LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8307 30.03.2015 Datum des Originals: 27.03.2015/Ausgegeben: 02.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3193 vom 3. März 2015 des Abgeordneten Kai Abruszat FDP Drucksache 16/8056 Kosten der Eingliederungshilfe – Was tut die Landesregierung konkret, um die bundesseitig zugesagte Entlastung der Kommunen einzufordern? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 3193 mit Schreiben vom 27. März 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die desolate Haushaltslage der nordrhein-westfälischen Städte und Gemeinden ist im gesamten Bundesgebiet ohne Beispiel. Mehr als die Hälfte aller deutschlandweiten Kassenkredite stehen in den Büchern der NRW-Kommunen. Die unauskömmlichen Finanzmittelzuweisungen der rot-grünen Landesregierung und die aus bundesseitigen Verpflichtungen hervorgehenden Lasten nehmen den Kommunen sprichwörtlich die Luft zum Atmen. Investitionen bleiben aus, die örtliche Infrastruktur verkommt und für laufende Aufgabenpflichten werden immer neue Schulden aufgenommen. Neben der mangelhaften Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände durch das Land und den hohen Kommunalisierungsgrad staatlicher Aufgaben, für welche die Landesregierung vielfach ebenfalls zu geringe Mittel bereitstellt, sind die sogenannten Soziallasten ein wesentlicher Grund für die aktuelle Problemlage. Gesamtgesellschaftliche Sozialaufgaben , die der Bund den Kommunen u.a. im Zuge der rot-grünen Hartz-IV-Reformen unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder ohne adäquaten Kostenausgleich oktroyiert hat, belasten die örtlichen Haushalte in Milliardenhöhe und weisen erhebliche jährliche Steigerungsraten auf. Vor diesem Hintergrund hat es bereits am 29.10.2010 einen Appell des NRW-Landtages an den Bund gegeben, mehr Finanzierungsverantwortung für die kommunale Familie zu übernehmen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8307 2 Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich der kommunalen Problemlage angenommen und die örtlichen Gebietskörperschaften in einem historisch einmaligen Schritt von den Kosten der Grundsicherung im Alter befreit. Allein für die NRW-Kommunen bedeutet dies eine Entlastung von rund 1,4 Milliarden Euro im Jahr. Darüber hinaus hat die damalige christlich-liberale Koalition zugesagt, ein Bundesteilhabegesetz zu schaffen und sich substanziell an den lokalen Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zu beteiligen . Seit der vergangenen Bundestagswahl ist es nun Aufgabe der Großen Koalition, die in die Wege geleiteten Maßnahmen umzusetzen. Tatsächlich wurde die EingliederungshilfeEntlastung in den Koalitionsvertrag von SPD und Union aufgenommen. Leider ist von einer zügigen Entlastung bei den Ausgaben für die Eingliederungshilfe in Höhe von 5 Milliarden Euro pro Jahr noch in dieser, bis 2017 geltenden Wahlperiode des Deutschen Bundestages, keine Rede mehr. Die SPD in Nordrhein-Westfalen reagierte auf diese Verschiebung seinerzeit mit zweifelhafter Empörung. Denn immerhin hatte das Spitzenpersonal der NRW-Sozialdemokraten an den Koalitionsverhandlungen in Berlin teilgenommen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft war in alle Prozesse eingebunden und besaß ein bedeutendes Mitentscheidungsrecht. Offensichtlich hat sich die SPD während der Koalitionsverhandlungen entgegen eigener Behauptungen nicht ausreichend für die versprochene Entlastung der Kommunen eingesetzt. Dies ist vor allem deshalb bezeichnend, weil die Entlastung der kommunalen Familie ein bedeutendes Kriterium im Rahmen des SPD-Mitgliederentscheids für die Zustimmung zum Koalitionsvertrag der Großen Koalition war. In den nachfolgenden Monaten fanden im Landtag von Nordrhein-Westfalen immer wieder Debatten statt, in denen die von der SPD geführte Landesregierung beteuerte, sich dafür einzusetzen, dass es – jenseits der sogenannten Übergangsmilliarde – doch noch zu einer substanziellen Entlastung bei der Eingliederungshilfe in der laufenden Legislaturperiode kommt. Resultate blieb Ministerpräsidentin Hannelore Kraft jedoch bis heute schuldig. Gleichwohl erlaubt sie hochverschuldeten Städten und Gemeinden, einen Teil der gewünschten Entlastungen als fiktive Werte ohne jede Rechtsgrundlage in der mittelfristigen Finanzplanung zu berücksichtigen, nur um nicht kommunalaufsichtsrechtlich eingreifen zu müssen. Dass die Ministerpräsidentin sich bezüglich der Eingliederungshilfe in Berlin nicht durchsetzen kann, mag damit zusammenhängen, dass es sich hierbei um ein spezifisches Problem nordrhein-westfälischer Kommunen handelt. Denn erstens weisen andere Länder erheblich geringere Kostenbelastungen durch die Eingliederungshilfe auf. Zweitens liegt die Kostenbelastung für die Eingliederungshilfe nicht überall allein bei den Kommunen. Im Gegensatz zum Land Nordrhein-Westfalen, gibt es durchaus Bundesländer, die Teile der Eingliederungshilfen selbst übernehmen und damit zur Entlastung der örtlichen Haushalte beitragen. So wundert es auch nicht, dass die Vertreter von 52 Städten und Gemeinden, die sich Ende Februar in Berlin einfanden, um finanzielle Hilfen für die kommunale Familie einzufordern, überwiegend aus Nordrhein-Westfalen kamen. Die Rheinische Post titelte am 25.02.2015: „Bürgermeister betteln bei Gabriel. Dutzende Stadtchefs und Kämmerer haben sich wegen der desaströsen finanziellen Lage in ihren Kommunen mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Fraktionsvertretern getroffen. Die Reise war jedoch eher symbolisch“. Immerhin heißt es in den Ruhr-Nachrichten vom 25.02.2015, Vizekanzler Sigmar Gabriel wolle sich nun dafür einsetzen, die Kommunen früher und stärker zu entlasten, als dies bislang in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes vorgesehen ist. Konkretisierend schrei- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8307 3 ben die Ruhr-Nachrichten: „2017 solle es bereits eine Entlastung von drei Milliarden Euro geben und ab 2018 die im Koalitionsvertrag vorgesehenen fünf Milliarden Euro, wurde der Wirtschaftsminister und SPD-Chef zitiert“. Ob und inwieweit diese Aussagen zutreffen, sei dahingestellt. 1. Was hat die Landesregierung in den vergangenen 12 Monaten konkret getan, um die Bundesregierung dazu zu bewegen, die im Koalitionsvertrag vorgesehene Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe noch in der laufenden Legislaturperiode wirksam werden zu lassen? Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene wurde vereinbart, dass die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes im Umfang von 5 Mrd. Euro jährlich von der Eingliederungshilfe entlastet werden und bereits vor der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes mit einer jährlichen Entlastung der Kommunen in Höhe von 1 Mrd. Euro pro Jahr begonnen wird (sog. Übergangsmilliarde). Das zur Umsetzung der sog. Übergangsmilliarde notwendige Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ist am 31. Dezember 2014 in Kraft getreten. Dabei erfolgt die Entlastung der Kommunen um 1 Mrd. Euro, befristet für die Jahre 2015 bis 2017, je hälftig über eine Erhöhung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer und eine Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II um 3,7 Prozentpunkte . Der Landtag hatte auf Antrag der regierungstragenden Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 1. April 2014 (Drucksache 16/5486 ) die Landesregierung in diesem Zusammenhang gebeten, die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene mit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes zugesagte finanzielle Entlastung der Kommunen in Höhe von 5 Mrd. Euro jährlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzufordern. Die Landesregierung hat im Bundesrat mit anderen Ländern dafür gesorgt, dass der Bundesrat mit Beschluss vom 11. April 2014 (BR-Druck-sache 100/14) seinerseits die Erwartung an die Bundesregierung geäußert hat, dass die kommunalen Entlastungen in voller Höhe ab dem Jahr 2017 den Kommunen zu Gute kommen. Die Landesregierung hat im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) der Länder im November 2014 die Forderung unterstützt, dass das Bundesteilhabegesetz zum 1. Juli 2017 in Kraft treten und damit die geplante Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe schon im Jahr 2017 zu einer weiteren Entlastung der Etats der Eingliederungshilfeträger führen soll. Das belegt, dass sich die Landesregierung gemeinsam mit den anderen Ländern konsequent auf Bundes- und Länderebene für die rasche Ausarbeitung eines Bundesteilhabegesetzes einsetzt. Sie wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass die vereinbarten Entlastungen zielführend und schnellstmöglich die Kommunen in Nordrhein-Westfalen in voller Höhe erreichen und dass die zugesagte finanzielle Entlastung in Höhe von bundesweit fünf Milliarden Euro jährlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt wirksam wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8307 4 2. Warum hat es die Landesregierung bislang nicht vermocht, die berechtigten Interessen der nordrhein-westfälischen Kommunen hinsichtlich der Eingliederungshilfelasten gegenüber der von der SPD mitregierten Bundesregierung durchzusetzen ? Wie in der Antwort zur 1. Frage beschrieben, setzt sich die Landesregierung mit den anderen Ländern konsequent dafür ein, dass den Kommunen die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbarten Entlastungen so schnell wie möglich und im vollen Umfange zu Gute kommen. Die aktuellen und positiven Entwicklungen auf Bundesebene belegen, dass die konstruktiven Beratungen der Landesregierung gemeinsam mit den anderen Ländern und dem Bund sehr wohl zu einer Entlastung der kommunalen Familie führen werden. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass für das Handeln der Landesregierung nicht Meldungen einzelner Zeitungen maßgeblich sind. Ausschlaggebend sind vielmehr offizielle Stellungnahmen der Bundesregierung in dieser Angelegenheit. Die Bundesregierung hat dazu am 3. März 2015 mitgeteilt, dass der Bund den Kommunen im Jahr 2017 über die bereits vorgesehene 1 Mrd. Euro hinaus weitere 1,5 Mrd. Euro zur Verfügung stellen wird. 3. Wie ist der augenblickliche Stand der Verhandlungen hinsichtlich möglicher Ent- lastungen der Kommunen bei der Eingliederungshilfe? Die auf Initiative der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Andrea Nahles, eingerichtete Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz beabsichtigt, am 14. April 2015 ihren Abschlussbericht vorzulegen. Auf Basis der Ergebnisse wird die Bundesregierung einen Referentenentwurf für ein Bundesteilhabegesetz erarbeiten und das Gesetzgebungsverfahren ab dem Jahr 2016 einleiten. Das Inkrafttreten des künftigen Bundesteilhabegesetzes ist im Jahr 2017 vorgesehen. 4. Inwieweit ist die in den Ruhr-Nachrichten vom 25.02.2015 zitierte Aussage von Vizekanzler Sigmar Gabriel hinsichtlich möglicher Entlastungen der Kommunen bei der Eingliederungshilfe belastbar? Siehe Antwort zur 2. Frage. 5. Welche eigenen Initiativen, zum Beispiel durch den Bundesrat, unternimmt die Landesregierung, um in der laufenden Legislaturperiode ein Bundesteilhaberecht zu etablieren, welches die Kommunen in NRW substanziell und schnell entlastet ? Siehe Antwort zur 1. Frage.