LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8808 01.06.2015 Datum des Originals: 29.05.2015/Ausgegeben: 05.06.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3428 vom 13. Mai 2015 der Abgeordneten Birgit Rydlewski und Torsten Sommer PIRATEN Drucksache 16/8680 Kleine Anfrage zur Meldung von Zivilpolizist*innen auf Demonstrationen bei der Versammlungsleitung Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3428 mit Schreiben vom 29. Mai 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Rahmen der Föderalismusreform von 2006 erfolgte unter anderem eine Verlagerung des Versammlungsrechts in die Kompetenz der Länder. Nordrhein-Westfalen hat – anders als einige andere Bundesländer – von dieser Kompetenz keinen Gebrauch gemacht und kein eigenes Landesversammlungsgesetz verabschiedet. Damit gilt für die Präsenz von Polizeibeamt/innen auf Demonstrationen nach wie vor § 12 des Bundesversammlungsgesetzes. Dort heißt es: Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muss ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden. Diese Erkennbarkeit findet in aller Regel durch das Tragen von Uniformen statt oder aber – im Falle der Teilnahme von Zivilbeamt*innen auf Demonstrationen – durch Meldung dieser Zivilpolizist*innen bei der Versammlungsleitung. In diesem Zusammenhang ist im Jahr 2013 in Niedersachsen die Frage aufgetaucht, ob dabei eine allgemeine Benennung der Anzahl von anwesenden Zivilpolizist*innen ausreicht oder eine individuelle Meldung aller beteiligten Beamt*innen zu erfolgen hat. Das Verwaltungsgericht Göttingen hat zu dieser Fragestellung im Jahr 2013 (VG Göttingen, 06.11.2013 - 1 A 98/12) eine Entscheidung gefällt. Diese bezieht sich allerdings auf das niedersächsische Landesversammlungsgesetz (NVersG), weil Niedersachsen eines der Bundesländer ist, die von ihrer Kompetenz zur Schaffung eines LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8808 2 solchen Gesetzes Gebrauch gemacht haben. Dort heißt es in § 11 – Anwesenheitsrecht der Polizei: Die Polizei kann bei Versammlungen unter freiem Himmel anwesend sein, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. Nach Satz 1 anwesende Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte haben sich der Leiterin oder dem Leiter zu erkennen zu geben. Das Verwaltungsgericht Göttingen hat in seiner Entscheidung klar entschieden, dass eine individuelle Meldung aller beteiligten Zivilbeamt*innen bei dem/der Versammlungsleiter*in zu erfolgen hat und formuliert diese Auffassung in seinem Leitsatz wie folgt: Nach § 11 Satz 2 NVersG müssen sich bei Versammlungen unter freiem Himmel anwesende Polizeibeamte in Zivilkleidung individuell gegenüber dem Versammlungsleiter zu erkennen geben. Zur Begründung führt das Gericht dazu unter anderem aus, dass nur eine solche individuelle Legitimationspflicht gewährleiste, dass „einer Unsicherheit der Versammlungsteilnehmer darüber vorgebeugt werde, ob sie während der Versammlung unwissentlich der Beobachtung durch die Polizei ausgesetzt sind; sie dient damit der Versammlungsfreiheit“. Das niedersächsische Versammlungsgesetz sei dabei „unter dem Blickwinkel von Art. 8 Abs. 1 GG zu betrachten“. Auch den Wortlaut des niedersächsischen Versammlungsgesetzes hält das Gericht in dieser Hinsicht für eindeutig: „Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift besteht die Pflicht, sich zu erkennen zu geben, für jeden einzelnen Polizeibeamten. Es genügt nicht, wenn der Einsatzleiter dem Versammlungsleiter lediglich die Anzahl der anwesenden Beamten mitteilt.“ Da es sich hier um eine Entscheidung eines niedersächsischen Verwaltungsgerichtes betreffend ein niedersächsisches Gesetz handelt, kann diese naturgemäß keine Bindungswirkung für nordrhein-westfälisches Verwaltungshandeln entfalten. Da der Wortlaut des niedersächsischen Versammlungsgesetzes aber gleichlautend mit dem für NordrheinWestfalen geltenden Bundesversammlungsgesetz ist, stellt sich die Frage, wie in solchen Fällen in Nordrhein-Westfalen verfahren wird. Vorbemerkung der Landesregierung Der Polizei obliegt der Schutz von Versammlungen. Polizeibeamte werden in Versammlungen entsendet, um deren friedliche Durchführung zu gewährleisten, Störungen zu verhindern und den Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer Werte mit Verfassungsrang zu gewährleisten . Insbesondere bei Versammlungen unter freiem Himmel kommt auch der Kontrolle der Einhaltung von Auflagen eine erhebliche Bedeutung zu. 1. Teilt die Landesregierung die Auffassung des VG Göttingen, dass sich Zivilpoli- zist*innen bei einer Demonstration gegenüber der Versammlungsleitung individuell zu erkennen geben müssen? Nein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8808 3 2. Wie begründet die Landesregierung ihre Haltung, sollte ihre Rechtsauffassung von der Auffassung des VG Göttingen abweichen? Die in Frage 1 wiedergegebene Auffassung des Gerichts ergibt sich nicht aus obergerichtlichen Entscheidungen und ist bislang durch kein anderes Gericht bestätigt worden. Das Gericht begründet seine Auffassung mit Verweisen auf zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts und ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Während beide Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keine Aussagen zur vorliegenden Fragestellung enthalten, liegt der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ein anderer Sachverhalt zugrunde. Im dort entschiedenen Fall wollten zwei Polizeibeamte in Zivil, ohne sich dem Versammlungsleiter gegenüber zu erkennen zu geben, an einer Versammlung in einem geschlossenen Raum teilnehmen. In den durch das Verwaltungsgericht Göttingen entschiedenen Sachverhalten war die Versammlungsleiterin jedoch in beiden Fällen auf die Anwesenheit von Polizeivollzugsbeamten in Zivil hingewiesen worden. Nicht nachvollziehbar ist, dass das Gericht bei diesem Sachverhalt zu der Einschätzung gelangt, dass bei den Veranstaltungen von einer heimlichen Polizeipräsenz auszugehen sei. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass die vom Gericht geforderte personenbezogene Information der Versammlungsleitung über die Anwesenheit von Polizisten in der Versammlung besser geeignet wäre den Versammlungsteilnehmern eine unbeeinflusste Versammlungsteilnahme zu ermöglichen als der allgemeine Hinweis darauf, dass Polizeibeamte in Zivil anwesend sind. Das Gericht lässt im Übrigen auch offen, worin genau die Informationen bestehen sollen. 3. Wie wurde in der Vergangenheit und wird derzeit von den Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen in solchen Fällen (insbesondere auch betreffend die Teilnahme von Zivilbeamt/innen der Staatsschutz-Abteilungen) gehandelt? Eine Verpflichtung sich auszuweisen besteht nur für Polizeivollzugsbeamte, die unmittelbar mit der Versammlungsleitung Kontakt aufnehmen. Eine umfassende Ausweispflicht aller Polizeivollzugsbeamter wird - gerade auch im Hinblick auf Großveranstaltungen - weder für geeignet noch für erforderlich gehalten. 4. Wie stellt die Landesregierung sicher das Zivilbeamt/innen in der geschilderten Situation immer rechtskonform handeln? Der Landesregierung liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass sich Polizeivollzugsbeamte nicht den rechtlichen Vorgaben entsprechend verhalten haben. Von daher wird auch zukünftig rechtskonformes Verhalten unterstellt. 5. Ist der genannte Punkt grundsätzlich Thema in jeder obligatorischen Nachbe- sprechung von Demonstrationseinsätzen? Nein.