LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9421 03.08.2015 Datum des Originals: 31.07.2015/Ausgegeben: 06.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3627 vom 26. Juni 2015 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/9123 Versäumte Ermittlungen nach JVA-Ausbruch? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 3627 mit Schreiben vom 31. Juli 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 09.07.2014 gelang einem Strafgefangenen der Ausbruch aus der JVA Gelsenkirchen. Auf Anfrage der CDU-Fraktion berichtete Justizminister Kutschaty in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 03.09.2014 über Details dieses Ausbruchs. Dabei wurde u.a. auch die Frage aufgeworfen, wie es dem Ausbrecher überhaupt gelingen konnte, die Stahlvergitterung des Haftraumfensters zu durchtrennen. Im Ausschussprotokoll heißt es dazu (APr 16/643, S. 68): „Minister Thomas Kutschaty (JM) teilt mit, man gehe bislang davon aus, dass es sich um Mangan-Hartstahlgitter gehandelt habe. Das Landeskriminalamt führe derzeit Untersuchungen und Materialprüfungen durch, um herauszufinden, was mit dem Stahl los gewesen sei. In den letzten Wochen seien viele Sägeversuche in den diversen Proberäumen unternommen worden, um zu testen, wie der Stahl zu trennen gewesen sei“. Die Berichterstattung des WDR Studios Essen vom 24.06.2015 legt hingegen den Schluss nahe, dass das Justizministerium in der Angelegenheit bis heute nicht tätig geworden ist. Dort heißt es: „Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte der 31-jährige Schwerverbrecher damals handelsübliche Sägeblätter benutzt, um das Zellengitter zu durchtrennen. Eine Freundin soll sie bei einem Besuch ins Gefängnis geschmuggelt haben. In ihrer Wohnung fanden die Ermittler später die zu den Sägeblättern passende Quittung eines Baumarktes über 5,99 Euro. Wurde womöglich beim Bau der Haftanstalt minderwertiger Stahl benutzt, der den Anforderungen nicht genügt? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9421 2 Das Justizministerium in Düsseldorf hat sich bisher um diese Frage nicht gekümmert. Sprecher Detlef Feige sagte dem WDR dazu: ‚Das ist Manganhartstahl, der sehr fest ist und mit einer normalen handelsüblichen Feile sicherlich nicht zu durchtrennen ist. Es muss also irgendeine Spezialfeile gewesen sein. Wir werden die Gitterstäbe noch prüfen. Im Moment sind diese Gitterstäbe in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft Essen. Nach Beendigung des Prozesses werden sie freigegeben und dann durch die Materialprüfungsanstalt untersucht, um zu sehen, woran es gelegen haben könnte, dass diese Gitterstäbe durchgesägt werden konnten.‘ Auch andere, vergleichbare Zellengitter wurden nicht auf Materialfehler untersucht. Allerdings würden die Gitterstäbe bei den normalen Überprüfungen der Zellen auf sichtbare Schäden untersucht, so der Ministeriumssprecher. ‚Wir gehen davon aus, dass die Gitterstäbe nicht einfach durchzusägen sind‘.“ 1. Wann sind die von Justizminister Kutschaty in der Rechtsausschusssitzung vom 03.09.2014 angesprochenen Materialprüfungen bzw. Sägeversuche durch das LKA abgeschlossen worden? Am 08.10.2014 sind die angesprochenen Materialprüfungen bzw. Sägeversuche abgeschlossen worden. 2. Wie passt die Äußerung des Justizministers in der Rechtsausschusssitzung vom 03.09.2014 zu der jetzt von seinem Sprecher abgegebenen Erklärung, dass man weder die betreffenden Gitterstäbe aus der JVA Gelsenkirchen vor Beendigung des Strafprozesses untersuchen dürfe noch andere, vergleichbare Zellengitter auf Materialfehler untersucht habe? Das Gitter des Haftraumes, aus dem am 09.07.2014 der Ausbruch gelang und das Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen war, ist noch asserviert. Es ist vom Landeskriminalamt NRW untersucht worden. Unabhängig davon hat das Justizministerium am 01.08.2014 zunächst die Justizvollzugsanstalt Kleve, deren Schlosserei über langjährige Erfahrungen in der Gitterfertigung verfügt, um eine Einschätzung zu Material, Beschaffenheit und Durchtrennbarkeit der Gitter der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen gebeten. Die Justizvollzugsanstalt Kleve hat das Material eines Gitters gleicher Bauart aus der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen einer Prüfung durch Sägeversuche unterzogen. Darüber hinaus hat das Materialprüfungsamt NRW ein Gitter aus einem benachbarten Haftraum in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen untersucht. 3. Welche Materialgüte ist für die Haftraumfenster in der JVA Gelsenkirchen konkret beauftragt worden? Für die Gitter der Fenster der zum 01.08.1998 in Betrieb genommenen Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen war die Qualität beauftragt worden, wie sie bereits 1995 auch für weitere Anstalten des geschlossenen Vollzuges festgelegt wurde. Der beauftragte Werkstoff stellt den bis heute geltenden Standard dar. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9421 3 4. In welchen Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen sind baubzw . materialgleiche Stahlgitter beauftragt bzw. verbaut worden wie in der JVA Gelsenkirchen? Soweit nicht bereits geschehen, werden auch die Haftraumfenster der vor 1995 gebauten und für den geschlossenen Vollzug bestimmten Justizvollzugsanstalten sukzessive mit neuen Gittern entsprechend dem für Neubauten von geschlossenen Justizvollzugsanstalten geltenden Standard versehen. 5. Kann der Justizminister die Untersuchung von asservierten Gegenstände veranlassen , wenn dies zur Klärung grundlegender Sicherheitsfragen im Strafvollzug erforderlich ist? Die Entscheidung über den Umgang mit sichergestellten Beweismitteln, etwa auch deren Freigabe für eine Untersuchung zu verfahrensfremden Zwecken, ist eine Einzelfallentscheidung , die unter Abwägung der betroffenen Interessen im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und nach Erhebung der öffentlichen Klage dem unabhängigen Gericht obliegt. In staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren macht der Justizminister in ständiger Selbstbindung von seinem Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften, vorbehaltlich rechtsfehlerhafter Sachbehandlung, keinen Gebrauch. Das Gericht ist in seinen Entscheidungen gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig.