LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8721 19.05.2015 Datum des Originals: 19.05.2015/Ausgegeben: 22.05.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3340 vom 22. April 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/8488 Rechtsunsicherheit für Bauvorhaben durch die Entwässerungsproblematik in Essen – Welche konkreten Verabredungen haben Landesregierung, Bezirksregierung und Stadt Essen insbesondere hinsichtlich der sogenannten Bagatellregelung getroffen? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3340 mit Schreiben vom 19. Mai 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit dem Jahresende 2014 sind eine Reihe von Investoren im Rahmen ihrer Bauprojekte von einer unhaltbaren Rechtsunsicherheit betroffen, nachdem mit einem für die Ruhrregion eher ungewöhnlichen Vorgehen die Bezirksregierung Düsseldorf im November 2014 in der Stadt Essen eine sogenannte Ordnungsverfügung verhängt hat, so dass in weiten Bereichen der südlichen Stadtteile Rüttenscheid, Bredeney und Stadtwald für die Dauer mehrerer Jahre keine neuen Bauvorhaben mehr an die Kanalisation angeschlossen werden dürfen. Ursache dafür ist eine derzeit unzureichende Entwässerungssituation bei Starkregenereignissen. Eilig einberufene Gespräche zwischen Vertretern der Bezirksregierung Düsseldorf und der Verwaltung der Stadt Essen sowie Anfang dieses Jahres 2015 von Seiten der Stadt Essen vorgelegte neue Berechnungen zur entwässerungstechnischen Situation in dem betroffenen Gebiet dienten dazu, die schlimmsten Konsequenzen für die betroffenen Investoren, aber auch die an einer Bevölkerungszunahme interessierte Stadt Essen, abzuwenden. Auch der Fragesteller hat mittels Mündlicher Frage in der Plenarsitzung am 4. Dezember 2014 sowie einer Parlamentsanfrage vom 13. Januar 2015 versucht, Transparenz in das Verfahren und die wesentlichen Grundlagen der Entscheidung in Erfahrung zu bringen. Leider haben sich die rot/grüne Landesregierung, die Bezirksregierung Düsseldorf und die Stadt Essen bislang LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8721 2 an keiner Stelle so verbindlich geäußert, dass Rechtssicherheit im Hinblick auf eine zeitnahe Umsetzung sämtlicher geplanter Baumaßnahmen für die Betroffenen hergestellt werden konnte. Offensichtlich hat sich die Bezirksregierung Düsseldorf aber zwischenzeitlich zur Akzeptanz einer sogenannten Bagatellregelung durchringen können, wie aus vorliegenden Dokumenten zwischen Bezirksregierung und Stadt Essen vom 5. März 2015 sowie Landtagsdrucksachen zu entnehmen ist. In dem erwähnten Schriftwechsel führt die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber dem Oberbürgermeister der Stadt Essen unter anderem aus: „(…) Ihrerseits können eigenverantwortlich in Anlehnung an Ihren Vorschlag Bauvorhaben zugelassen werden. Ich gehe davon aus, dass die Anzahl der Vorhaben Ihrerseits auf ein absolut erforderliches Maß beschränkt wird. (…)“ Es handelt sich dabei aber nicht um eine tatsächlich rechtlich gesicherte Regelung, auf die sich Betroffene verbindlich verlassen können, sondern lediglich um ein vage angedeutetes Entgegenkommen der zuständigen Behörde. Laut mündlicher Auskunft der Stadt Essen, konkret der Koordinierungsstelle Entwässerung, gegenüber Essener Bürgern wird die Bagatellregelung derzeit offenbar wie folgt gehandhabt: Die (Neu-) Bebauung pro Bauantrag – also unabhängig von der davon berührten Anzahl von Grundstücken – darf in Bezug auf das Niederschlagswasser + 250 qm überbaute Fläche (das heißt befestigte Fläche, Dachflure, Terrassen) und Schmutzwasser 20 Wohneinheiten, also etwa 46 Personen, nicht übersteigen. Um hier eine rechtsverbildliche Situation für die betroffenen Investoren zu schaffen, die ein Wohngebiet in guter Lage auf dem Gebiet der Stadt Essen mit dringend benötigtem neuen Wohnraum entwickeln möchten, ist es angeraten, durch eine eindeutige und transparente Auskunft seitens der verantwortlichen Landesbehörden endlich Klarheit in die bislang von Verunsicherung geprägte Problemlage zu bringen. 1. Wie stellt sich der genaue Sachverhalt zum vorstehend geschilderten Vorgang aktuell, bitte unter Bekanntgabe sämtlicher schriftlicher wie mündlicher Verfügungen und Absprachen ab November 2014, im einzelnen dar (Wortlaut aller Anordnungen erbeten) ? Gegen die Stadt Essen ergingen mit Datum vom 26.03.2015 (Az.: 54.07.04.08 - verschiedene ) vier Ordnungsverfügungen. Hierbei handelt es sich um Ordnungsverfügungen für die Einleitungen von Mischwasser aus den Regenüberläufen Birkenstraße, Gönterstraße / Im Walpurgistal und Walpurgistal / Kleingartenanlage sowie dem Regenüberlaufbecken Im Walpurgistal / Sperberstraße. Die Einleitungen entsprechen nicht den wasserwirtschaftlichen Anforderungen des § 57 WHG. Daher bestehen bereits seit Jahren Ordnungsverfügungen; die o.g. Verfügungen hatten insbesondere eine Verlängerung der Sanierungsfrist zum Ziel. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8721 3 Die Ordnungsverfügungen enthalten folgende Nebenbestimmungen: 5.1 Das im Zuge der städtebaulichen Entwicklung in Essen-Rüttenscheid und EssenRellinghausen zusätzlich anfallende Schmutz- und Niederschlagswasser darf erst nach gänzlicher Inbetriebnahme des Qmax – Sammlers Sankt Annental über das öffentliche Kanalnetz abgeführt werden. Die entwässerungstechnische Erschließung dieser Gebiete ist z.Zt. nicht gesichert. 5.2 Es ist sicherzustellen, dass aus dem derzeit angeschlossenen Entwässerungsgebiet keine Stoffe eingeleitet werden, die geeignet sind, den biologischen, chemischen und physikalischen Zustand des Gewässers über das zurzeit unvermeidbare Maß (keine Erhöhung der Schmutzfracht) hinaus negativ zu beeinflussen. Ein Anschluss weiterer abflusswirksamer Flächen ist unzulässig. Die Nebenbestimmung 5.1 verfügt, dass größere Bauvorhaben, die im Zuge der städtebaulichen Entwicklung in Essen-Rüttenscheid bzw. Rellinghausen geplant sind, erst nach Fertigstellung der Sanierungsmaßnahme des Qmax – Sammlers Sankt Annental bzw. nach Unterlassen der Einleitungen abwassertechnisch erschlossen werden dürfen. Nach meiner Kenntnis handelt es sich um sieben Vorhaben (Bebauungspläne in der Aufstellung). Die Nebenbestimmung 5.2 stellt sicher, dass das Gewässer, hier der Rellinghauser Mühlenbach , zum einen durch den Anschluss zusätzlicher abflusswirksamer Flächen und zum anderen durch das Abwasser zusätzlicher Einwohner/-innen nicht weiter negativ beeinflusst wird. Diese Nebenbestimmung ist regelmäßig Inhalt ergehender Ordnungsverfügungen und auch der Stadt Essen seit Jahren bekannt. Entsprechend war sie auch in den vorherigen Ordnungsverfügungen, mit Ausnahme des neu aufgenommenen Zusatzes „Ein Anschluss weiterer abflusswirksamer Flächen ist unzulässig“, enthalten. Entgegen den Ausführungen in der Kleinen Anfrage handelt es sich daher keinesfalls um eine „ungewöhnliche Vorgehensweise der Bezirksregierung Düsseldorf“. Die Ordnungsverfügungen führen also dazu, dass die Größe der befestigten Fläche in den Einzugsgebieten der Regenüberläufe bzw. des Regenüberlaufbeckens zurzeit nicht erhöht werden darf. Um die städtebauliche Entwicklung im Bereich Essen-Rüttenscheid / Rellinghausen dennoch nicht vollständig zu blockieren, wurde bereits im Anhörungsverfahren gem. § 28 VwVfG NRW die Reichweite der Nebenbestimmungen 5.1 und 5.2 festgelegt. Diesbezüglich fand am 08.12.2014 eine Besprechung der Bezirksregierung Düsseldorf mit der Stadt Essen statt. Zu folgenden Punkten wurden im Nachgang Entscheidungen getroffen : - Die Stadt Essen konnte der Bezirksregierung Düsseldorf anhand von Berechnungen , die mir am 17.12.2014 vorgelegt wurden, für vier Bauvorhaben gem. § 30 und § 34 BauBG - Vorhaben innerhalb rechtsverbindlicher Bebauungspläne bzw. innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile - nachweisen, dass der Rellinghauser Mühlenbach durch die Realisierung nicht zusätzlich mit Mischwasser bzw. Schmutzfracht belastet wird. Der Nachweis erfolgte durch den Vergleich von wasserwirtschaftlich relevanten Daten (Flächen- und Einwohnerwerten / Abflusskennwerten ) zwischen dem Ist-Zustand und dem Prognose-Zustand. Die Daten wurden von der Bezirksregierung auf Plausibilität geprüft. Der sogenannte „Verschlechterungsnachweis “ ist nachvollziehbar. Der Nachweis erfolgte für die Vorhaben Fabri- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8721 4 ca Italiana (Müller-Breslaustraße), Weltzien-Pattberg (Veronikastraße 21 – 29), Hopf-Messeparkplatz (Veronikastraße) und Wittenbergstraße 10 – 12 und wurde mit Schreiben vom 05.03.2015 (s. Anlage) anerkannt. - Zusätzlich wurde von der Stadt Essen eine sogenannte „Bagatellgrenze“ vorgeschlagen , um die Reichweite der Nebenbestimmung 5.2 festzulegen. Vorgeschlagen wurde, dass alle Vorhaben mit einer Größe von bis zu 20 Wohneinheiten (entspricht 42 Einwohnern) und / oder 250 m2 zusätzlicher abflusswirksamer Fläche realisiert werden dürfen. Das Schreiben mit der Zustimmung zur Anwendung der Bagatellgrenze erfolgte ebenfalls mit Schreiben der Bezirksregierung vom 05.03.2015. - Ferner wurde von der Bezirksregierung mit Schreiben vom 05.03.2015 schriftlich klargestellt, dass Dachausbauten im Bestand aufgrund ihrer fehlenden bzw. vernachlässigbaren Relevanz für die Abwassermenge unproblematisch sind. Eine Festlegung in den Ordnungsverfügungen wurde von der Bezirksregierung als entbehrlich erachtet. 2. Wie setzen Landesregierung, Bezirksregierung Düsseldorf und Stadt Essen je- weils die seitens der Bezirksregierung im Schreiben vom 5. März 2015 gewählte Formulierung „Ich gehe davon aus, die Anzahl der Vorhaben Ihrerseits auf ein absolut erforderliches Maß beschränkt wird“ in konkrete Vorgaben für den praktischen Verwaltungsalltag um bzw. interpretieren sie diese? Dem Vorschlag der Stadt Essen, eine sogenannte Bagatellgrenze zur Realisierung kleinerer Bauvorhaben anzuwenden - Baulückenschließung und Ausbauten im Bestand - konnte die Bezirksregierung zustimmen. Seitens der Bezirksregierung erfolgte eine vereinfachte Berechnung der zusätzlich anfallenden Schmutz- und Niederschlagswassermengen bzw. der Mischwassermengen. Diese Mengen wurde von der Bezirksregierung als unwesentlich eingestuft (QM,max = 2,5 l/s). Da seitens der Stadt zunächst keine Angaben zur Anzahl dieser „kleineren Bauvorhaben“ gemacht wurden, hat die Bezirksregierung eine Aufstellung möglicher Vorhaben von der Stadt angefordert. Diese Aufstellung wurde beispielhaft für das Einzugsgebiet des Regenüberlaufs Birkenstraße (AE,k = 140 ha) durch Auswertung des Baulückenkatasters vorgelegt. Für 11 Vorhaben wurden Datenblätter sowie ein Übersichtslageplan zur Verfügung gestellt. Seitens der Stadt ist jeweils eine Einzelfallprüfung auf Einhaltung der vereinbarten Regelungen (Bagatellgrenze) vorgesehen. Dies wird durch den Vergleich von wasserwirtschaftlich relevanten Daten (Flächen- und Einwohnerwerten / Abflusskennwerten) zwischen dem IstZustand und dem Prognose-Zustand erfolgen. Der Stadt liegen aktuell keine Anträge bzw. Bauvoranfragen vor. Ferner rechnet sie nicht mit einer zeitnahen Bebauung aller verfügbaren Baulücken. Die Bezirksregierung Düsseldorf beabsichtigt, sich bis zur Fertigstellung des Qmax – Sammlers Sankt Annental seitens der Stadt Essen in den jährlich stattfindenden Austauschgesprächen über den Umsetzungszustand der einzelnen Vorhaben bzw. die Anwendung der Bagatellgrenze berichten zu lassen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8721 5 3. In welcher Weise genau wird die sogenannte Bagatellgrenze seitens der Stadt Essen nun konkret angewandt (bitte Wortlaut der Bagatellgrenze beifügen)? Die Stadt Essen wird im Einzelfall Bauvorhaben zulassen bzw. genehmigen, wenn nicht mehr als 20 Wohneinheiten, dies entspricht 42 Einwohnern, und / oder 250 m2 zusätzlicher abflusswirksamer Fläche realisiert werden. 4. Welche repräsentativen Zahlenbeispiele liegen Landesregierung oder Bezirksre- gierung Düsseldorf zur Anwendung der sogenannten Bagatellgrenze vor, aus denen hervorgeht, welche praktischen Grenzen Investoren gesetzt werden? Praktische Zahlenbeispiele wurden der Bezirksregierung durch die Stadt Essen durch Auswertung des Baulückenkatasters vorgelegt. Wie oben ausgeführt, liegen der Bezirksregierung , beispielhaft für das Einzugsgebiet des Regenüberlaufs Birkenstraße, Datenblätter mit Bestandsdaten (Fläche, Versiegelungsgrad usw.) vor. Im Zuge der Erteilung der Baugenehmigung wird die Stadt Essen diese Größen unter Anwendung der Bagatellgrenze für jedes einzelne Vorhaben festlegen. Eine Überprüfung durch Vorlage der Baugenehmigung bei der Bezirksregierung Düsseldorf ist nicht vorgesehen. 5. Wie lange noch wird nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand die Bagatellklau- sel ohne Einschränkungen weiter zur Anwendung kommen? Die Stadt Essen ist gehalten, die Bagatellgrenze bis zur Inbetriebnahme des Qmax – Sammlers Sankt Annental bzw. bis zur Unterlassung der Mischwassereinleitungen in den Rellinghauser Mühlenbach anzuwenden.