LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8393 16.04.2015 Datum des Originals: 15.04.2015/Ausgegeben: 21.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3214 vom 12. März 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/8161 Problemblinder Umgang des Innenministers mit seiner Essener Wahlkreisgeometrie – Wann informiert die Landesregierung die Bürger endlich transparent und ehrlich über die Auswirkungen ihrer beabsichtigten Wahlkreisänderungen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3214 mit Schreiben vom 15. April 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit der Veröffentlichung der Landtags-Vorlage 16/2641 des Innenministers am 28. Januar 2015 zu dem von ihm vorgeschlagenen Neuzuschnitt etlicher Landtagswahlkreise ab der nächsten Landtagswahl 2017 hat dieses Regierungsvorhaben zu Recht bundesweit mediale Aufmerksamkeit gefunden. Am Beispiel des Essener Südwahlkreises (WK 68) werden die tatsächlichen Auswirkungen für ein Wahlgebiet mit traditionell wechselnden Mehrheiten gut sichtbar, wenn einzelne bürgerliche Stadtteile aus einem Wahlkreis entfernt werden sollen: CDU SPD Differenz / Veränderungseffekt Erstimmen Wahlkreis 68 (Ist 2010) 34.346 33.247 1.117 Stimmen Vorsprung für CDU - Stadtteil Essen-Byfang -581 -403 +178 Stimmen für SPD - Stadtteil Essen-Burgaltendorf -2.582 -2.114 +468 Stimmen für SPD - Stadtteil Essen-Bredeney -3.630 -1.560 +2.070 Stimmen für SPD LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8393 2 CDU SPD Differenz / Veränderungseffekt - Stadtteil Essen-Schuir -455 -273 +182 Stimmen für SPD Erststimmen Wahlkreis 68 (Projektion gemäß Neuzuschnitt) 27.098 28.850 1.826 Stimmen Vorsprung für SPD Da der Essener Südwahlkreis einer mit häufig knappen und wechselnden Mehrheiten ist, kommt der Herauslösung einzelner Stadtteile eine ergebnisrelevante Bedeutung zu, wie das Rechenbeispiel eindrucksvoll belegt: Durch die rot/grünen Änderungsabsichten würden die politischen Verhältnisse um rund 3.000 Wählerstimmen zugunsten der SPD verschoben, was den ursprünglichen Wahlausgang auf den Kopf stellt. Wie bereits ausführlich in LT-DS 16/8092 dargestellt, erfolgt die Herauslösung genau dieser Stadtteile völlig willkürlich und ohne jede objektive Anknüpfung. Im Gegenteil: Sowohl die früheren Essener Wahlkreiszuschnitte vor der letzten Reform des Landtagswahlrechts und seiner Wahlkreisbildung ab der Landtagswahl 2005 als auch zahlreiche andere Indikatoren, die auf sozialräumliche Verhältnisse, Gebietsidentität, administrative Einheiten bei anderen Wahlen und für andere öffentliche Zwecke (wie beispielsweise den Zusammenschluss von Stadtteilen zu Bezirksvertretungen) abstellen, legen ganz ausdrücklich andere Lösungen nahe. Umso erstaunlicher ist der Umgang von Innenminister Ralf Jäger in LT-DS 16/8092 mit den auf der Hand liegenden Vorwürfen gegen sein Vorgehen und seine Verteidigungsstrategie: Der Innenminister hat von der Gesetzeslage her ausschließlich eine Berichtspflicht zu den statistischen Veränderungen der Wahlkreisgrößen. Wird diese Publikation zugleich gezielt für eine vermeintlich alternativlose parteipolitische Optimierung uminterpretiert, ist dieses Vorgehen sorgfältig zu begründen. Bezeichnend ist auch, dass die Landesregierung die anzunehmende Konsultation von rot/grünen Parteigremien und Führungskräften in dieser Frage gar nicht leugnet, sich aber trotzdem weigert, ihre Gesprächspartner offenzulegen. Die von der Regierung behauptete Offenheit des Prozesses wird sich schnell im weiteren Vorgehen überprüfen lassen. Auffällig ist, dass in LT-DS 16/8092 gleich mehrere Fragen seitens des Innenministers im Kern nicht oder nur ausweichend beantwortet werden. Angesichts der politischen Dimension seines Vorgehens ist dies gegenüber Parlament und Öffentlichkeit inakzeptabel. Auch unter schmerzlicher Reduktion der Komplexität der Fragen erhält der Innenminister daher nun im folgenden die erneute Chance, endlich Klarheit zu den im Raum stehenden Sachverhalten zu schaffen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8393 3 1. Nur für den Essener Wahlkreiszuschnitt: Jeweils welche einzelnen Parteigliederungen von SPD und Grünen sowie Personen aus den regierungstragenden Fraktionen hat der Innenminister seinerseits offiziell sowie inoffiziell zur Neueinteilung der Essener Wahlkreise vor seiner Veröffentlichung der Vorlage 16/2641 am 28. Januar 2015 kontaktiert bzw. kontaktieren lassen? (vollständige Auflistung der Aktivitäten des Innenministers erbeten, es geht bei Frage 1 nicht um die Ansprachen seiner Person durch Dritte) 2. Nur für den Essener Wahlkreiszuschnitt: Jeweils welche einzelnen Parteigliede- rungen oder Personen aus den regierungstragenden Fraktionen von SPD und Grünen haben ihrerseits den Innenminister offiziell sowie inoffiziell zur Neueinteilung der Essener Wahlkreise vor seiner Veröffentlichung der Vorlage 16/2641 kontaktiert bzw. kontaktieren lassen? (vollständige Auflistung der Aktivitäten Dritter gegenüber dem Innenminister erbeten) 3. Wie stellen sich im Vergleich zu den Antworten zu Frage 1 und 2 analog die Kon- takte zwischen der Opposition (wiederum Gremien wie Einzelpersonen) und dem Innenminister zu dem Essener Wahlkreissachverhalt jeweils dar? 4. Ist die Ministerpräsidentin persönlich vor der Veröffentlichung der Vorlage 16/2641 am 28. Januar 2015 über die Inhalte der Wahlkreisneuzuschnitte offiziell sowie inoffiziell in Kenntnis gewesen? 5. Mit konkret welchen weiteren Varianten zum Neuzuschnitt des Wahlgebietes von WK 68 hat sich der Innenminister jenseits seines letztlich in Vorlage 16/2641 unterbreiteten Vorschlags auseinandergesetzt und dann offenbar nicht mehr verfolgt ? (Darlegung der einzelnen Alternativvarianten im Detail erbeten) Das in Art. 30 Abs. 2 der Landesverfassung verbürgte Fragerecht des Abgeordneten und die damit verbundene Pflicht zur Beantwortung von Kleinen Anfragen gilt nicht unbegrenzt, sondern ist durch seine Funktion und durch die vorzunehmende Abwägung mit anderen Verfassungsgütern beschränkt. Zu den in die Abwägung mit einzubeziehenden Grenzen gehört auch der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung, der sog. Arkanbereich. Dieser ist Ausdruck des Gewaltenteilungsgrundsatzes und des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme der Verfassungsorgane und beschränkt die parlamentarische Kontrolle auf ein funktionsverträgliches Maß. Die Fragen zielen insgesamt auf die Ausforschung der Meinungsbildung eines Regierungsmitglieds ab. Somit betreffen alle Fragen den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Die Landesregierung hat ein erhebliches Interesse daran, nicht fortlaufend ihre Kontakte im politischen Raum offenbaren zu müssen. Wenn jedes Regierungsmitglied fortlaufend Rechenschaft über seine politischen Gespräche ablegen müsste, wäre ein sachgerechtes Regieren nicht mehr möglich. Dies gilt auch für abgeschlossene Vorgänge und erst recht, wenn diese im engen zeitlichen Kontext in laufenden politischen Prozessen ihre Fortwirkung entfalten . Auch die Meinungsbildung der Hausspitze des Ministeriums für Inneres und Kommunales zu unterschiedlichen Vorschlägen (Frage 5) genießt angesichts der Fortwirkung im laufenden parlamentarischen Entscheidungsprozess hohen arkanen Schutz. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8393 4 Auf der anderen Seite ist kein berechtigtes Interesse des Fragestellers erkennbar, die politische Meinungsbildung des Ministers für Inneres und Kommunales zu hinterfragen. Denn der mit Bericht vom 23. Januar 2015 übersandte Vorschlag zur Neueinteilung der Landtagswahlkreise entfaltet keinerlei Bindungswirkung für die anstehende Entscheidung des Landesgesetzgebers . Der Bericht dient lediglich als Grundlage für das weitere parlamentarische Beratungsverfahren zur Änderung des Wahlkreisgesetzes. Darüber hinaus ist festzustellen, dass bei den an den Landtag übersandten Vorschlägen zur Einteilung der Landtagswahlkreise kein Verstoß gegen die in § 13 Abs. 2 LWahlG dargelegten Grundsätze vorliegt. Im Übrigen verweise ich auf die Antwort auf die Kleine Anfrage 3086 (LT-Drs.16/8092).