LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8365 09.04.2015 Datum des Originals: 08.04.2015/Ausgegeben: 14.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3208 vom 3. März 2015 des Abgeordneten Robert Stein CDU Drucksache 16/8085 Scheiterhaufen 2.0 – Schaut die Landesregierung bei asozial-primitivem Verhalten in den sozialen Netzwerken nur zu? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 3208 mit Schreiben vom 8. April 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Es passiert immer wieder. Regelmäßig werden Menschen in den sozialen Netzwerken (Twitter , Facebook etc.) Opfer eines Shitstorms. Das Vorgehen derjenigen Personen, die einen Shitstorm auslösen oder sich daran beteiligen gleicht einer selbstgerechten Lynchjustiz. Unter dem Schutze der vermeintlichen Anonymität im Internet lässt sich beobachten, wie ehrabschneidend beleidigt, gedroht und geschmäht wird. Dabei bleiben die Auswirkungen eines Shitstorms nicht auf den Online-Bereich beschränkt. Betroffene werden auch in der physischen Welt bedroht, angegriffen oder verlieren ihren Arbeitsplatz. Die Wirkungen von Shitstorms nehmen in der Regel extrem mobbinghafte Züge an und haben teilweise eine globale Reichweite. Es entsteht mitunter der Eindruck einer Tyrannei der Masse. Prominenteste Opfer eines solchen Shitstorms sind aktuell der Sky-Reporter Marcel Reif und der Chefredakteur der Bild Kai Diekmann. Insbesondere auf Twitter sind sie nicht nur hämischen und ehrabschneidenden Kommentaren ausgesetzt, sondern Ihnen wird entweder der Tod gewünscht, oder es wird zur Gewalt gegen sie aufgerufen. Dabei scheinen sich die Aggressionen innerhalb der sozialen Netzwerke so zu verstärken, dass die Betroffenen tatsächlich mit Gewalt in der physischen Welt rechnen müssen. Marcel Reif wurde beim Revierderby zwischen Borussia Dortmund und dem Schalke 04 von Fans beider Lager angegriffen. Auch beim Pokalspiel Dresden gegen Dortmund wurde er mit Bierbechern beworfen und sah sich nur durch eine Scheibe vor tätlichen Übergriffen geschützt (vgl. http://www.welt.de/sport/fussball/article138060919/Hasserfuellte-Fratzen-spuckend-undgeifernd .html oder http://www.tagesspiegel.de/medien/attacken-auf-marcel-reif-ein-neuesausmass -an-hass/11457546.html). Auch weniger prominente Opfer spüren - unabhängig von LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8365 2 einer moralischen Bewertung des Anlasses des Shitstorms – die Auswirkungen bis hin zur sozialen Ächtung und dem Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/twitter-shitstorm-gegen-justine-saccowegen -unbedachtem-tweet-13442256.html). Kritik an Äußerungen oder Auftreten von (öffentlichen) Personen darf und muss sicherlich in konstruktiver Art möglich sein. Disruptives und hasserfülltes Verhalten in den sozialen Netzwerken , wie es jüngst vermehrt zu beobachten ist, ist hingegen kein Ausdruck eines guten Miteinanders und schlichtweg nicht akzeptabel für eine aufgeklärte westliche Gesellschaft. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Täter von sich aus ihr eigenes Verhalten reflektieren (können). 1. Welche gesetzlichen Grundlagen regeln mögliche Vergehen wie Bedrohung, Schmähung oder ehrabschneidende Beleidigungen in sozialen Netzwerken? Für die bezeichneten Verhaltensweisen kommen Strafbarkeiten insbesondere gemäß folgender Vorschriften des Strafgesetzbuchs in Betracht: §§ 111 (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), 131 (Gewaltdarstellung), 185 (Beleidigung), 186 (Üble Nachrede), 187 (Verleumdung ), 201a (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen), 238 (Nachstellung), 240 (Nötigung) und 241 (Bedrohung). Im Übrigen ist auch eine Strafbarkeit gemäß §§ 33, 22 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KunsturhG) möglich. Nach bürgerlichem Recht können Betroffene gegen rechtswidrige Inhalte im Netz Löschungs - und Unterlassungsansprüche geltend machen. Schadensersatzansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen ergeben sich aus dem bürgerlichen Deliktsrecht. Das Telemediengesetz (TMG) modifiziert in den §§ 7-10 TMG diese Haftung für Telemediendienste je nach deren Angebot (Content-, Access- oder Host-Provider). 2. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung bis zum Ende der planmäßigen Legislaturperiode zur Verbesserung des sozialen Miteinanders in den sozialen Netzwerken? Die Landesregierung setzt sich auf vielfältige Weise dafür ein, das soziale Miteinander in den sozialen Netzwerken zu verbessern. Im Mittelpunkt stehen Information, Sensibilisierung und Aufklärung, Projektförderung, Thematisierung in Schulen und der außerschulischen Bildung und - falls nötig - Strafverfolgung. Beispielhaft sei aus dem Geschäftsbereich des Ministers für Inneres und Kommunales die Kooperation der Kreispolizeibehörden mit anderen Verantwortungsträgern in Projekten zur Stärkung der Medienkompetenz und damit auch zur Vermittlung eines sozialen Miteinanders in sozialen Netzwerken erwähnt. Dabei setzen ihre kriminalpräventiven Maßnahmen bereits bei den mit Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen betrauten Zielgruppen an. Innerhalb dieser Projekte berät die Polizei unter anderem Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler über Erscheinungsformen von Kriminalität, Gefährdungseinschätzungen , Opferrisiken sowie tatbegünstigendes Verhalten. Sie gibt Empfehlungen zu tatreduzierenden Verhaltensweisen, verdeutlicht potenziellen Tätern strafrechtliche Konsequenzen und weist auf Beratungsangebote von Opferschutz- und Hilfeeinrichtungen hin. Das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) stellt den Polizeibehörden für ihre kriminalpräventive Arbeit themenrelevante Medien für die Zielgruppen zur Verfügung. Beispielhaft für das Themenfeld Medienkompetenz und soziales Verhal- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8365 3 ten in Netzwerken sind hier die Medienpakete „Abseits“, „Verklickt“, „Klicks- Momente“ und „Netzangriff“ zu nennen. Bezüglich weiterer Initiativen sei verwiesen auf die Antwort zur Großen Anfrage Nr. 8 „Verbraucherinnen und Verbraucher im Netz schützen - Freiheit des Internets sichern!“ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 16/3704). Eine Darstellung sämtlicher für die Zukunft geplanter Maßnahmen der Landesregierung ist in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. 3. Ermitteln NRW-Behörden in den oben geschilderten oder in anderen Fällen die Identitäten (nordrhein-westfälischer) Personen, die ehrabschneidende Äußerungen , Bedrohungen oder Schmähungen in den sozialen Netzwerken tätigen? Gemäß § 152 Absatz 2 Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Gemäß § 163 Absatz 1 Strafprozessordnung hat die Polizei Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Das gilt auch für Straftaten in sozialen Netzwerken. 4. Wie kooperieren die NRW-Behörden mit Behörden anderer Bundesländer oder Staaten bei der Ermittlung von Identitäten von Personen aufgrund ehrabschneidender Äußerungen, Bedrohungen oder Schmähungen in den sozialen Netzwerken ? Die Kooperation der NRW-Behörden mit anderen Ländern erfolgt im Wesentlichen über das Bundeskriminalamt als Zentralstelle. Eine wichtige Rolle kommt dabei den polizeilichen Informationssystemen zu. Die darin erfassten Informationen dienen u. a. dazu, Täterhinweise zu erlangen und Tatzusammenhänge erkennbar zu machen. Die Zusammenarbeit der Polizei Nordrhein-Westfalen und der Staatsanwaltschaften mit ausländischen Ermittlungsbehörden erfolgt nach den Bestimmungen der polizeilichen und justiziellen Rechtshilfe, Regelungen bi- und multinationaler Verträge über die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten sowie der Cybercrime-Konvention des Europarates. 5. Inwiefern ist das Auslösen oder Verstärken eines Shitstorms (z. B. über das Ver- breiten von Äußerungen über Accounts mit großer Reichweite) strafbar? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen.