LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/876 13.09.2012 Datum des Originals: 12.09.2012/Ausgegeben: 18.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 330 vom 11. August 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/614 Regressforderungen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wiederholungswahl in Dortmund aufgrund der Haushaltslüge – Wie verhält sich die Landesregierung im Vorfeld des drohenden Rechtsstreits? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 330 mit Schreiben vom 13. September 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bereits am 15. Dezember 2011 hat das OVG Münster entschieden, dass die Wahl zum Dortmunder Stadtrat vom 30. August 2009 wiederholt werden muss. Da das OVG-Urteil mittlerweile rechtskräftig ist, findet am 26. August 2012 ein erneuter Urnengang für den Stadtrat statt. Der Dortmunder Stadtrat hat von sich aus im Dezember 2009 seine Neuwahl beschlossen aufgrund von „Unregelmäßigkeiten, die Einfluss auf das Wahlergebnis hatten.“ SPDRatsmitglieder sind rechtlich gegen diese Mehrheitsentscheidung vorgegangen und haben die Auseinandersetzung nun vor dem OVG Münster letztinstanzlich verloren. Hintergrund der Auseinandersetzung ist der in der Dortmunder Öffentlichkeit regelmäßig als „Haushaltslüge“ und „Wahlbetrug“ bezeichnete Sachverhalt, dass der frühere Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer und Kämmerin Dr. Christiane Uthemann wenige Tage vor der 2009er Kommunalwahl bestritten haben, dass der laufende Haushalt nicht für den tatsächlichen städtischen Finanzbedarf ausreiche. Nur einen Tag nach der Kommunalwahl, nämlich am 31. August 2009, haben Langemeyer und Uthemann die Öffentlichkeit aber über einen Fehlbetrag von rund 100 Millionen Euro im Stadthaushalt informiert und deshalb eine Haushaltssperre angekündigt. Das aktuelle OVG-Urteil ist eine große Genugtuung für die Mehrheit der Ratsmitglieder, die sich mit ihrer damaligen Entscheidung gegen wahrheitswidrige Desinformationspolitik seitens LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/876 2 der Stadtspitze gestellt haben. So hat beispielsweise die Dortmunder FDP-Ratsfraktion das OVG-Urteil, das die Rechte des Rates stärkt, als „Sieg für die Demokratie“ bezeichnet. In ungewöhnlicher Klarheit bewertet der Vorsitzende OVG-Richter und Vizepräsident Dr. Dieter Kallerhoff in seiner Urteilsbegründung zu Recht die unfassbaren seinerzeitigen Vorgänge als „gesetzeswidrig“ sowie „undemokratisches Informationsverhalten“ und führt zur Vorenthaltung der wahlkampfrelevanten Informationen sowie zum Stellenwert der Wahrheit in einer Demokratie laut dpa-Meldung vom 15. Dezember 2011 folgendes aus: „Es geht hier nicht um einen kleinen, unbedeutenden Fall. Dies ist eine Operation am Herzen der Demokratie. Es geht um die grundsätzliche Frage: Welche Wahrheit erfordert unsere Demokratie?“ Die von der Dortmunder Ratsmehrheit klar begrüßte OVG-Entscheidung wirft für den weiteren Umgang mit dieser Thematik bei den betroffenen Kommunalpolitikern eine Reihe von Fragen auf. Medienberichten zufolge hat die Stadt Dortmund unlängst ein Gutachten bei einer renommierten Anwaltskanzlei in Auftrag gegeben, das für die Stadt Dortmund gute Chancen für eine rechtliche Handhabe sieht, die für die Wahltäuschung hauptsächlich verantwortlichen Wahlbeamten Ex-OB Gerhard Langemeyer sowie Kämmerin Christiane Uthemann für die Kosten der zusätzlichen Wahldurchführung auch persönlich in Regress zu nehmen. Das Rechtsgutachten hält die persönliche Erstattungspflicht für alle Mehraufwendungen im Zusammenhang mit der Dortmunder Wiederholungswahl für geboten, da den beiden Protagonisten unzweifelhaft eine vorsätzliche Dienstpflichtverletzung anzulasten sei. Hieraus resultiere ein Schadensersatzanspruch, der vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist geltend zu machen sei. Dr. Uthemann ordnete einen Tag nach der Kommunalwahl, also am 31. August 2009, die am 11. August 2009 mit Dr. Langemeyer zusammen entschiedene Haushaltssperre formal an, für die ihr bereits vom Dortmunder Kämmereileiter am 17. August 2009 ein Textentwurf vorgelegt worden ist. Der dann im Oktober 2009 in den Dortmunder Stadtrat eingebrachte Nachtragshaushalt benennt einen Fehlbetrag von 155,8 Mio. Euro; das Jahresergebnis 2009 weist einen tatsächlichen Fehlbetrag von 139 Mio. Euro auf und übertrifft damit den bereits kalkulierten Fehlbedarf um 112 Mio. Euro. Die Bezirksregierung Arnsberg widersprach in der weiteren Folge der Gültigkeit sämtlicher Wahlhandlungen der Kommunalwahl, und auch der Stadtrat hat aufgrund „unzulässiger Wahlbeeinflussung“ OB-Wahl und Ratswahl infolge der unzulässigen Wahlbeeinflussung für ungültig erklärt. Aufgrund der Einmaligkeit dieser absichtlichen Verfehlungen im Amt bei der offenkundigen Wählertäuschung gibt es für die Causa Langemeyer / Uthemann keinen vergleichbaren Präzedenzfall. Die Landesregierung kann mit ihren nachgelagerten Behörden auch in der Verantwortung der Kommunalaufsicht diese einmaligen Vorgänge in Dortmund nicht ignorieren. Für den Landtag besteht aufgrund der dargestellten Vorkommnisse das große Informationsinteresse, welche vollständigen Konsequenzen sich in rechtlicher, finanzieller und prozeduraler Hinsicht aus dem obigen OVG-Urteil insgesamt ergeben. Die Landesregierung sollte daher vollständig darlegen, über welche Erkenntnisse sie zu den dargestellten Regressforderungen verfügt und welche diesbezüglichen Handlungen nun aus ihrer Sicht und der fachlichen Bewertung der Kommunalaufsicht geboten sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/876 3 1. Wie bewerten die Landesregierung und ihre nachgeordneten Behörden jeweils im Einzelnen die Feststellungen in dem seitens der Stadt Dortmund in Auftrag gegebenen Gutachten zu Schadensersatzansprüchen gegen die beiden Wahlbeamten? 2. Welche einzelnen weiteren Schritte der Stadt Dortmund zur Durchsetzung der Regressforderungen werden von Seiten der Landesregierung und Kommunalaufsicht für geboten (bzw. nicht geboten) erachtet und daher unterstützt (bzw. unterbunden)? 3. Welche fachlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Einwände haben Landesregierung und Kommunalaufsicht gegen ein konsequentes Vorgehen der hochverschuldeten Stadt Dortmund zur Realisierung ihrer Schadensersatzansprüche gegenüber den beiden Wahlbeamten? Mögliche Ersatzansprüche der Stadt Dortmund gegen den früheren Oberbürgermeister der Stadt Dortmund Herrn Dr. Langemeyer sowie die frühere Kämmerin der Stadt Dortmund Frau Dr. Uthemann aus Anlass der Wiederholung der Kommunalwahl 2009 können der Stadt Dortmund als frühere Dienstherrin zustehen, sind von dieser zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. Die Landesregierung sieht keinen Anlass, hierzu von der Stadt Dortmund in Auftrag gegebene Gutachten zu bewerten oder der Stadt Dortmund Vorgaben zur Durchsetzung möglicher Rechtsansprüche zu machen. 4. Wie hoch ist das Volumen der durch die Wiederholungswahl verursachten Mehrkosten in etwa sachgerecht zu beziffern? (bitte Kalkulationsgrundlage detailliert darstellen) Für die Durchführung von Kommunalwahlen sind die Kommunen eigenverantwortlich zuständig. Die dabei anfallenden Kosten trägt jede Kommune selbst. Dies gilt auch für die am 26.08.2012 durchgeführte Wiederholung der Wahl des Rates der Stadt Dortmund sowie der Wahl von elf Bezirksvertretungen. Die Landesregierung verfügt über keine eigenen Erkenntnisse über die Kosten dieser Wahl. Nach eigener Pressemitteilung der Stadt Dortmund (Medieninformation 1.564 vom 21.08.2012) wurde der Schaden auf 60.698,83€ beziffert. Der Bezirksregierung Arnsberg ist mit Schreiben der Stadt Dortmund vom 21.08.2012 eine Kostenzusammenstellung übersandt worden. Die Kostenzusammenstellung wurde von der Bezirksregierung in tatsächlicher Hinsicht nicht überprüft. Rechtlich war die auf dieser Kostenzusammenstellung beruhende Schadensberechnung - bis auf einige noch abzuklärende Details - von der Bezirksregierung Arnsberg nicht zu beanstanden. 5. Welche Handlungen seitens der Stadt Dortmund müssen im einzelnen bis zu den dafür einschlägigen Stichtagen erfolgen, damit die Stadt nicht aufgrund von Formmängeln oder Verfristung einen dem Grunde nach denkbaren Zahlungsanspruch prozedural verwirkt? Es ist nicht Aufgabe der Kommunalaufsichtsbehörden, eine Verfahrensplanung zur Durchsetzung möglicher Zahlungsansprüche der Stadt Dortmund gegen den früheren Oberbürgermeister der Stadt Dortmund Herrn Dr. Langemeyer sowie die frühere Kämmerin der Stadt Dortmund Frau Dr. Uthemann zu erstellen. Auch insoweit beabsichtigt die Landesregierung deshalb nicht, der Stadt Dortmund Vorgaben zur Durchsetzung möglicher Rechtsansprüche zu machen (siehe bereits Antwort zu Fragen 1 bis 3).