LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9354 24.07.2015 Datum des Originals: 24.07.2015/Ausgegeben: 29.07.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3617 vom 25. Juni 2015 des Abgeordneten Ernst-Ulrich Alda FDP Drucksache 16/9113 Nordrhein-Westfalen als Problemfall auf dem deutschen Arbeitsmarkt – greifen die Maßnahmen des Landes zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit nicht? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 3617 mit Schreiben vom 24. Juli 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nordrhein-Westfalen hat sich zum Problemfall auf dem deutschen Arbeitsmarkt entwickelt. Bei der Arbeitslosenquote ist NRW inzwischen von Thüringen als erstes der neuen Bundesländer überholt worden. Dort lag die Arbeitslosenquote im vergangenen Mai mit 7,3 Prozent niedriger als in NRW mit 7,9 Prozent. Von den alten Bundesländern hat NRW schon seit langem die höchste Arbeitslosigkeit der Flächenländer. Im Vergleich zur westdeutschen Quote mit 5,6 Prozent liegt NRW inzwischen um 2,3 Prozentpunkte darüber. Die Arbeitslosigkeit liegt in NRW damit um 41 Prozent über dem westdeutschen Durchschnitt. Insbesondere leben in NRW überdurchschnittlich viele und schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose . Aktuell gibt es in NRW ca. 330.000 Menschen, die in einem längeren Leistungsbezug (mehr als 12 Monate) stehen. Diese Menschen haben meist geringe Qualifikationen und mehrfache Vermittlungshemmnisse. Da sie langfristig keine Arbeit ausgeübt haben, unterliegen sie der Gefahr, sich in ihrer Situation einzurichten. Erschwerend kommt hinzu, dass Langzeitarbeitslose eine Art Entwertung ihrer erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse erfahren. Da diese Personengruppe schwer vermittelt werden kann, wird seitens der Arbeitsagenturen häufig auf Maßnahmen und Trainings zurückgegriffen, die eher auf kurzfristige Erfolge abzielen . Vermittlungen erfolgen oftmals nur in so genannte prekäre Arbeitsverhältnisse, was dazu führt, dass die Personengruppe schnell wieder im Leistungsbezug steht bzw. weiterhin aufstocken muss. Das Problem hinter diesem Ansatz ist, dass diese Qualifizierungsmaßnahmen aber häufig an den Bedürfnissen, Erfahrungen und grundlegenden Vermittlungshemmnissen der Arbeitssuchenden vorbei gehen. Letztlich „entfernen“ sich die Langzeitarbeitslosen noch weiter von ihrer Erwerbsbiographie und verlieren zunehmend an Selbstbewusstsein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9354 2 Es sollte vielmehr Aufgabe von Politik und Gesellschaft sein, die Betroffen zu motivieren, selbst etwas an ihrer Situation zu verändern. So hat das Modellprojekt „Aktivierung und berufliche Eingliederung als eigenständige Dienstleistung der Jobcenter“ im Sinne eines „Workfirst -Ansatzes“ darauf gesetzt, dass Mitarbeiter der Jobcenter sich intensiv um die Beratung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen kümmern. Sie betreuen als „Job Coach“ eine oder mehrere Gruppen an mehreren Tagen in der Woche, statt wie bisher Beratung im Abstand von mehreren Wochen oder gar Monaten durchzuführen. Ziel sollte sein, dass die Arbeitssuchenden mit Hilfe des Coachings selbst eine passende Stelle suchen. 1. Wie viele Personen aus dem Kreis der Langzeitarbeitssuchenden in NRW sind nach Einschätzung der Landesregierung aufgrund fehlender Qualifikationen nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar? Eine präzise bzw. generelle Einschätzung lässt sich hierzu nicht abgeben. Die Chance zur Aufnahme einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Jüngere Arbeitsuchende ohne Berufsausbildung sind in Ostwestfalen-Lippe eher in den Arbeitsmarkt zu vermitteln als im Ruhrgebiet. 2012 war der Arbeitsmarkt für Arbeitsuchende ohne Berufsausbildung aufnahmefähiger als 2013 und 2014. 2. Wie viele Personen aus dem Kreis der Langzeitarbeitssuchenden in NRW sind nach Einschätzung der Landesregierung aufgrund anderer Vermittlungshemmnisse nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar? Siehe Antwort zu Frage 1. Insgesamt ist davon auszugehen, dass bei rund 40 % der Arbeitsuchenden im Rechtskreis SGB II, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und noch keiner Beschäftigung nachgehen , die Beschäftigungsfähigkeit nur langfristig hergestellt werden kann. 3. Welche Maßnahmen werden ergriffen, um Langzeitarbeits- losen die Möglichkeit zu geben, eine Qualifikation zu erlangen, die an ihrer vorherigen Erwerbsbiographie ausgerichtet ist? Gerade für langzeitarbeitslose Menschen ist es wichtig, einem langfristigen Ausschluss vom Arbeitsmarkt entgegen zu wirken, um eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit und damit die Schmälerung von gesellschaftlicher Teilhabe zu vermeiden. Die Landesregierung hat gezielt Initiativen ergriffen, um die Situation von Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Mit einem lebensweltbezogenen, umfassenden Beratungsansatz sollen die Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren durch ihre Lotsenfunktion die Arbeitsuchenden motivieren und einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur Steigerung ihrer Beschäftigungsfähigkeit leisten. Das Programm „Teilzeitberufsausbildung – Einstieg begleiten – Perspektiven öffnen“ unterstützt Menschen mit Familien, die aufgrund ihrer familiären Pflichten eine Ausbildung abbrechen mussten oder bisher keine Ausbildung beginnen konnten, dabei, eine Berufsausbildung aufzunehmen. Als Brücke in den Arbeitsmarkt leistet das Programm einen Beitrag dazu, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9354 3 Menschen mit Familien, oftmals Alleinerziehende, zu qualifizieren, die dem Arbeitsmarkt ansonsten als Fachkräfte verloren gingen. Zudem gilt es, Geringqualifizierten bedarfsgerechte Bildungsangebote zu unterbreiten und ihre Weiterbildung zu begleiten. So wird in der neuen ESF-Förderphase unter anderem ein individueller und modellhafter Ansatz verfolgt, um Jugendliche und junge Erwachsene mit komplexen Problemlagen und multiplen, sich gegenseitig bedingenden, Vermittlungshemmnissen zu erreichen und diese nachhaltig in vorhandene Regelsysteme zu reintegrieren. Aktuell wird in Kooperation zwischen der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit und dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW ein Modellprojekt zur Teilqualifizierung Geringqualifizierter vorbereitet. Ziel ist es, geringqualifizierte Arbeitslose und arbeitsuchende Jugendliche und Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung über eine modular aufgebaute berufliche Qualifizierung zu motivieren und zu aktivieren, und darüber nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der genaue Förderumfang steht derzeit noch nicht fest. 4. Was unternimmt die Landesregierung, um eine Förderung im Sinne des „Workfirst -Ansatzes“ in NRW weiter zu verbreiten? Der Work-first-Ansatz war und ist für das Land von besonderer Bedeutung, weil dieser zur Verbesserung der Leistungsprozesse, im Besonderen der Vermittlungsprozesse, in den Jobcentern beiträgt. Sowohl bei der Zielgruppe der arbeitsmarktnahen wie auch bei den langzeitarbeitslosen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten werden überdurchschnittliche Integrationsergebnisse erzielt. Aus diesem Grund unterstützt das Land seit 2011 die Jobcenter in NRW bei der Umsetzung des Work-first-Ansatzes und trägt zu seiner Verbreitung bei. Von Ende 2011 bis Mitte 2014 wurde das Modellprojekt „Aktivierung und berufliche Eingliederung als eigenständige Leistung der Jobcenter“ aus Mitteln des ESF gefördert. Die Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.) hat die Umsetzungserfahrungen aus dem Modellprojekt ausgewertet. Die Ergebnisse und daraus abgeleitete Praxisempfehlungen werden seitdem den Jobcentern und der Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Diese können zur Konzeptionierung und Weiterentwicklung von Work-first-Ansätzen genutzt werden . In Abstimmung mit dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW bietet die G.I.B. darüber hinaus regelmäßig Informations- veranstaltungen und Erfahrungsaustauschtreffen für Jobcenter, die Work-first-Projekte durchführen, an. Jobcenter, die dies noch nicht tun, aber an einer Umsetzung interessiert sind, können auch künftig auf das Beratungsangebot der G.I.B. zurückgreifen. Mittlerweile setzt rund die Hälfte der Jobcenter in NRW (26 von 53 Jobcentern), den Workfirst -Ansatz um. Die Projekte wurden von den beteiligten Jobcentern zum Teil inzwischen auf mehrere Standorte bzw. kreisangehörige Kommunen ausgeweitet und sozialraumorientiert weiterentwickelt. In diesem Jahr haben vier weitere Jobcenter mit der Umsetzung begonnen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9354 4 5. Wie werden Jobcenter bei dem Projekt „NRW hält zusammen – Für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung“ einbezogen? Die Unterstützung der nordrhein- westfälischen Jobcenter im Rahmen von Modellprojekten und Förderprogrammen ist ein wichtiger Baustein des Projektes. So wurden im Rahmen des Programms „Öffentlich geförderte Beschäftigung NRW“ bisher bereits insgesamt 51 Projektvorhaben gemeinsam mit 32 Jobcentern gefördert, mit denen über 1.100 Arbeitsplätze für langzeitarbeitslose Menschen geschaffen werden konnten. Im Rahmen der Modellvorhaben „Schritt für Schritt“, „Soziale Dienstleistungen Hand in Hand“ und „Verbesserung der beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten im SGB II“ werden darüber hinaus mit insgesamt 13 Jobcentern neue Wege zur Herstellung der sozialen Teilhabe und Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitsuchenden, die schon sehr lange ausgegrenzt sind, zum Ziel haben, entwickelt und erprobt. Ansätze, die sich als zielführend erweisen, sollen transferiert werden. Alle Vorhaben werden in enger Zusammenarbeit mit den Jobcentern und gemeinnützigen Trägern insbesondere der Freien Wohlfahrtspflege umgesetzt.