LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9394 29.07.2015 Datum des Originals: 17.07.2015/Ausgegeben: 03.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3593 vom 16. Juni 2015 der Abgeordneten Bernhard Tenhumberg und Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg CDU Drucksache 16/9039 Gibt es Erkenntnisse über die musikalische Weiterbildung nach der Teilnahme am „JeKi“? Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 3593 mit Schreiben vom 17. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Schule und Weiterbildung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die damalige CDU-geführte Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat im Schuljahr 2007/2008 das Erfolgsprojekt „JeKi – Jedem Kind ein Instrument“ zur frühen musikalischen Förderung von Kindern im Grundschulalter initiiert. Im Projekt JeKi werden Grundschüler spielerisch mit Beginn der ersten Klasse an verschiedene Musikinstrumente herangeführt und können ab dem zweiten Grundschuljahr gegen einen gewissen Monatsbeitrag ein Instrument ihrer Wahl erlernen. Dabei profitieren sie durch die musikalische und kulturelle Bildung auch in zahlreichen anderen Bereichen. Um die Einbeziehung aller Grundschulkinder zu ermöglichen, existieren seit Beginn verschiedene Befreiungstatbestände von der Entgeltpflicht (wie beispielsweise der Bezug von ALG II, von Sozialhilfe oder weiteren Unterstützungsleistungen ). Im ersten Schuljahr ist JeKi in Verbindung mit dem Schulunterricht kostenfrei . Im zweiten Schuljahr entfällt pro Kind ein Entgelt von 20,00 Euro und in den Schuljahren 3 und 4 dann von 35,00 Euro, es sei denn es liegt eine Sozialbefreiung vor, welche die Teilnahme bis zur Beendigung der Vierten Klasse kostenfrei ermöglicht. Als Pilotprojekt im Ruhrgebiet gestartet, sollte JeKi auch auf andere Landesteile in Nordrhein -Westfalen ausgeweitet werden. Dieses Ziel wollte auch die amtierende Kulturministerin Ute Schäfer laut einer Presseerklärung vom 26. August 2011 nicht aus den Augen verlieren, wenngleich sie es damals für nicht finanziell realisierbar hielt. Die Landesregierung möchte nun das bisherige JeKi-Programm durch den Nachfolger JeKits ersetzen. Dabei sind sowohl konzeptionelle Änderungen (wie die Ergänzung des Instrumentenspiels um Tanzen und Singen ) sowie eine größere regionale und quantitative Ausdehnung geplant. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9394 2 Die bekannt gewordenen Beschlüsse des Stiftungsrates über das veränderte Programm für das Schuljahr 2015/2016 stoßen dabei bei etlichen Kommunen, Musikschulen und auch der Landesfachgruppe Musik in ver.di NRW auf breite Kritik. Bei dem nur noch zwei-jährigem Nachfolgeprogramm JeKits werden alleine im Ruhrgebiet jährlich künftig 4.000 Kinder aus Familien mit SGB II-Leistungsbezug ihr Musikinstrument nach der 2. Klasse zurückgeben müssen. Die Landesregierung rechtfertigt diesen Schritt mit den hohen Abbruchquoten im dritten und vierten Schuljahr. Musikschulen berichten jedoch, dass es sich nicht um Abbruchquoten handelt, sondern viele der durch JeKi geförderten Kinder Musikunterricht außerhalb der Schule nehmen, um das Gelernte noch weiter zu vertiefen . Vorbemerkung der Landesregierung Im Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass eine Ausweitung des Projekts „Jedem Kind ein Instrument“ auf ganz Nordrhein-Westfalen in der ursprünglichen Ausrichtung des Projekts und Finanzierung nicht leistbar war. Tatsache ist, dass die damalige CDU/FDP- Landesregierung es versäumt hatte, für eine angekündigte Erweiterung des Programms auf ganz Nordrhein -Westfalen entsprechende Mittel einzuplanen und, so habe ich es bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage 501 (LT-Drs. 16/1328) erläutert, auch den Betrieb des laufenden Programms nicht abgesichert hatte, da die veranschlagten Sponsorengelder nicht eingeworben wurden. Deshalb hat die jetzige Landesregierung die Mittel von 7,34 Mio. € im Jahr 2010 auf 10,74 Mio. € im Jahr 2015 (Kapitel 07 050 Titelgruppe 63) aufgestockt. Vor diesem Hintergrund sollte das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ überprüft werden. Weiterhin wurde im Koalitionsvertrag festgestellt, dass ein Konzept für NRW entwickelt werden soll, das auf den vielfältigen Ansätzen im Land aufbaut. Bereits in der angeführten Antwort zur Kleinen Anfrage 501 (LT-Drs. 16/1328) habe ich dargestellt , dass es zu strukturellen Modifizierungen und inhaltlichen Weiterentwicklungen kommen wird, in denen die Erfahrungen aus den Jahren der Programmdurchführung berücksichtigt werden. 1. Ist eine Evaluation von JeKi durchgeführt worden, bei der insbesondere die Gründe für die vermeintlichen Abbruchquoten näher beleuchtet wurden? Eine explizite Befragung nach Gründen für eine Nicht-Teilnahme am JeKi-Programm wurde nicht durchgeführt. Im Rahmen der JeKi-Begleitforschung des BMBF („BEGIn-Studie“) wurden aber Untersuchungen zum musikalischen Selbstkonzept der teilnehmenden Kinder und dessen Veränderung angestellt. Es wurde folgendes festgestellt: „Befunde der BEGIn-Studie zu den Schuljahresübergängen weisen in NRW darauf hin, dass sozio-ökonomische Faktoren, das Geschlecht oder der Migrationshintergrund nicht signifikant zu einer weiteren Programmteilnahme beitragen. Bedeutend sind hier auf der individuellen Ebene vielmehr die von den Eltern wahrgenommene Relevanz des JeKi-Programms für die kindliche Entwicklung und das musikalische Selbstkonzept zum „Musik machen“ der Schüler. In der BEGIn-Studie lässt sich das musikalische Selbstkonzept im Hinblick auf die Aspekte „Musik machen“ und „Singen“ messen und analysieren. Das Selbstkonzept „Musik machen“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9394 3 ist in der 2. Klasse weitgehend von motivationalen Faktoren wie dem Gefallen am eigenen Instrument, dem Üben oder dem JeKi-Programm beeinflusst. Das musikalische Selbstkonzept „Musik machen“ sinkt entwicklungstypisch erwartbar leicht zwischen Beginn der zweiten und Ende der vierten Klasse im Sinne einer Entwicklung „vom Optimisten zum Realisten“ (Helmke 1998). Für jene nordrhein-westfälischen Schüler, die nach der 2. oder 3. Klasse aus dem Programm ausscheiden, ist allerdings ein starker Rückgang rund um den Zeitpunkt ihres Ausscheidens zu beobachten.“1 Hieraus lässt sich ein Zusammenhang zwischen Abbruch der Instrumentalausbildung und den das musikalische Selbstkonzept „Musik machen“ bestimmenden Faktoren vermuten. 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über den Anteil der durch JeKi geförderten Kinder, die ihre musikalische Bildung im privaten Rahmen fortsetzen bzw. intensivieren? Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor, da dann die Kinder nicht mehr Teil des JeKiProgramms sind. 3. Für den Fall, dass hinsichtlich Frage 2 keine Erkenntnisse vorliegen sollten: Worauf stützt die Landesregierung die Feststellung, JeKi würde im dritten und vierten Schuljahr hohe Abbruchquoten vorweisen? Anhand der Antragszahlen der Musikschulen für die JeKi-Landeszuschüsse kann seitens der Stiftung festgestellt werden, wie hoch die Abbruchquoten bzw. die Weitermachquoten der Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Schuljahren sind. Durchschnittlich stellte sich dies über die Schuljahre 2008/09 bis zum Schuljahr 2014/15 bei JeKi wie folgt dar (die durchschnittliche Klassengröße beträgt 23 Kinder): Übergang von Klasse es machen weiter in Prozent Anzahl Kinder, die weitermachen 1 nach 2 50 % 11,5 2 nach 3 55 % 6 3 nach 4 59 % 3,5 Dies zeigt, dass das Programm JeKi im vierten Schuljahr durchschnittlich nur noch 3,5 Kinder einer Klasse erreicht und nur eine kleine Anzahl an Kindern das Programm über die vier Schuljahre insgesamt besucht. Damit erreichen die Übergangsquoten in den Klassen 3 und 4 des JeKi-Programms nicht die zu Programmbeginn erwartete Höhe. 1 (Quelle: Empirische Bildungsforschung zu Jedem Kind ein Instrument. Ergebnisse des BMBFForschungsschwerpunkts zu den Aspekten Kooperation, Teilhabe und Teilnahme, Wirkung und Unterrichtsqualität , S. 44 ff., Herausgeberin: Koordinierungsstelle des BMBF-Forschungsschwerpunkts zu Jedem Kind ein Instrument ) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9394 4 4. Wie ist es unter der Prämisse „kein Kind zurückzulassen“ einzuordnen, dass alleine im Ruhrgebiet künftig jährlich 4.000 Kinder aus Familien mit SGB IILeistungsbezug ihr Musikinstrument nach der 2. Klasse zurückgeben müssen? Die in der Frage benannten Zahlen und die zum Ausdruck kommende Einschätzung können nicht bestätigt werden. Vielmehr stehen weiter Förderungen von Kindern aus Familien mit SBG II-Leistungsbezug zur Verfügung. Die Entgeltordnungen der örtlichen Musikschulen ermöglichen in der Regel Beitragsermäßigungen für Kinder mit entsprechenden Anspruchsberechtigungen. Hinzu kommt, dass die Bildungsgutscheine nach dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) auch für den Instrumentalunterricht an den Musikschulen eingesetzt werden können. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, dass die Landesregierung die Laienmusikvereine als kompetente Partner für ein örtliches musikalisches Bildungsangebot schätzt und die Kinder auch bei diesen weiterhin muszieren können. Im auslaufenden JeKi-Programm sind in den dritten und vierten Klassen nicht jährlich rund 4.000 Kinder von den Gebühren aus sozialen Gründen befreit worden, sondern über die letzten drei Jahre hinweg rund 2.900 Kinder oder rund 22 %. Grundsätzlich müssen alle teilnehmenden Kinder nach Programmablauf ihr Leihinstrument zurückgeben. 5. Wie können Kinder aus sogenannten bildungsfernen und sozial benachteiligten Schichten nach dem zweiten Schuljahr instrumental weiter gefördert werden? Siehe Frage 4.