LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8670 13.05.2015 Datum des Originals: 13.05.2015/Ausgegeben: 19.05.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3287 vom 2. April 2015 der Abgeordneten Yvonne Gebauer und Ingola Schmitz FDP Drucksache 16/8346 Warum sind Rechtschreibkenntnisse von Grundschulkindern der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern wichtiger als Rot-Grün in NRW? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3287 mit Schreiben vom 13. Mai 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Bereich der Rechtschreibkenntnisse bestehen bei vielen Grundschülern Defizite. Hierfür wird von Elternseite, aber auch von unterschiedlichen Lehrerverbänden u.a. auch die Methodenwahl verantwortlich gemacht. Genannt werden hierbei insbesondere die Methode „Lesen durch Schreiben“ bzw. hieraus abgeleitete Methoden, in denen Rechtschreibfehler lange Zeit explizit nicht korrigiert werden (und/ oder die Arbeit mit Anlauttabellen). Selbstverständlich ist die Methodenkompetenz der Lehrkräfte ein herausragend wichtiges Gut. Allerdings sind diesbezügliche Methoden in der Wissenschaft ausgesprochen umstritten. So wird z.B. kritisiert , dass einerseits Eltern mit Kindern zuhause intensiv nacharbeiten (müssten), andererseits ein solches Vorgehen besonders auch für Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Elternhäusern hochproblematisch sei, da dort eine entsprechende Begleitung oftmals nicht möglich wäre. Von Unterstützern dieser Methodik wurde hierbei in der Landtagsanhörung eingewandt, dass z.B. die „Reinform“ gar keine Anwendung in NRW fände – interessanterweise wurde diese Aussage zeitnah öffentlich aber wieder in Frage gestellt (wobei es im Übrigen auch um abgeleitete Methoden geht). Da mangelnde Rechtschreibkenntnisse sowohl für die weitere Schullaufbahn als auch für das gesamte Leben von Bedeutung sind, handelt es sich nicht nur um ein Problem der Schulzeit, sondern sie können langfristig Lebenschancen verbauen. Die FDP-Fraktion hatte daher in einem Antrag gefordert, an den nordrhein-westfälischen Grundschulen zu erheben, ob und wo „Lesen durch Schreiben“ und hieraus abgeleitete Methoden über welchen durchschnittlichen Zeitraum angewandt werden. Darüber hinaus hatten die Freien Demokraten die rot-grüne Landesregierung aufgefordert, eine wissenschaftliche Untersuchung vorzunehmen, um eine empirisch fundierte Einschätzung zum Misserfolg oder Erfolg dieser Methoden zu LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8670 2 erhalten. Grüne und SPD haben eine solche wissenschaftliche Überprüfung strikt abgelehnt. Bestehende Probleme wurden von Rot-Grün offenkundig als nicht so gravierend bewertet. Inzwischen hat sich die Kultusministerkonferenz darauf verständigt, dass im IQBLändervergleich für die 4. Klasse auch die Rechtsschreibkenntnisse getestet werden sollen. Während Rot-Grün in NRW Probleme bei der Rechtschreibung unlängst noch weitgehend bestritten und eine Untersuchung verweigert hatte, scheint die Kultusministerkonferenz inzwischen also deutlich weiter zu sein (nach den rot-grünen Ausführungen in den Debatten ist zumindest zu vermuten, dass NRW wahrscheinlich nicht die treibende Kraft hinter dieser KMK-Entscheidung gewesen ist). Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit mit einem solchen, grundsätzlich zu begrüßenden Ländervergleich auch Fragen der wissenschaftlich fundierten Methodenwahl erfasst werden. Bereits vor der genannten Entscheidung der KMK war einem Zeitungsartikel aus der FAZ vom 24.02.2015 zu entnehmen, dass der zuständige Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD) in Mecklenburg-Vorpommern Rechtschreibprobleme offensichtlich deutlich kritischer als RotGrün in NRW bewertet. In Mecklenburg-Vorpommern erreichten demnach laut Vergleichsarbeiten (VERA) mehr als ein Drittel der Kinder nicht einmal den Mindeststandard der Kultusministerkonferenz . Weitere rund 26 Prozent entsprachen zwar dem Mindeststandard, verfehlten laut Artikel aber den Regelstandard. Der SPD-Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern scheint laut Artikel deutlich weitergehende Fragen zu unzureichenden Rechtschreibkenntnissen von Schülerinnen und Schülern zu haben als dies bei Rot-Grün in NRW der Fall ist. Er plant demnach eine, auch von den Freien Demokraten in NRW geforderte Untersuchung, die Rot-Grün jedoch verweigert hat. In dem genannten Artikel heißt es hierzu: „Der zuständige Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD) will nach diesem Ergebnis wissenschaftlich untersuchen lassen, nach welcher Methode die Grundschüler jeweils unterrichtet wurden. Sollten die Schüler mit lautgerechtem Schreiben ohne Beachtung von Rechtschreibregeln signifikant schlechter abschneiden, werde man entscheiden, ob die Methode weiterhin unterrichtet werden könne, sagte er dieser Zeitung.“ Diese Ankündigung würde – wenn sie in dieser Form umgesetzt wird – offensichtlich über den KMK-Ländervergleich hinausreichen. Auch scheint bei dieser Frage eine zumindest kritischere Betrachtung auf Seiten der Landesregierung von MecklenburgVorpommern bezüglich der diesbezüglichen „Wirksamkeit“ der Vergleichsarbeiten vorzuliegen . Während Ministerin Löhrmann in den Debatten auf die zentralen Lernstandserhebungen als sozusagen „ausreichende Kontrollinstanz“ verwies und weitere wissenschaftliche Untersuchungen ablehnte, erklärte interessanterweise die Landesregierung MecklenburgVorpommern : „Vera ist somit kein Instrument, mit dem das Erreichen der Lernziele überprüft werden kann.“ Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum eine umfassende, wissenschaftliche Überprüfung bei Rot-Grün derartige Abneigung auslöst, wenn offenkundig überhaupt keine Probleme gesehen werden. Da Rot-Grün in NRW die von der FDP geforderte wissenschaftliche Untersuchung verweigert, diese aber nun offenbar laut Pressemeldung in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt werden soll, ist es wichtig zu erfahren, ob Rot-Grün weiterhin keinen weitergehenden Handlungsbedarf in dieser Frage sieht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8670 3 Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung weist die Unterstellung, Rechtschreibkenntnisse von Schülerinnen und Schülern wären ihr nicht wichtig, zurück. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen betont in den Richtlinien und Lehrplänen für die Grundschule ausdrücklich die Bedeutung orthografischer Richtigkeit der von Schülerinnen und Schüler geschriebenen Texte. Der Unterricht in der Grundschule zielt darauf ab, Schülerinnen und Schülern möglichst früh zum Schreiben eigener Texte zu motivieren und gleichzeitig von Beginn an die notwendigen Rechtschreibkenntnisse zu vermitteln, um sie auch zum orthografisch richtigen Schreiben anzuleiten. 1. Wie bewertet die Landesregierung unter besonderer Betrachtung leistungsschwä- cherer Schülerinnen und Schüler auf der Basis bisheriger VERA-Daten die dort ermittelten Rechtschreibkenntnisse nordrhein-westfälischer Schülerinnen und Schüler? Lernstandserhebungen sind ein pädagogisches Diagnoseverfahren zur Feststellung, über welche fachlichen Kompetenzen die Schülerinnen und Schüler verfügen. Lehrkräfte erhalten damit wichtige Hinweise zu Stärken und Schwächen ihrer Lerngruppe. Für die landesweite Bewertung der Kenntnisse von Schülerinnen und Schülern sind Lernstandserhebungen aufgrund ihrer Zielsetzung sowie konzeptionellen und testmethodischen Gestaltung ungeeignet. Die landesweiten Ergebnisse der Vergleichsarbeiten stehen im Internet zur Verfügung. http://www.schulentwicklung.nrw.de/vera3/upload/mat_2014/ErgebnisberichtNordrheinWestf alen_2014.pdf. Die Ergebnisse der einzelnen Aufgaben des Inhaltsbereichs Orthografie zeigen , dass in den einzelnen Klassen eine differenzierte Analyse der Fehlerschwerpunkte und die Prüfung der Schreibung im Hinblick auf Fehlerstellen von großer Bedeutung sind. Es obliegt den professionell arbeitenden Lehrkräften vor Ort, auf Basis der VERA-Daten zu bewerten , ob im Unterricht gewählte Methoden zum Ziel geführt haben. 2. Wie bewertet die Schulministerin unter Beachtung der Aussagen der Landes- regierung von Mecklenburg-Vorpommern ihre diesbezügliche Einschätzung zu den Vergleichsarbeiten als diesbezüglich ausreichendes Erhebungsinstrument? Die Vergleichsarbeiten stellen ein ausreichendes Erhebungsinstrument dar, um entsprechend ihrer Zielsetzung Lehrkräften differenzierte Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit dem Lernstand ihrer Schülerinnen und Schüler differenziert auseinander zu setzen. 3. Warum wehrt sich die rot-grüne Landesregierung laut Pressemeldungen offen- sichtlich im Gegensatz zum Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern so massiv gegen eine wissenschaftliche Erhebung, nach welchen Methoden an Grundschulen genau unterrichtet wird? 4. Warum traut sich die rot-grüne Landesregierung nicht, eine wissenschaftliche Er- hebung zu den tatsächlichen Erfolgen unterschiedlicher Methoden zum Erlernen des korrekten Schreibens – wie in Mecklenburg-Vorpommern angekündigt – in NRW durchzuführen? Die Fragen drei und vier werden aufgrund ihres inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8670 4 Eine Landtagsanhörung im Ausschuss für Schule und Weiterbildung am 7.5.2014 hatte zum Ergebnis, dass der Unterricht zum Erwerb der Schriftsprache in der Regel nicht nach einer einzelnen Rechtschreibmethode in Reinform erfolgt. Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler könnten deshalb kaum einer einzelnen Methode zugeschrieben werden. Es ist zudem nicht Ziel der Landesregierung, Lehrkräften bestimmte Unterrichtsmethoden vorzuschreiben . Vor diesem Hintergrund werden in Nordrhein-Westfalen derartige wissenschaftliche Erhebungen zu isolierten Rechtschreibmethoden wegen der begrenzten Aussagekraft sowie der zu erwartenden Kosten und der Belastung von Schulen nicht durchgeführt. 5. Warum verweigert sich die rot-grüne Landesregierung einem Mehr an – auch wis- senschaftlich ermittelter – Transparenz, wenn es von Eltern, Schulkollegien und Lehrerverbänden vielfältige kritische Rückmeldungen zu deutlichen Rechtschreibdefiziten in NRW gibt? Im Jahr 2009 hatte das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) bereits die orthografischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in Klasse 8 im Ländervergleich untersucht. Die Landesregierung unterstützt ausdrücklich, dass im Rahmen des IQBLändervergleichs 2016 erstmalig auch das Erreichen der Bildungsstandards für den Kompetenzbereich Rechtschreibung am Ende der Jahrgangsstufe 4 überprüft wird. Dies trägt zu einem Mehr an wissenschaftlicher Transparenz über die Rechtschreibleistungen der Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen bei.