LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9429 03.08.2015 Datum des Originals: 21.07.2015/Ausgegeben: 06.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3594 vom 18. Juni 2015 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/9040 Justizminister Kutschatys Rolle im „Kasachstan-Komplott“ Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 3594 mit Schreiben vom 21. Juli 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Unter der Überschrift „Besondere Verdienste“ berichtete DER SPIEGEL in seiner Ausgabe 25/2015, dass der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew über Mittelsmänner versucht haben soll, Ermittlungen gegen seinen politischen Konkurrenten Rachat Alijew zu intensivieren . Nachdem bei der Staatsanwaltschaft Krefeld Ermittlungen wegen Geldwäsche gegen Alijew eingeleitet wurden, hätten zunächst der frühere Europol-Chef M.-P. R. sowie der ehemalige Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, J. K., versucht, die Staatsanwaltschaft Krefeld dazu zu bewegen, das Verfahren gegen Alijew der EU-Justizbehörde Eurojust anzudienen . Das Ziel sei gewesen, „aus diesem Verfahren in Krefeld die ganz große Nummer zu machen, auf EU-Ebene, mit internationalen Ermittlungen“, so DER SPIEGEL weiter. Auch im NRW-Justizministerium, gingen die Türen für K. nach Darstellung des SPIEGEL „schneller auf, als er sie eintreten kann“: Im Oktober 2011 habe die Staatsanwaltschaft Krefeld Eurojust um Übernahme des Verfahrens ersucht. Dort habe man allerdings keinen Bedarf gesehen, den Fall auf europäischer Ebene zu behandeln. Die Krefelder Staatsanwaltschaft habe nach diesem Rückschlag offenbar die Lust an dem Verfahren verloren und darüber nachgedacht, die Causa Alijew nach Österreich abzuschieben. Nach SPIEGEL-Informationen habe K. daraufhin notiert: „Ich hatte heute Nachmittag eine mehrstündige Erörterung mit dem Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium NRW … Er wird den Vorgang zur Chefsache erklären .“ Anschließend sei das Verfahren tatsächlich nicht nach Österreich abgegeben worden und inzwischen bereits im fünften Jahr bei der Staatsanwaltschaft Krefeld anhängig. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9429 2 Später sei auch der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily im Auftrag des kasachischen Präsidenten angeworben worden, um auf politischer Ebene Druck auf die Ermittler auszuüben. Schily habe sich im November 2012 in Berlin mit dem nordrhein-westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty getroffen und ihn auf den Fall Alijew angesprochen. Seine Auftraggeber habe Schily laut SPIEGEL anschließend per E-Mail über ein „angenehmes Gespräch“ mit Herrn Kutschaty informiert; „mehr berichte er lieber per Post“. Vier Monate später habe sich Schily schriftlich bei Minister Kutschaty über einen „Stillstand der Ermittlungen “ im Fall Alijew beschwert. Der Minister habe die Arbeit der Staatsanwaltschaft Krefeld im Fall Alijew daraufhin überprüfen lassen – jedoch ohne Beanstandung. 1. Welchen Charakter hatten sowohl das persönliche Gespräch als auch der spätere Schriftverkehr zwischen dem ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily und Justizminister Thomas Kutschaty im Fall Aliyew? 2. Was war der konkrete Inhalt dieses Gesprächs bzw. Schriftverkehrs? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Bundesminister a. D. Schily bat im Jahr 2012 um einen Termin, weil er mich kennenlernen wolle. Ich bot Herrn Schily daher für den 31.10.2012 einen Termin in Berlin an, da ich mich an diesem Tag ohnehin aufgrund anderer Termine in Berlin aufhielt. In dem Gespräch machten wir uns zunächst bekannt. Zum Ende des Gesprächs sprach Bundesminister a. D. Schily ein Verfahren gegen Aliyev u. a. bei der Staatsanwaltschaft Krefeld an. Herr Schily führte aus, dass er den Eindruck habe, dass die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft zum Stillstand gekommen seien. Ich nahm dies zur Kenntnis. Mit Schreiben vom 08.02.2013 wiederholte Bundesminister a. D. Schily diesen Eindruck. Auf das als „Persönlich - strikt vertraulich “ gekennzeichnete Schreiben habe ich Herrn Schily nicht geantwortet. Eine Antwort wurde erkennbar auch nicht erwartet. 3. Ist es zutreffend, dass Justizminister Kutschaty nach der Korrespondenz mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily die Arbeit der Staatsanwaltschaft Krefeld im Fall Aliyew überprüfen ließ? Nein. Ich habe die Arbeit der Staatsanwaltschaft Krefeld weder nach dem Gespräch mit Bundesminister a. D. Schily am 31.10.2012 noch nach dessen Schreiben vom 08.02.2013 überprüfen lassen. Nach Eingang des Schreibens habe ich die darin vorgetragenen Bedenken an die zuständige Fachabteilung des Justizministeriums weitergeleitet und um Unterrichtung über den Gegenstand des angesprochenen Verfahrens gebeten. Die Fachabteilung hat mich daraufhin auf der Grundlage des dort anhängigen Rechtshilfevorgangs und der darin befindlichen, zur Unterrichtung des Bundesamtes für Justiz bestimmten Berichte entsprechend informiert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9429 3 4. Inwieweit sind die vom SPIEGEL geschilderten Aktivitäten des früheren EuropolChefs M.-P. R. sowie des ehemaligen Mitarbeiters der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, J. K., gegenüber der Staatsanwaltschaft Krefeld bzw. dem nordrheinwestfälischen Justizministerium zutreffend? (Bitte jeweils einzeln zu den dargestellten Aktivitäten Stellung nehmen.) Aktivitäten gegenüber der Staatsanwaltschaft Krefeld Die Beantwortung erfolgt insoweit auf der Grundlage von Berichten des Leitenden Oberstaatsanwalts in Krefeld und des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf. Eine Kontaktaufnahme des früheren Direktors von Europol M.-P. R. zur Staatsanwaltschaft Krefeld ist nicht erfolgt. Am 23.08.2011 meldete sich Oberstaatsanwalt a. D. K. als Rechtsberater einer Rechtsanwaltskanzlei in Wien fernmündlich bei dem Dezernenten der Staatsanwaltschaft Krefeld und bekundete sein Interesse an einer Förderung des Geldwäscheverfahrens gegen Aliyev. Er bot an, seine aus seiner früheren Tätigkeit noch bestehenden Kontakte zu Eurojust zu nutzen und das Verfahren dort „vorzustellen“. Mit E-Mail-Schreiben vom 24.08.2011 wiederholte Oberstaatsanwalt a. D. K. gegenüber dem Dezernenten sein Angebot, das Verfahren „zum Zwecke der internationalen Koordinierung an Eurojust heranzutragen“. In dem E-MailSchreiben merkte er an, er habe bereits den Stellvertreter des deutschen Delegierten bei Eurojust vorab in Kenntnis gesetzt; man sähe dort einem Ersuchen der Staatsanwaltschaft Krefeld wohlwollend entgegen. Nachdem der Versuch des Dezernenten, in den Folgewochen telefonisch Kontakt zu dem Stellvertreter des deutschen Delegierten bei Eurojust aufzunehmen , mangels Erreichbarkeit gescheitert war, wandte er sich unter dem 25.10.2011 schriftlich an diesen. Der Umstand, dass sich Oberstaatsanwalt a. D. K. einige Tage zuvor nach dem Sachstand erkundigt hatte, spielte bei der Frage, nunmehr ein schriftliches Gesuch an Eurojust zu richten, keine Rolle. Mit Schreiben vom 14.11.2011 teilte Eurojust mit, die österreichischen Behörden sähen derzeit keinen Bedarf für eine Koordinierung durch Eurojust. In der Folgezeit kam es am 06.09.2012 im Dienstgebäude der Staatsanwaltschaft Krefeld und am 23.10.2013 bei Eurojust in Den Haag zu einem Besprechungstermin bzw. einem Koordinierungstreffen mit Vertretern mehrerer ausländischer Ermittlungsbehörden unter Beteiligung von Eurojust. Die zuerst genannte Besprechung ging auf eine entsprechende Absprache zwischen der zuständigen Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Wien und dem Dezernenten der Staatsanwaltschaft Krefeld im Rahmen der in den jeweiligen Verfahren gegen Aliyev bestehenden rechtshilferechtlichen Kontakte zurück. Das Koordinierungstreffen in Den Haag war von Eurojust initiiert worden. An keinem der Treffen nahm Oberstaatsanwalt a. D. K. teil. Es sind - wie der Leitende Oberstaatsanwalt in Krefeld festgestellt hat - auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Treffen auf die Bestrebungen von Oberstaatsanwalt a. D. K. hin zustande gekommen wären oder er auf sie Einfluss genommen hätte. Ausweislich der von dem Leitenden Oberstaatsanwalt erstatteten Berichte hatte die Staatsanwaltschaft Krefeld bis zum Tod des Beschuldigten Aliyev im Februar 2015 die Absicht, die österreichischen Behörden nach Abschluss der in Deutschland zu führenden Ermittlungen zu bitten, das Verfahren, soweit es den Beschuldigten Aliyev betraf, zu übernehmen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9429 4 Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat die Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft Krefeld aus Anlass der Kleinen Anfrage geprüft und berichtet, dagegen keine Bedenken zu haben . Ergänzend hat er angemerkt, dass die Unterrichtung von Eurojust den Vorgaben des Eurojustgesetzes (EJG), denen die Staatsanwaltschaft nachzukommen hatte, entsprochen habe. Aktivitäten gegenüber dem Justizministerium Oberstaatsanwalt a. D. K. wandte sich mit E-Mail-Schreiben vom 19.10.2011 und 26.10.2011 an das Justizministerium. Diese Schreiben wurden jeweils zu den Akten genommen und zur laufenden Frist verfügt. Dass „ein hoher Ministerialer“, wie es in dem besagten SPIEGELArtikel unter Berufung auf Oberstaatsanwalt a. D. K. dargestellt wird, diesem zugesagt habe, dass alles in die von ihm gewünschte Richtung laufe, trifft nicht zu. Unzutreffend ist auch die in dem SPIEGEL-Artikel zitierte Darstellung des Oberstaatsanwalts a. D., wonach der Leiter der Strafrechtsabteilung bei einer „mehrstündigen Erörterung“ mit K. angekündigt habe, die Angelegenheit zur Chefsache zu erklären. Richtig ist vielmehr: Im Dezember 2011 suchte Oberstaatsanwalt d. D. K. den Leiter der Strafrechtsabteilung im Justizministerium auf. Aufgrund einer gemeinsamen Tätigkeit bzw. Zusammenarbeit bei mehreren Justizbehörden des Landes kennen beide einander seit vielen Jahren. Das Gespräch dauerte - soweit erinnerlich - maximal eine bis 1 1/2 Stunden. Im Laufe des Gesprächs , das anfänglich keinen dienstlichen Charakter hatte, sprach K. die der SPIEGELBerichterstattung zugrunde liegende Angelegenheit Aliyev an, mit der er als Mitarbeiter /Berater einer österreichischen Anwaltskanzlei befasst sei. Der Vorgang war dem Leiter der Strafrechtsabteilung nicht bekannt. K. trug den Sachverhalt umfänglich vor. Er beanstandete dabei die Sachbehandlung der Staatsanwaltschaft Krefeld. Der Leiter der Strafrechtsabteilung stellte anheim, bei dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Krefeld oder dem Generalstaatsanwalt in Düsseldorf Dienstaufsichtsbeschwerde einzulegen. Dem wollte K. indes nicht nähertreten und bat schließlich, die Sache als erledigt zu betrachten. Der Abteilungsleiter kündigte allerdings an, pflichtgemäß den Generalstaatsanwalt in Düsseldorf als zuständige Aufsichtsbehörde über die von K. an der Arbeit der Staatsanwaltschaft geäußerte Kritik informieren zu wollen. Dies geschah dann auch so. 5. Hat Justizminister Kutschaty seit seinem Amtsantritt – abgesehen vom Fall Aliyew – in weiteren Strafverfahren die Amtsführung einer Staatsanwaltschaft überprüfen lassen? (Bitte die konkret überprüften Verfahren jeweils einzeln auflisten.) Es wird zunächst auf die Antwort zur Frage 3 Bezug genommen. Ich habe bislang in keinem Fall persönlich eine Überprüfung der Arbeit einer Staatsanwaltschaft veranlasst. Das Veranlassen einer aufsichtsrechtlichen Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Sachbehandlung in Einzelfällen obliegt im Justizministerium Nordrhein-Westfalen ausschließlich der dafür zuständigen Abteilung Strafrechtspflege. Diese entscheidet nach fachlichen Kriterien eigenständig darüber, ob eine solche Prüfung in die Wege zu leiten ist und bejahendenfalls durch welche Stelle - etwa durch die Generalstaatsanwaltschaft oder die Leiterin oder den Leiter der Staatsanwaltschaft. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9429 5 Auf Eingaben, die die Arbeit der Staatsanwaltschaften des Landes betreffen und an mich persönlich gerichtet sind, entscheide ich bei der Vorlage zunächst, ob die Eingabe - wie regelmäßig - in den Geschäftsgang gegeben wird. Bejahendenfalls beschließe ich weiter, ob ich ggf. persönlich antworten will oder ob ich mich durch die Fachabteilung sonst über den zugrunde liegenden Vorgang informieren lassen will. Dies vermerke ich ggf. auf der Eingabe. Alles weitere erfolgt sodann - wie dargelegt - durch die zuständige Fachabteilung in eigener Zuständigkeit. Dieses Prozedere wird im Justizministerium strikt eingehalten und hat sich bewährt. Es ist Ausfluss der Sonderstellung der Staatsanwaltschaften im Staatsgefüge, wie sie in den „10 NRW-Leilinien“ (Deutsche Richterzeitung 2002, Seite 43) zum Ausdruck kommt.