LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9398 29.07.2015 Datum des Originals: 29.07.2015/Ausgegeben: 03.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3633 vom 30. Juni 2015 der Abgeordneten Susanne Schneider FDP Drucksache 16/9135 Gerät auch in Nordrhein-Westfalen der Gesetzespassus zum Verbot von Grabsteinen aus Kinderarbeit durch Richterspruch in Gefahr? Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 3633 mit Schreiben vom 29. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, dem Justizminister und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Kinderarbeit ist in vielen Teilen unserer Welt nach wie vor ein mehr als drängendes Problem. Es ist daher richtig, die Möglichkeiten eines Rechtsstaates auszuschöpfen, um das Problem zu bekämpfen und Kinderarbeit einzudämmen. Aus eben diesen Gründen gibt es Ansätze seitens verschiedener Landesregierungen, im Rahmen ihrer Landesgesetze zum Bestattungswesen den Handel von Grabsteinen, die aus Kinderarbeit hervorgegangen sind, zu unterbinden. Diese Regelungen müssen aber rechtssicher sein. Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg hat in vier Normenkontrollverfahren auf Anträge von insgesamt neun Steinmetzbetrieben (Antragsteller) aus dem Raum Stuttgart mit Beschlüssen ohne mündliche Verhandlung am 21. Mai 2015 entschieden , dass die Vorschrift in der Friedhofssatzung der Landeshauptstadt Stuttgart (Antragsgegnerin ) rechtswidrig ist, nach der nur Grabmale aufgestellt werden dürfen, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind und dies mittels Zertifikat einer anerkannten Organisation nachgewiesen wird. Die in der Friedhofssatzung getroffene Regelung ist damit unwirksam. Grund für die Rechtswidrigkeit war, dass eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung, welche Zertifikate über Grabsteine , die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, als vertrauenswürdig gelten können , derzeit nicht festzustellen sei. Die Regelung der Satzung greife daher unverhältnismäßig in die Rechtsposition der Steinmetzbetriebe ein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9398 2 Baden-Württemberg regelt in § 15 seines Bestattungsgesetzes, dass in Friedhofsordnungen und Polizeiverordnungen festgelegt werden kann, dass nur Grabsteine und Grabeinfassungen verwendet werden dürfen, die nachweislich aus fairem Handel stammen und ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind. Es ist somit den Friedhofsträgern selbst überlassen , in ihren Friedhofssatzungen festzuschreiben, ob das Aufstellen von Grabsteinen aus Kinderarbeit verboten sein soll oder nicht. Die nordrhein-westfälische Rechtslage gestaltet sich im direkten Vergleich anders. In § 4a des hiesigen Gesetzes über das Friedhofs- und Bestattungswesen ist explizit festgelegt, dass nur Grabmäler und Grabeinfassungen aus Naturstein aufgestellt werden dürfen, wenn sie entweder in Staaten gewonnen, be- und verarbeitet worden sind, auf deren Staatsgebiet bei der Herstellung von Naturstein nicht gegen das Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit verstoßen wird, oder durch eine Zertifizierungsstelle bestätigt worden ist, dass die Herstellung ohne schlimmste Formen von Kinderarbeit erfolgte . Die Steine müssen ferner durch das Aufbringen eines Siegels oder in anderer Weise unveränderlich als zertifiziert gekennzeichnet werden. Damit wird per Landesgesetz eine einheitliche Regelung vorgegeben und die Entscheidung nicht in die Hand der Friedhofsträger gelegt. In Nordrhein-Westfalen ist ein solches Siegel seit Anfang Mai 2015 obligatorisch. Die konkreten Ausführungsbestimmungen für das weitere Verfahren sowie die Anerkennung der Zertifizierungsstellen werden laut Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter durch newtrade nrw, das Büro für nachhaltige Beschaffung, ausgearbeitet. 1. Wie beurteilt die Landesregierung das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden -Württemberg insbesondere im Hinblick auf das nordrhein-westfälische Verbot von Grabsteinen aus Kinderarbeit? Nach dem o.g. Urteil ist die Regelung in einer kommunalen Friedhofssatzung, dass nur Grabsteine verwendet werden dürfen, die nachweislich ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, und dass der Nachweis mittels Zertifikat einer anerkannten Organisation erbracht wird, nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar, wenn weder eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung besteht, welche Zertifikate als vertrauenswürdig gelten können, noch eine zuständige staatliche Stelle Zertifikate als vertrauenswürdig anerkannt hat, noch ausdrücklich unter Benennung der Zertifikate geregelt ist, welche Zertifikate als Nachweis ausreichen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Mai 2015 – 1 S 383/14 –, 1. Leitsatz, juris). Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist für NordrheinWestfalen nicht einschlägig, da Gegenstand der Rechtsprechung eine Satzungsregelung ist, in der zudem nicht – wie in der Regelung des nordrhein-westfälischen Bestattungsgesetzes (BestG NRW) – die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG Urteil vom 16. Oktober 2013 – 8 CN 1/12 –, BVerwGE 148, 133-146) berücksichtigt worden ist. Dies ist auch ausdrücklich in der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg ausgeführt: „Der Gesetzesentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung vom 25.04.2013 sah zunächst nur eine Neuregelung dergestalt vor, dass die Friedhofsträger in ihrer Satzung festlegen können, dass nur Grabsteine und Grabeinfassungen aufgestellt werden dürfen, die nachweislich ohne Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt worden sind (LT-Drs. 16/2723, S. 8). Von erheblicher Bedeutung für den verabschiedeten Gesetzestext in § 4a der nordrhein-westfälischen Bestattungsgesetzes war das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren 8 CN 1.12 - (vgl. Bericht der Ministerin für Gesundheit, Emanzi- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9398 3 pation, Pflege und Alter an die Landtagsauschüsse vom 04.03.2014 [Vorlage 16/1681, S. 4] und Bericht und Beschlussempfehlung des Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 27.06.2014 [LT-Drs. 16/6138]).“ (Rn 41, a.a.O.). 2. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über bei nordrheinwestfälischen Gerichten anhängige Verfahren – insbesondere betreffend Ordnungswidrigkeiten wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 4a des NRWBestattungsgesetzes – vor? Nach den Hinweisen zur Auslegung von § 4a Absatz 1 Nummer 1 des Bestattungsgesetzes (Länderliste) - RdErl. der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter und der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien - 232 - 0265 im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales v. 18.3.2015 (MBl. NRW. S. 231) - bedarf die Feststellung derjenigen Staaten, auf deren Staatsgebiet bei der Herstellung von Natursteinen gegen die genannten Vorschriften verstoßen wird, einer sorgfältigen fachlichen Prüfung, die derzeit noch nicht abgeschlossen ist. Darüber hinaus wird in dem Runderlass festgestellt, dass eine Zertifikatspflicht aber von den für den Vollzug des Bestattungsgesetzes zuständigen Behörden als belastende Maßnahme nur angenommen werden kann, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Vor diesem Hintergrund liegen derzeit noch keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte vor, bestimmte Staaten als Staaten im Sinne des § 4a Absatz 1 Nummer 1 des Bestattungsgesetzes anzusehen, auf deren Staatsgebiet bei der Herstellung von Naturstein gegen die rechtlichen Voraussetzungen des Übereinkommens Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 17. Juni 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit verstoßen wird. Insoweit besteht noch keine Zertifizierungspflicht. Eine Ahndung von Verstößen gegen § 19 Abs. 1 Nr. 1 Bestattungsgesetz kann dementsprechend derzeit nicht erfolgen . 3. Welche Rückmeldungen hat die Landesregierung seitens der Friedhofsträger oder seitens anderer Interessensorganisationen, bspw. der beiden Landesinnungsverbände des Steinmetz- und Bildhauerhandwerks oder einzelner Steinmetzbetriebe, hinsichtlich des praktischen Umgangs mit den Regelungen aus § 4a des NRWBestattungsgesetzes ? Newtrade nrw führt seit Januar 2015 Gespräche mit verschiedenen Stakeholdern. Beide Landesinnungsverbände sowie involvierte Zertifizierer begrüßen das Vorhaben, die Regelungen des neuen § 4a Bestattungsgesetzes NRW im Dialog umzusetzen. Die politische Zielsetzung des Gesetzes wird daher von den Stakeholdern fachlich begleitend grundsätzlich mitgetragen. Weitere Konsultationsrunden mit allen relevanten Stakeholdern zur weiteren Ausgestaltung werden in den nächsten Monaten folgen. 4. Wie viele Zertifizierungsstellen wurden bisher durch newtrade nrw anerkannt? Es wurden bisher noch keine Zertifizierungsstellen anerkannt (siehe Antwort auf Frage 2). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9398 4 5. Welche Probleme und Komplikationen sind der Landesregierung hinsichtlich des bisherigen Zertifizierungsprozesses bekannt? Die Zertifizierung von Natursteinen und die Anerkennung von Zertifizierern stellen komplexe Aufgaben dar, die die Landesregierung derzeit u.a. unter Einbezug der in der Antwort auf Frage 3 genannten Stakeholder mit großer Sorgfalt angeht. Wie in der Antwort auf Frage 2 bereits ausgeführt, kann eine Zertifikatspflicht aber als belastende Maßnahme nur angenommen werden, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Feststellung derjenigen Staaten, auf deren Staatsgebiet bei der Herstellung von Natursteinen gegen die genannten Vorschriften verstoßen wird, bedarf einer sorgfältigen fachlichen Prüfung, die derzeit andauert.