LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8789 28.05.2015 Datum des Originals: 27.05.2015/Ausgegeben: 03.06.2015 (02.06.2015) Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3362 vom 16. April 2015 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/8516 Kommt das bundesweite Erfolgsmodell des „Warnschussarrests“ in NordrheinWestfalen wegen des rot-grünen Jugendarrestvollzugsgesetzes nur selten zur Anwendung ? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 3362 mit Schreiben vom 27. Mai 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie DPA am 14.04.2015 meldete, wird das Instrument des Warnschussarrests für jugendliche Straftäter rund zwei Jahre nach seiner Einführung in den meisten Bundesländern immer häufiger genutzt. Dies habe eine Umfrage bei den Justizministerien ergeben. Obwohl einige Länder noch keine Zahlen für 2014 vorlegen konnten, habe sich im Vergleich zu 2013 bereits eine deutlich gestiegene Zahl verhängter Warnschussarreste abgezeichnet. Während sich 2013 in allen 16 Bundesländern die Zahl der vollstreckten Warnschussarreste auf rund 400 einpendelte, hätten sich im Jahr 2014 allein die Fälle in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bayern, Hessen und dem Saarland auf fast 500 summiert. Dieser Trend zeichne sich auch für 2015 ab. Die übrigen Länder hätten erklärt, noch keine absoluten Fallzahlen für 2014 vorlegen zu können. Die Justizministerin der Länder Hessen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sehen im Warnschussarrest laut DPA schon jetzt eine zeitgemäße Sanktionsform, um erzieherisch auf jugendliche Straftäter einzuwirken. Denn bis zur Einführung des Warnschussarrests war eine mit Arrest kombinierte Bewährungsstrafe nicht möglich. „Nicht wenige jugendliche Straftäter, die eine ‚bloße‘ Bewährungsstrafe erhalten, verlassen den Gerichtssaal achselzuckend und glauben ernsthaft, das sei ein ‚Freispruch zweiter Klasse‘“, sagte Bayerns Justizminister Winfried Bausback. Die Entwicklung der Fallzahlen mache deutlich, „dass die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8789 2 Praxis das neue Instrument des Warnschussarrestes angenommen habe und mit Augenmaß anwendet“, sagte Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow. Es sei eine Möglichkeit, um straffällig gewordenen Jugendlichen „Stopp“ zu sagen und sie wieder auf den rechten Weg zu bringen, betonte die hessische Ressortchefin Eva Kühne-Hörmann. Mit dem Warnschussarrest hatte die damals schwarz-gelbe Bundesregierung im Frühjahr 2013 das Jugendstrafrecht verschärft. Zusätzlich zu einer Jugendstrafe auf Bewährung können Straftäter seither bis zu vier Wochen lang eingesperrt werden, ohne Telefon und Internet , dafür mit Beratungsgesprächen. Das soll eine abschreckende Wirkung haben. In Nordrhein-Westfalen ist die bundesgesetzliche Aufwertung des Warnschussarrests dadurch konterkariert worden, dass dem Warnschussarrest gemäß § 36 des Jugendarrestvollzugsgesetzes NRW – im Gegensatz zu anderen Formen des Jugendarrests – wesentliche Elemente eines erfolgreichen Arrestvollzuges (Erstellung eines Erziehungsplans, medizinische Aufnahmeuntersuchung, Teilnahme an regelmäßigen Beschwerdesprechstunden, Erstellung eines Schlussberichts) vorenthalten werden. 1. Warum liegen in Nordrhein-Westfalen (im Gegensatz zu Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bayern , Hessen und dem Saarland) die Fallzahlen der im Jahr 2014 verhängten Warnschussarreste nicht vor? 2. In wie vielen Fällen wurde seit dem Jahr 2013 der so genannte „Warnschussar- rest“ verhängt? (Bitte jeweils nach Jahren auflisten). Die Zahl der in Nordrhein-Westfalen verhängten sog. Warnarreste nach § 16a Jugendgerichtsgesetz („Jugendarrest neben Jugendstrafe“; JGG) wird in der Strafverfolgungsstatistik des Landes erfasst. Für das Jahr 2013 weist diese insgesamt 66 Fälle aus. Diese Zahl hat das Justizministerium des Landes der Deutschen Presse-Agentur im April 2015 auf Anfrage mitgeteilt. Die Fallzahl für das Jahr 2014 lag seinerzeit noch nicht vor. Sie ist dem Justizministerium zwischenzeitlich vom Landesbetrieb Information und Technik (IT.NRW) übermittelt worden und beläuft sich auf 94 Fälle. Die Anzahl der vollstreckten „Warnarreste“ liegt, wie eine Abfrage bei den sechs Jugendarrestanstalten und den 29 Amtsgerichten, die für die Vollstreckung von Jugendarrest zuständig sind, ergeben hat, demgegenüber deutlich höher. Danach gab es  im Jahr 2013 insgesamt 109 Vollstreckungen, davon neun als Freizeit-, eine als Kurzund 99 als Dauerarrest,  im Jahr 2014 insgesamt 220 Vollstreckungen, davon 22 als Freizeit-, fünf als Kurz- und 193 als Dauerarrest  sowie vom 1. Januar bis zum 30. April 2015 83 Vollstreckungen, davon neun als Freizeit -, eine als Kurz- und 73 als Dauerarrest. Zudem waren zum 30. April 2015 insgesamt zehn weitere Vollstreckungsersuchen noch offen bzw. wurden über dieses Datum hinaus vollstreckt. Das Justizministerium hat hinsichtlich der erheblichen Zahlenunterschiede zwischen den laut Strafverfolgungsstatistik verhängten und den nach dem Ergebnis der Praxisabfrage vollstreckten „Warnarresten“ das zu einer Überprüfung durch die zuständigen Stellen Erforderliche veranlasst. Es ist insoweit zu vermuten, dass es in den vergangenen zwei Jahren bei den Erhebungen zur Strafverfolgungsstatistik zu Eintragungsfehlern gekommen ist, die allerdings bei der Einführung neuer Kriterien nicht ungewöhnlich sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8789 3 3. In wie vielen Fällen wurde in den anderen Bundesländern der so genannte Warnschussarrest verhängt? (Bitte jeweils pro Bundesland nach Jahren getrennt einzeln auflisten). Das Statistische Bundesamt erfasst in der Fachserie 10 Reihe 3 in Abschnitt 4.4.1 bundesweit die Anzahl der verhängten Jugendarreste neben Jugendstrafe. Danach wurde der sog. Warnarrest in den Bundesländern wie folgt verhängt: 2013 Anzahl der Anordnungen von § 16a Jugendgerichtsgesetz Jugendliche Heranwachsende Bundesrepublik Deutschland 125 130 Baden-Württemberg 11 12 Bayern 34 44 Berlin 3 0 Brandenburg 2 5 Bremen 0 0 Hamburg 0 0 Hessen 1 4 Mecklenburg-Vorpommern 10 2 Niedersachsen 10 11 Nordrhein-Westfalen 34 32 Rheinland-Pfalz 12 10 Saarland 4 3 Sachsen 0 3 Sachsen-Anhalt 2 1 Schleswig-Holstein 1 1 Thüringen 1 2 Die Fachserie 10 Reihe 3 für das Jahr 2013 ist im Internet unter dem Link https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/StrafverfolgungVollzug/S trafverfolgung2100300137004.pdf?__blob=publicationFile abrufbar. Wie der Fragesteller in Anbetracht dieses Zahlenwerks von positiven Erfahrungen insbesondere in Sachsen und Hamburg sprechen kann, erschließt sich nicht. Für das Jahr 2014 liegt eine Veröffentlichung der Statistik noch nicht vor. 4. Wie beurteilt die Landesregierung - insbesondere vor dem Hintergrund der laut DPA positiven Erfahrungen in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen , Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bayern und dem Saarland - den allgemeinen Nutzen des Warnschussarrestes? Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz lässt im Rahmen eines derzeit laufenden Forschungsvorhabens die Anwendung des am 7. März 2013 in Kraft getretenen § 16a JGG untersuchen. Zentrales Anliegen ist es herauszufinden, ob die neue Norm von Gerichten genutzt wird, gegen welche Personen aufgrund welcher Straftaten ein sog. Warnarrest verhängt wird und welche Bedeutung die Norm im gesamten Sanktionsgefüge einnimmt. Zudem soll die Akzeptanz der neuen Gesetzesbestimmung bei weiteren Akteuren, insbesondere den Vollstreckungsleiterinnen/-leitern und dem ambulanten Sozialen Dienst, ermit- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8789 4 telt werden. Erste Ergebnisse der Untersuchung werden für Anfang 2016 erwartet. Dem greift die Landesregierung nicht vor. 5. Welche Bundesländer haben - außer Nordrhein-Westfalen - die bundesgesetzli- che Aufwertung des Warnschussarrestes ebenfalls durch landesrechtliche Änderungen konterkariert? Die Behauptung im letzten Absatz der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage, die „bundesgesetzliche Aufwertung“ des sog. Warnarrestes sei in Nordrhein-Westfalen dadurch „konterkariert “ worden, dass diesem gemäß § 36 Jugendarrestvollzugsgesetz NRW (JAVollzG NRW) „im Gegensatz zu anderen Formen des Jugendarrestes“ wesentliche Elemente eines erfolgreichen Arrestvollzuges vorenthalten würden, vermag die Landesregierung nicht nachzuvollziehen . Es ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern der sog. Warnarrest eine „bundesgesetzliche Aufwertung “ erfahren haben soll. Richtig ist vielmehr, dass die Möglichkeit der Verhängung von Jugendarrest neben Jugendstrafe durch das Gesetz zur Erweiterung der jugendrichterlichen Handlungsmöglichkeiten (BT-Drucksache 17/9389) mit dem neuen § 16a JGG erstmals eingeführt worden ist. Auch handelt es sich bei dieser Möglichkeit nicht um eine „andere Form des Jugendarrestes“. Jugendarrest ist gemäß § 16 Absatz 1 JGG seit jeher Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest. Im Gegensatz zu der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage enthält der mit „Freizeit- und Kurzarrest“ überschriebene § 36 JAVollzG NRW auch keine Regelungen , die speziell dem sog. Warnarrest „Elemente eines erfolgreichen Arrestvollzuges vorenthalten “. Soweit in dieser landesgesetzlichen Norm bestimmt wird, dass die Regelungen der §§ 5 (Erstellung eines Erziehungsplans), 14 Absatz 3 Satz 1 (ärztliche Untersuchung), 23 Absatz 1 Satz 3 (Einrichtung regelmäßiger Sprechstunden) und 24 Absatz 1 JAVollzG NRW (Erstellung eines Schlussberichtes) für den Vollzug von Freizeit- und Kurzarrest nicht gelten, beruht dies darauf, dass die kurze Dauer des Vollzuges dieser Arrestformen solche Maßnahmen nicht zulässt. § 36 JAVollzG NRW gilt folgerichtig nicht für den Vollzug von Dauerarrest , der in Nordrhein-Westfalen bei der Verhängung des sog. Warnarrestes am häufigsten verhängten Sanktionsform. Gemäß dem in der Antwort zu Frage 2 dargestellten Ergebnis der Abfrage bei den Jugendarrestvollzugsanstalten und den 29 für die Vollstreckung von Jugendarrest zuständigen Amtsgerichten des Landes handelte es sich bei den in der Zeit von 2013 bis zum 30. April 2015 insgesamt vollstreckten 412 „Warnarresten“ in 365 Fällen (88,6 %) um Dauerarreste.