LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9353 24.07.2015 Datum des Originals: 23.07.2015/Ausgegeben: 29.07.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3485 vom 2. Juni 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/8837 Lösungswege zur Abminderung des bereits vierwöchigen Streiks in Essener Kitas – Welche Unterstützung bietet die Landesregierung konkret für betroffene Familien wie öffentliche Bedienstete in der verfahrenen und weiter andauernden Problemlage an? Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 3485 mit Schreiben vom 23. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nunmehr in der vierten Woche bleiben die Türen zahlreicher öffentlicher Kindertagesstätten auch in der Großstadt Essen aufgrund des Erzieherstreiks geschlossen, und ein Ende ist noch längst nicht in Sicht. Der Streik der Erzieher könnte sogar noch bis zur Sommerpause dauern. Aktuell befinden sich in Essen rund 500 Beschäftigte im Ausstand, rund drei Viertel der Einrichtungen sind vollständig geschlossen. 34 von 48 städtischen Kindertagesstätten bieten keinerlei Dienstleistungen an, und einzelne notdürftig organisierte Auffanggruppen können nicht ansatzweise auch nur die größten Engpässe vermeiden helfen. Für die betroffenen berufstätigen Eltern kleiner Kinder kommt es daher in der Stadt Essen zu einem Betreuungsdesaster in bislang unbekannten Ausmaßen. Gelang es in den ersten Streiktagen noch, mittels unfreiwillig eingereichten Urlaubstagen, einem Entgegenkommen von Arbeitgebern, Großeltern, Freunden, Verwandten, Tagesmüttern, privater Einrichtungen oder im Zusammenschluss mit anderen leidtragenden Familien den plötzlichen Betreuungsausfall zu kompensieren, gestaltet sich dies über die lange Streikdauer hinweg zunehmend schwieriger. Auch einige Notfallplätze sind städtischerseits organisiert worden, die aber bei weitem nicht den hohen Bedarf abdecken. Auch in pädagogischer Hinsicht sind viele dieser aktuell praktizierten Notlösungen eher zweifelhaft, wenn Kleinkinder ohne Qualitätsstandards von oft fremden Personen in ungewohnter Umgebung bloß beaufsichtigt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9353 2 Der Streik ist im Rahmen der Tarifautonomie legal und daher auch seitens der Politik nicht zu verhindern. Die Verantwortlichen in den Kitas und den weiteren sozialen Einrichtungen nehmen ihr Recht wahr, sich gegen eine Politik zu wehren, die ihnen immer mehr Aufgaben und Verantwortlichkeiten aufbürdet, ohne ihnen auf der anderen Seite bessere Perspektiven anzubieten. Eine vielfältige und qualitativ hochwertige Bildungslandschaft in der Stadt Essen, inklusive gut ausgebildetem und entsprechend entlohntem Personal, ist aber auch im Bereich der frühkindlichen Bildung nicht zum Nulltarif zu bekommen. Die Stadt Essen als bundesweit am höchsten verschuldete Kommune, die von Land und Bund immer mehr teure Aufgaben wie beispielsweise bei der Flüchtlingshilfe oder Inklusion auferlegt bekommen hat, kann die Erfüllung berechtigter Wünsche und Erwartungen leider nicht mehr aus eigener Kraft stemmen. Der enge finanzielle Spielraum der Kommune führt auch zu der weiteren Problematik, dass die Rückerstattung von Kita-Beiträgen aufgrund der nicht erbrachten Betreuungsleistung in Nothaushalts- oder Stärkungspaktkommunen dem Vernehmen nach rechtlich nicht erlaubt ist. Für einzelne Tage ist es nachvollziehbar, dass die Erstattung von Elternbeiträgen als freiwillige Leistung des kommunalen Trägers bei höherer Gewalt infolge von Streiks nicht erfolgt. Bei einem nunmehr über vier Wochen andauernden Ereignis kann dies aber nicht automatisch angenommen werden. Der Kommune erwachsen dadurch Einsparungen, und je länger die Phase nicht erbrachter Leistungen dauert, desto eher ist auch der administrative Aufwand für die Ermittlung von Rückzahlungsansprüchen gerechtfertigt. Für viele Eltern wird der bezahlte Betreuungsausfall jedenfalls zur handfesten Belastung; sie müssen momentan neben der Beitragsentrichtung für die geschlossene Kita nun oft zusätzlich noch für eine selbstorganisierte Ersatzbetreuung und Mittagsverpflegung zahlen, während die Stadt Essen die Vergütung für die Streikenden und einen Teil der Betriebskosten spart. Der Rat der Stadt hat daher seinen politischen Willen zur Rückerstattung bekundet, aber unverändert Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit oder dafür gegebenenfalls notwendigen Voraussetzungen. Auch die zuständige Familienministerin Ute Schäfer hat sich soeben dahingehend geäußert, Eltern zu entlasten. Beispielsweise ist am 26. Mai 2015 in der NRZ zu lesen: „Im Sinne der Eltern hielt Schäfer allerdings eine freiwillige Rückerstattung der Elternbeiträge für die Zeit der streikbedingten Schließung für "sicherlich wünschenswert". Nach Angaben des NRW-Innenministeriums sind Nothaushaltskommunen aber rechtlich gar nicht in der Lage, die Beiträge zurückzuzahlen. Vor dem ernsten Hintergrund der schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen ist es dringend notwendig, dass sich Ver.di und die kommunalen Arbeitgeberverbände schnellstmöglich gemeinsam an einen Tisch setzen und ein Schlichtungsverfahren einleiten, um nach Auswegen zu suchen. Die Verantwortlichen in der Landesregierung dürfen es auch nicht länger bei reinen Worthülsen und Beruhigungspillen für Eltern und Erzieher belassen. 1. Wie viele Kinder konnten in Essener Einrichtungen infolge des Streiks nicht wie gebucht betreut werden? (differenzierte Antwort unter Angabe von Alter, Betreuungsart und Dauer der Nichtbetreuung erbeten) Der Landesregierung ist nicht bekannt, wie viele Kinder in Essener Tageseinrichtungen infolge der Streiks nicht wie gebucht betreut werden konnten. Soweit in Essen von kommunalen Einrichtungen hierzu Daten erhoben werden, liegen diese nach Auskunft der Stadt Essen voraussichtlich Ende August vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9353 3 2. Welche finanziellen Auswirkungen haben sich durch den Streik städtischer Angestellter in Kindertagesstätten und weiteren sozialen Einrichtungen für die Stadt Essen im Einzelnen ergeben? (bitte Einspareffekte bei Vergütungen und Betriebskosten sowie Einnahmen durch Elternbeiträge und Landeszuweisungen gegenüberstellen ) Hierzu berichtet das Jugendamt Essen: „Die Eingabe der Streiklisten in das Abrechnungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Eine abschließende Kalkulation der Auswirkungen auf die Lohnsumme zum bisherigen Streikverlauf wird ab August möglich sein. Eine Kalkulation ersparter Betriebskosten ist nicht qualifiziert durchzuführen, zumal in den Kindertagesstätten Notbetreuung stattgefunden hat.“ 3. Unter konkret welchen einzelnen Bedingungen bestehen nach Rechtsauffassung der Landesregierung jeweils Möglichkeiten für Nothaushalts- bzw. Stärkungspaktkommunen wie der Stadt Essen, die Elternbeiträge für die an Streiktagen nicht erfolgte Leistungserbringung vollständig zurückzuerstatten, wenn der politische Wille vor Ort dies möchte? Zur Beantwortung der Frage wird auf die in der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3454 zur "Rückerstattung von Kita-Gebühren", Drucksache 16/9103, genannten Maßstäbe verwiesen. 4. Welche Verpflichtungen bestehen jeweils für das Land und die Stadt Essen, besonders negativ betroffenen Eltern wie Berufstätigen oder Alleinerziehenden alternative Betreuungsoptionen an Streiktagen anzubieten, wenn der Zustand der Nichterbringung vertraglich vereinbarter Leistungen über mehrere Wochen anhält ? Nach § 24 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ist das Jugendamt der Stadt Essen zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Betreuung verpflichtet. Grundsätzlich muss es daher den Eltern auch bei streikbedingten Schließungen der Kindertageseinrichtungen nach Möglichkeit alternative Betreuungslösungen anbieten. Im Notfall können dabei zum Beispiel nichtbelegte Betreuungsplätze in Einrichtungen freier Träger oder in Kindertagespflege in Anspruch genommen werden. Bei größeren Streiks, wie den zurückliegenden, die sich jugendamtsweit auswirken und an denen fast alle städtischen Kitas beteiligt sind, ist die Umsetzung von solchen Notmaßnahmen jedoch sehr begrenzt. Das Jugendamt Essen führt hierzu aus: „Streik als Ereignis höherer Gewalt steht außerhalb der normalen Betriebstätigkeit der Gemeinde. Insofern ist die Möglichkeit der Erfüllung von Betreuungsverträgen objektiv eingeschränkt. Da nicht alle Erzieher/innen streiken, wird ein Teil der Betreuungsverträge durch die Kommune im Rahmen von Notgruppenangeboten sichergestellt. Hinsichtlich des Zugangs zu Notgruppen haben die Vertragspartner dem Grunde nach Anspruch auf willkürfreie Entscheidung auf der Basis von Kriterien. In den täglich schwankenden Einschränkungen des Betriebes ist die Erfüllung der Kriterien aber nicht verlässlich abzuprüfen. Die Stadt hat die Verpflichtung, Möglichkeiten der Notdienste formal mit der Gewerkschaft zu verhandeln, um ihrer Gewährleistungspflicht so weit wie möglich nachzukommen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9353 4 Nach Ausschöpfung dieser Mittel scheitern weitergehende Schritte auf kommunaler Ebene an fehlenden Fachkräften. Modelle verschiedener Städte zeigen als Ersatzlösung Möglichkeiten ehrenamtlicher / freiwilliger Leistungen in Kombination Elternschaft / Kommune auf, die aber nicht im juristischen Sinne als eindeutig verpflichtend eingestuft werden können.“ 5. Aus welchen sachlichen Erwägungen hält die Landesregierung ihre aktuelle Bezuschussung bei der Kinderbetreuung und der sozialen Einrichtungen für die Stadt Essen für ausreichend, damit diese ihr Personal angemessen vergüten kann? Die Bezuschussung bei der Kindertagesbetreuung und den sozialen Einrichtungen für die Stadt Essen durch das Land entspricht den gesetzlichen Vorgaben.