LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8853 05.06.2015 Datum des Originals: 03.06.2015/Ausgegeben: 10.06.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3390 vom 4. Mai 2015 der Abgeordneten Ina Scharrenbach und André Kuper CDU Drucksache 16/8592 Kosten des NRW-Einzelprüfungserlasses im Zusammenhang mit abgelehnten Asylanträgen von Personen aus sicheren Herkunftsstaaten Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3390 mit Schreiben vom 3. Juni 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Rund 17 Prozent der Asylbewerber in Deutschland kamen im vergangenen Jahr 2014 aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina, obwohl die Anerkennungsquote für diese Länder seit Jahren bei quasi 0 Prozent lag. Gleichzeitige streben diese drei Länder den EUBeitritt an und fordern daher selber als sicher eingestuft zu werden. Laut Geschäftsstellenstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kamen im Berichtsmonat März 2015 sechs von zehn Erstantragstellern aus den dominierenden sechs Balkanländern. „Durch die zahlreichen, oft aus nicht asylrelevanten Motiven heraus gestellten Asylanträge werden der Bund, die Länder und die Kommunen mit erheblichen Kosten für die Durchführung der Verfahren und für die Versorgung der sich in Deutschland aufhaltenden Asylsuchenden belastet. Dies geht im Ergebnis zu Lasten der tatsächlich schutzbedürftigen Asylsuchenden , da für die zeitnahe Bearbeitung ihrer Fälle weniger Kapazitäten zur Verfügung stehen . Eine Verringerung der Zahl der aus nicht asylrelevanten Motiven gestellten Asylanträge ist daher geboten.“ (aus: BT-Drs.Nr. 18/1528 „Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzuganges für Asylbewerber und geduldete Ausländer“) Die Bundesregierung hat daher mit Zustimmung des Bundesrates die Staaten Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten nach § 29a Asylver- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8853 2 fahrensgesetz eingestuft, um die Dauer der Asylverfahren von Antragstellern aus diesen Staaten und damit die Aufenthaltszeit dieser Antragsteller in Deutschland zu verkürzen. Durch die Einstufung zu sicheren Herkunftsstaaten werden die aussichtslosen Asylverfahren aus den drei Westbalkanländern schneller abgeschlossen. Es besteht nun die gesetzliche Vermutung, dass in diesen Ländern weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet (§ 29 AsylVfG), solange der Asylbewerber das Gegenteil nicht glaubhaft darlegt. Angesichts des unverändert hohen Zustroms von Menschen aus diesen Ländern vereinbarten die Innenminister im Rahmen einer Telefonkonferenz im Februar diesen Jahres, dass in den besonders betroffenen Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Baden -Württemberg ein Pilotprojekt installiert werden soll, mit dem die Verfahrensdauer für Asylantragstellende aus den Balkanstaaten auf 14 Tage verkürzt werden soll. Am 17. Dezember 2014 erklärte der NRW-Innenminister Ralf Jäger in der Plenardebatte zum Flüchtlingsaufnahme-Gesetz NRW (FlüAG NRW) folgendes: „[…] Wir geben den kommunalen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich vor, dass, wenn eine solche Rückkehr erforderlich ist, im Einzelfall die familiären, sozialen und gesundheitlichen Umstände zu prüfen sind – und zwar immer, nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über […].Deshalb […] kündige ich jetzt an, dass dieser Sensibilisierungserlass , der im letzten Jahr für den Kosovo galt, auf ganz Südosteuropa – dort, wo es entsprechende Zuwanderungszahlen gibt – angewandt wird.“ Innenminister Ralf Jäger hat seinen Worten noch im Dezember 2014 Taten folgen lassen: Seit dem 22. Dezember 2014 gilt der Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales „Rückführung ausreisepflichtiger Personen in die Westbalkan-Republiken Albanien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien; hier: Angehörige der Volksgruppen der Roma, Ashkali und Ägypter“ - RdErl. des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 15-39.13.09-3-14-404(2603). Dadurch wird der Anwendungsbereich einer Einzelfallprüfung auf eben die drei Staaten, die im vergangenen Jahr gesetzlich als sichere Herkunftsstaaten eingestuft worden sind, ausgeweitet. Erstaunlicherweise erklärte Landesinnenminister Ralf Jäger im Wissen seiner Erlasslage per Pressemitteilung vom 13.Februar 2015: „NRW-Innenminister Ralf Jäger hält schnellere Asylverfahren für Flüchtlinge aus dem Kosovo für "das "Gebot der Stunde". Was wir jetzt angesichts der aktuellen Fluchtbewegung brauchen, sind schnelle Antworten", erklärte Jäger. Er begrüße daher die heute in der Telefonschaltkonferenz zwischen dem Bund und den Innenministern der Länder getroffene Vereinbarung, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Asylverfahren von Kosovaren in NRW und drei anderen Ländern innerhalb von zwei Wochen abschließen will. […]“ Während der Bund für eine schnellere Asylverfahrensdauer in Nordrhein-Westfalen sorgt, verfügt der Landesinnenminister, das bei abgelehnten Asylanträgen von Menschen aus den Westbalkan-Republiken in Nordrhein-Westfalen eine zusätzliche Einzelfallprüfung bei aufenthaltsbeenden Maßnahmen stattzufinden hat. Durch diesen Erlass geht die Landesregierung über die bundesgesetzliche Regelung hinaus. Unter anderem kritisierten 15 Oberbürgermeister und Landräte aus dem Ruhrgebiet diesen Erlass, weil der Erlass letztlich das Ziel der gesetzlichen Einstufung von Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina als sichere Drittstaaten konterkariere. Nicht nur hilfreich, sondern geradezu kontraproduktiv seien Erlasse, die darauf abzielen würden, im Nachgang zu bestandskräftig festgestellten Ausreiseverpflichtungen noch einmal in Einzelfallprüfungen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8853 3 einzutreten und Familienbünde nicht auseinanderzuziehen, erklärten die Hauptverwaltungsbeamten großer Städte und Kreise im Ruhrgebiet in einem Schreiben an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus dem Frühjahr 2015. Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen urteilte am 9. Dezember 2014, dass das landesverfassungsrechtlich verankerte Konnexitätsprinzip (Art. 78 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen) den Landesgesetzgeber bzw. – Verordnungsgeber bei der Übertragung neuer oder der Veränderung bestehender kommunaler Aufgaben, gleichzeitig einen finanziellen Ausgleich für die entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Ausgaben zu schaffen habe. Ebenso wie die erstmalige Aufgabenübertragung löse auch eine Veränderung bestehender, den Kommunen bereits landesgesetzlich zugewiesener Aufgaben aber nur dann eine Ausgleichspflicht aus, wenn sie durch ein Landesgesetz oder eine Landesrechtsverordnung unmittelbar verursacht worden sei. Vorbemerkung der Landesregierung Bereits im Jahr 2013 hat das Ministerium für Inneres und Kommunales anlässlich des im Landtag am 17.12.2013 beschlossenen Entschließungsantrages der Fraktionen SPD/GRÜNE (16/4637) die Ausländerbehörden per Erlass vom 20.12.2013 aufgefordert, aufgrund der nach wie vor schwierigen Lebenssituation der Roma, Ashkali und Ägypter in der Republik Kosovo bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen eine besonders sorgfältige Einzelfallüberprüfung vorangehen zu lassen. Aufgrund eines weiteren Beschlusses der Regierungsfraktionen im Dezember 2014 hat das Ministerium für Inneres und Kommunales diese Prüfung auf alle Staaten des Westbalkans ausgeweitet. Nach der Überzeugung der Landesregierung sollte der Entscheidung über die Rückführung in bestimmten problematischen Konstellationen bei besonders schutzbedürftigen Personen aus humanitären Gründen eine sorgfältige Einzelfallprüfung vorausgehen. Über die Erlasslage in Nordrhein-Westfalen wird entsprechend dem parlamentarischen Auftrag/Willen das gesetzlich ausgeschöpft, was bei Rückführungen im Rahmen von Landeskompetenz möglich ist. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Konnexitätsrelevanz des oben genannten Erlasses vom 22. Dezember 2014? 2. Wie bewertet die Landesregierung den oben genannten Erlass im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in Sachen Konnexität vor dem Hintergrund, dass der Erlass des Landesinnenministeriums eine bestehende Bundesregelung zur Beschleunigung von Asylverfahren bei Antragstellern aus den sicheren Herkunftsstaaten Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina konterkariert? Artikel 78 Absatz 3 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-West-falen (LV NRW) knüpft die Zulässigkeit einer gesetzlichen Übertragung von Aufgaben auf die Gemeinden und Gemeindeverbände an die gleichzeitige Regelung der Deckung der hierdurch entstehenden Kosten (Konnexitätsprinzip). Führt die Übertragung neuer oder die Veränderung bestehender und übertragbarer Aufgaben zu einer wesentlichen Belastung der davon betroffenen Gemeinden oder Gemeindeverbände, ist dafür durch Gesetz oder Rechtsverordnung aufgrund einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich für die entstehenden notwendigen, durchschnittlichen Aufwendungen zu schaffen, vgl. Art. 78 Absatz 3 Satz 2 LV NRW. Eine solche finanzielle Ausgleichspflicht des Landes vermögen – bei Hinzutreten bestimmter weiterer Voraussetzungen – aber überhaupt nur solche Übertragungen bzw. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8853 4 Veränderungen kommunaler Aufgaben zu begründen, die im Wege eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung vorgenommen werden. Von der konnexitätsrechtlichen finanziellen Ausgleichspflicht nicht erfasst sind ferner Aufgabenübertragungen bzw. -veränderungen, die nicht der Landes-, sondern der Bundesgesetzgeber vorgenommen hat. Ebenfalls nicht erfasst sind Änderungen in der Aufgabenwahrnehmung , die der Bundesgesetzgeber veranlasst hat, wenn zuvor bereits der Landesgesetzgeber eine allgemeine Zuständigkeitszuweisung vorgenommen hat, ohne dass die spätere Änderung durch den Bundesgesetzgeber bereits absehbar gewesen wäre. Der hier in Rede stehende Erlass kann bereits mangels Gesetzesqualität im oben genannten Sinne nicht konnexitätsrelevant sein. Mit ihm werden die Ausländerbehörden lediglich auf Erlassebene zu einer eigenverantwortlichen, problembewussten und systematischen Prüfung unter hervorgehobener Berücksichtigung der Interessen besonders schutzbedürftiger Personen unter den Angehörigen der aus den Westbalkan-Staaten stammenden Roma sensibilisiert. Eine eigenständige Aufgabenübertragung bzw. -veränderung enthält dieser Erlass nicht. Er könnte dies auch gar nicht, da die verpflichtende Übertragung öffentlicher Aufgaben auf Gemeinden oder Gemeindeverbände bzw. die konstitutive Veränderung dieser Aufgaben nur durch Gesetz oder Rechtsverordnung erfolgen kann. Letztlich dient der Erlass lediglich einer landesweit gleichmäßigen sorgfältigen Anwendung des geltenden (Bundes-)Rechts und konterkariert dieses (Bundes-)Recht nicht. 3. Wie hoch sind die Kosten, die den Kommunen jeweils dadurch entstehen, dass per Erlass vom 22. Dezember 2014 aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch Einzelfallprüfung bei ausreisepflichtigen Personen aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina nicht durchgeführt wurden? 4. In wie vielen Fällen wurden seit Inkrafttreten des Erlasses aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch die Einzelfallprüfung bei ausreisepflichtigen Personen aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina nicht durchgeführt? 5. Wie viele Personen aus den drei neuen sicheren Herkunftsstaaten, bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen durch die Einzelfallprüfung bei ausreisepflichtigen Personen aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina nicht durchgeführt wurden, wurden seit Inkrafttreten des Erlasses an Kommunen jeweils zugewiesen? Zu den Fragen 3 bis 5 liegen der Landesregierung keine Daten vor. Die in den Fragen dargestellten Sachverhalte werden nicht statistisch erfasst.