicht der Landesregierung gesetzlicher Handlungsbedarf in Hinblick auf die Gewährung von Kirchenasyl? Aus Sicht der Landesregierung besteht kein gesetzlicher Handlungsbedarf. 5. Hält die Landesregierung es für vertretbar, gegenüber einem ausreisepflichtigen Ausländer, der sich im Kirchenasyl befindet, Abschiebungshaft anzuordnen? Über eine Anordnung von Abschiebungshaft wird im Einzelfall durch den Haftrichter beim zuständigen Amtsgericht entschieden.