LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/8938 11.06.2015 Datum des Originals: 11.06.2015/Ausgegeben: 16.06.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3406 vom 6. Mai 2015 der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/8615 Wie bewertet die Schulministerin die Meldungen über erneute „Maulkörbe“ für Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Zuständigkeitsbereich? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3406 mit Schreiben vom 11. Juni 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat in der Vergangenheit – wiederholt – vehement bestritten, dass unter ihrer Ägide im Zuständigkeitsbereich Schule und Weiterbildung „Maulkörbe“ gegen kritische Lehrerinnen und Lehrer verhängt würden. Nach vorliegenden Erfahrungen kommen entsprechende „Maulkörbe“ nicht nur, aber insbesondere dann zur Anwendung, wenn es um die qualitätslose Umsetzung der schulischen Inklusion geht. Hierbei hat die rot-grüne Landesregierung das mehr als fragwürdige Vorgehen gewählt, die Opposition aufzufordern, die Namen der sich kritisch äußernden Betroffenen zu übermitteln. Diese Aufforderung bedeutet letztlich, vertrauensvoll übermittelte Informationen und die betroffenen Personen gegenüber der Landesregierung zu offenbaren. Dass generell, aber insbesondere auch bei Betrachtung der in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen eine solche Bloßstellung von Seiten der FDP-Fraktion nicht erfolgt oder erfolgen wird, versteht sich von selbst. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass der Fraktion auch nach den ausführlichen Debatten zu „Maulkörben“ vor einiger Zeit weiter entsprechende Klagen zugehen. Dies geht im Übrigen so weit, dass bei Pädagogen Angst besteht, sich als Experten für eine Parlamentsanhörung benennen zu lassen. Es sind sogar Beispiele bekannt, wo tatsächlich der Schulministerin nachgeordnete Behörden entsprechenden Druck ausgeübt haben, von einer Teilnahme abzusehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8938 2 Nun waren zu diesem Thema unter dem Titel „Eklat im Schulausschuss - Maulkorb für Lehrer bei Inklusion“ auf „derwesten“ folgende Ausführungen zu lesen: 1 „Oberhausen. Oberhausener Lehrer sehen große Probleme beim Thema Inklusion. Die Bezirksregierung verpasste den Lehrerräten für den Schulausschuss einen Maulkorb. Zu einem Eklat kam es in der jüngsten Sitzung des Schulausschusses. Der Zoff entzündete sich am Thema Inklusion und am Redeverbot, das die Bezirksregierung einigen Lehrerräten als deren Dienstherr für den Ausschuss erteilt hatte. Die Personalvertreter der LehrerKollegien der Oberhausener Gymnasien hätten sich sonst in der Sitzung zu ihrer Kritik an der Umsetzung des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Förderbedarf an den Regelschulen in Oberhausen äußern können. Diese Kritik haben die Lehrerräte schon vor einigen Wochen in einem Brief an die Schulverwaltung , die Bezirksregierung und die lokale Politik geäußert. In dem Brief ist von Frust die Rede, davon, dass sich die Lehrer und Schulen mit der Umsetzung der Inklusion alleingelassen fühlen, dass sie angehört werden wollen. Sie fordern ein funktionsfähiges Konzept für das gemeinsame Lernen an den Regelschulen. Bis dahin sollte die Schließung von Förderschulen ausgesetzt werden. Linke brachten Thema auf Agenda Dass dieser Brief auf die Tagesordnung des Schulausschusses kam, ist der Fraktion der Linken zu verdanken, die beantragt hatte, dass Schulverwaltung und -Aufsicht zu den Fragen der Lehrerräte, die in dem Schreiben aufgeworfen werden, Stellung beziehen. Schuldezernentin E. M. berichtete, dass aufgrund des Beschwerdebriefes ein Gespräch zwischen Vertretern des Schulträgers, also der Stadt, der Bezirksregierung und den Lehrerräten stattgefunden habe. „Das ist sehr konstruktiv gewesen.“ Den Vorwurf des fehlenden Konzepts konterte M. mit dem Hinweis auf den Bildungsplan für die Oberhausener Schulen, an dem gearbeitet wird. „Wenn der fertig ist, dann haben wir auch ein Konzept.“ In diesem Zusammenhang werde eine Raumplanung für die Inklusion erstellt. Auch H. G. von der Bezirksregierung äußerte sich in der Sitzung – etwa zur Frage der Lehrerräte in dem Brief, was mit Förderschülern am Gymnasium mit Blick auf das G8- System passiere. „Das wissen wir auch noch nicht, diese Situation müssen wir aushalten.“ Und: „Die konzeptionelle Entwicklung des gemeinsamen Lernens liegt bei den Schulen.“ BOB kritisiert "Maulkorb" für Lehrer Wie hilfreich die Lehrerräte diese Beschreibung der Baustelle Inklusion empfunden haben, war wegen des Redeverbots in der Sitzung nicht zu erfahren. Dafür schaffte es M. v. T., Leiter des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, auf die Redeliste. Der Direktor forderte, „die reden zu lassen, die die Inklusion umsetzen müssen. Es ist eine unerträgliche Situation, dass Schulleiter und Lehrer Angst haben, sich in der Öffentlichkeit zu äußern.“ Die Probleme seien größer als allgemein bekannt. Für die Schulen sei längst „die Grenze des Zumutbaren erreicht“. Die Herausforderungen der Inklusion müssten öffentlich diskutiert und nicht nur von oben verordnet werden. Sonst provoziere man auch den Widerstand von Eltern. Den „Maulkorb“ für die Lehrerräte kritisierten CDU, Linke und BOB heftig. K. v. d. M. (BOB) forderte, dass der Ausschuss das Redeverbot bei der Bezirksregierung ausdrücklich missbil- 1 Namen von Personen, die nicht dem Landtag NRW angehören, werden im folgenden, zitierten Bericht abgekürzt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8938 3 ligen solle. Ausschussvorsitzender Wolfgang Große Brömer (SPD) sagte zu, dies in einem entsprechenden Brief an die zuständigen Stellen zum Ausdruck zu bringen. „Ich kann das Redeverbot nicht aufheben, ich bedauere auch, dass die Lehrer hier nicht sprechen dürfen, aber bedenken Sie, in welche Lage wir die Kollegen bringen“, meinte Große Brömer. „Ich kann die dienstrechtlichen Konsequenzen nicht verhindern.“ Viele der angesprochenen Fragen könne sowieso nicht der Schulträger vor Ort lösen, da sei das Land gefragt, „da müssen wir anderswo Gespräche führen“ Große Brömer ist auch Vorsitzender des Schulausschusses im Landtag.“ Die Schulministerin bestreitet „Maulkörbe“ für kritische Pädagogen. Gleichzeitig werden die Schwierigkeiten bei der durch Rot-Grün überstürzt umgesetzten Inklusion trotz einer Vielzahl kritischer Rückmeldungen offenbar nicht zur Kenntnis genommen. Daher wäre es wichtig zu erfahren, wie die Landesregierung die geschilderten Ereignisse bewertet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung wird jedem Anwurf entgegen treten, dass Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen, die sich kritisch zur Schulpolitik äußern, daran gehindert würden. Vielmehr gehört es zum Stil der Landesregierung, den offenen Dialog auch mit Kritikerinnen und Kritikern zu führen und darüber hinaus die Thematik öffentlicher Meinungsäußerungen positiv zu akzentuieren (vgl. etwa nds Heft 3, 2014). Dazu gehört allerdings auch der Hinweis auf das sich aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zum Dienstherrn ergebende Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung. 1. Da sich Rot-Grün kontinuierlich für die sehr hohe Wertschätzung lobt, welche die Mitbestimmung unter ihnen angeblich genieße: Wie bewertet es die Landesregierung , dass laut Presse die Bezirksregierung den Personalvertretern der Lehrkräfte im genannten Fall für den Schulausschuss ein Redeverbot, also einen „Maulkorb “ erteilt hat? Die Landesregierung sieht keinen Anlass, die zitierte Presseberichterstattung zu bewerten. Den Lehrerräten Oberhausener Gymnasien wurde kein „Redeverbot“ erteilt. Die Außenvertretung der Schule obliegt gem. § 59 Abs. 2 Schulgesetz der Schulleiterin oder dem Schulleiter ; dies umfasst ggf. Stellungnahmen in Gremien des Schulträgers. In der erwähnten Schulausschusssitzung waren die Leitungen von vier Gymnasien als Gäste anwesend und konnten sich jederzeit zum Thema Inklusion an Oberhausener Gymnasien äußern. Dem Erkenntnisinteresse der Schulausschussmitglieder konnte entsprochen werden . Die Bezirksregierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass an drei von fünf der Oberhausener Gymnasien gar kein Gemeinsames Lernen eingerichtet ist. 2. Wie beurteilt es die Landesregierung, wenn eine Vertreterin der Bezirksregierung als nachgeordneter Behörde des Schulministeriums zur Frage des Umgangs mit Förderschülern im G8 an Gymnasien (also offenkundig auch bezüglich einer unterschiedlichen Anzahl der Jahrgänge der unterschiedlichen Bildungsgänge bedingt ) erklärt, dass man das auch nicht wisse? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8938 4 3. Wie beurteilt es die Landesregierung, wenn eine Vertreterin der Bezirksregierung als nachgeordneter Behörde des Schulministeriums zum in Frage 2 genannten Aspekt erklärt, dass man die Situation aushalten müsse? Wegen des bestehenden Sachzusammenhangs werden die Fragen 2 und 3 zusammen beantwortet . Die Aussagen der örtlich zuständigen Fachaufsicht werden in der erwähnten Berichterstattung nicht vollständig zutreffend wiedergegeben. Hier ging es zum einen um die Frage der Abschlüsse bei zieldifferenter Förderung, die durch § 19 Abs. 4 SchulG geklärt ist. Danach werden die Schülerinnen und Schüler im Förderschwerpunkt Lernen und im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung zu eigenen Abschlüssen geführt. Zum anderen wurde die Problematik der Klasse 10 im Förderschwerpunkt Lernen insbesondere im G 8 an Gymnasien thematisiert. Hier gibt es tatsächlich in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern bisher kaum Praxiserfahrung, so dass sich die konzeptionellen Überlegungen dazu derzeit noch im Prozess befinden. Im Verlauf des nächsten Schuljahres beabsichtigt die Bezirksregierung Düsseldorf, ein Themenheft zur zieldifferenten Förderung zu veröffentlichen und dadurch die Schulen diesbezüglich zu beraten und zu unterstützen. Angedacht sind auch Kooperationen mit anderen Schulen und die Erprobung alternativer Übergangskonzepte. Der Weg zu einem inklusiven Schulsystem ist ein längerer Prozess, das heißt, Inklusion kann kein fertiges, alle Aspekte des schulischen und gesellschaftlichen Lebens umfassendes starres Gesamtkonzept sein, welches – am „grünen Tisch“ geplant – den Schulen als Einheitsmuster vorgegeben wird. "Auszuhalten" in diesem Prozess ist dabei, dass es noch nicht für alle Fragestellungen beim Aufbau des Gemeinsamen Lernens eindeutige und abschließende Antworten gibt. 4. Wenn es aus Sicht der Landesregierung angeblich keinerlei Einschüchterungen und hiermit verbundene „Maulkörbe“ gegenüber kritischen Lehrerinnen und Lehrern gibt: Warum kritisiert aus Sicht der Schulministerin ein Schulleiter dann laut Artikel, dass es eine unerträgliche Situation sei, dass Schulleiter und Lehrer Angst hätten, sich in der Öffentlichkeit zu äußern? Die Tatsache, dass über den Inklusionsprozess und kritische Schreiben in Oberhausen öffentlich und engagiert diskutiert wird, lässt sich aus Sicht der Landesregierung schwerlich mit der wiedergegebenen Einschätzung in Einklang bringen. 5. Wenn die rot-grüne Umsetzung der schulischen Inklusion angeblich so erfolg- reich ist, wie es die Ministerin immer wieder erklärt: Warum erklärt aus Sicht der Landesregierung der im Artikel genannte Schulleiter dann, dass für die Schulen längst „die Grenze des Zumutbaren erreicht“ wäre? Um den Inklusionsprozess in Nordrhein-Westfalen erfolgreich zu gestalten, sind von der Landesregierung vorbereitende und begleitende Maßnahmen ergriffen worden. Insgesamt werden sich die Investitionen des Landes für die Inklusion u.a. für Personal, Aus-, Fort- und Weiterbildung und die Koordination des Gesamtprozesses in den nächsten Jahren auf über eine Milliarde Euro belaufen. Diese Aufwendungen kommen auch der Entwicklung des Gemeinsamen Lernens in Oberhausen zu Gute. Dort wurden bereits 2012 die Gymnasien durch das vom Arbeitskreis Inklusion der Bezirksregierung Düsseldorf erarbeitete und veröffentlich- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/8938 5 te „Manual zur Erstellung eines schulischen Konzepts: Gemeinsames Lernen auf dem Weg zur Inklusion in der allgemeinen Schule“ unterstützt. Anfang 2013 erfolgte eine „Informationsveranstaltung zum Stand des Inklusionsprozesses an weiterführenden Schulen in Oberhausen“. In den jährlichen Bildungskonferenzen wurde das Thema Inklusion jeweils als Schwerpunktthema behandelt. In den mehrmals jährlich stattfindenden Regionalkonferenzen wurde das Thema regelmäßig erörtert und die Beschlüsse den Schulleitungen anschließend vermittelt. Es ist der Landesregierung nicht bekannt, welche Tatsachen der zitierten subjektiven Einschätzung des Schulleiters zugrunde liegen. Dies gilt umso mehr, als – wie bereits erwähnt – an der Mehrzahl der Oberhausener Gymnasien überhaupt kein Gemeinsames Lernen eingerichtet ist.