LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8237 20.03.2015 Datum des Originals: 18.03.2015/Ausgegeben: 25.03.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3198 vom 26. Februar 2015 des Abgeordneten Torsten Sommer PIRATEN Drucksache 16/8061 Wird § 96 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen durch die Landesregierung rechtmäßig angewendet? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3198 mit Schreiben vom 18. März 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Sind für den Innenminister eindeutige gesetzliche Regelungen beliebig und warum kommt er seiner Pflicht, für eine einheitliche Rechtsanwendung der ihm nachgeordneten kommunalen Aufsichtsbehörden zu sorgen, nicht nach? Der Innenminister übt für alle Kommunen in NRW die Funktion der oberen kommunalen Rechtsaufsicht aus. Im Rahmen dieser Funktion ist er u.a. auch dafür verantwortlich, dass die ihm nachgeordneten oberen und unteren staatlichen Verwaltungsbehörden (Kommunalaufsichten der Regierungspräsidien sowie der Kreise) ihre unmittelbare Rechtsaufsicht in gleicher Anwendung der geltenden Gesetze ausüben. Diese Einheitlichkeit der Rechtsanwendung ist offenkundig nicht gewährleistet, wie an dem folgenden Sachverhalt deutlich wird: Erwirtschaftet eine Kommune einen Rechnungsüberschuss, so ist dieser gemäß § 75 Absatz 3 der Gemeindeordnung (GO) zur Ausgleichsrücklage zuzuführen. § 75 Abs. 3 GO bestimmt: „Der Ausgleichsrücklage können Jahresüberschüsse durch Beschluss nach § 96 Abs. 1 Satz 2 zugeführt werden“. Die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 2 lautet: „ Zugleich (mit dem Ratsbeschluss über die vom Rechnungsprüfungsausschuss geprüfte Jahresrechnung) beschließt er (der Rat) über die Verwendung des Jahresüberschusses…“. Diese Gesetzeslage ist eindeutig und nicht dahingehend interpretierbar, dass die Rücklagenzuführung auch bereits vor der Prüfung durch den Rechnungsprüfungsausschuss und ohne Ratsbeschluss der Rücklage zugeführt werden könnte. Durch diese eindeutige Gesetzesregelung soll vermieden werden, dass ein von einer Kommune „auf die Schnelle“ ermittelter, vermeintlicher und ungeprüfter Überschuss zur Finanzie- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8237 2 rung des bereits darauffolgenden Haushalts verwendet wird, obwohl die Höhe des Überschusses nicht sicher belegt ist. Die Gemeinde Bad Sassendorf hatte ihren vorläufigen, ungeprüften Rechnungsüberschuss des Jahres 2012 unmittelbar zur Finanzierung des Haushalts 2013 verwendet. Die zuständige Kommunalaufsicht des Kreises Soest hat dies als gemäß § 96 der Gemeindeordnung unzulässig mit der Folge festgestellt, dass der Rat die Haushaltssatzung erneut – ohne Berücksichtigung dieses vorläufigen Überschusses – beschließen musste. In dem sachlich gleichen Fall der Stadt Meckenheim, haben sowohl die zuständige Kommunalaufsicht des Rhein-Sieg-Kreises als auch die obere Aufsichtsbehörde des Regierungspräsidenten Köln sowie der Innenminister als oberste Aufsichtsbehörde hier keinen Rechtsverstoß gesehen. Im Falle der Stadt Meckenheim wurde der vermeintliche, nicht geprüfte Überschuss des Jahres 2012 in Höhe von 1,766 Mio. EURO direkt zur Finanzierung des Haushalts 2013 verwendet . Nur hierdurch wurde die kritische 5-Prozent- Grenze des Verbrauchs der Allgemeinen Rücklage knapp unterschritten. Wie sich nunmehr nach erfolgter Prüfung durch den Rechnungsprüfungsausschuss der Stadt Meckenheim ergab, beträgt der tatsächliche Überschuss des Jahres 2012 nicht 1,766 Mio. €, sondern lediglich 1,177 Mio. €. Der Rat der Stadt hat demzufolge erst am 01.10.2014 den korrekten Überschuss festgestellt und beschlossen, diesen der Ausgleichsrücklage zuzuführen. Durch die ungeprüfte vorzeitige Verwendung des Überschusses 2012 bereits im Haushalt 2013 wurde dieser somit mit tatsächlich nicht vorhandenen rund 600.000 € fiktiv und ungerechtfertigt finanziert. Auf die Anfrage einer Ratsfraktion der Stadt Meckenheim, hat der Innenminister keinen Anlass für eine rechtliche Beanstandung dieses Vorganges gesehen. Er begründet dies wie folgt: „Allerdings ist die Haushaltsplanung der Kommunen kein starres Instrument. Sofern besondere Ereignisse oder nicht vorhergesehene Entwicklungen es in Einzelfällen erfordern, kann sie - unter Beteiligung des Rates - angepasst werden.“ Mit anderen Worten: Obwohl das Gesetz eine klare anderslautende Regelung vorsieht, konnte der (sich nach der internen, vermeintlichen und ungeprüften Verwaltungsschätzung im Haushalt 2012 ergebende) Überschuss in Höhe von 1,766 Mio. € direkt zur Finanzierung des Haushalts 2013 eingeplant werden, um die Haushaltsplanung wegen der „besonderen Ereignisse“, nämlich der Vermeidung des Überschreitens der kritischen 5-Prozent-Grenze und des Abgleitens in die Haushaltsicherung anzupassen. Dass der Rat erst sehr viel später in der Ratssitzung vom 1. Oktober 2014 gesetzeskonform beteiligt wurde, ficht den Innenminister offenbar nicht an. So kommt er denn zu dem Schluss: „Zusammenfassend ist es deshalb prinzipiell weder zu beanstanden, dass ein voraussichtlicher Bestand der Ausgleichsrücklage zum Ende des Jahres 2012 von einer Kommune in die Haushaltsplanung des Jahres 2013 einbezogen und in Bezug auf den Haushaltsausgleich berücksichtigt wird, noch dass die Aufsichtsbehörden (Landrat und Bezirksregierung) dies akzeptieren“ In seiner eigenen Kommentierung des § 96 der Gemeindeordnung (NKF-Handreichungen 2012) fordert der Innenminister hinsichtlich der Rücklagenzuführung eines Rechnungsüberschusses eindeutig und zwingend die strikte Anwendung der Rechtsnorm. Dort heißt es: „Mit dem Verweis im Gesetzestext auf „§ 95 Absatz 2 der Gemeindeordnung“ soll tatsächlich die Vorschrift des § 96 Absatz 1 Satz 2 GO NRW angesprochen werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Rat der Gemeinde im Rahmen der ihm obliegenden Feststellung des Jahresabschlusses die Entscheidung trifft, ob ein im Haushaltsjahr erwirtschafteter und in der Ergebnisrechnung ausgewiesener Überschuss der Ausgleichsrücklage zugeführt wird (vgl. § 96 Absatz 1 GO NRW). Der Rat hat im Rahmen seines Budgetrechts und seiner Zuständigkeiten neben der Feststellung des Jahresabschlusses zugleich auch über die Verwendung des Jahresüberschusses oder die Behandlung des Jahresfehlbetrages zu be- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8237 3 schließen. Der Gemeinde bleibt es jedoch unbenommen, im Rahmen der Zuleitung des Entwurfs des Jahresabschlusses an den Rat der Gemeinde dem Rat dazu einen Vorschlag zu unterbreiten (vgl. § 95 Absatz 3 Satz 2 GO NRW).“ „Die für den Rat der Gemeinde vorzunehmende Prüfung des Entwurfs des gemeindlichen Jahresabschlusses obliegt dabei dem Rechnungsprüfungsausschuss als Pflichtausschuss des Rates (vgl. § 57 Absatz 2 i.V.m. § 59 Absatz 3 GO NRW). Der Rat hat nach seiner Beratung den gemeindlichen Jahresabschluss festzustellen und über die Verwendung des Jahresüberschusses bzw. die Behandlung des Jahresfehlbetrages zu entscheiden. Dafür ist der Rat der Gemeinde originär zuständig. Er kann diese Aufgaben nicht auf Dritte übertragen (vgl. § 41 Absatz 1 Satz 2 Buchstabe j GO NRW)“. Vorbemerkung der Landesregierung Kommunen haben bei der Aufstellung von Haushaltssatzung und Haushaltsplan stets die aktuell verfügbaren Daten zu nutzen. Für den in dieser Kleinen Anfrage geschilderten Fall bedeutet dies, dass für den Haushaltsplan des Jahres 2013 aus dem Haushaltsjahr 2012 grundsätzlich nur Plan-Werte und noch keine Ist-Werte genutzt werden konnten. Die Kommunen haben ihre Haushaltsplanung vor Beginn des neuen Haushaltsjahres abzuschließen , denn sie sollen die vom Rat beschlossene Haushaltssatzung mit ihren Anlagen spätestens einen Monat vor Beginn des Haushaltsjahres der Aufsichtsbehörde anzeigen ( § 80 Absatz 5 GO NRW). Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Haushaltsunterlagen für 2013 vorzulegen waren, führten die Kommunen jedoch noch die Haushaltswirtschaft des Jahres 2012 aus. Die Frage, ob der Haushaltsausgleich im Jahre 2013 erreicht wird und mit welchem Bilanzposten des Eigenkapitals ein möglicher Fehlbetrag oder Überschuss zu verrechnen ist, konnte Ende 2012 bei der Haushaltsplanung nur anhand der Plandaten geklärt werden. Auch die Prüfung der Aufsichtsbehörde konnte sich - wie stets - nur auf die vorliegenden Plandaten stützen. Demgegenüber findet die Abrechnung eines Haushaltsjahres auf der Grundlage von IstWerten durch den Jahresabschluss statt. Ein dort in der Ergebnisrechnung ausgewiesener Überschuss ist der Ausgleichsrücklage zuzuführen. Er kann nicht für die Finanzierung des Folgejahres eingesetzt werden (§ 75 GO NRW). Die Rechte des Rates bleiben durch die haushaltsrechtliche Vorschrift ausreichend gesichert. 1. Muss in Anbetracht der vom Innenminister vertretenen Rechtsauffassung bezüg- lich der Anwendung des § 96 der Gemeindeordnung diese Vorschrift nicht entsprechend geändert werden? Nein. (Siehe Vorbemerkung) 2. Können eindeutige Rechtsvorschriften der Gemeindeordnung durch aufsichtsbe- hördliche Verfügungen de facto außer Kraft gesetzt werden? Nein. (Siehe Vorbemerkung) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8237 4 3. Ist der Innenminister nicht verpflichtet dafür zu sorgen, dass identische Rechtsvorgänge im Land von seinen ihm nachgeordneten Aufsichtsbehörden auch identisch beschieden werden? Das Ministerium für Inneres und Kommunales harmonisiert die Auslegung der einschlägigen haushaltsrechtlichen Regelungen durch die Aufsichtsbehörden und koordiniert deren Arbeit. Eine identische Entscheidungspraxis in sämtlichen Fällen kann allerdings nicht gewährleistet werden. Zudem können sich auch äußerlich ähnlich erscheinende Vorgänge in Details des Sachverhalts so unterscheiden, dass eine differenzierende Bewertung notwendig ist.