LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9347 24.07.2015 Datum des Originals: 23.07.2015/Ausgegeben: 29.07.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3634 vom 1. Juli 2015 des Abgeordneten Ernst-Ulrich Alda FDP Drucksache 16/9136 Ein Jahr Mütterrente – ein Nullsummenspiel für viele betroffene Frauen in NRW? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 3634 mit Schreiben vom 23. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 1. Juli 2014 ist die Mütterrente in Kraft getreten. Durch sie wird die Erziehung von Kindern , die vor 1992 geboren wurden, nicht mehr nur mit einem, sondern mit zwei Entgeltpunkten bewertet. Konkret erhöht sich damit der monatliche Rentenbetrag um aktuell brutto 28,61 Euro im Westen bzw. 26,39 Euro im Osten. Abgezogen werden müssen noch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie ggf. die Besteuerung. Allerdings kommen nicht alle betroffenen Mütter tatsächlich in den Genuss dieser Erhöhung. So gehen insbesondere die Frauen leer aus, die zur Vermeidung von Altersarmut Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen. In diesem Fall wird die Mütterrente nämlich mit den Leistungen der Grundsicherung verrechnet, wodurch die Bezieherinnen kein höheres Nettoeinkommen erhalten. Dies betrifft den Personenkreis, bei dem der Rentenanspruch niedriger ist als die Summe des Regelbedarfs der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Der Bund erstattet den Ländern 100 Prozent der den zuständigen Trägern (Landkreise und kreisfreie Städte) entstandenen Nettoausgaben für die Grundsicherung. Durch die Anrechnung der Mütterrente reduzieren sich diese Ausgaben. Eine weitere Benachteiligung ergibt sich für Mütter von Adoptivkindern. Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität kommt die Mütterrente nur den Frauen zugute, die bereits einen Anspruch auf die Bewertung von Erziehungsleistungen hatten. Dies betrifft bei Adoptivkindern nur diejenigen, die im ersten Lebensjahr adoptiert worden sind. Damit wird der Grund- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9347 2 gedanke der Mütterrente hinsichtlich der Bewertung eines zweiten Erziehungsjahres nicht erfüllt, wenn Adoptiveltern ein Kind im zweiten Lebensjahr aufgenommen haben. Vorbemerkung der Landesregierung Am 1. Juli 2014 ist das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung in Kraft getreten. Es beinhaltet die Anerkennung eines zusätzlichen Jahres mit Kindererziehungszeiten bei Müttern und Vätern, deren Kinder vor 1992 geboren sind. Durch die sog. „Mütterrente“ wird die Erziehung von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, nicht mehr nur mit einem, sondern mit zwei Entgeltpunkten bewertet. Dies wirkt sich rentenerhöhend aus. Soweit Personen bislang keine Rente erhalten haben, kann die „Mütterrente“ auch dazu führen , dass erstmals eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung zu bewilligen ist, weil durch die zusätzliche Anrechnung eines Beitragsjahres je vor 1992 geborenem Kind erstmals die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt wird. Die sog. „Mütterrente“ ist, wie grundsätzlich alle Renten der Rentenversicherung, nicht als Entschädigung oder zweckbestimmte Leistung vom Bundesgesetzgeber ausgestaltet worden, sondern dient als laufende Rentenzahlung der Sicherstellung des Lebensunterhaltes. Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) handelt es sich um eine Leistung, die das Existenzminimum und damit den Lebensunterhalt sicherstellt. Nach den einschlägigen Vorschriften des Sozialhilferechts gehören zum Einkommen grundsätzlich alle tatsächlich zufließenden Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der ausdrücklich vom Bundesgesetzgeber genannten Entschädigungen oder zweckbestimmte Leistungen. Da zwischen der „Mütterrente “ und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Zweckidentität besteht (beide dienen der Sicherstellung des Lebensunterhalts), ist eine Anrechnung der „Mütterrente“ als Einkommen bei der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter vom Bundesgesetzgeber bewusst geregelt worden. Ausnahmeregelungen hat der Bundesgesetzgeber gerade nicht getroffen. 1. Wie viele Frauen in Nordrhein-Westfalen beziehen die so genannte Mütterrente? Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Rheinland, der Deutschen Rentenversicherung Westfalen und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See beziehen etwa 929.000 Personen aus dem Rentenbestand dieser Träger eine sog. „Mütterrente“. Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund zu Beziehern der „Mütterrente“ mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen liegen nicht vor. Es kann aber davon ausgegangen werden , dass etwa noch einmal so viele Personen eine „Mütterrente“ von der Deutschen Rentenversicherung Bund beziehen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass in der genannten Zahl auch Männer erfasst sind, die von der Verlängerung der Kindererziehungszeiten profitieren. In dieser Zahl sind außerdem Personen enthalten, die zwar bei den genannten Trägern versichert sind, aber ihren Wohnsitz außerhalb von NRW haben. Eine Unterscheidung nach Geschlecht sowie die Auswertung nach Wohnsitz war innerhalb der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Die genannte Zahl berücksichtigt weiterhin nicht, dass auch andere landesunmittelbare Rentenversicherungsträger Rentenbezieher in ihrem Bestand haben, die in Nordrhein-Westfalen wohnen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9347 3 2. Bei wie vielen dieser Frauen kommt es ganz oder teilweise zu einer Anrechnung auf die Grundsicherung? Angaben zu der Anzahl der Frauen, bei denen es ganz oder teilweise zu einer Anrechnung auf die Grundsicherungsleistung kommt, liegen der Landesregierung nicht vor und werden auch nicht von der amtlichen Sozialhilfestatistik erfasst. 3. Um welchen Betrag haben sich die Zuweisungen des Bundes an das Land Nordrhein -Westfalen für die Kosten der Grundsicherung aufgrund der Anrechnung der Mütterrente reduziert? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. Es werden nur die Nettoausgaben der Träger der Sozialhilfe insgesamt erfasst und beim Bund zur Erstattung angemeldet. Danach wurden im ersten Halbjahr 2014 in NRW insgesamt 717.990.966,55 € Nettoausgaben ermittelt und zur Erstattung angemeldet. Im zweiten Halbjahr 2014 ergaben sich Nettoausgaben in Höhe von 729.103.042,98 €. Für das erste Halbjahr 2015 liegen diese Angaben erst zum 15. September 2015 vor. 4. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass in Folge der Mütterrente eine soziale Grundabsicherung verstärkt von den Beitragszahlungen der Rentenversicherung und damit zu großen Teilen von den Arbeitnehmern übernommen wird, während gleichzeitig der Bundeshaushalt entlastet wird? Die Sozialhilfe ist das unterste Netz der sozialen Sicherung in Deutschland. Es fängt diejenigen auf, die sich nicht selbst helfen können und auch keine oder nicht ausreichend Hilfe von anderen, insbesondere von anderen Sozialleistungsträgern erhalten (Nachrangprinzip der Sozialhilfe). Hieraus folgt, dass grundsätzlich alle Leistungen des vorrangigen sozialen Sicherungssystems (nicht nur die Mütterrente, sondern alle Leistungen der Krankenversicherung , Rentenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung usw.) zunächst einzusetzen sind, bevor Sozialhilfe zur Auszahlung kommen kann. 5. Wie bewertet die Landesregierung die in der Vorbemerkung beschriebene Benachteiligung für Mütter von Adoptivkindern? Angesichts der Leistungen und des besonderen Engagements von Adoptiveltern bedauert die Landesregierung, dass einige Adoptiveltern nicht von der Verlängerung der Kindererziehungszeiten profitieren. Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass angesichts von ca. 9,5 Millionen Bestandsrenten, in denen Kindererziehungszeiten für vor dem Jahr 1992 geborene Kinder berücksichtigt sind, pauschale verwaltungsvereinfachende Regelungen unumgänglich waren.