LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8927 09.06.2015 Datum des Originals: 09.06.2015/Ausgegeben: 12.06.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3423 vom 12. Mai 2015 der Abgeordneten Holger Ellerbrock und Kai Abruszat FDP Drucksache 16/8665 Rechtswidrige Mietspiegel: Was sagt die Landesregierung? Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 3423 mit Schreiben vom 9. Juni 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Ausgabe vom 12. Mai 2015 veröffentlichte das Handelsblatt einen Artikel mit der Überschrift: „Gericht kippt Mietspiegel. Berliner Urteil stellt Grundlage der Mietpreisbremse infrage“. Konkret handelt der Bericht von einer Entscheidung des Amtsgerichts BerlinCharlottenburg gegen den Berliner Mietspiegel aus dem Jahr 2013. Laut Handelsblatt begründete das Gericht seinen Beschluss mit folgenden Worten: „Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass es sich bei dem Berliner Mietspiegel 2013 nicht um einen qualifizierten Mietspiegel handelt, da dieser nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden erstellt worden ist“. Diese Wertung sei erstaunlich, weil der Berliner Mietspiegel in Fachkreisen bislang als vorbildlich galt. Sollte das Urteil Rechtskräftigkeit erlangen, steht zu erwarten, dass weitere qualifizierte Mietspiegel gerichtlich überprüft und für nichtig erklärt werden. Letztendlich würde dies auch Konsequenzen für das Institut des Mietspiegels insgesamt haben. Allgemein soll der in den §§ 558 c und d BGB normierte (qualifizierte) Mietspiegel einen Überblick über die sogenannte „ortsübliche Vergleichsmiete“ bieten. Zu den vielen Zweckbestimmungen der „ortsüblichen Vergleichsmiete“ zählt insbesondere die Begrenzung von Mietpreiserhöhungen im Sinne des § 558 BGB. Es handelt sich also um einen sensiblen Parameter , der maßgebliche Auswirkungen auf die Wohnkosten von Mieterinnen und Mietern LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8927 2 hat. Auch die hochumstrittene Kappungsgrenzenverordnung der rot-grünen Landesregierung oder die kontraproduktive neuerliche Mietpreisbremse für Wiedervermietungsmieten der großen Koalition in Berlin, stehen in direkter Beziehung zur "ortsüblichen Vergleichsmiete". Mit seiner Entscheidung wirft das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg die Frage auf, was konkret unter "anerkannten wissenschaftlichen Methoden" zu verstehen ist. Nach Paragraph 558 d Abs. 3 BGB "[...] wird vermutet, dass die im qualifizierten Mietspiegel bezeichneten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben". Qualifizierte Mietspiegel müssen von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt werden. Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen des Paragraphen 558 d Abs. 3 BGB erfüllt sein: "Der qualifizierte Mietspiegel ist im Abstand von zwei Jahren der Marktentwicklung anzupassen . Dabei kann eine Stichprobe oder die Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Preisindexes für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland zugrunde gelegt werden. Nach vier Jahren ist der qualifizierte Mietspiegel neu zu erstellen". Konkrete Hinweise auf "anerkannte wissenschaftliche Methoden" beinhaltet 558 d BGB indes nicht. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Entscheidung des Amtsgerichts Berlin- Charlottenburg zum Berliner Mietspiegel 2013 hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf die (qualifizierten) Mietspiegel der Städte und Gemeinden in Nordrhein -Westfalen? Die Voraussetzungen eines qualifizierten Mietspiegels und insbesondere die Frage, wann ein Mietspiegel „nach anerkannten statistischen Methoden erstellt worden“ ist, waren bereits Gegenstand zahlreicher Gerichtentscheidungen. Auch zum Berliner Mietspiegel 2013 liegen mehrere Urteile vor. In mindestens drei Fällen haben andere Zivilabteilungen des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg - abweichend von dem in der Kleinen Anfrage zitierten Urteil - den Berliner Mietspiegel 2013 angewendet und ihn dabei teilweise sogar ausdrücklich als qualifiziert im Sinne von § 558d BGB angesehen (vgl. AG Berlin-Charlottenburg Urteil vom 12.03.2015, Az.: 203 C 527/14; Urteil vom 27.02.2015, Az.: 232 C 262/14; Urteil vom 17.03.2015, Az.: 233 C 520/14). Die Landesregierung sieht indes bereits wegen der im Grundgesetz garantierten Unabhängigkeit der Gerichte davon ab, die in der Kleinen Anfrage genannte Entscheidung zu kommentieren , zumal diese bisher nicht rechtskräftig ist. 2. Welche Mietspiegel in Nordrhein-Westfalen drohen infolge der Berliner Entscheidung ebenfalls als "nicht nach wissenschaftlichen Methoden erstellt" eingeordnet zu werden? Die von der Kleinen Anfrage zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg hat aus rechtlicher Sicht keine Folgen für die Mietspiegel in Nordrhein-Westfalen, da sie außerhalb des konkret entschiedenen Rechtsstreites keinerlei Bindungswirkung entfaltet. Die Gerichte, die im Streitfall über einen Mietspiegel aus Nordrhein-Westfalen zu entscheiden haben, sind in der Auslegung der tatbestandlichen Anforderungen an einen qualifizierten Mietspiegel - wie bisher - frei. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8927 3 3. Wie müsste ein Mietspiegel aus Sicht der Landesregierung ausgestaltet sein, um einer gerichtlichen Überprüfung standhalten zu können? Rechtliche Regelungen zur Erstellung von Mietspiegeln befinden sich ausschließlich in § 558c und § 558d BGB. Nach der Legaldefinition in § 558c Abs. 1 BGB ist ein einfacher Mietspiegel eine Übersicht über die ortsüblichen Vergleichsmieten, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. Alle Mietpreisübersichten oder Mietwerttabellen, die nicht diese Voraussetzungen erfüllen, sind keine Mietspiegel im Sinne des Gesetzes. Um als qualifizierter Mietspiegel im Sinne von § 558d BGB die gesetzliche Vermutung zu begründen, dass die darin bezeichneten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben , muss der Mietspiegel darüber hinaus nach anerkannten statistischen Methoden erstellt worden sein und die zeitlichen Vorgaben des Abs. 2 erfüllen. Die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale und ihre Anwendung auf einen streitigen Mietspiegel obliegen den Gerichten und sind letztlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. 4. Was wird die Landesregierung unternehmen, um sicherzustellen, dass die Mietspiegel nordrhein-westfälischer Städte und Gemeinden, auf welche auch in Landesnormen Bezug genommen wird, rechtssicher ausgestaltet sind? Die Gemeinden, die gemäß §§ 558c und 558d BGB einen Mietspiegel erstellen, nehmen eine freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheit wahr. 5. Inwieweit wird die Landesregierung Normen, die auf das Institut des Mietspiegels Bezug nehmen von diesem entkoppeln? In Landesnormen erfolgt eine Bezugnahme auf den Mietspiegel nur in der Verordnung über die Gutachterausschüsse für Grundstückswerte vom 23.03.2004. Zu den Kompetenzen des Gutachterausschusses gehört es unter anderem bei der Erstellung von Mietspiegeln mitzuwirken oder sie selbst zu erstellen. In der Verordnung zur Bestimmung der Gebiete mit Absenkung der Kappungsgrenze vom 20.05.2014 wird Bezug genommen auf § 558 BGB, der die ortsübliche Vergleichsmiete als Maßstab bestimmt, es erfolgt keine Bezugnahme auf den Mietspiegel. Das Gleiche gilt für die Ermächtigungsgrundlage für eine Mietpreisbegrenzungs-verordnung in § 556 d BGB. Die Landesregierung sieht keinen Handlungsbedarf.