LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8364 09.04.2015 Datum des Originals: 08.04.2015/Ausgegeben: 14.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3233 vom 16. März 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/8207 Sexvideo „Endstation! Alles aussteigen bitte.“ oder das unromantische Ende eines Bürgerentscheids zur Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 mitten im Ruhrgebiet – Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zum Clip „Reibungsloser Verkehr – so geht's“ der Stadtwerke Oberhausen GmbH (STOAG) vor? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3233 mit Schreiben vom 8. April 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 8. März 2015 haben die Bürger in der hochverschuldeten Stadt Oberhausen mit ihrem unerwarteten Votum im Rahmen eines Ratsbürgerentscheids ein 80 Millionen Euro teures Straßenbahnprojekt gestoppt. 57 Prozent stimmten gegen den Ausbau der Linie 105, die die Städte Essen und Oberhausen besser verbinden sollte. Damit endet die Linie 105 weiterhin an der Stadtgrenze Essen/Oberhausen und erfordert unverändert einen Umstieg auf andere Linien. Um für den Ausbau der Linie zu werben, hat sich zuvor das Aktionsbündnis „SAG JA ZUR 105“ gegründet, dem sich unter anderem die Industrie- und Handelskammer, der Einzelhandelsverband Ruhr e. V., das Deutsche Rote Kreuz, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, einige Parteien, Unternehmen und ferner verschiedene kommunale Gesellschaften aus Oberhausen angeschlossen haben. Nach dem Ausgang des Bürgerentscheids hat sich der selbst aus Oberhausen stammende Verkehrsminister Michael Groschek in der WAZ vom 9. März 2015 wie folgt geäußert: „Es wird immer schwieriger, für Infrastrukturprojekte eine Mehrheit der Bürger zu gewinnen“, stöhnte der SPD-Mann. Ablehnende Entscheide in Bielefeld, Aachen und jetzt in Oberhausen zeigten, wie viel Überzeugungsarbeit inzwischen notwendig werde. „Wir müssen viel intensiver mit den Bürgern sprechen, um Vertrauen in die Solidität der Finanzierung zurück- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8364 2 zugewinnen. Und wir müssen den volkswirtschaftlichen Vorteil für die Allgemeinheit besser erklären“, so Groschek. Sein Rezept: Frühzeitige Beteiligung, absolute Transparenz, umfassende Information und offene Debatte.“ Der geneigte Betrachter muss bei diesem hehren Anspruch zur detaillierten Information und Transparenz eher schmunzeln, wenn dabei das mediale Kernstück der Wahlkampagne „Pro Linie 105“ intensiver in den Blick genommen wird. Um für den Ausbau der Straßenbahnlinie 105 zu werben, haben die Stadtwerke Oberhausen GmbH (STOAG) als eines der Mitglieder im Aktionsbündnis nämlich einen Videoclip mit dem Titel „Reibungsloser Verkehr – so geht's“ bei der Oberhausener Werbeagentur move:elevator in Auftrag gegeben. Mit höchst flachem Plot illustriert der Spot "reibungslosen Verkehr" mit einer Bettszene. Zu betrachten ist der Spot immer noch auf dem Youtube-Kanal der Stadtwerke „Stoag.TV“ (www.youtube.com/watch?v=L0nq05gul9s). Immerhin 92.266 Personen fanden bislang den Begleittext „Ihr liebt Euch. Ihr liegt im Bett. Ihr kommt so richtig in Fahrt. Sex ... Und dann ... wollt Ihr das wirklich? Die Linie 105 zwischen Oberhausen und Essen auch nicht. Das ist nämlich die Straßenbahnlinie für reibungslosen Verkehr.“ offensichtlich so animierend, dass sie das Video seitdem angeklickt haben. Ein Erfolg der viralen Marketingmaßnahme wäre es sicherlich gewesen, wenn diese nicht nur betrachtet, sondern die Bürger auch angeregt worden wären, an der Abstimmung zum Bürgerentscheid gut informiert teilzunehmen. Die Strategie „Sex sells“ hat aber wohl nicht im Sinne der öffentlichen Anbieter gegriffen: Von insgesamt 164.154 abstimmungsberechtigten Oberhausenern machten nur 38.176, also nicht mal die Hälfte derer, die das Video auf Youtube angeschaut haben, von ihrem Stimmrecht Gebrauch. Die Nein-Stimmen beliefen sich übrigens dann auf 21.725 und die Ja-Stimmen auf 16.391 Voten. Grundsätzlich obliegt es natürlich der Kampagneplanung eines jeden Aktionsbündnisses, welche Werbemaßnahme ergriffen und für sinnvoll erachtet wird. Dies können naturgemäß die Verantwortlichen vor Ort am besten beurteilen, zumal sie auch für die anfallenden Kosten üblicherweise selber aufkommen. Problematisch und politisch brisant wird es jedoch, wenn letztlich öffentliche Gelder für eine entsprechende Abstimmungskampagne eingesetzt werden. Die Stadtwerke Oberhausen GmbH als 100%-ige Tochtergesellschaft der Stadt Oberhausen hat offensichtlich dieses Werbevideo produzieren lassen und auch finanziert. Dies wirft grundsätzlich die berechtigte Fragestellung auf, ob dieses Vorgehen kommunalen oder öffentlichen Unternehmen im Rahmen von Bürgerentscheiden überhaupt erlaubt ist. Im Ergebnis würden die Initiatoren, die ein Bürgerbegehren gegen einen politischen Mehrheitswillen initiieren, im unmittelbaren Vergleich zur öffentlichen Gegenseite bei der Finanzausstattung benachteiligt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8364 3 1. Welche Gesamtkosten für Produktion und Vermarktung sind der Stadtwerke Oberhausen GmbH durch dieses Video entstanden? (vollständige Kostenaufstellung erbeten) 2. Ist die Verwendung von Finanzmitteln der durch Gebühreneinnahmen finanzierten Stadtwerke für ein Sexvideo zur Parteinahme bei einem Bürgerentscheid aus Sicht der Kommunalaufsicht zulässig und sinnvoll? Die Fragen 1 und 2 werden zusammengefasst beantwortet: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Höhe der von der STOAG Stadtwerke Oberhausen GmbH für die Produktion und den Vertrieb des in Rede stehenden Videos aufgewandten Kosten vor. Allgemein ist festzustellen, dass sich die allgemeine Aufsicht des Landes gemäß § 119 Absatz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) darauf erstreckt und beschränkt, dass die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen verwaltet werden. Dagegen führt die Landesregierung keine Aufsicht über Unternehmen und Gesellschaften, die - wie die STOAG Stadtwerke Oberhausen GmbH - in der Form einer juristischen Person des Privatrechts geführt werden. Dies gilt auch dann, wenn eine Gemeinde an einer solchen Gesellschaft ganz oder anteilig beteiligt ist. Die rechtliche Verantwortung für das unternehmerische Verhalten einer solchen Gesellschaft obliegt vielmehr den für die Gesellschaft handelnden Organen. Soweit eine Gemeinde zum Zweck der Wahrnehmung ihrer Rechte aus der Beteiligung an einer solchen Gesellschaft gemäß § 113 GO NRW Vertreter in die entsprechenden Organe oder sonstigen Gremien der Gesellschaft entsendet, sind diese nicht der Landesregierung, sondern der entsendenden Gemeinde verantwortlich. Dessen ungeachtet geht die Landesregierung davon aus, dass sich die STOAG Stadtwerke Oberhausen GmbH mit dem in Rede stehenden Werbevideoclip für die Verlängerung einer Straßenbahnlinie nicht außerhalb ihres Unternehmenszwecks bewegt hat. 3. Hält Verkehrsminister Groschek das Sexvideo für ein geeignetes Medium, um den von ihm so formulierten Zielen („Frühzeitige Beteiligung, absolute Transparenz, umfassende Information und offene Debatte“) gerecht zu werden? Der Verkehrsminister schaut sich keine Sexvideos an. 4. Welche Ausgaben von Geldern aus öffentlicher Hand sind grundsätzlich im Rah- men der interessengeleiteten Werbung für einzelne Positionen bei Bürgerentscheiden zulässig? Die kommunalaufsichtsrechtliche Bewertung eines Sachverhalts hat sich stets an sämtlichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen des Einzelfalls auszurichten. Eine generalisierende Betrachtung und damit einhergehende Beantwortung dieser Frage ist deshalb nicht möglich. 5. Welche mit dem Sexvideo vergleichbaren zweifelhaften Ausgaben der öffentlichen Hand im Rahmen anderer Bürgerentscheide sind der Landesregierung aus den letzten Jahren bekannt? Keine.