LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8373 09.04.2015 Datum des Originals: 08.04.2015/Ausgegeben: 14.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3210 vom 5. März 2015 des Abgeordneten Gregor Golland CDU Drucksache 16/8136 Diskussion über die Einführung einer Impfpflicht Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 3210 mit Schreiben vom 8. April 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch den massiven Ausbruch der Masern in Berlin wird aktuell über die Einführung der Impfpflicht für diese Krankheit diskutiert. Mehr als 650 Menschen sind in Berlin schon von der Masernwelle betroffen, ein nicht geimpftes Kleinkind starb. Rechtlich hält Bundesjustizminister Heiko Maas die Einführung der Impfpflicht für möglich, wie aus Medienberichten hervorgeht. Allerdings nur dann, wenn Experten keine andere Möglichkeit sehen, um eine Masern-Epidemie zu verhindern. Durch mehr Aufklärung soll zunächst versucht werden, die Impfquote zu erhöhen. Der Vorbehalt einiger Bürger gegen Impfungen ist nach wie vor groß. Laut Medienberichten war der Ausgangspunkt der aktuellen Masernwelle möglicherweise „eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin; dort war die Krankheit unter Asylbewerbern aus Bosnien und Serbien ausgebrochen – als Folge einer weitläufigen Masernepidemie, die in Bosnien seit einem Jahr grassiert. In den Balkanstaaten klaffen aufgrund der Wirren des Bürgerkriegs in den 90er-Jahren große Impflücken.“ (Die Welt, 01.03.2015). Dies ist besorgniserregend und lässt befürchten, dass die Masern über kurz oder lang auch nach Nordrhein-Westfalen eingeschleppt werden. Ein Problem besteht auch in der mangelnden Information der Asylbewerber über Impfmöglichkeiten sowie in der eingeschränkten Gesundheitsversorgung für diese Menschen – die Einschränkung gilt in den ersten 15 Monaten nach ihrer Ankunft. Eine Möglichkeit zur Abhilfe wäre die Einrichtung von zentralen Impfstellen, wie zurzeit bereits in Berlin geplant. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8373 2 Vorbemerkung der Landesregierung Den aktuellen Masern-Ausbruch in Berlin beobachtet auch die Landes-regierung mit Sorge. Besonders betrüblich ist der Tod eines Kleinkindes dabei. Es zeigt sich einmal mehr, dass viele der vermeintlich „harmlosen Kinderkrankheiten“ gerade eben nicht „harmlos“ sind. 1. Wie viele Fälle von Masernerkrankungen sind seit 2010 bis heute in Nordrhein- Westfalen aufgetreten? (Bitte für jedes Jahr die Anzahl der Fälle auflisten.) In den Jahren 2010 bis 2015 wurden auf der Basis der Meldeverpflichtungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) folgende Zahlen an Masernfällen in Nordrhein-Westfalen (Stand: 16.03.2015) gemeldet: Quelle: Meldedaten des LZG.NRW *Datenstand am 16.03.2015 2. Was unternimmt die Landesregierung, um zu verhindern, dass sich Masern, Diph- terie, Polio und andere Infektionskrankheiten zu einer Epidemie ausbreiten? (Bitte auflisten nach Krankheit, bereits ergriffenen und noch geplanten Maßnahmen). Da es sich bei Masern, Diphtherie, Polio und vielen anderen Infektionskrankheiten um impfpräventable Erkrankungen handelt, werden einheitliche, gemeinsame präventive Maßnahmen im Sinne eines Komplettansatzes ergriffen. Einzeldarstellungen nach Erregern sind deshalb nicht sinnvoll. Zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten setzt die Landesregierung insbesondere auf eine sachliche und neutrale Wissensvermittlung bzw. Aufklärung zu gesundheitlichen Risiken und Präventionsmaßnahmen, die Erhebung von Surveillance–Daten insbesondere bei Schuleingangsuntersuchungen sowie die anlassbezogenen Recherchen durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst . Auf den Bericht des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) für den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (AGS) vom 28. August 2013 (Vorlage 16/1082) über die Zahl der Masernerkrankungen in NRW sowie die Aufklärungsinitiativen der Landesregierung wird in diesem Zusammenhang verwiesen. Landesweit regelmäßig durchgeführte Maßnahmen der primären Vorbeugung von Infektionen sind: Meldejahr Fallzahl 2010 185 2011 102 2012 18 2013 128 2014 59 2015 34* LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8373 3 Planung und Durchführung des in der Regel alle zwei Jahre stattfindenden Impftags Nordrhein-Westfalen als Fachtagung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst und impfende Ärztinnen und Ärzte Zielgruppe des Impftages sind der Öffentliche Gesundheitsdienst sowie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. In den vergangenen Jahren haben jeweils bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Impftag besucht. Neben rein wissenschaftlich-fachlichen Vorträgen bietet die Veranstaltung auch die Möglichkeit zum Austausch und zur Diskussion mit den Vortragenden und zwischen den beteiligten Akteuren. Erfassung der Impfquoten im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung Gemäß § 34 Absatz 11 IfSG hat das Gesundheitsamt oder ein vom ihm beauftragter Arzt bzw. eine beauftragte Ärztin bei der Erstaufnahme in die 1. Klasse einer allgemeinbildenden Schule den Impfstatus zu erheben und die hierbei gewonnenen aggregierten und anonymisierten Daten über die oberste Landesgesundheitsbehörde dem Robert Koch-Institut (RKI) zu übermitteln. Die Daten werden zuvor im Landeszentrum Gesundheit NordrheinWestfalen (LZG.NRW) erfasst und aufbereitet und stehen zu epidemiologischen Analysen für NRW zur Verfügung. (https://www.lzg.nrw.de/themen/gesundheit_berichte_daten/schulgesundheit/index.html). Durch die hohen Impfraten kann die Verbreitung von Krankheiten bzw. Erregern in der Bevölkerung effektiv vermieden werden, wodurch auch Personen vor Infektionen geschützt werden, die aus bestimmten Gründen nicht geimpft werden können („Herdenschutz“). Positiv hervorzuheben ist, dass die Impfquote der Masern, Mumps, Röteln-Impfung (MMR) in Nordrhein-Westfalen über dem Bundesdurchschnitt liegt (RKI, Epid. Bull. 16/2014). Die oben genannte Vorlage an den AGS vom 28. August 2013 (Vorlage 16/1082) enthält hierzu ebenfalls nähere Ausführungen. Sekundärprävention durch Fall- und Ausbruchskontrolle durch den ÖGD Bei Verdacht auf eine meldepflichtige Infektionserkrankung leiten die Gesundheitsämter in NRW umgehend und konsequent die notwendigen Maßnahmen zur Untersuchung und Verhinderung weiterer Fälle vor Ort ein. Die rasche Meldung eines Verdachts-, Erkrankungsoder Todesfalls an das zuständige Gesundheitsamt ist daher essentiell. Über die Landesmeldestelle am LZG.NRW werden Fälle an das RKI übermittelt, sodass das Infektionsgeschehen auch auf Landes- und Bundesebene (ggf. auch international) verfolgt werden kann. Bei Bedarf stimmen die jeweils zuständigen Behörden die notwendigen InfektionsschutzMaßnahmen gemeinsam ab und beraten bzw. unterstützen die Gesundheitsämter bei der Umsetzung. Ein Beispiel hierfür ist die in der Zeit von November 2013 bis April 2014 empfohlene Umsetzung einer Impfstatus-Kontrolle hinsichtlich der Impfung gegen Polio und einer StuhlSurveillance (nach 2010 geborene Kinder) bei Flüchtlingen aus Syrien. Hintergrund war ein Polioausbruch in Syrien und die damit verbundene Möglichkeit der Einschleppung von Polioviren sowie die gesunkene Impfrate bei Menschen aus den Krisenregionen. Vor dem Hintergrund der von der WHO Region Europa geplanten und bislang nicht erreichten Masernelimination im Jahr 2015 (zu der sich auch Deutschland bekannt hat), wird aktuell der Entwurf eines Nationalen Aktionsplans zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland diskutiert. An dieser Diskussion sind die Länder und damit auch NordrheinWestfalen beteiligt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8373 4 3. Wie steht die Landesregierung zur Einführung einer Impfpflicht für Masern? Die Forderung, eine Impfpflicht z.B. vor Aufnahme in Gemeinschafts-einrichtungen wie Schulen und Kindergärten einzuführen, ist nicht neu und wird bei auftretenden Krankheitsausbrüchen immer wieder erhoben. Die Landesregierung setzt jedoch auf eine sachliche, neutrale Information der Bürgerinnen und Bürger und lehnt die Einführung einer Impfpflicht für Masern ab. Nachdem 1982 das Gesetz über die Pockenschutzimpfung außer Kraft gesetzt worden war, gibt es in Deutschland keine gesetzlich vorgeschriebenen Schutzimpfungen mehr. Es bestand auch zwischenzeitlich keine Notwendigkeit, von der bereits im früheren BundesSeuchengesetz enthaltenen Möglichkeit, Schutzimpfungen durch Rechtsverordnung anzuordnen , Gebrauch zu machen. Wenngleich die Impfbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in NRW noch verbesserungswürdig ist, ist es dennoch in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, viele impfpräventable Krankheiten weitgehend zurückzudrängen , ohne dass staatliche Zwangsmaßnahmen angewendet werden mussten. Bei der Novellierung des Bundes-Seuchengesetzes und den Vorarbeiten zum IfSG waren die beteiligten Expertinnen und Experten übereinstimmend der Auffassung, dass die Regelungen zur Freiwilligkeit von Impfungen sich grundsätzlich bewährt haben und beibehalten werden sollten. 4. Hält die Landesregierung es für sinnvoll, Flüchtlingen direkt nach ihrer Ankunft Impfungen anzubieten oder zu verordnen, zum Beispiel in einer zentralen Impfstelle ? Ja, das MGEPA hält ein Impfangebot für sehr sinnvoll. Deshalb hat das MGEPA am 07. Oktober 2014 eine entsprechende Bestimmung veröffentlicht: http://www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/gesundheit/Asyl_Gesundheitsuntersuchung_2014_ 10_08.pdf Darin sind sowohl die Impfangebote als auch der Zeitpunkt sowie die Impfdokumentation und der Umgang mit Ausbrüchen geregelt. Eine zentrale Impfstelle scheidet aus logistischen Gründen aus. Derartige Verfahren eignen sich nur für Stadtstaaten, nicht für ein Flächenland wie NRW, das diverse auf das Bundesland verteilte Erstaufnahme- und Unterbringungseinrichtungen für Asylsuchende unterhält.