LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9374 27.07.2015 Datum des Originals: 24.07.2015/Ausgegeben: 30.07.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3635 vom 1. Juli 2015 des Abgeordneten Ernst-Ulrich Alda FDP Drucksache 16/9137 Ein Jahr Rente ab 63 – Verschärfung des Fachkräftemangels in NRW? Der Minister für Arbeit, Integration und Soziales hat die Kleine Anfrage 3635 mit Schreiben vom 24. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 1. Juli 2014 ist die Rente ab 63 in Kraft getreten. Damit können Arbeitnehmer mit Vollendung des 63. Lebensjahres ohne Abschläge in den Ruhestand gehen, wenn sie 45 Beitragsjahre erfüllt haben. Die Rentenversicherung zählt bundesweit bereits knapp 300.000 Antragsteller . Der vorherige, über mehrere Jahre zu beobachtende Trend einer verstärkten Beschäftigung älterer Arbeitnehmer wurde durch die Rente ab 63 umgekehrt. Seit Juni 2014 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Alter von 63 bis 65 Jahren um rund 40.000 zurückgegangen, das entspricht einem Rückgang um 8,5 Prozent. Die Bundesagentur für Arbeit hat festgestellt, dass zum überwiegenden Teil gut ausgebildete Facharbeiter die Rente ab 63 in Anspruch nehmen. Dabei ist der Rückgang der Beschäftigten ab 63 Jahren in der Gruppe der Facharbeiter in MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik)-Berufen besonders spürbar. Schon jetzt sind laut einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) insgesamt elf Prozent der Betriebe betroffen , weil Mitarbeiter bereits ausgeschieden sind oder die Unternehmen dies erwarten. In der Folge gehen spezifische, durch langjährige Berufserfahrungen erworbene Kenntnisse verloren. Dies verschärft den bereits zu verzeichnenden Fachkräftemangel in einer Reihe von Branchen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9374 2 Nach den Zahlen des IAB betrifft die Rente ab 63 den öffentlichen Dienst besonders stark. In fast jeder dritten Behörde nutzen Mitarbeiter den vorzeitigen Ruhestand. Fast ebenso stark sind die häufig in kommunaler Verantwortung stehende Wasserversorgung und Abfallentsorgung betroffen. 1. Wie viele Personen insgesamt haben bisher in Nordrhein-Westfalen die so genannte Rente ab 63 in Anspruch genommen? Seit Inkrafttreten der Neuregelungen im Jahr 2014 wurden in Nordrhein-Westfalen bis zum 30. Juni 2015 insgesamt 56.878 Altersrenten für besonders langjährig Versicherte („Rente ab 63“) bewilligt. Hierbei handelt es sich um die Bewilligungszahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Deutschen Rentenversicherung Rheinland, der Deutschen Rentenversicherung Westfalen sowie der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Versicherte , die zwar in Nordrhein-Westfalen leben, aber bei einem anderen Regionalträger versichert sind, sind hiervon nicht erfasst. 2. Wie hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Alter von 63 bis 65 Jahren in Nordrhein-Westfalen seit dem 1. Juli 2014 entwickelt? Nach der Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren Ende Juni 2014 100.148 Personen im Alter von 63 bis 65 Jahren und mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Dezember 2014 waren es 94.926 Personen. Für die ersten beiden Quartale des Jahres 2015 liegen noch keine Daten vor. 3. Wie viele Beschäftigte des Landes Nordrhein-Westfalen haben bisher die Rente ab 63 in Anspruch genommen? Zahlen hierzu liegen nicht vor, da Daten zu den von den Beschäftigten in Anspruch genommenen Rentenarten nicht statistisch erfasst werden. 4. Wie bewertet die Landesregierung die Auswirkungen der Rente ab 63 auf den Fachkräftemangel in NRW insgesamt sowie für den öffentlichen Dienst? Der Landesregierung NRW liegen zurzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse über Auswirkungen der Altersrente für besonders langjährig Versicherte in NRW vor. Die in der Kleinen Anfrage angeführte (bundesweite) IAB-Betriebsbefragung liefert für bestimmte Wirtschaftszweige und Betriebsgrößenklassen erste Informationen und Schätzungen . Das IAB betont aber zugleich „dass die zur Verfügung stehenden Daten keine Auskunft darüber geben, inwieweit die „Rente ab 63“ für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ursächlich ist und inwieweit ein Teil der betroffenen Personen auch ohne die Neuregelung unter Inkaufnahme von Abschlägen in den Ruhestand gewechselt wäre“. Zu berücksichtigen ist zudem, dass für ab 1953 geborene Versicherte die Altersgrenze von 63 Jahren schrittweise auf 65 Jahre angehoben wird, sodass die „Rente ab 63“ Jahren auslaufen wird - mögliche Auswirkungen sind damit auf eine bestimmte Zeitspanne begrenzt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9374 3 5. Welche Möglichkeiten und Instrumente sieht die Landesregierung, um ältere Arbeitnehmer länger im Beruf zu halten? Ein Weg zur besseren Ausschöpfung des Erwerbspotentials älterer Menschen und damit zur Fachkräftesicherung liegt in dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit mindestens bis zur Regelaltersgrenze durch eine stärkere Berücksichtigung des demografischen Wandels in der Personalpolitik und Arbeitsorganisation der Unternehmen sowie in einer stärkeren Berücksichtigung bei betrieblicher Weiterbildung. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des zukünftigen Fachkräftebedarfs sind Investitionen in die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in moderne Formen der Arbeitsorganisation zugleich Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Ansätze zur betrieblichen Arbeitsgestaltung, zur Schaffung gesundheitsförderlicher und alternsgerechter Arbeitsbedingungen und zur Kompetenzentwicklung der Beschäftigten gewinnen immer mehr an Bedeutung. Verschiedene Instrumente der Landesregierung sollen Unternehmen und Beschäftigte dabei unterstützen. So trägt z.B. der Bildungsscheck für Beschäftigte und Betriebe zur Förderung von Weiterbildung oder die Potentialberatung für Betriebe zur Ermittlung der Potentiale in Unternehmen und darauf aufbauend die Umsetzung notwendiger Veränderungsschritte zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bei. Außerdem leisten die Initiativen „Arbeit gestalten NRW“ und „Demografie aktiv“ einen wichtigen Beitrag, um die Ausschöpfung der Potentiale Älterer im Betrieb zu erhöhen sowie gesunde und alternsgerechte Arbeitsbedingungen zu unterstützen. So werden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, damit Beschäftigte länger im Erwerbsleben bleiben können . Die stärkere Nutzung des Erwerbspotentials älterer Menschen bietet auch ein eigenes Handlungsfeld in dem in diesem Jahr erscheinenden Fachkräfteaufruf der Landesregierung. Im Rahmen dieses Aufrufs sollen u.a. auch Möglichkeiten entwickelt und erprobt werden, um ältere Arbeitnehmer zum einen länger im Beruf zu halten und zum anderen Wissensverlust durch altersbedingte Abgänge vorzubeugen (z.B. durch Tandems zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch phasenweise Übergänge in die Rente ). Ergänzend bieten die gesetzlichen Regelungen den Unternehmen die Möglichkeit, auf eventuelle Personalengpässe flexibel zu reagieren: Soweit eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht, können die Arbeitsvertragsparteien den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, über die Regelaltersgrenze hinausschieben. Außerdem räumt auch § 33 Abs. 5 TV-L die Möglichkeit ein, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über das gesetzlich festgelegte Renteneintrittsalter hinaus zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang begrüßt die Landesregierung, dass die Tarifvertragsparteien in verschiedenen Branchen ebenfalls seit nunmehr schon rund zehn Jahren DemografieTarifverträge schließen.