LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8782 27.05.2015 Datum des Originals: 26.05.2015/Ausgegeben: 01.06.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3342 vom 21. April 2015 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/8490 Welche Folgen haben die unzureichenden personellen Ressourcen für Flüchtlingskinder im Schulbereich? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3342 mit Schreiben vom 26. Mai 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit , Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aus vielen Schulen erreichen uns Klagen darüber, dass die vom Land bereitgestellten Lehrerressourcen für die Beschulung der steigenden Anzahl von Flüchtlingskindern nicht ausreichen. Die Landesregierung hat in Antworten in diesem Zusammenhang wiederholt auf die bereits seit Jahren bestehenden 3.000 Integrationsstellen verwiesen. Schulen und Verbände erklären jedoch, dass die Ressourcen nicht ausreichen und aufgrund fehlender Mittel für diese wichtige Aufgabe an anderer Stelle Lehrerressourcen „umgewidmet“ werden müssten ; mit der Folge, dass die zuvor für diese Lehrerstellenanteile vorgesehenen Aufgaben nicht mehr erfüllt werden könnten. Zwar hat die Landesregierung erfreulicherweise mit dem letzten Haushalt 300 (310) weitere Stellen für die wichtige Aufgabe der Beschulung von Flüchtlingskindern bereitgestellt. Aus Sicht vieler Schulen sind die Ressourcen dennoch unzureichend. Auch hatte die Landesregierung im Zuge einer Haushaltsnachfrage der FDP bereits am 22. Oktober 2014 (Vorlage 16/2311) erklärt: „Nach dem Erlass ,,Vielfalt gestalten- Teilhabe durch Integration und Bildung ; Verwendung von Integrationsstellen" vom 29.6.2012 beträgt die Laufzeit der Vorhaben und damit verbunden die Vergabe der Stellen in der Regel zwei Jahre. Für das Schuljahr 2014/2015 gab es demnach keine Antragsrunde. Vielmehr läuft derzeit die Antragstellung für das Schuljahr 2015/2016. Beim letzten Antragsverfahren für das Schuljahr 2013/2014 gab es Anträge für Vorhaben im Umfang von 3.475 Stellen. Den fünf Bezirksregierungen standen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8782 2 2.965 der 3.000 Stellen für Integration durch Bildung für den unterrichtlichen Mehrbedarf zur Verfügung.“ Legt man diese damals genannten Zahlen zugrunde, dürften selbst die zusätzlichen 300 Stellen nicht auskömmlich sein. Es ist ebenfalls auffällig, dass die Landesregierung z.B. 2013 noch erklärt hatte, dass für eine entsprechende Lerngruppe von i.d.R. 15 Kindern eine halbe LehrersteIle zur Verfügung stehe (siehe z.B. Vorlage 16/1120). Im Jahr 2014 hieß es jedoch, dass für eine Lerngruppe von ca. 15 - 18 Kindern /Jugendlichen i.d.R. eine halbe LehrersteIle zur Verfügung stehe (siehe Vorlage 16/2311 oder Drucksache 16/7454). Hier stellt sich die Frage, ob sich also die Schüler-Lehrer-Relation und damit die Förderbedingungen für Flüchtlingskinder schrittweise verschlechtert haben. In Rückmeldungen aus Kommunen wird darüber hinaus beklagt, dass die Landesregierung generell „den Lehrerstellenschlüssel für Seiteneinsteigerklassen von 1.0 auf 0.5 senke“. Diese Kritik an sich verschlechternden Förderbedingungen scheint insofern nicht unbegründet, als dass z.B. in dem Erlass „Vielfalt gestalten – Teilhabe und Integration durch Bildung; Verwendung von Integrationsstellen“ von „bis zu 1,0 Integrationsstellen“ die Rede ist. Auch wenn „bis zu“ natürlich nicht 1,0 bedeutet, ist es auffällig, dass es z.B. im rot-grünen Änderungsantrag zum Haushaltsgesetz 2015 dann explizit heißt: „Für eine Klasse werden 0,5 Stellen benötigt.“ Darüber hinaus heißt es z.B. in Vorlage 16/2311, dass die Bezirksregierungen zusätzlich die Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für individuelle Förderung nutzen würden. Da diese 4.000 in der Regierungszeit der FDP und der CDU geschaffenen Stellen eigentlich der individuellen Förderung aller Kinder und Jugendlichen zugutekommen sollten , stellt sich die Frage, ob sich durch die unzureichende Ressourcenbereitstellung bzw. bis zu einem gewissen Grad „Umwidmung“ von Lehrerstellen durch die Landesregierung nicht die Förderbedingungen aller Schülerinnen und Schüler verschlechtern. Auch hat die Landesregierung „haushalterische Zusammenfassungen“ von Stellen vorgenommen . So heißt es z.B. auf der Seite des MSW unter der Rubrik „Integrationsstellen“: „Ab dem Schuljahr 2015/16 werden im Haushalt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung erstmalig Stellen zur Teilhabe und Integration durch Bildung (Integrationsstellen) und Stellen für Sprachförderung in den Klassen 5 und 6 in Hauptschulen und in Gesamt- und Sekundarschulen in einer Haushaltsstelle zusammengeführt. Dabei werden die Verfahren zur Vergabe harmonisiert. Ziel ist es, ein in sich kohärentes Gesamtkonzept durchgängiger Sprachbildung in allen Schulformen zu verankern. Dabei wird durchgängige Sprachbildung für alle Kinder und Jugendlichen angeboten, unabhängig davon, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Dies war auch bisher der Fall, wurde jedoch lediglich bei den Stellen für Gesamtschulen und Hauptschulen explizit formuliert. Insgesamt geht es auch um mehr Transparenz und um die Vermeidung von Doppelförderung.“ Hier stellt sich die Frage, ob hier nicht auch eine „Zusammenfassung“ von Stellen vorgenommen wird, so dass im Ergebnis schließlich die Stellen für ursprüngliche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen, weil im Rahmen eines „kohärentes Gesamtkonzeptes“ Personallöcher an anderer Stelle gestopft werden müssen. So gibt es z.B. bereits jetzt Rückmeldungen von Personalversammlungen, die sich darüber beschweren, dass die Integrationsstellen immer stärker für „Seiteneinsteigerklassen“ genutzt werden müssten, so dass für bisherige „normale“ Sprachförderprojekte an Schulen keine Ressourcen mehr übrig seien. Vorbemerkung der Landesregierung Nach der Zuweisung in eine Kommune besteht auch für Flüchtlingskinder Schulpflicht. Die Bezirksregierungen und die Kommunalen Integrationszentren vermitteln für die Kinder und Jugendlichen einen Platz in einer Schule. Die Landesregierung hat ein hohes Interesse da- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8782 3 ran, dass die Wartezeit bis zum Schulbesuch möglichst gering ist. Dabei ist die steigende Zahl von Flüchtlingskindern und anderen Zuwandererkindern (z. B. aus Südosteuropa) für alle Beteiligten in Kommune, Schulaufsicht und Gesundheitsamt eine besondere Herausforderung . Aufgrund der aktuellen Entwicklungen in den letzten Monaten und der nicht vorhersehbaren Anzahl von Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien oder vergleichbaren Lebenslagen musste vielerorts schnell reagiert werden. Da keine verlässlichen prognostischen Zahlen vorlagen, sind pragmatische Lösungen unerlässlich gewesen, um diesem Personenkreis schnellstmöglich die Chance auf Bildung zu ermöglichen. Die Landesregierung lässt sich vom Grundsatz her leiten, dass jeder junge Mensch das Recht auf schulische Bildung hat. 1. Wie hat sich in den letzten vier Schuljahren – inklusive des laufenden Schuljah- res – die Schüler-Lehrer-Relation bei der Beschulung von Flüchtlingskindern entwickelt? Es gibt keine speziell für Flüchtlingskinder festgelegte Schüler/Lehrer-Relation. Der rechnerische Stellenbedarf einer Schule ergibt sich auf der Grundlage der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz (VO zu § 93 Abs. 2 SchulG). Die Zahl der zur Deckung des normalen Unterrichtsbedarfs erforderlichen Lehrerstellen wird in der Weise berechnet, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler durch die in § 8 Abs. 1 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG jeweils festgesetzte Relation „Schüler je Lehrerstellen“ geteilt wird. Hinzu kommen ggf. noch Mehr- und Ausgleichsbedarfe nach Maßgabe der §§ 9 und 10 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG. Auf dieser Grundlage können den Schulen auch Stellen für den Unterrichtsmehrbedarf für die Einrichtung von Auffang- und Vorbereitungsklassen zugewiesen werden. 2. Da die Landesregierung am 22. Oktober 2014 erklärt hat, dass zum damaligen Zeitpunkt die Antragstellung der Schulen für Integrationsstellen für das Schuljahr 2015/2016 gelaufen sei: Wie viele Stellen wurden inzwischen im Verhältnis zu den bereitstehenden Stellen beantragt (bitte jeweils absolut nach beantragten, genehmigten und zur Verfügung stehenden Stellen aufgeschlüsselt darstellen)? Beantragte Stellen: 5073 Genehmigte Stellen: 3828 Die zusätzlichen 300 Stellen für Kinder und Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien oder vergleichbaren Lebenslagen sind hierin enthalten. Hiervon sind mit Stand vom 10.05.2015 bereits 227 besetzt. 3. Wie bewertet die Landesregierung kritische Rückmeldungen aus Kommunen, wonach die Landesregierung generell „den Lehrerstellenschlüssel für Seiteneinsteigerklassen von 1.0 auf 0.5 senke“? Der Landesregierung ist bekannt, dass Kommunen im Zusammenhang mit dem Zuzug aus Südosteuropa in ihren Prognosen zur Lehrerstellenberechnung mit einer Lehrerstelle pro Vorbereitungsklasse rechneten. In mehreren Landesdezernentinnen- und Landesdezernentenkonferenzen ist den Bezirksregierungen mitgeteilt worden, und dies wurde auch gegen- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8782 4 über den Kommunen kommuniziert, dass für eine Lerngruppe von etwa 15 bis 18 Kindern und Jugendlichen in der Regel eine halbe Lehrerstelle zur Verfügung steht, die maßgeblich für den Erwerb der deutschen Sprache eingesetzt werden soll. Dies entspricht einem Stellenbedarf von 0,5 Stellen (vlg. Erlass 13-63 Nr.3 „Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte, insbesondere im Bereich der Sprachen“). Die angesprochenen „bis zu 1,0 Integrationsstellen“ im Erlass „Vielfalt gestalten - Teilhabe und Integration durch Bildung; Verwendung der Integrationsstellen“ vom 29.06.2012 beziehen sich auf die Verwendung von Integrationsstellen für kommunale Koordination. Diese Regelung gilt ohne Abstriche unverändert fort. Sie hat aber nichts mit dem Änderungsantrag zum Haushaltsgesetz 2015 zu tun, weil die Aussage „Für eine Klasse werden 0,5 Stellen benötigt“ sich auf die Verwendung von Integrationsstellen in Schulen zur Förderung der deutschen Sprache bezieht. 4. Da die Landesregierung erklärt hat, dass die Bezirksregierungen zusätzlich die „Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für individuelle Förderung“ nutzen würden: Wie viele dieser Stellen können gegenwärtig als Folge dieser „Umwidmung“ nicht mehr gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler genutzt werden? Die zusätzlich bereit gestellten „Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für individuelle Förderung“ sollen allen Schülerinnen und Schülern zu Gute kommen und können demzufolge in dem genannten Kontext auch für die Beschulung von zugewanderten Kindern und Jugendlichen verwendet werden, ohne dass es hierzu einer „Umwidmung“ bedarf . Eine Feststellung, welche Kontingente der „Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für individuelle Förderung“ auf die Beschulung von Schülerinnen und Schülern, die zugewandert bzw. die nicht zugewandert sind, entfallen, ist demzufolge nicht möglich. 5. Wie hat sich in den letzten drei Schuljahren – inklusive des laufenden Schuljah- res – die Zahl der Integrationsstellen entwickelt, die für „Seiteneinsteigerklassen “ genutzt werden müssen, so dass für bisherige „normale“ Sprachförderprojekte an Schulen weniger Ressourcen zur Verfügung stehen? Das Land stellt zusätzlich zu den Grundstellen, die jede Schülerin bzw. jeder Schüler an einer Schule als Bedarf auslöst, Integrationsstellen zur Verfügung. Damit sollen die Schulen in ihrer Integrationsarbeit und der damit verbundenen interkulturellen Unterrichts- und Schulentwicklung unterstützt werden. Ein zentrales Ziel dieser interkulturellen Unterrichts- und Schulentwicklung ist der Erwerb der deutschen Sprache im Sinne einer durchgängigen Sprachbildung. Die Integrationsstellen befriedigen somit einen erhöhten Bedarf. Die auf diesen Stellen tätigen Lehrkräfte sind fester Teil der Kollegien. Informationen dazu, wie viele Unterrichtstunden welche Lehrkraft im Sinne der Integrationsstellen ableistet, werden nicht erhoben. Wie aus dem Haushaltsgesetz 2015 ersichtlich, wurden die für die Integration zur Verfügung stehenden Stellen erhöht. Zurzeit ist niemand in der Lage vorherzusagen, wie sich die Zahl der neu zuwandernden Kinder und Jugendlichen entwickeln wird. Dadurch mussten sowohl die Bezirksregierungen als auch die Schulämter ihre Prognosen mehrfach anpassen.