LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9271 13.07.2015 Datum des Originals: 13.07.2015/Ausgegeben: 16.07.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3558 vom 10. Juni 2015 der Abgeordneten Serap Güler und Christian Möbius CDU Drucksache 16/8943 Dem Verwaltungsgericht Köln widersprechende Rechtsauffassung des MIK zu Einsprüchen bei „knappen als atypisch empfundenen Wahlergebnissen“ Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3558 mit Schreiben vom 13. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Minister Jäger schreibt in seiner Antwort auf die KA 3396 vom 3. Mai 2015: „Der Erlass vom 29.08.2014 trifft keine Aussage dazu, ob ein hinreichender Anlass für eine Neuauszählung der Stimmen alleine im Briefwahlbezirk 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) im Wahlbezirk 14 der Stadt Köln bestanden hat.“ Im Erlass jedoch heißt es, dass „ein knappes als atypisch empfundenes Wahlergebnis“ nicht ausreiche um neu auszuzählen. Darüber hinaus sei „zu berücksichtigen, dass das Wahlverhalten im Einzelfall nicht sicher prognostizierbar ist.“ Diese Einlassungen beziehen sich im anlassgebenden Kölner Fall klar auf die Situation des Briefwahlbezirks 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) im Wahlbezirk 14 und nicht auf die Gesamtneuauszählung, wie sie vom Rat der Stadt Köln beschlossen wurde. Das MIK hat also eindeutig den Erlass über eine Gesamtneuauszählung benutzt, um die Neuauszählung des Briefwahlbezirks 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) im Wahlbezirk 14 mit einer negativen rechtlichen Bewertung zu verhindern. Die Rechtsauffassungen des MIK werden vom VG Köln nicht geteilt. Demnach sind Einsprüche auf der Grundlage von Wahlergebnissen, die gestützt auf „statistische Auswertungen der Wahlergebnisse und die Betrachtung soziografischer Sondereinflüsse“ als atypisch empfunden werden, zulässig und begründet. Im Übrigen kann durch die Stellungnahme des MIK, dass „ein knappes als atypisch empfundenes Wahlergebnis“ nicht ausreiche, um neu auszu- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9271 2 zählen, nicht davon gesprochen werden, das MIK habe sich nicht mit der Zulässigkeit und Begründetheit von Einsprüchen auseinandergesetzt. Laut VG Köln „haben die Kläger hinreichend konkret Indiztatsachen vorgetragen, die einen Zählfehler im Stimmbezirk 20874 jedenfalls insoweit nahe legen, dass das VG Köln daraus sowohl die Befugnis herleitet als zugleich auch Anlass geboten sieht, nunmehr eigene Einsicht in die Wahlniederschriften zu nehmen und diese genau in der Art zu überprüfen, wie es zur Feststellung des Wahlergebnisses nach §§ 34 KWahlG, 61 KWahlO grundsätzlich exklusiv dem Wahlausschuss und dem ihm vorsitzenden Wahlleiter obliegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Kläger die Auszählung im Stimmbezirk 20874 nicht pauschal und unsubstantiiert angegriffen. Die von ihnen im Einzelnen vorgetragenen statistischen Auffälligkeiten sind objektiviert und verleihen dem Verdacht einer fehlerhaften Eintragung von Stimmen nachprüfungswürdige Konturen. Die statistischen Auffälligkeiten sind in Bezug auf den behaupteten Zählfehler valide und aussagekräftig.“ Einlassungen von Wahlleiter K., Bezirksregierung und MIK Das MIK stützt seinen Erlass auf die Aussage des damaligen Kölner Wahlleiters K., die Niederschriften seien von ausgesprochener Sorgfalt. Das Verwaltungsgericht führt dagegen im Urteil aus: „Zur Briefwahlniederschrift für den Stimmbezirk 20874 und der zugehörigen Ergänzung kann das Gericht – anders als die Beklagte – nicht feststellen, dass letztere überdurchschnittlich sorgfältig und ohne Unregelmäßigkeiten erstellt worden ist. Vielmehr erschüttern die nachfolgend aufgeführten Fehler in ihrer Gesamtheit das Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses durch den Wahlvorstand derart, dass dessen Tätigkeit daraufhin unter den Verdacht der Fehlerhaftigkeit gestellt werden darf. Die mehrfach fehlerhafte Ergänzung zur Briefwahlniederschrift gibt begründeten Anlass zu der Annahme, dem Wahlvorstand im Stimmbezirk 20874 könnte der von den Klägern angeführte und für den Ausgang der Wahl bedeutsame Eintragungsfehler unterlaufen sein.“ Substantiierungsgebot Das MIK verweist im Erlass auf das Substantiierungsgebot. Auch zur Wahlauszählung aller Wahlkreise hält das Gericht fest, dass der Rat keiner (strengen) Substantiierungspflicht unterliegt , weil u.a. das Kommunalwahlgesetz NRW – im Gegensatz zu Gesetzen anderer Länder – keine Begründungspflicht für Wahleinsprüche verlangt. Vorbemerkung der Landesregierung Die Darstellung in der Kleinen Anfrage ist in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Es hat zur Kommunalwahl in Köln zwei Urteile des Verwaltungsgerichts Köln gegeben. Das Verwaltungsgericht Köln befasste sich mit Urteil vom 25.03.2015 unter dem Aktenzeichen 4 K 6708/14 mit der Klage der Stadt Köln gegen eine kommunalaufsichtsrechtliche Verfügung der Bezirksregierung Köln. Mit dieser Verfügung hob die Bezirksregierung Köln den Beschluss des Kölner Stadtrates auf, wonach alle 1.024 Stimmbezirke neu ausgezählt werden sollten. Mit einem weiteren Urteil vom 25.03.2015 befasste sich das Verwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen 4 K 7076/14 mit einem Einspruch gegen die Wahl im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9271 3 Mit Erlass vom 29.08.2014 (Az. 12 - 35.10.01 - § 40 KWahlG) stellte das Ministerium seine Rechtsauffassung dar, unter welchen Voraussetzungen eine vollständige Neuauszählung aller Stimmbezirke möglich wäre. Der Erlass verhält sich nicht zur Neuauszählung eines einzelnen Stimmbezirks. Das Ministerium hat keine Zuständigkeit im Rahmen der Überprüfung einer Kommunalwahl. 1. Warum hat das MIK im Erlass zur Gesamtneuauszählung Bezug auf „ein knappes als atypisch empfundenes Wahlergebnis“ und die Prognosefähigkeit von Wahlergebnissen , also die Situation des Briefwahlbezirks 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) im Wahlbezirk 14, genommen? Wie bereits in der Antwort zu Frage 2 der Kleinen Anfrage 3396 ausgeführt, hat sich der Erlass vom 29.08.2014 ausschließlich damit befasst, unter welchen Voraussetzungen die Auszählung aller 1.024 Stimmbezirke möglich wäre. Ein Aspekt war dabei, dass Zweifel an der Richtigkeit des festgestellten Ergebnisses nur in einem Stimmbezirk nicht ausreichen können , eine Neuauszählung aller Stimmbezirke zu begründen. 2. Wie ist das MIK zu den vom VG Köln verworfenen Einschätzungen gekommen, dass „ein knappes als atypisch empfundenes Wahlergebnis“ nicht ausreiche, um neu auszuzählen, und es darüber hinaus „zu berücksichtigen [sei], dass das Wahlverhalten im Einzelfall nicht sicher prognostizierbar ist“? Die Zitate in der Fragestellung sind falsch. Richtig zitiert lautet die Passage aus dem Erlass: „ein knappes oder als atypisch empfundenes Wahlergebnis in der Phase der Ergebnisermittlung allein nicht ausreicht, um seitens eines für die Ergebnisfeststellung zuständigen Wahlausschusses die Neuauszählung von Stimmergebnissen zu verlangen - hierfür wäre das Hinzutreten besonderer Umstände erforderlich. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Wahlverhalten im Einzelfall nicht sicher prognostizierbar ist.“ Die Sachverhaltsbeschreibung in der Fragestellung ist insoweit unvollständig, als sie nicht wiedergibt, dass im Erlass davon die Rede ist, dass ein knappes oder als atypisch empfundenes Wahlergebnis allein nicht ausreiche, um eine Neuauszählung von Stimmergebnissen zu verlangen, sondern hierfür das Hinzutreten weiterer Umstände zu fordern sei. Abgesehen davon hat auch das VG Köln in seinem Urteil zur Neuauszählung des Briefwahlstimmenbezirks 20874 (4 K 7076/14) Substantiierungsanforderungen für Wahleinsprüche dahingehend erhoben, dass die Wahlprüfungsorgane genügend Anlass haben müssten, den Sachverhalt von Amts wegen weiter zu erforschen. Es führt dahingehend aus: „Selbst wenn ein mandatsrelevanter Wahlfehler in Rede steht, darf die Zusammensetzung des Parlaments bzw. hier des Rates nicht vorschnell in Frage gestellt werden. Deshalb sind Einsprüche als unsubstantiiert (und damit unzulässig) zurückzuweisen, wenn lediglich unbelegte Vermutungen angestellt werden oder die Möglichkeit eines Wahlfehlers bloß angedeutet wird. Zulässig ist der Einspruch hingegen, wenn der Einspruchsführer konkrete, der Überprüfung zugängliche Tatsachen vorträgt.“ Das Verwaltungsgericht stellt genau wie der Erlass des Ministeriums auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 12.12.1991 - 2 BvR 562/91) ab, und damit die gleichen Anforderungen an eine Substantiierung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9271 4 3. Wird die vom MIK aufgegriffene Falschaussage des damaligen Wahlleiters K., die Niederschriften seien von ausgesprochener Sorgfalt, disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen? Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung obliegt jeder Kommune die Disziplinargewalt über ihre Bediensteten und insoweit auch die Prüfung, ob ein Fehlverhalten vorgelegen hat. 4. Wie ist das MIK zu der vom VG Köln verworfenen Einschätzung bzgl. des Substantiierungsgebots gekommen? Siehe Antwort zu Frage 2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln widerspricht nicht den Ausführungen im Erlass vom 29.08.2014. In der Urteilsbegründung wird maßgeblich auf den im Wahlverfahren geltenden Grundsatz der Öffentlichkeit abgestellt, den das VG Köln durch den späteren Ratsbeschluss vom 30. September 2014 als verletzt ansieht. Das Gericht bestätigt, dass die Bezirksregierung Köln als Kommunalaufsicht den Ratsbeschluss, der auf eine vollständige Neuauszählung abzielte, ordnungsgemäß aufgehoben hat. Zu dem nach Auffassung des Gerichts den Öffentlichkeitsgrundsatz verletzenden Ratsbeschluss konnte sich der Erlass des Ministeriums nicht befassen, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefasst worden war. 5. Welchen Austausch hat es (jeweils) zwischen Angehörigen des MIK, der Bezirksregierung Köln, der Stadt Köln und Mitgliedern der SPD Köln in Bezug auf die Gesamt-Neuauszählung, die Teil-Neuauszählung des Briefwahlbezirks 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) im Wahlbezirk 14 und grundsätzliche Rechtsfragen, die diese Thematik berühren, seit Juni 2014 gegeben? Zwischen dem für Wahlrechtsfragen zuständigen Referat im MIK sowie Vertretern der Bezirksregierung Köln und der Stadt Köln einschließlich des seinerzeitigen Wahlleiters hat es anlässlich der dort im Raum stehenden Wahlprüfung nach der Kommunalwahl am 25. Mai 2014 Arbeitskontakte gegeben. Anlass dieser Arbeitskontakte war die Anfrage durch die Stadt Köln bezüglich einer rechtlichen Einschätzung durch das MIK und mündeten in den Erlass des MIK vom 29.08.2014 an die Bezirksregierung Köln und nachrichtlich u. a. an die Stadt Köln, in dem die Rechtsauffassung des MIK zu einer vollständigen Neuauszählung der Ratswahl in Köln dargelegt und begründet wurde (s. o.). Zur Rechtmäßigkeit einer Neuauszählung ausschließlich des Briefwahlbezirks 20874 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) und zu sonstigen grundsätzlichen Rechtsfragen hat das MIK seinerzeit nicht durch Erlass Stellung genommen. Wahlrechtliche und kommunalaufsichtliche Zuständigkeiten und Verfahren wurden hierdurch nicht tangiert. In der Folge hat die Bezirksregierung Köln unter dem 06.11.2014 eine Aufhebungsverfügung erlassen, die sich auf den Beschluss des Rates der Stadt Köln vom 30.09.2014 bezog, mit dem die Verwaltung beauftragt wurde, das Ergebnis der Ratswahl vom 25.05.2014 komplett zu überprüfen. Über den unmittelbaren Austausch anderer Stellen (Bezirksregierung, Stadt Köln und Mitglieder der Kölner SPD) liegen dem MIK keine Erkenntnisse vor.