LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/881 13.09.2012 Datum des Originals: 13.09.2012/Ausgegeben: 18.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 335 vom 8. August 2012 des Abgeordneten Dr. Ingo Wolf FDP Drucksache 16/622 Immobilien-, Wirtschafts-, Banken-, Euro- und Staatsschuldenkrise in Europa: Welche Auswirkungen erwartet die Landesregierung auf Nordrhein-Westfalen? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 335 mit Schreiben vom 13. September 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie , Mittelstand und Handwerk und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die gegenwärtige Krise in der Europäischen Union hat viele Bezeichnungen erhalten: Immobilien -, Wirtschafts-, Finanz- oder Staatsschuldenkrise sind nur einige unter diesen. Nicht alle Begriffe werden deckungsgleich gebraucht: Während sich der Begriff der Immobilienkrise vorrangig auf einzelne Staaten wie etwa Spanien bezieht, in denen es aufgrund vorübergehender Hochverfügbarkeit günstiger Immobilienkredite zum Aufbau einer sog. Blase kam, werden andere Begriffe wie etwa Wirtschafts- oder Staatsschuldenkrise als Generalumschreibungen des aktuell Europa erschütternden Sachverhalts verwendet. Der Sachlage ist gemein, dass selbst unter ausgewiesenen Experten der Volks- und Betriebswirtschaftslehre Uneinigkeit darüber herrscht oder zu herrschen scheint, worin exakt nun Ursachen und insbesondere Auswirkungen der Krise bestehen und vor allem künftig bestehen werden. Angefacht werden die meist nicht valide prognostizierbaren Entwicklungen zudem durch veröffentlichte Bewertungen von Rating-Agenturen, die gleichsam über Nacht die Zinslast und damit die wirtschaftliche Perspektive ganzer Staaten drastisch zu verändern in der Lage sind. In Nordrhein-Westfalen scheinen die Auswirkungen der Krise noch nicht angekommen zu sein: Im Jahre 2010 stieg das BIP gegenüber 2009 real um 3,3 % auf 543 Mrd. Euro; 2011 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/881 2 betrug dieses Wachstum noch real 2,6%. Die Wirtschaftsleistung erreichte im Jahr 2011 wieder das Niveau von vor der Wirtschaftskrise. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung trug das verarbeitende Gewerbe. Dabei zeichnete vor allem die exportorientierte Wirtschaftsstruktur für die konjunkturelle Erholung verantwortlich. Die Schulden der öffentlichen Haushalte – also des Landes sowie der Gemeinden beziehungsweise Gemeindeverbände – beliefen sich in Nordrhein-Westfalen Ende 2011 auf knapp 230 Milliarden Euro. Davon waren rund 180 Milliarden Euro Kreditmarktschulden und der Rest – rund 48 Milliarden Euro – sogenannte Kassenkredite. Nordrhein-Westfalen unterliegt zudem einer hohen Zinsbelastung: Allein die Zinszahlungen auf Kreditmarktmittel veranschlagt das Land im Jahr 2012 auf 4,6 Milliarden Euro. Die Zinsen, die die Kommunen zahlen müssen, treten noch hinzu. Die Zinsen für die kurzfristigen Kassenkredite im Jahr 2011 bezifferte der Städte- und Gemeindebund für NRW auf 1,6 Milliarden Euro. Angesichts der konjunkturellen Einbrüche in zahlreichen europäischen Staaten steht zu befürchten , dass sich die in erster Linie exportorientierte nordrhein-westfälische Wirtschaft in den kommenden Jahren auf einen deutlichen Rückgang des Wachstums wird einstellen müssen. Ein Rückgang des Wachstums aber verringert letztlich auch die staatlichen Steuereinnahmen und begünstigt weitere Verschuldung sowie einen Anstieg der Staatsschuldenquote . Dieser wird dann mit einem weiteren Anstieg der Zinssätze verbunden sein, wodurch die Gefahr einer Negativspirale manifest wird. 1. Welche Auswirkungen der Wirtschafts-/Finanz-/Staatsschuldenkrise in der EU auf Nordrhein-Westfalen erwartet die Landesregierung im Zeitraum bis 2015? (Bitte im Einzelnen aufschlüsseln) Bisher ist die Entwicklung in Deutschland angesichts der Turbulenzen im Euroraum stabil verlaufen. Gegenüber dem vierten Quartal des letzten Jahres ist die Wirtschaft in Deutschland in den ersten drei Monaten des Jahres 2012 um 0,5 Prozent gewachsen. Im zweiten Vierteljahr lag das Wachstum bei 0,3 Prozent. Aktuell signalisieren stagnierende Auftragseingänge und eine stockende Industrieproduktion ein Nachlassen der Wachstumsdynamik. Auf das gesamte Jahr 2012 gesehen liegen die Wachstumsprognosen wirt-schaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute für Deutschland zwischen +0,6% (IMK Düsseldorf) und +1,1% (RWI). Die vorliegenden Indikatoren deuten darauf hin, dass die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens dem Bundestrend mit geringem Abstand folgt. Vor dem Hintergrund der unsicheren weltwirtschaftlichen Lage und der Turbulenzen im EuroRaum sind die Unsicherheiten und Risiken für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen aktuell höher als gewöhnlich. 2. Welche weitere Entwicklung der Krise in den EU-Mitgliedstaaten (EU-27) erwartet die Landesregierung im Referenzzeitraum bis 2015? (Bitte begründet beantworten ) Die Landesregierung erwartet, dass die EU-Mitgliedstaaten alles daran setzen, um die aktuellen Probleme zu beheben, ein Überspringen auf weitere Mitgliedstaaten zu verhindern und zukünftigen Krisen vorzubeugen. Die Entwicklung bis 2015 wird maßgeblich davon abhängen , ob es mit konzertierten Maßnahmen gelingt, die Euro-Zone zu stabilisieren. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/881 3 3. Welche Interventionsmechanismen erachtet die Landesregierung zur Bewältigung oder Abmilderung der Krisenfolgen in Nordrhein-Westfalen für geboten? Die Landesregierung begleitet die innerstaatliche Umsetzung des Fiskalpakts (Gesetz zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts - und Währungsunion) konstruktiv. Die Landesregierung hat immer betont, dass für eine dauerhafte Lösung der Krise, neben der Haushaltskonsolidierung der Stärkung der Wachstumskräfte besondere Priorität eingeräumt werden muss. Auf Länderebene sind keine Instrumente zur Abwehr bzw. Bewältigung einer Krise von internationaler Dimension verfügbar. Für Nordrhein-Westfalen als Land mit starken Außenhandelsverflechtungen hat eine nachhaltig erfolgreiche Krisenbewältigung allerdings einen hohen ökonomischen und politischen Stellenwert. 4. Aus welchen Gründen sieht sich die Landesregierung vor dem Hintergrund der auch im Haushaltsentwurf 2012 vorgesehenen Nettoneuverschuldung (nicht) in der Lage, die durch das Land NRW zu zahlenden Zinssätze auf Kreditmarktmittel nicht noch weiter steigen zu lassen? Die vom Land NRW derzeit zu zahlenden Zinssätze für Kreditmarktmittel sind niedriger denn je, weil das Land in der gegenwärtigen Krise von den Anlegern als „safe haven“ angesehen wird. Das wird auch durch die Bestätigung der guten Ratings unterlegt. Vor diesem Hintergrund konnte der Ansatz für die Zinsausgaben Im Haushaltsplanentwurf 2012 um fast 400 Mio. € von 4,6 auf 4,2 Mrd. € reduziert werden. Um die Risiken eines Zinsanstiegs für den Landeshaushalt zu begrenzen, werden zurzeit nach Möglichkeit eher langfristige Kredite aufgenommen. 5. In welcher Weise könnten EU-Strukturfondsmittel aus dem Bereich „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ zur Bewältigung der Krisenfolgen in NRW eingesetzt werden? Aktuell sind rund 91 % der Mittel des Ziel 2-Programms des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung mit rund 2.200 Einzelbewilligungen ausgeschöpft. Damit werden Gesamtinvestitionen von rund 2.495 Mio. € angestoßen. Diese Vorhaben entfalten schon heute ihre innovations-, struktur- und wachstumspolitische Wirkung in Nordrhein-Westfalen. Sie stärken den Wirtschaftsstandort, machen ihn anpassungs- und wettbewerbsfähiger und damit auch weniger anfällig gegen mögliche Krisen. Eine entsprechendes Folgeprogramm, dessen Mittelvolumen derzeit noch unbekannt ist, steht aller Voraussicht nach ab 2014 zur Verfügung. Damit wird die Landesregierung insbesondere in den Themen „Innovation, Wettbewerbsfähigkeit von KMU, Energieeffizienz und erneuerbare Energien wirtschaftspolitische Impulse geben können.