LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/934 20.09.2012 Datum des Originals: 19.09.2012/Ausgegeben: 25.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 349 vom 21. August 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/650 Qualifikationsmerkmale für die Wahrnehmung von Aufsichtsratsfunktionen bei der Portigon AG in Zeiten des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) – Welche Bestrebungen zur personellen Umbesetzung hegt der Finanzminister? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 349 mit Schreiben vom 19. September 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit Wirkung zum 2. Juli 2012 hat die Portigon AG mit Sitz in Düsseldorf die Rechtsnachfolge der WestLB angetreten. Laut Eigendarstellung auf der Internetseite www.portigon.com handelt es sich bei Portigon um einen international tätigen Dienstleister im Service- und Portfoliomanagement , der das aktive Management großer und komplexer Portfolios betreibt. Bereits heute verwaltet die AG weltweit strukturierte Finanzierungen, Wertpapiere und Kredite im Umfang von mehr als 120 Milliarden Euro. Darüber hinaus steht die Abwicklung komplexer Kredit- und Zinsderivate – unter anderem aus der sogenannten Subprime- und Immobilienkrise – mit einem Nennwert von derzeit insgesamt über 1,5 Billionen Euro an. Die Anteile an Portigon befinden sich fast ausschließlich im Landeseigentum: zu 67,83% beim Land Nordrhein -Westfalen direkt und zu 30,51% bei der NRW.BANK. Entsprechend den Vorgaben des Aktiengesetzes (AktG) verfügt die Portigon AG über die gesetzlich vorgeschriebene organschaftliche Gliederung einer Aktiengesellschaft. Diese umfasst namentlich den Aufsichtsrat, der ausweislich § 6 Abs. 1 der Satzung der Portigon aus 20 Mitgliedern besteht. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt jeweils für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach Beginn der Amtszeit der Mitglieder beschließt, das Geschäftsjahr nicht mitgerechnet, in dem die Amtszeit beginnt; typischerweise dauert ein Aufsichtsratsmandat damit fünf Jahre. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/934 2 Diese Regelung entspricht inhaltlich § 102 Abs. 1 AktG. Gegenwärtiger Vorsitzender des Aufsichtsrats ist der frühere Staatssekretär im Finanzministerium des Landes NordrheinWestfalen , Wolfgang Steller. Zum gegebenen Zeitpunkt kommt eine Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes der Portigon AG in Betracht. Diese wäre vor Ablauf der Amtszeit etwa im Wege der Abberufung des bisherigen Vorsitzenden durch die Hauptversammlung nach § 103 AktG möglich. Im Zuge einer Neubesetzung sind jedoch stets Kriterien zu berücksichtigen, die besondere persönliche Anforderungen an die Eignung der entsprechenden Kandidaten stellen. Zunächst folgen diese Anforderungen aus dem AktG: § 111 Abs. 1 gibt vor, dass der Aufsichtsrat für die Überwachung der (gesamten) Geschäftsführung des Unternehmens verantwortlich ist. Auch die Einberufung außerordentlicher Hauptversammlungen obliegt allein dem Aufsichtsrat, dessen Mitglieder sich dabei nicht durch Dritte vertreten lassen dürfen (§ 111 Abs. 3, 5 AktG). Eine Vermengung exekutiver, dem Vorstand vorbehaltener Geschäftstätigkeiten mit der Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats ist nicht zulässig. Aufsichtsratsmitglieder haften zudem – ebenso wie Vorstände – der Gesellschaft gegenüber persönlich für bestimmte Risiken ihrer Tätigkeit, § 116 i.V.m. § 93 AktG. Diese Risiken sind vielfältiger Natur und regelmäßig nur unter restriktiven Voraussetzungen versicherbar; das Gesetz nennt insoweit zum Beispiel die Rückgewähr von Einlagen sowie die Zahlung von Zinsen oder Gewinnanteilen an die Aktionäre, das Zeichnen oder die Inpfandnahme eigener Aktien der Gesellschaft oder einer anderen Gesellschaft durch die Aufsichtsratsmitglieder , die Ausgabe von Aktien vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags, das Verteilen von Gesellschaftsvermögen, die Gewährung von Kredit oder die Ausgabe von Bezugsaktien außerhalb des festgesetzten Zwecks bei einer bedingten Kapitalerhöhung, sofern diese Handlungen unter (auch lediglich fahrlässigem) Verstoß gegen Aktienrecht vorgenommen werden, vgl. § 93 Abs. 3 AktG. Mitglieder des Aufsichtsrats unterliegen daher gerade bei kapitalstarken Gesellschaften wie der Portigon AG – die allein über ein Grundkapital von gut 966 Millionen Euro verfügt – erheblichen persönlichen Haftungsrisiken. Darüber hinaus ist nicht jedermann zur Bekleidung eines Aufsichtsratsmandats persönlich geeignet. Bereits das AktG nennt insoweit etwa die Betreuung nach bürgerlichem Recht, die Mitgliedschaft in mehr als 10 Aufsichtsräten oder exekutive (geschäftsführende) Funktionen in einem von der Gesellschaft beherrschten Unternehmen als Ausschlusstatbestände. Diese grundlegenden Inkompatibilitäten stellen allerdings nicht die einzigen zu beachtenden Anforderungen dar; mit Blick auf § 161 AktG erklären Vorstand und Aufsichtsrat einer AG jährlich, welche Empfehlungen aus dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) im Unternehmen berücksichtigt wurden. Der DCGK enthält eine Zusammenfassung geltender gesetzlicher Bestimmungen ebenso wie Empfehlungen zur „besseren“ Unternehmensführung (sog. „Best Practice“); er wird aufgrund der aktienrechtlichen Erklärungspflicht jedenfalls mittelbar von Einfluss auf die Unternehmensgestaltung sein. In Nr. 5.4 statuiert der DCGK, zu dem sich auch Portigon bekennt, unter anderem folgende Anforderungen an Mitglieder des Aufsichtsrats: Der Aufsichtsrat ist so zusammenzusetzen, dass die Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen (Nr. 1). Dem Aufsichtsrat soll eine nach seiner Einschätzung angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören. Zweck ist die Vermeidung von Interessenkonflikten (Nr. 2). Jedes Aufsichtsratsmitglied achtet darauf, dass ihm für die Wahrnehmung der Mandate genügend Zeit zur Verfügung steht (Nr. 5). Zudem ist die Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder in wenigstens der Hälfte der Sitzungen des Aufsichtsrats geboten (Nr. 7). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/934 3 Zusammenfassend müssen Aufsichtsratsmitglieder also fachlich qualifiziert und erfahren, unabhängig – nicht nur – von anderen Unternehmen und mit einem hinreichenden Maß an Zeit für die Erfüllung ihrer Aufgaben ausgestattet sein. Im Falle eines Wechsels in der Besetzung des Aufsichtsrats der Portigon AG muss sichergestellt sein, dass die künftigen Mitglieder diese Anforderungen ebenfalls erfüllen. Dies gilt aufgrund der enormen strategischen wie operativen Verantwortung der Portigon AG bei der Beratung der EAA im Prozess der WestLB-Abwicklung insbesondere für die zeitliche Verfügbarkeit des entsprechenden Personenkreises. Überdies ist gerade angesichts des komplexen Geschäftsfelds der Portigon AG darauf zu achten, dass die fachliche Qualifikation des Aufsichtsrates die gesetzlich vorgeschriebene Überwachung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens vollumfänglich ermöglicht. Gerade die Beratung der EAA bei der Abwicklung sog. „Schrottpapiere“ aus der Subprime-/ Immobilienkrise in den USA erfordert aufgrund der Struktur dieser Papiere – oft mehrfach gebündelte Portfolios aus Immobilienkrediten mit im Einzelnen regelmäßig schlechter Bonität – überragenden Sachverstand im Hinblick auf die Mechanismen der globalen Finanzmärkte und die weltweit vor allem seit Beginn des 21. Jahrhunderts dort gehandelten, häufig erst neu „erfundenen“ Finanzprodukte wie etwa Credit Default Swaps (Kreditausfallderivate), Mortgage Backed Securities (gebündelte und neubewertete Immobilienkredite) und Collateralized Debt Obligations (Bündelung mehrerer MBS). Dies gilt umso mehr, als die Portigon AG nach eigenen Angaben über derartige Papiere im Nennwert von mehr als 1,5 Billionen Euro verfügt. Zu Gunsten eines im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen möglichst vermögensschonenden Vorgehens darf es am notwendigen Sachverstand künftiger Aufsichtsräte deshalb keinesfalls fehlen. Der DCGK gibt ferner vor, dass sich die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder an deren Tätigkeitsumfang sowie der wirtschaftlichen Lage und dem Erfolg des Unternehmens orientiert. Ein geringer Tätigkeitsumfang darf daher nicht mit einer unbotmäßigen Vergütung korrelieren. In diesen Tagen kursiert im Finanzministerium die Information, der für fünf Jahre gerade erst gewählte und amtierende Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Steller solle auf Betreiben der Landesregierung hin noch in diesem Jahr abberufen werden, um den Platz freizumachen für den ebenfalls an dieser Funktion interessierten Finanzminister, der dem Gremium bislang „nur“ als einfaches Mitglied angehört. Eine solche Rochade würde offenkundig gleich gegen mehrere der zuvor dargestellten elementaren Grundsätze des DCGK verstoßen. 1. Ist es nach aktuellem Kenntnisstand der Landesregierung zutreffend, dass der Portigon - Aufsichtsratsvorsitzende Steller noch in diesem Jahr aus seinem Amt ausscheidet? Ja, und zwar nach Ankündigung bereits bei Übernahme des Mandates auf eigenen Wunsch. Herr Steller hatte sich in Folge des Ausscheidens der beiden nordrhein-westfälischen Sparkassenverbände aus dem Eigentümerkreis der Portigon AG auf Bitten des Landes bereit erklärt, das vom bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Breuer (RSGV) niedergelegte Mandat für die Zeit bis zur Neuformierung des Aufsichtsrates zu übernehmen. 2. Strebt der Finanzminister dessen Nachfolge im Aufsichtsratsvorsitz der Portigon AG an? Der Finanzminister wird auch künftig dem Gremium als Aufsichtsratsmitglied angehören. Die Vertretung der Interessen des Eigentümers Land im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung als Mitglied des Portigon-Aufsichtsrates erfordert nicht notwendigerweise die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/934 4 3. Welche einzelnen genauen Kriterien sind für die Landesregierung in puncto per- sönlicher Eignung von Kandidaten für die Übernahme Aufsichtsratsmitgliedschaft allgemein, und insbesondere für den Aufsichtsratsvorsitz, bei der Portigon AG zwingend erforderlich? (bitte vollständige Enumeration) Die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben des § 100 Aktiengesetz, des § 36 Absatz 3 Kreditwesengesetz und der Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes. Zudem achtet das Land auf eine geschlechterausgewogene Besetzung des Gremiums und den Grundsatz der diversity (Vielfalt) im Einklang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex, soweit es Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen der Hauptversammlung bestellt. Für den Vorsitzenden des Aufsichtsrates gelten keine abweichenden Regelungen. Er wird allerdings durch die Aufsichtsratsmitglieder gewählt. Bei der Bestellung des Finanzministers zum Aufsichtsratsmitglied kommt als zusätzliches Kriterium hinzu, das die Beteiligungsverwaltung i.S. Portigon AG dem Finanzministerium zugeordnet ist und somit die Geschicke der Gesellschaft in seiner Ressortzuständigkeit liegen . Da die Portigon AG der paritätischen Mitbestimmung unterliegt, wird die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Arbeitnehmerseite gestellt. 4. Wie soll nach Vorstellung der Landesregierung ein Findungsverfahren für gänz- lich neue bzw. in ihren Funktionen neue Aufsichtsratsmitglieder, insbesondere des Vorsitzes, bei der Portigon AG prozedural und unter Angabe der Findungskriterien genau ablaufen? Das Findungsverfahren erfolgt unter Beachtung der unter 3. erläuterten Kriterien. Ihm liegt kein Ausschreibungsverfahren zugrunde, sondern es ist wie in der Vergangenheit geprägt von der persönlichen Ansprache der potentiellen Kandidatinnen und Kandidaten für ein Aufsichtsmandat . 5. Wie werden die Tätigkeiten der einzelnen Positionen im Vorstand und im Auf- sichtsrat der Portigon AG aktuell unter Hinweis auf das Vergütungsoffenlegungsgesetz NW vergütet? Die Vergütungen des Vorstandes und des Aufsichtsrates der Portigon AG für das abgelaufene Geschäftsjahr 2011 sind am 23.08.2012 unter dem früheren Firmennamen „WestLB AG Düsseldorf“ im Bereich Gesellschaftsbekanntmachungen im elektronischen Bundesanzeiger (www.bundesanzeiger.de) veröffentlicht worden. Die Veröffentlichung entspricht den Vorgaben des § 65a Landeshaushaltsordnung bzw. dem Vergütungsoffenlegungsgesetz NW. In Bezug auf die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder weise ich darauf hin, dass mit Wirkung zum 01.09.2012 der Aufsichtsrat von 20 auf 12 Mitglieder reduziert und die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder halbiert wurde.