LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 17.04.2015 Datum des Originals: 15.04.2015/Ausgegeben: 22.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3232 vom 15. März 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/8193 Herstellung von Transparenz bei der Anzahl und Struktur der Steuerselbstanzeigen – Wie groß ist der Anteil von Steuerhinterziehern mit Bezug zu Auslandssachverhalten und im Inland an der Gesamtheit der Selbstanzeigen tatsächlich? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 3232 mit Schreiben vom 15. April 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut der Internetpräsenz des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2015 haben im Jahr 2014 insgesamt 7.551 Bürger eine Selbstanzeige mit Bezug zur Schweiz bei der Finanzverwaltung abgegeben, im Jahr 2013 sind demnach 4.506 Selbstanzeigen mit Bezug zur Schweiz eingegangen, und im Jahr 2012 sind es ferner 1.387 gewesen. Durch Selbstanzeigen, die Auswertung von Steuer-CDs und Bußgelder habe die Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen mittlerweile insgesamt Mehreinnahmen von mehr als 1,5 Milliarden Euro erzielt, verkündet die Landesregierung. Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans stellt hierzu in einer Medienmeldung fest: „Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Viele Steuerhinterzieher haben endlich begriffen , dass wir es ernst meinen und haben die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige genutzt.“ Als Steuerhinterzieher zu gelten, geht allerdings wohl schneller als gemeinhin angenommen. Nach § 370 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer falsche oder wer keine Angaben zu seiner Steuerpflicht macht. Steuerberater weisen deshalb Mandanten darauf hin, dass auch eine verspätete Steuererklärung als Steuerhinterziehung gewertet werden kann. Nach § 371 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) wird nicht wegen Steuerstraftaten bestraft, wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, was allgemein als sogenannte „Selbstanzeige“ verstanden wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 2 Es ist bekannt, dass Steuerzahler gelegentlich auch ohne böse Absicht die Abgabefrist für ihre Steuererklärung versäumen oder nachträglich unbeabsichtigte Fehler bei ihrer Erklärung entdecken. Um sich nicht als Steuerhinterzieher strafbar zu machen, reichen die Betroffenen richtigerweise die fehlenden Angaben nach oder korrigieren unrichtige. Diese Vorkommnisse sollten sicherlich nicht generell als Steuerhinterziehungsabsicht gewertet werden. Nach Angaben der steuerberatenden Berufe sind die Finanzbeamten offenbar angehalten, nahezu vollständig jede Fristüberschreitung der Buß- und Strafsachenstelle des jeweiligen Finanzamts mitzuteilen. Diese prüfe dann, ob sie allein aufgrund der verspäteten Abgabe einer Steuererklärung oder Steuervoranmeldung bereits ein Steuerstrafverfahren einleitet. Bei etlichen Einzelfällen dieser reinen Verspätungssachverhalte dürfte es sich nicht um eine intendierte Steuerhinterziehung handeln. Im Gegensatz dazu gibt es ebenso Bürger, die ihr Vermögen sowie daraus resultierende Steuerpflichten absichtlich ins Ausland verlagern, um so eine Steuerzahlung zu vermeiden. Sofern in diesen Fällen nicht unerwünschte, aber gegebenenfalls sogar legale Steueroasen und Steuersparmodelle vorliegen, dürfte es sich um illegale Steuerflucht handeln. Auch diese Gruppe nimmt regelmäßig Korrekturen an ihren bisherigen Angaben vor oder liefert solche nach, um straffrei zu bleiben. Diese Maßnahmen werden allgemein als „Selbstanzeigen mit Bezug zu Auslandssachverhalten“ tituliert und liefern in der Tat interessante Aussagen zur Steuermoral in unserem Land. Es ist daher von großer Bedeutung, bei der quantitativen Entwicklung von Selbstanzeigen für eine sachgerechte Interpretation auch Anlass und Struktur der Fallzahlen zu kennen. Von Interesse ist für eine Beurteilung der Steuerehrlichkeit daher ein detailliertes Lagebild über die den Selbstanzeigen zugrundeliegenden Sachverhalte und die Entwicklung des Umfangs der daraus resultierenden Steuernachzahlungen in unserem Land. Der Finanzminister sollte dem Parlament daher zu nachfolgenden Fragekomplexen möglichst präzise Informationen zur Verfügung stellen. Vorbemerkung der Landesregierung Grundsätzlich erhebt die nordrhein-westfälische Steuerverwaltung ihre steuerstrafrechtlichen Statistiken entsprechend den Vorgaben der ländereinheitlichen Bundesstatistik. Diese Statistik sieht weder die Erfassung der Eingänge von Selbstanzeigen, der steuerlichen Mehrergebnisse aufgrund der erledigten Selbstanzeigen, noch eine Aufschlüsselung der Selbstanzeigen nach Art der angezeigten Steuerhinterziehung (z.B. Nacherklärung, Berichtigung), nach einzelnen Einkunftsarten oder nach in- und ausländischen Einkünften vor. Um die Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung nicht unnötig mit bürokratischen Aufzeichnungspflichten zu belasten, werden darüber hinaus in Nordrhein-Westfalen nur Daten erhoben, die einen Mehrwert für die Arbeit der Steuerfahndung bringen, der in einem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand steht. Als Folge des ersten Ankaufs einer sogenannten Steuerdaten-CD Anfang des Jahres 2010 war im Geschäftsbereich des Finanzministeriums bzw. der Finanzverwaltung ein deutlich steigender Eingang von Selbstanzeigen mit Bezug zu Bankkonten in der Schweiz zu verzeichnen . Daraufhin wurde den Steuerfahndungsfinanzämtern auferlegt, monatlich die Anzahl der eingegangenen Selbstanzeigen mit Bezug zur Schweiz aufzuzeichnen, um insbesondere die Auswirkungen der CD-Ankäufe auf das Anzeigeverhalten der Steuerpflichtigen zu untersuchen. Da der Schwerpunkt der „CD-Fälle“ eindeutig in der Schweiz lag, und das Finanzministerium die Ermittlungsbehörden nur im unbedingt notwendigen Maß mit statistischen Aufgaben belastet, wurde von einer weitergehenden Verpflichtung zur Datenerfassung für andere Länder abgesehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 3 Die Schlussfolgerungen, die aus der Auswertung der Daten mit Bezug zur Schweiz resultieren , sind aber durchaus auf andere Länder übertragbar. 1. Wie hat sich die Zahl aller Steuerselbstanzeigen in Nordrhein-Westfalen jeweils jährlich und monatlich im Zeitraum 2010 bis 2014, differenziert nach Bezug zu Inlands - und Auslandsachverhalten, entwickelt? 2. Wie hat sich das nachträglich infolge von Selbstanzeigen generierte Steuerauf- kommen in Nordrhein-Westfalen jeweils jährlich und monatlich im Zeitraum der Jahre 2010 bis 2014 entwickelt? Da lediglich - aus den in der Vorbemerkung erläuterten Gründen - nur die Eingänge der Selbstanzeigen mit Bezug zur Schweiz erfasst werden, ist eine Beantwortung so nicht möglich . Für die Selbstanzeigen mit Bezug zur Schweiz (laut Veröffentlichung: Stand März 2015) ergibt sich unter Zugrundelegung eines durchschnittlich geschätzten Mehrergebnisses pro Selbstanzeige folgende Entwicklung: Jahr Monat Eingang Mehrergebnis in € 2010 Jan. 562 28.662.000 Feb. 504 25.704.000 März 453 23.103.000 April 1.431 72.981.000 Mai 864 44.064.000 Juni 286 14.586.000 Juli 206 10.506.000 Aug. 324 16.524.000 Sept. 143 7.293.000 Okt. 155 7.005.000 Nov. 115 5.865.000 Dez. 114 5.814.000 Ges. 5.157 263.007.000 Jahr Monat Eingang Mehrergebnis in € 2011 Jan. 101 5.151.000 Feb. 108 5.508.000 März 150 7.650.000 April 95 4.845.000 Mai 112 5.712.000 Juni 84 4.284.000 Juli 64 3.264.000 Aug. 34 1.734.000 Sept. 27 1.377.000 Okt. 57 2.907.000 Nov. 18 918.000 Ges. 850 43.350.000 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 4 Jahr Monat Eingang Mehrergebnis in € 2012 Jan. 15 765.000 Feb. 129 6.679.000 März 23 1.173.000 April 58 2.958.000 Mai 29 1.479.000 Juni 15 765.000 Juli 93 4.743.000 Aug. 93 4.643.000 Sept. 269 1.3719.000 Okt. 189 9.639.000 Nov. 194 9.894.000 Dez. 229 11.679.000 Ges. 1.336 68.136.000 Jahr Monat Eingang Mehrergebnis in € 2013 Jan. 66 3.366.000 Feb. 176 8.976.000 März 214 10.914.000 April 148 7.548.000 Mai 173 8.823.000 Juni 365 18.615.000 Juli 452 23.052.000 Aug. 537 27.387.000 Sept. 465 23.715.000 Okt. 604 30.804.000 Nov. 397 20.247.000 Dez. 660 33.660.000 Ges. 4.257 217.107.000 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 5 Jahr Monat Eingang Mehrergebnis in € 2014 Jan. 318 16.218.000 Feb. 878 44.778.000 März 956 48.756.000 April 822 41.922.000 Mai 642 32.742.000 Juni 781 39.831.000 Juli 512 26.112.000 Aug. 626 31.926.000 Sept. 324 16.524.000 Okt. 492 25.092.000 Nov. 594 30.294.000 Dez. 490 24.990.000 Ges. 7.435 379.185.000 Jahr Monat Eingang Mehrergebnis in € 2015 Jan. 434 22.134.000 Feb. 932 47.532.000 März 715 36.465.000 Die Entwicklung der Selbstanzeigen zeigt deutlich, wie politische Entscheidungen das Verhalten der Steuerpflichtigen positiv beeinflussen können: Nach einer sehr dynamischen Entwicklung im Jahre 2010 - ausgelöst durch die ersten CDAnkäufe und die dadurch entstandene Angst vor Entdeckung - ließ das Aufkommen an Selbstanzeigen danach spürbar nach. Erst als dann Ende 2012 deutlich wurde, dass das LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 6 Schweizer-Steuerabkommen nicht in Kraft treten wird, erhöhte sich der Druck auf diejenigen, die nach wie vor unversteuertes Geld in der Schweiz hatten, und die Zahl der Selbstanzeigen stieg wieder. 3. Wie lässt sich die Struktur der Steuerselbstanzeigen jeweils jährlich für den Zeit- raum der Jahre 2010 bis 2014 nach Erkenntnissen des Finanzministers näher spezifizieren, beispielsweise nach der Anzahl reiner Verspätungsfälle, Korrektur von irrtümlichen bzw. vorsätzlichen Falschangaben oder Anzahl von Inlandsversus Auslandssachverhalten? Eine Beantwortung ist aufgrund fehlender Erhebungen nicht möglich. 4. Wie viele Steuerstrafsachen sind jeweils jährlich im Zeitraum der Jahre 2010 bis 2014 einerseits insgesamt bzw. andererseits anteilig aufgrund nicht greifender Strafbefreiung trotz Vornahme einer Selbstanzeige eingeleitet worden? Die bundeseinheitliche Straf- und Bußgeldsachenstatistik der Finanzverwaltung weist allein die Gesamtzahl der im Statistikjahr eingeleiteten Steuerstrafverfahren aus. Eine Aufschlüsselung nach „normalen“ Strafverfahren und Strafverfahren aufgrund eingegangener Selbstanzeigen findet nicht statt. Strafverfahren wurden wie folgt eingeleitet: 2010: 24.973 2011: 19.459 2012: 21.703 2013: 24.968 2014: 25.302 5. Mit jeweils welcher Art der Entscheidung bzw. Rechtsfolge (wie beispielsweise Verfahrenseinstellung, Geldbuße, Freiheitsstrafe etc.) ist die Anzahl der rechtskräftig beendeten Steuerstrafverfahren jeweils jährlich im Zeitraum der Jahre 2010 bis 2014 abschließend erledigt worden? Die Frage bezieht sich nach ihrer Lesart auf sämtliche erledigte Steuerstrafverfahren. Laut der amtlichen Strafverfolgungsstatistik der Gerichte, die alle Aburteilungen und Verurteilungen nach der Abgabenordnung (AO) durch die Strafgerichte erfasst, lassen sich die Entscheidungen der Strafgerichte wie folgt unterteilen: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8413 7 Aburteilungen und Verurteilungen nach der AO E n ts c h e id u n - g e n in s g e s a m t V e ru rte ilte E rw a c h s e n e H e ra n w a c h - s e n d e J u g e n d lic h e F re ih e its s tra fe n d a v o n m it B e - w ä h ru n g G e ld s tra fe n J u g e n d s tra fe Z u c h tm itte (V e rw a rn u n - g e n , A u fla g e n u n d J u g e n d a r- re s t) E rz ie h u n g s - m a ß re g e ln E in s te llu n g e n F re is p rü c h e 2010 3.439 2.961 2.926 34 1 347 291 2.608 1 5 0 452 24 2011 3.427 2.975 2.938 36 1 380 316 2.584 1 7 3 434 18 2012 3.063 2.638 2.616 22 0 332 284 2.303 0 3 0 411 14 2013 3.465 3.025 3.020 5 348 295 2.672 0 4 1 423 17 2014 Zahlen liegen für 2014 noch nicht vor. Bei zwei Entscheidungen im Jahr 2010 wurde von einer Strafe abgesehen. Für Strafverfahren, die von der Finanzverwaltung in eigener Zuständigkeit erledigt wurden, das heißt soweit keine Abgabe an die Staatsanwaltschaft zu erfolgen hatte, ergibt sich ausweislich der bundeseinheitlichen Straf- und Bußgeldsachenstatistiken folgendes Bild: J a h r E rl e d ig u n g e n i n s g e s a m t E in s te llu n g . n a c h § 1 7 0 A b s . 2 S tP O z .B . b e i w ir k s a m e n S e lb s ta n z e ig e n o d e r m a n g e ls h in re ic h e n d e n T a tv e r- d a c h ts d a v o n : S e lb s ta n z e ig e n E in s te llu n g . n a c h § 1 5 3 a S tP O u n te r A u fl a g e n u n d W e is u n g e n (i n e rs te r L in ie g e g e n G e ld z a h lu n g ) E in s te llu n g n a c h § 3 9 8 a A O b e i S e lb s ta n z e ig e n i n b e s o n d e re n s c h w e rw ie g e n d e n F ä lle n E in s te llu n g w e g e n G e ri n g fü g ig k e it ( § 3 9 8 A O , § 1 5 3 S tP O ) A n tr a g a u f S tr a fb e fe h l d a v o n : m it F re ih e it s tr a fe A b g a b e a n d ie S ta a ts a n w a lt s c h a ft 2010 20.343 9.187 5.110 4.065 3.311 1.844 57 1.861 2011 22.209 9.191 5.171 5.035 3.551 1.745 60 2.608 2012 20.307 8.413 4.531 4.269 18 3.364 1.673 64 2.503 2013 22.298 9.490 5.436 4.619 63 4.106 1.732 54 2.115 2014 23.691 11.915 8.072 4.530 125 3.107 1.905 39 2.017