LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8801 01.06.2015 Datum des Originals: 29.05.2015/Ausgegeben: 05.06.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3379 vom 28. April 2015 der Abgeordneten Henning Höne und Susanne Schneider FDP Drucksache 16/8556 Folgt nun nach der Diskussion um „quengelfreie“ Supermarktkassen eine neue Zuckersteuer zur Umerziehung der Bürgerinnen und Bürger? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3379 mit Schreiben vom 29. Mai 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Anfang dieses Jahres hat die große Koalition in Berlin den Vorstoß unternommen, durch so genannte quengelfreie Kassen in das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger einzugreifen . Die Landesregierung wertet diesen Vorstoß jedoch nicht als Eingriff in die unternehmerischen Freiheitsrechte, sondern lediglich als „Dialogangebot“ zwischen Politik und Lebensmittelwirtschaft (Vgl. Drs. 16/7929). Die Bundesregierung startet derweil eine Dialogkampagne über „gutes Leben“. Die Freien Demokraten erkennen die Notwendigkeit einer solchen Dialogkampagne von Seiten der Bundesregierung mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht. Was „gutes Leben“ bedeutet, ist überwiegend von jedem Individuum alleine zu interpretieren und die Ergründung der persönlichen Lebensvorstellungen ist nicht Aufgabe des Staates. Abgesehen davon ist jetzt ein erneuter Vorschlag öffentlich geworden: Die Bundesregierung arbeitet demnach an einer nationalen „Reduktionsstrategie für Salz, Zucker und Fett“. Die SPD erwägt dabei die Einführung einer neuen Steuer auf Zucker ebenso wie das Drängen auf die Verbesserung der Rezeptur von Fertigprodukten in der Lebensmittelindustrie (Vgl. Saarbrücker Zeitung, 27. April 2015). Das Einführen einer neuen Steuer auf Zucker ist nicht mehr als kooperativer, dialogorientierter Ansatz in der Verbraucherschutzpolitik zu werten. Es wäre ein weiteres Beispiel für die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8801 2 ausufernde Kreativität des Staates bei der Einführung neuer Steuern und Abgaben sowie der Versuch massiv in die Essgewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger regulierend einzugreifen . Darüber hinaus erscheint die Effektivität einer politisch intendierten Lenkungswirkung von Steuern fragwürdig. Die gewünschten Effekte bleiben oftmals aus. So ist der Absatz von Tabakprodukten durch die Erhebung einer Tabaksteuer zum Beispiel nicht signifikant zurückgegangen - auch nicht durch die stetige Anhebung der Steuer. Vielmehr ist der offensichtliche Effekt, einzig Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte zu generieren. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Effektivität intendierter Lenkungswirkun- gen durch Erheben von Steuern auf spezielle Produkte? 2. Wo stößt die politisch intendierte Lenkungswirkung durch das Erheben von pro- duktspezifischen Steuern nach Ansicht der Landesregierung an ihre Grenzen? Im Rahmen einer breit angelegten Kampagne, die die negativen Auswirkungen von Übergewicht aufzeigt und auf eine gesundheitsorientierte Veränderung des Essverhaltens gerichtet ist, könnten nach grundsätzlichen Erwägungen eventuell auch steuerliche Maßnahmen dazu beitragen, einen solchen Prozess positiv zu unterstützen. Dies hängt jedoch vom jeweiligen Produkt und den Umsetzungsmöglichkeiten ab. Produktspezifische Steuern werden ihrer Zielsetzung dann gerecht, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher den Zusammenhang zwischen ihrem Konsumverhalten und der Steuer auf die verbrauchten Güter spürbar nachvollziehen können. Am Beispiel der im Jahre 2004 eingeführten Sondersteuer auf alkoholhaltige Süßgetränke zum Schutz junger Menschen wird aber zum Beispiel auch deutlich, dass Ausweich-Effekte kaum erfassbar sind. Die genannte Steuer hat zwar dazu geführt, dass der gesundheitsschädliche und suchtgefährdende Konsum von Alkopops deutlich reduziert worden ist; viele Jugendliche wichen aber auf andere alkoholische Getränke oder eigene Getränkemischungen aus. Für eine einzelne Zutat scheint ein solches Vorgehen wenig zielführend und kaum effektiv umsetzbar (siehe auch Antworten zu Frage 3 und 4). 3. Wie bewertet die Landesregierung konkret den Vorschlag, eine Steuer auf Zucker einzuführen, aus gesundheitspolitischer Perspektive? Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt in ihren „10 Regeln“, im Sinne einer ausgewogenen Ernährung Zucker und Lebensmittel bzw. Getränke, die mit verschiedenen Zuckerarten (z. B. Glucosesirup) hergestellt wurden, nur gelegentlich zu verzehren. Im Wesentlichen wird das durch die aktuelle WHO-Richtlinie bestätigt; zu den „freien“ Zuckern werden dabei solche gezählt, die den Lebensmitteln vom Hersteller, Koch oder Konsumenten zugesetzt werden, sowie solche, die von Natur aus in Honig, Sirup, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten enthalten sind. Je weniger Süßes, desto mehr Platz bleibt für nährstoffreiche Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Getreideprodukte. Die WHO-Richtlinie bezieht sich nicht auf natürlicherweise in frischem Obst, Gemüse und Milch enthaltene Zucker, da es bei ihrem Verzehr keine Hinweise auf nachteilige Gesundheitswirkungen gibt. Da der individuelle Zuckerkonsum laut Statistik aber deutlich über den Empfehlungen liegt, ist es aus gesundheitspolitischen und vor allem präventiven Erwägungen heraus sinnvoll, die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8801 3 Bevölkerung auf mögliche Folgen eines hohen Zuckerkonsums (und damit auch die entsprechende Kalorienzufuhr) hinzuweisen und eine Reduzierung des Verzehrs zu empfehlen. Die Landesregierung fördert durch zahlreiche Maßnahmen und Programme eine gesunde und ausgewogene Ernährung vom Kindesalter an. So werden Träger von Bildungseinrichtungen , Verantwortliche in den Einrichtungen aber auch die Eltern für eine gute, gesunde Kita- und Schulverpflegung sensibilisiert und beraten. Darüber hinaus stellt die Landesregierung durch das „Ernährungsportal NRW“ unabhängige Informationen zur Verfügung. Die gesundheitliche Wirkung von Lebensmitteln beruht immer auf dem komplexen Zusammenspiel ihrer einzelnen Inhaltsstoffe. So weist die DGE im Rahmen der aktuellen Diskussion um die WHO-Guideline darauf hin, dass Ernährungsempfehlungen sich nicht allein auf einen Nährstoff oder ein Lebensmittel konzentrieren, sondern immer die Kombination im Blick haben sollten. Bei der Kohlenhydratzufuhr ist z.B. weniger die aufgenommene Menge als vielmehr die Art für die primäre Prävention von ernährungsmitbedingten Krankheiten bedeutsam, d.h. empfehlenswert sind möglichst komplexe Kohlenhydrate wie z.B. in Vollkornprodukten, die länger sättigen. Eine Besteuerung einzelner, zudem weit verbreitet natürlich vorkommender Nährstoffe erscheint daher als wenig zielführend. Der Ansatz jedoch, gemeinsam mit der Wirtschaft über die Reformulierung von hoch verarbeiteten Produkten zu beraten und eine nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten zu entwickeln, wird von der Landesregierung als mögliche zielführende Maßnahme begrüßt. 4. Wie bewertet die Landesregierung konkret den Vorschlag, eine Steuer auf Zucker einzuführen, aus der Perspektive eines mündigen und eigenverantwortlichen Verbrauchers? Auch zuckerhaltige Lebensmittel werden – in Maßen verzehrt – als Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung von den Fachgesellschaften toleriert. Zucker in seinen verschiedenen Arten und Zusammensetzungen kommt in einer großen Anzahl von Lebensmitteln entweder von Natur aus vor (z.B. Obst) oder als zentraler Bestandteil häufig verzehrter Lebensmittel (z.B. Konfitüre). Eine Zuckersteuer träfe ohne Unterschied eine sehr breit gefächerte Produktpalette . Eine Lenkungswirkung zugunsten einer gesundheitsförderlichen Ernährung kann nicht erkannt werden, da für Konsumentinnen und Konsumenten ein Preisanstieg nicht mit einem klaren Erkenntnisgewinn über die Zusammensetzung von Produkten verbunden wäre (siehe auch Antwort 1). Dabei ist ein erhöhter Zuckerkonsum kritisch zu bewerten (s. die Antwort zu Frage 3). Eine Gewöhnung an einen sehr süßen Geschmack in jungen Jahren ist prägend und wird auch später meist beibehalten; u.a. Fertiggerichte enthalten nachweislich häufig besonders viel Zucker, Salz oder Fett. Die Landesregierung engagiert sich deshalb z.B. über ihre langjährigen und erfolgreich arbeitenden Beratungsstrukturen für den Einsatz möglichst frischer, unverarbeiteter regionaler Lebensmittel der Saison. Beispielhaft seien hier die Vernetzungsstelle Schulverpflegung, das Projekt "Kita gesund & lecker" sowie das Schulobst- und -gemüse-programm genannt. Ernährungsbildung soll bei diesen landesweiten Maßnahmen in Kombination mit dem Angebot LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8801 4 einer ausgewogenen Verpflegung einen Beitrag zur Ausprägung von Kompetenzen in Richtung eines gesunden und nachhaltigen Lebensstils leisten. Darüber hinaus ist aus verbraucherpolitischer Sicht ein Dialogprozess mit der Lebensmittelwirtschaft anzustreben, um Vereinbarungen über gesundheitsförderlichere Produktzusammensetzungen und Verpackungsgrößen zu treffen, und um die Zusammensetzung von hoch verarbeiteten Produkten für Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich transparenter und verständlicher zu machen als bisher. 5. Würde das Land Nordrhein-Westfalen die Einführung einer Steuer auf Zucker im Bundesrat unterstützen? Die „Zuckersteuer“ wurde in Deutschland zum 01.01.1993 abgeschafft. Eine Wiedereinführung würde auf erhebliche unionsrechtliche Vorbehalte stoßen. Zudem würde der Aufwand für Erhebung und Verwaltung einer solchen Steuer kaum im Verhältnis zum Aufkommen daraus stehen. Soweit die Einführung einer „Zuckersteuer“ an die Erwartung der Anhebung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Zucker und Zuckerwaren geknüpft ist, müssten zudem die sich daraus ergebenden Auswirkungen im Kontext mit der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf andere Liefergegenstände geprüft werden. Derzeit ist der Landesregierung eine Gesetzesinitiative mit dem Ziel einer höheren Besteuerung von Zucker weder von Seiten des Bundes noch von Seiten der Länder bekannt.