LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8520 24.04.2015 Datum des Originals: 23.04.2015/Ausgegeben: 29.04.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3260 vom 24. März 2015 der Abgeordneten Serap Güler CDU Drucksache 16/8284 Was tut die Landesregierung, damit das Thema Migration in Schulbüchern nicht mit negativen Klischees behandelt wird? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3260 mit Schreiben vom 23. April 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit , Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach einer Studie des Leipziger Georg-Eckert-Instituts, die die frühere Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, in Auftrag gegeben hat, behandeln Schulbücher das Thema Migration zu häufig mit Stereotypen, die negativ konnotiert sind. Die Studie weist darauf hin, dass die Themen Migration und Integration zwar als notwendig und bedeutsam für Deutschland dargestellt werden. Gleichwohl stellten die Schulbücher Zuwanderung zu häufig als konfliktbelastet dar. Es werde eine Anpassungsleistung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gefordert, ohne den Anteil der deutschen Aufnahmegesellschaft hinsichtlich der Integration ausreichend zu beleuchten. In den untersuchten Schulbüchern würden Begriffe wie „Neger“ verwandt oder Menschen aus der Türkei klischeehaft mit Döner und Schnauzbart dargestellt. Auch die Begriffswahl sei häufig fehlerhaft, wenn die Bezeichnungen „Ausländer“, „Fremde“ und „Migranten“ sinngleich verwandt werden. Die Autoren der Studie vermissen einen differenzierten Blick auf das Thema Zuwanderung. Sie fordern, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der Entstehung von Schulbüchern besser eingebunden werden und die Schulbücher einem sogenannten kritischen Lektorat unterzogen werden. Schulbücher müssten der Realität in Deutschland besser Rechnung tragen und berücksichtigen, dass mittlerweile fast jeder dritte Schüler unter 15 Jahren eine Zuwanderungsgeschichte hat. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8520 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Studie „Schulbuchstudie Migration und Integration“ wurde von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration der Bundesregierung in Auftrag gegeben und im März 2015 veröffentlicht. Die Untersuchung wurde durchgeführt vom GeorgEckert -Institut und der Stiftung Universität Hildesheim und entspricht wissenschaftlichen Kriterien bzw. dem aktuellen Stand der Forschung. Mit Blick auf die Methodik wurden die Länder für das Sample nach folgenden Kriterien ausgewählt :  Bevölkerungsanteil in den jeweiligen Ländern,  allgemein historisch-politische Prägung (vor allem alte und neue Länder sowie unterschiedliche parteipolitische Dominanz – sogenannte A- und B-Länder),  spezifisch bildungspolitisches Profil innerhalb der bundesrepublikanischen Bildungslandschaft ,  geographische Verteilung (Nord/Süd, Ost/West, Flächenstaat/Stadtstaat). Ausgehend von diesen Kriterien wurden Schulbücher der Länder Bayern, NordrheinWestfalen , Sachsen, Berlin und Brandenburg untersucht. Dabei bezog die Untersuchung die drei größten Schulbuchverlage Cornelsen Verlag, Ernst Klett Verlag und Westermann Verlagsgruppe ein. Aus Nordrhein-Westfalen wurden insgesamt 20 Schulbücher aus den Jahrgangsstufen 9 und 10 der Gymnasien, der Realschulen, Sekundarschulen und Gesamtschulen analysiert. Bei den 20 Schulbüchern handelte es sich um acht Schulbücher für Sozialkunde , sechs für Geschichte und sechs für Geographie. Die Studie enthält keine Aussagen zu bestimmten Ländern und Bildungsmedienverlagen. Sie enthält auch keinen Ländervergleich. 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung im Hinblick auf die Darstellung der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Schulbüchern des Landes Nordrhein -Westfalen? Die Landesregierung nimmt die Kritik der Studie sehr ernst. Sie nimmt sie zum Anlass, die bereits eingeleiteten Maßnahmen fortzusetzen. Siehe hierzu die Antworten auf die Fragen 4 und 5. 2. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Landesregierung (z. B. auf dem Er- lasswege) dafür zu sorgen, dass der gesellschaftlichen Vielfalt in NordrheinWestfalen auch in Schulbüchern stärker Rechnung getragen wird? 3. Welche Vorgaben macht die Landesregierung den Schulbuchverlagen, damit die Themen Migration und Integration in Schulbüchern wertneutral behandelt werden (aufgeschlüsselt nach Schultyp und Jahrgangsstufe)? Deutschland ist ein Einwanderungsland. Leitbild und Grundlagen eines Einwanderungslandes hat das Land Nordrhein-Westfalen im Teilhabe- und Integrationsgesetz und im Schulgesetz festgehalten. Dieses Leitbild muss auch in den Lernmitteln sichtbar sein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8520 3 Lernmittel werden auf der Grundlage geltender Lehrpläne und Richtlinien zugelassen. § 30 Schulgesetz NRW enthält hierzu ein Diskriminierungsverbot: „Lernmittel dürfen nur zugelassen werden, […] wenn sie nicht ein diskriminierendes Verständnis fördern.“ Die Landesregierung kann über Prüfkriterien für die Zulassung von Schulbüchern sowie die Sensibilisierung der Gutachterinnen und Gutachter die Ausgestaltung von Schulbüchern beeinflussen . Im allgemeinen Abschnitt A der Prüfformulare, der in allen Fächern und Schulformen Gegenstand der Prüfung ist, sind Kriterien, die das interkulturelle Lernen unterstützen, enthalten:  Das Lernmittel ermöglicht durch geeignete Lernangebote konkrete Bezüge zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler.  Das Lernmittel berücksichtigt die Kriterien der Interkulturalität und Authentizität.  Im Lernmittel wird der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit in den Klassenverbänden Rechnung getragen.  Das Lernmittel fördert nicht ein diskriminierendes Verständnis. 4. Wie unterstützt die Landesregierung Schulbuchverlage, Menschen mit Zuwande- rungsgeschichte als Autoren in die Entstehung von Schulbüchern einzubinden und ein sogenanntes kritisches Lektorat durchzuführen? (Bitte die einzelnen Maßnahmen unter Angabe von Projektträger, Durchführungsort, Höhe der Fördermittel und Zahl der geförderten Personen auflisten.) 5. Wie bewertet die Landesregierung die Darstellung der Menschen mit Zuwande- rungsgeschichte in Schulbüchern, die in den Schulen des Landes NordrheinWestfalen eingesetzt werden? Die Landesregierung hat die beschriebene Problematik bereits vor längerer Zeit aufgegriffen. Eine wichtige Grundlage sind die KMK-Empfehlungen vom 6.12.2013 zur „Interkulturellen Bildung und Erziehung. Zur Vorstellung dieser Empfehlungen hat die KMK am 28.5.2014 gemeinsam mit mehreren Stiftungen eine Tagung durchgeführt, in der auch das Thema „Schulbücher“ kritisch diskutiert wurde. Während meiner KMK-Präsidentschaft hat am 09. Oktober 2014 ein Gespräch der KMK mit Vertreterinnen und Vertretern der Organisationen von Menschen mit Migrationshintergrund stattgefunden. Bei die-sem Gespräch wurde vereinbart, dass die Migrationsverbände die Schulministerien der Länder unmittelbar ansprechen sollten, wenn sie von Lehrmaterialien Kenntnis erhalten, in denen die kulturelle Pluralität unserer Gesellschaft nicht korrekt dargestellt wird. Auch das dialog forum islam hat sich in seiner Plenarsitzung am 24. November 2014 im Kontext der Behandlung von Phänomenen der Islamfeindlichkeit mit der Frage der Klischeebildung zum Islam und zu den Muslimen in Schulbüchern auseinandergesetzt. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung arbeitet daran, die an der Lernmittelentwicklung und am Zulassungsprozess beteiligten Schulbuchverlage sowie die zuständigen Gutachterinnen und Gutachter stärker für die entsprechenden Schulbuchzulassungskriterien zu sensibilisieren und wird diese Kriterien ggf. auch ausweiten. Hierzu findet auf Initiative des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW am 27. Mai 2015 in Düsseldorf eine Tagung LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8520 4 mit dem Titel „Diversity und Migration in Lernmitteln“ statt. Zielgruppe der Fachtagung sind die Gutachterinnen und Gutachter aller Fächer aller Schulformen und die Vertreterinnen und Vertreter der Schulbuchverlage. Die Durchführung obliegt der Medienberatung NRW. Das Georg-Eckert-Institut ist maßgeblich beteiligt.