LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8249 23.03.2015 Datum des Originals: 23.03.2015/Ausgegeben: 26.03.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3141 vom 18. Februar 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/7952 Auftragsgutachten der Landesregierung zu Rechtsverhältnissen bei der Provinzial – Wie bewertet der Finanzminister den Vorwurf eines renommierten Verfassungsrichters zur Rechtswidrigkeit seiner Gutachtenvergabe aufgrund des gezielt unterlassenen Wettbewerbs sowie der vermiedenen Ausschreibungstransparenz? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 3141 mit Schreiben vom 23. März 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit über zwei Jahren findet eine intensive öffentliche Debatte über die Neuaufstellung und Neuausrichtung der öffentlichen Assekuranz in Nordrhein-Westfalen statt. Ausgelöst von entsprechenden Überlegungen auf Trägerseite sind vollständige Verkaufsszenarien ebenso in diesem Prozess debattiert worden wie die bislang gescheiterten Fusionsüberlegungen. Aufgrund eines intensiven Wettbewerbsumfelds und neuer struktureller Herausforderungen der Versicherungslandschaft in Zeiten der Niedrigzinsphase, insbesondere im Bereich der Lebensversicherungen, steht die Assekuranz in unserem Land vor zentralen Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen. Die grundsätzliche Ausrichtung des öffentlichen Versicherungswesens ist jedenfalls für die Westfälische Provinzial durch das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Westfälischen Provinzial-Versicherungsanstalten und ferner über die Aufhebung des Gesetzes betreffend die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten“ vom 16. November 2001 tiefgreifend geändert worden. So sollte gem. § 12 dieses neuen Gesetzes im Falle der Liquidation das Vermögen dieser Anstalt nicht mehr dem Staat, sondern den Gewährträgern zukommen. Folgerichtig haben die Gewährträger gem. § 8 Abs. 2 Ziff. 4 des Gesetzes das unbeschränkte Recht der Verfügung über den Jahresüberschuss. Vor allem aber ist durch § 8 den Trägern die Option der Rechtsformänderung „nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes“ eingeräumt LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8249 2 worden. Im Ergebnis wurde so aus einem zweckgebundenen Vermögen, das gravierenden öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterlegen hat und vor allem auch dem Zugriff seiner Träger entzogen war, vollendet im Frühjahr 2005 ein Unternehmensvermögen, das einer eigentumsrechtlichen Zuordnung unterliegt. Dieser Prozess der neuen eigentumsrechtlichen Zuordnung ist in mehreren Schritten geschickt und weitgehend unbemerkt vollzogen worden. Die amtierende Landesregierung hat in der laufenden Debatte zur Zukunft der ProvinzialVersicherung stets die Auffassung vertreten, dass sowohl die Provinzial Rheinland als auch die Provinzial NordWest unverändert an einen öffentlichen Auftrag gebunden sind und im Übrigen die einzelnen Schritte der Umstrukturierung zu keiner wesentlichen Änderung der Rechts- und Vermögensposition der Anstalten, ihrer Träger sowie der Versicherungsnehmer geführt hätten. Zur Untermauerung ihrer Position hat die Landesregierung ein Auftragsgutachten mit dem Titel „Rechtliche Bewertung der Umstrukturierung der Provinzial NordWest-Gruppe zwischen 2001 und 2005“ bei der internationalen Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP für rund 300.000 Euro in Auftrag gegeben. Diese Wirtschaftskanzlei berät und vertritt jeweils die Interessen vor allem von Unternehmen, Finanzinstitutionen und Regierungen. Bei einer Expertenanhörung im Landtag am 3. Dezember 2013 zur Zukunft der ProvinzialAssekuranz haben alle dort anwesenden Sachverständigen, darunter auch zwei frühere oder heutige Verfassungsrichter und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Provinzial NordWest, gravierende Bedenken gegen die in den letzten Jahren vollzogenen Veränderungsprozesse bei diesem öffentlichen Versicherer artikuliert. In Reaktion auf die kritischen Stellungnahmen hat Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans einen Tag später, also am 4. Dezember 2013, das Auftragsgutachten bei Freshfields bestellt. Als Zuschlagskriterium hat der Finanzminister dem Parlament gegenüber die „weitreichenden Vorkenntnisse des Auftragnehmers in der speziellen Verwaltungsrechtsmaterie“ genannt und eine freihändige Vergabeentscheidung als Direktvergabe (LT-DS 16/6746) prozedural praktiziert. Näheres zu Inhalten und Verlauf der zugrundeliegenden Sachverständigenanhörung ist als Quelle APr 16/412 zu entnehmen. Gegen die Rechtmäßigkeit und den Inhalt dieser Auftragsvergabe werden nun gravierende Zweifel aus dem Sachverständigenkreis erhoben, die dem nordrhein-westfälischen Landtag als Vorlage 16/2360 für die weiteren Beratungen zugegangen sind. In seiner Stellungnahme 16/2577 führt einer der Verfassungsrichter aus der seinerzeitigen Expertenanhörung aus: „Zwar ist ein förmliches Vergabeverfahren nach dem GWB-Vergaberecht, das die EUVergaberichtlinien umsetzt, bei Rechtsberatungsdienstleistungen wie im vorliegenden Fall nicht erforderlich. Jedoch gilt gerade für diesen, durch die europäischen Vergaberichtlinien nicht geregelten Bereich nach einer völlig unstreitigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. z. B. EuGH vom 13.11.2007 – Rs. C-507/03 Rn. 26 ff.) sowie der OLG-Vergabesenate in Deutschland und einer Mitteilung der EU-Kommission (zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, Amtsblatt EU 2006, Nr. C 179, S. 2 ff.) eine Ausschreibungspflicht kraft EU-Primärrecht, wenn ein grenzüberschreitendes Interesse an dem Auftrag bestehen kann. Diese Voraussetzung eines grenzüberschreitenden Interesses ist im vorliegenden Fall eindeutig erfüllt. Dafür sprechen sowohl der Auftragsgegenstand, der zum größten Teil Fragen des Europarechts betrifft, als auch die Auftragserteilung an eine internationale Rechtsanwaltskanzlei mit englischer Rechtsform und Sitz in London als auch die zumindest teilweise Erbringung der Leistung im EU-Ausland (vgl. die abschließende Angabe im Gutachten: „Berlin/Brüssel“) als auch die Höhe der Vergütung. Aus allen diesen Gründen hätten sich bei der Schaffung der rechtlich zwingend gebotenen ex ante-Transparenz mit Sicherheit zahlreiche größere Rechtsanwaltskanzleien um diesen Auftrag beworben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8249 3 Statt das Europarecht zu beachten, hat das Finanzministerium NRW eine „Freihändige Vergabe als Direktvergabe“ vorgenommen und „weitreichende Vorkenntnisse des Auftragsnehmers in der speziellen Verwaltungsmaterie“ zur Begründung angeführt (LT-Drucks. 16/6746 bei „Angabe der Zuschlagkriterien“ zu lfd. Nr. 17 FM). In einem solchen Vorgehen liegt – wie die Landesregierung NRW selbst sieht (LT-Drucks. 16/7317, S. 3) – ein „Wettbewerbsverzicht “. Dieser Wettbewerbsverzicht verstößt aber gegen das europäische Vergabeprimärrecht . Denn es lässt eine Direktvergabe bei einem – wie vorliegend – eindeutig gegebenen grenzüberschreitenden Interesse mit einer solchen Begründung nicht zu. Hinzu kommt, dass auch die angeführte Begründung selbst unzutreffend ist. Denn die für die Gutachtenerstellung erforderlichen speziellen Rechtskenntnisse hat eine Vielzahl größerer Rechtsanwaltskanzleien. Sollte es aber darum gehen, dass die beauftragte Kanzlei mit der Gutachtenangelegenheit schon zuvor befasst war, wäre ein Interessenkonflikt in Form der Begutachtung eigener Vorarbeiten offensichtlich und eine Beauftragung auch deshalb sachwidrig . Im Ergebnis wurde der Gutachtenauftrag durch das Finanzministerium NRW also rechtswidrig vergeben.“ Der Finanzminister sollte daher zeitnah und umfassend alle Hintergründe und Umstände dieser materiell wie quantitativ weder unwichtigen noch unerheblichen Gutachtenvergabe klären. Vorbemerkung der Landesregierung Das Gutachten der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, das dem Haushalts- und Finanzausschuss am 29.10.2014 (Vorlage 16/2360) vorgelegt wurde, bestätigt eindeutig die Auffassung der Landesregierung, dass die Umstrukturierung der Provinzial Nordwest in den Jahren 2001 bis 2005 in sämtlichen Punkten rechtmäßig und verfassungskonform war. Die in der Anhörung am 03.12.2013 vorgebrachten Bedenken – insbesondere von Professor Dr. Dreher – gehen ganz überwiegend von einem falschen Sachverhalt aus und wurden eindeutig widerlegt. Das Freshfields-Gutachten wurde in Auftrag gegeben, um die in der Anhörung am 03.12.2013 erhobenen Vorwürfe zeitnah zu überprüfen. Die Rechtsauffassung der Landesregierung wird auch von der EU-Kommission geteilt. Hierüber wurde der Haushalts- und Finanzausschuss am 03.06.2014 (Vorlage 16/1939) unterrichtet . 1. Aus jeweils genau welchen Gründen teilt die Landesregierung die zuvor zitierte Rechtsauffassung einer rechtswidrigen Vergabeentscheidung im Einzelnen (nicht)? (gründliche Auseinandersetzung mit den zitierten Sachgründen erbeten) Die Landesregierung teilt die Rechtsauffassung des Sachverständigen Professor Dr. Dreher nicht. Die Entscheidung über die Vergabe des Gutachtens an die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer verstieß nicht gegen die Vorgaben des Europarechts. Professor Dr. Dreher geht in seiner Stellungnahme selbst davon aus, dass ein förmliches Vergabeverfahren nach dem GWB-Vergaberecht, das die europäischen Vergaberichtlinien umsetzt, nicht erforderlich war. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8249 4 Auch aus dem EU-Primärrecht ergab sich keine Ausschreibungspflicht. Ein „eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse“ an dem Auftrag, das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Voraussetzung für eine Ausschreibungspflicht außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien ist, bestand zu keiner Zeit. Entgegen der Auffassung des Sachverständigen umfasste der Gutachtenauftrag nicht nur die beihilferechtliche Prüfung des Sachverhalts, sondern schwerpunktmäßig eine eingehende Prüfung nationalen Rechts, insbesondere des Anstalts-, des Versicherungsaufsichts- und des Verfassungsrechts . Aber auch die beihilferechtliche Prüfung erforderte vertiefte Kenntnisse der Rechtsnatur und Geschichte deutscher öffentlicher Unternehmen. Bei Kanzleien im europäischen Ausland sind entsprechende Kenntnisse in der Regel nicht vorhanden. Solche Kenntnisse kann man sich auch nicht ohne weiteres kurzfristig in der erforderlichen Tiefe aneignen. Ein „eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse“ ergibt sich auch nicht etwa daraus, dass die Kanzlei Freshfields ihren Hauptsitz in London hat. Abgesehen davon, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Sitz des Auftragnehmers kein Kriterium für ein „eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse“ ist, wurde das Gutachten von deutschen Rechtsanwälten erstellt und zwar zu einem großen Teil in deutschen Büros der Kanzlei . Auch aus der Höhe der Vergütung kann ein „eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse“ nicht hergeleitet werden. Vom Gesamthonorar umfasst waren neben der Erstellung des umfangreichen Rechtsgutachtens auch Arbeiten, die für die Beantwortung eines Auskunftsersuchens der EU-Kommission vom 07.03.2014 zur Umstrukturierung der Provinzial erforderlich waren (siehe hierzu LT-Vorlage 16/1939). Zur Zeit der Vergabe des Gutachtens war nicht absehbar, dass die EU-Kommission ein derartiges Auskunftsersuchen an die Bundesregierung richten wird. 2. Wie konnte die Landesregierung binnen eines Tages zwischen der Expertenan- hörung und dem Datum dieser Auftragserteilung schon rein faktisch die unter allen objektiven Gesichtspunkten, vor allem auch in puncto Preisfindung, beste Vergabeentscheidung sicherstellen, die den Grundsätzen der Landeshaushaltsordnung gerecht wird? (bitte mit präziser Angabe zum Prozedere der Preisermittlung ) Bei freiberuflichen Dienstleistungen entspricht es dem Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung, denjenigen Auftragnehmer auszuwählen, der die bestmöglichste Leistung erbringen kann. Die Qualität der angebotenen Leistung wird maßgeblich durch die persönliche fachliche Qualifikation der beauftragten Person beeinflusst. Wie in der Antwort zur Kleinen Anfrage 2474 (LT-Drs. 16/7317) bereits ausgeführt, sind Dienstleistungsaufträge nicht immer wettbewerbsgeeignet, da es häufig erforderlich ist, auf besondere Expertisen oder Erfahrungen zurückzugreifen, und manchmal auch Gründe der Dringlichkeit den Rückgriff auf bestimmte Auftragnehmer fordern. Durch die bisherigen guten Erfahrungen mit Freshfields und den konkret mit der Begutachtung befassten Anwälten – insbesondere in Fragen des Anstalts-, Versicherungsaufsichtsund Beihilferechts – durfte das Finanzministerium davon ausgehen, dass die Leistung dieser Kanzlei hohen qualitativen Standards entspricht. Die Vergütung ist für Leistungen von Rechtsanwälten in den betroffenen Rechtsgebieten und Kanzleien vergleichbaren Zuschnitts marktüblich. Eine Vergabe des Gutachtenauftrags anhand des Kriteriums der fachlichen Qualifikation an die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer entsprach demnach den Grundsätzen der Landeshaushaltsordnung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8249 5 3. Aus jeweils welchen einzelnen Gründen hat der Finanzminister bei seinem Vorgehen zur Vermeidung der aus den genannten Erwägungen gebotenen ex anteTransparenz gezielt eine Bewerbung anderer potentiell interessierter Auftragnehmer verhindert? Ich habe keine Bewerbung anderer potentiell interessierter Bewerber verhindert. 4. Mit jeweils welchen anderen Beteiligten im Spektrum öffentlicher Akteure hat sich die Landesregierung bei der Auftragsvergabe selbst bzw. in dem sich anschließenden Prozess der Gutachtenerstellung abgestimmt? (vollständige Angabe erbeten zu dies-bezüglichen Kontakten mit anderen Institutionen wie bspw. Regierungen, Institutionen, Provinzial, SVWL) Eine Abstimmung bei der Auftragsvergabe hat nicht stattgefunden. Im Rahmen der Gutachtenerstellung fanden Abstimmungen mit dem Ministerium für Inneres und Kommunales, mit dem Sparkassenverband Westfalen-Lippe und mit der Provinzial NordWest statt. 5. In genau welcher Weise ist die beauftragte Kanzlei mit dem Provinzial- Sachverhalt dieser Gutachtenangelegenheit im weiteren Sinne im Zeitraum seit dem Jahr 2000 schon in irgendeiner Weise zuvor befasst gewesen, so dass der Finanzminister von weitreichenden Vorkenntnissen dieses Auftragnehmers ausgeht ? Die Aussage bezieht sich auf die weitreichenden Vorkenntnisse des Auftragsnehmers im Anstalts-, Beihilfe- und Versicherungsaufsichtsrecht.