LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8397 16.04.2015 Datum des Originals: 16.04.2015/Ausgegeben: 21.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3235 vom 16. März 2015 des Abgeordneten Gregor Golland CDU Drucksache 16/8209 Gefährdung der Sicherheit durch zurückgekehrte Islamisten Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3235 mit Schreiben vom 16. April 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport sowie der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut Medienberichten sind bislang rund 180 radikalisierte Muslime von Nordrhein-Westfalen aus in den Nahen Osten ausgereist, um zum Beispiel in Syrien und Irak im so genannten „Heiligen Krieg“ zu kämpfen. Etwa 50 dieser Personen sollen inzwischen zurückgekehrt sein (Express, 26.02.2015, S. 2). Die Rückkehrer gelten als besonders gefährlich, sind zum Teil desillusioniert. Gemäß dem Bericht kümmern sich Mitarbeiter des Verfassungsschutzes NRW im Rahmen eines neuen Programms um ausstiegswillige Rückkehrer, um ihnen einen gesellschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. 1. Wie viele Personen sind seit 2011 bis heute von Nordrhein-Westfalen aus in den so genannten „Heiligen Krieg“ im Nahen Osten gezogen? (Bitte auflisten nach Jahr, Ziel der Ausreise, Geschlecht und Alter der Personen.) Im Jahr 2011 begannen im Nahen Osten und in Nordafrika politische Umbrüche, in deren Verlauf sich ab 2012 ein Bürgerkrieg in Syrien entwickelt hat. 2011 sind noch keine Ausreisen in diese Region aus Nordrhein-Westfalen verzeichnet worden. Seit 2012 haben die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen Erkenntnisse zu Personen gewonnen, bei denen anzunehmen ist, dass sie ausgereist sind, um sich jihadistischen Gruppierungen in Syrien bzw. im Irak anzuschließen. Insgesamt sind seit 2012 bis heute (Stichtag: 25.03.2015) 175 Personen aus Nordrhein-Westfalen ausgereist, bei denen die Sicherheitsbehörden tatsächli- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8397 2 che Anhaltspunkte dafür haben, dass sie auf Seiten einer jihadistischen Terrormiliz kämpfen oder diese vor Ort in anderer Art und Weise unterstützen bzw. dies in der Vergangenheit getan haben. Darüber hinaus sind den Sicherheitsbehörden etwa 75 Angehörige der salafistischen Szene Nordrhein-Westfalens bekannt, die sich seit 2012 — vorgeblich zu humanitären Zwecken — im Rahmen sogenannter Hilfskonvois mehrfach in das türkisch-syrische Grenzgebiet begeben haben, um dort angeblich Hilfsgüter an die Bevölkerung zu verteilen. Im Beobachtungszeitraum Januar 2012 bis März 2015 reisten ferner 16 Personen des jihadistischen Spektrums in Richtung Syrien aus, bei denen aufgrund der kurzen Zeitspanne bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland davon ausgegangen wird, dass sie ihr Ziel — den Anschluss an eine jihadistische Miliz — nicht erreicht haben. Die nachstehende Tabelle 1 schlüsselt die Personen, die sich nach vorliegenden Erkenntnissen mutmaßlich einer jihadistischen Miliz angeschlossen haben nach Jahr, Geschlecht und Alter auf. In der Spalte UNBEK werden Ausreisen aufgeführt, bei denen das Datum der Ausreise unbekannt ist, in der Spalte MEHRF sind mehrfache Ausreisen eingetragen. AUSREISEJAHR 2012 2013 2014 2015 UNBEK DAVON MEHRF insgesamt 33 88 55 6 3 10 davon weiblich 7 12 13 5 0 2 m ä n n lic h <21 4 10 8 1 0 2 21-30 14 53 23 0 2 3 31-40 7 9 10 0 1 3 >41 1 4 0 0 0 0 unbekannt 0 0 1 0 0 0 w e ib lic h <21 2 5 6 1 0 1 21-30 1 7 5 1 0 1 31-40 4 0 1 1 0 0 >41 0 0 0 1 0 0 unbekannt 0 0 1 1 0 0 Tabelle 1 Im Zuge der laufenden Erkenntnisgewinnung können den Sicherheitsbehörden noch weitere Personen bekannt werden, die in den Jahren 2012 bis 2015 ausreisten (Erhellung des Dunkelfeldes ). Unter den 175 Ausgereisten finden sich zudem 10 Personen, welche zwischenzeitlich zurückkehrten , anschließend jedoch ein weiteres Mal ausreisten (Spalte MEHRF), so dass insgesamt bislang 185 Ausreisesachverhalte bekannt wurden. In sämtlichen Fällen war das Ziel der Reise Syrien bzw. Irak. Die Aufenthaltsbereiche der hier beobachteten Jihadisten unterliegen einem ständigen Wechsel. Nicht zu allen Personen ist der aktuelle Aufenthaltsort bekannt . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8397 3 2. Wie viele der ausgereisten Personen sind bislang zurückgekehrt? (Bitte auflisten nach Rückkehrjahr, Geschlecht und Alter der Personen.) Bis zum 25.03.2015 kehrten insgesamt 50 Personen aus dem Krisengebiet Syrien/Irak zurück . Eine genaue Aufschlüsselung weist Tabelle 2 aus: RÜCKKEHRJAHR 2012 2013 2014 2015 UNBEK DAVON MEHRF Insgesamt 0 18 31 2 3 4 davon weiblich 0 3 6 0 0 1 M ä n n lic h <21 0 2 3 2 0 1 21-30 0 9 15 0 2 2 31-40 0 3 5 0 0 0 >41 0 1 2 0 1 0 unbekannt 0 0 0 0 0 0 W e ib lic h <21 0 0 2 0 0 0 21-30 0 3 3 0 0 1 31-40 0 0 0 0 0 0 >41 0 0 0 0 0 0 Unbekannt 0 0 1 0 0 0 Tabelle 2 Unter den 50 Zurückgekehrten befinden sich 4 Personen, die mehrfach (2x) ausreisten und wieder zurückkehrten, so dass sich insgesamt 54 erfasste Rückkehrsachverhalte ergeben. 3. Wie viele der zurückgekehrten Personen werden als resozialisierbar eingestuft bzw. wie viele nicht? (Bitte auflisten nach Alter und Geschlecht.) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass alle Rückkehrerinnen und Rückkehrer resozialisierbar sind, so dass keine Unterscheidung in resozialisierte bzw. nicht resozialisierbare Rückkehrerinnen und Rückkehrer getroffen wird. Bei der Rückkehr von Personen aus einem Jihadgebiet bedarf es zunächst der Klärung, ob gegen sie wegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit dem dortigen Aufenthalt Ermittlungsverfahren einzuleiten sind und von ihnen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Soweit Sicherheitsaspekte nicht Vorrang haben, wird insbesondere Rückkehrerinnen und Rückkehrern, die traumatisiert oder desillusioniert sind und bei denen keine konkreten Hinweise für die Begehung von schweren Straftaten vorliegen, durch das Aussteigerprogramm Islamismus des Verfassungsschutzes Hilfe auf freiwilliger Basis angeboten, um ihre Resozialisierung zu ermöglichen. 4. Wie werden die nicht resozialisierbaren Rückkehrer von den Sicherheitsbehörden überwacht? Zur Überwachung der Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden sämtliche rechtlich zulässigen Maßnahmen durch die Polizei nach der Strafprozessordnung bzw. dem Polizeigesetz NRW und durch den Verfassungsschutz nach dem Verfassungsschutzgesetz NRW ergriffen. Art, Umfang und Dauer der Maßnahmen sind abhängig von der Bewertung im Einzelfall. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8397 4 Hierfür stimmen sich die Sicherheitsbehörden des Landes auch fortlaufend mit den Sicherheitsbehörden des Bundes ab. 5. Warum ist ausgerechnet Nordrhein-Westfalen eine Hochburg des Salafismus in Deutschland? Gemessen an der Einwohnerzahl und der Zahl hier lebender Muslime ist eine überproportionale Betroffenheit von Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht erkennbar. Extremistischer Salafismus spricht vor allem muslimische Personen an. Nordrhein -Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland mit einem besonders hohen Anteil muslimischer Einwohnerinnen und Einwohner. Als ein stark von Industrie geprägtes Land hat es seit den 1960er Jahren einen beträchtlichen Teil aller Personen aufgenommen, die im Zuge von Arbeitsmigration bundesweit aus muslimischen Ländern eingewandert sind. Aufgrund der in besonderem Maße durch Migration beeinflussten Bevölkerungsentwicklung ergibt sich zwangsläufig eine quantitative Problembetroffenheit. Diese wirkt sich regional unterschiedlich aus.