LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9489 14.08.2015 Datum des Originals: 14.08.2015/Ausgegeben: 18.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3701 vom 20. Juli 2015 der Abgeordneten Ina Scharrenbach CDU Drucksache 16/9319 Schutz kritischer Infrastruktur: Steht Nordrhein-Westfalen unter Strom? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3701 mit Schreiben vom 14. August 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Klimaschutz , Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, dem Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In seinem Grußwort anlässlich der KRIFA am 27. Mai 2014 in Münster schrieb Landesinnenminister Ralf Jäger: „[…] Gerade der Schutz kritischer Infrastrukturen ist elementar wichtig , nicht nur für den Staat oder den Betreiber, sondern letztlich auch für alle Bürgerinnen und Bürger. […]“. Gemäß der Definition der kritischen Infrastruktur werden darunter Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten können, verstanden. Strom – immer verfügbar, sicher und bezahlbar: Eine herausragende Stellung bei den kritischen Infrastrukturen nimmt der Energiesektor mit den Elektrizitäts-, Gas- und Mineralölbranchen ein. Versorgungsunterbrechungen können zu Ausfällen und nachhaltigen Störungen in nahezu allen anderen Infrastrukturen und Bereichen unserer Gesellschaft führen – bis hin zur Beeinträchtigung des Zivil- und Katastrophenschutzes – selbst: Einsatzfahrzeuge müssen betankt werden, Krankenhäuser, Dialysezentren u.a. ggf. über einen längeren Zeitraum funktionsfä- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9489 2 hig gehalten werden. Problematisch ist dabei, dass Infrastrukturen voneinander abhängig sind: So ist etwa bei einem Ausfall der Stromversorgung auch die Informations- und Telekommunikationstechnologie betroffen und umgekehrt. Vorbemerkung der Landesregierung Der vorsorgende Schutz kritischer Infrastrukturen ist primär eine Aufgabe des Betreibers der Infrastruktur, die zumeist gesetzlich und in wesentlichen Bereichen, wie etwa der Versorgung mit Strom, Gas und Wasser, bundesgesetzlich geregelt ist und auch teils durch Bundesbehörden überwacht wird. Der Katastrophenschutz trägt nicht die Verantwortung der Versorgungssicherheit oder der Wiederherstellung einer unterbrochenen Versorgung, sondern hat die notwendigen Maßnahmen zur Abwehr konkreter Gefahren zu treffen, wenn die vorgesehenen Versorgungssysteme ausfallen oder aufgrund äußerer Einwirkungen (z.B. Überflutung, Brand etc.) auszufallen drohen. Die notwendigen Planungen für Stromausfallszenarien werden von den Katastrophenschutzbehörden bei ihrer Gefahrenabwehrplanung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über den Feuerschutz und die Hilfeleistung berücksichtigt. 1. Sofern eine Schädigung des Höchstspannungsnetzes in Nordrhein-Westfalen eintritt: Über wie viele Minuten kann eine Notstromversorgung der Netzknoten dieses Bereichs aufrechterhalten werden? Die öffentliche Versorgung mit Strom und Gas erfolgt auf der rechtlichen Basis des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Hiernach haben die Energieversorgungsunternehmen bzw. die Netzbetreiber für eine sichere Versorgung bzw. für einen sicheren Betrieb des Netzes zu sorgen. Das Höchstspannungsnetz ist in Deutschland nicht länderspezifisch, sondern bundesweit aufgebaut. Ein wesentliches Kriterium ist die enge Vermaschung im Netz, die maßgeblich zu der in Deutschland sehr hohen Versorgungssicherheit beiträgt. Störungen oder Ausfälle einzelner Leitungen können so in der Regel über andere Leitungen ausgeglichen werden, ohne dass es zu Ausfällen in der Versorgung kommt. Eine Notstromversorgung des Höchstspannungsnetzes ist nicht vorhanden und wegen der Leistungen, die durch das Netz transportiert werden auch nicht darstellbar. Bei einer in der Frage unterstellten physischen Schädigung des Netzes wäre diese ggf. auch nicht hilfreich, wenn das Netz nicht betriebsbereit ist. Hier ist nochmals auf den hohen Grad der Vermaschung sowie auf die große Zahl in das Netz einspeisender Anlagen zu verweisen, die zur Versorgungssicherheit beitragen. Eine Notstromversorgung ist häufig bei wichtigen und sensiblen Einrichtungen auf der Verbraucherseite , wie z. B. Krankenhäuser, vorhanden. Diese wird über Notstromaggregate, die in der Regel über Verbrennungskraftmaschinen angetrieben werden, sichergestellt. Die mögliche Dauer einer Notstromversorgung ist individuell abhängig von verschiedenen Faktoren, u. a. von dem vorhandenen Tankvolumen und der Sicherstellung des Kraftstoffnachschubs. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9489 3 2. Welche Vorkehrungen hat das Land Nordrhein-Westfalen zum Schutz kritischer Infrastrukturen bei einem langandauernden großflächigen Stromausfall getroffen , um beispielsweise den Betrieb von Einrichtungen der Gesundheitsversorgung sowie die Einsatzfähigkeit des Zivil- und Katastrophenschutzes im Hinblick auf dessen Kommunikation zu gewährleisten? Soweit erforderlich, erfolgen Vorkehrungen zum Schutz von Betrieben oder Einrichtungen der kritischen Infrastruktur bei einem Stromausfall bereichs- bzw. objektbezogen. Erfordernis und Umfang von Vorkehrungen orientieren sich unter anderem an der Kritikalität des Betriebs oder der Einrichtung und den möglichen Auswirkungen eines Ausfalls. Die Vorkehrungen erfolgen insbesondere auf Basis gesetzlicher Vorschriften, die sich an den Betreiber des Betriebs oder der Einrichtung richten. So werden im Bereich der Gesundheitsversorgung für Krankenhäuser auf der Grundlage der Landesbauordnung in der Regel Sicherheits- bzw. Ersatzstromanlagen gefordert. Die Wirksamkeit und Betriebssicherheit der Anlage ist gemäß der Verordnung über die Prüfung technischer Anlagen und wiederkehrende Prüfungen von Sonderbauten (PrüfVO) in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Zur Sicherstellung ihrer Kommunikationsfähigkeit verfügen die für den Zivil- und Katastrophenschutz zuständigen Bezirksregierungen und das Ministerium für Inneres und Kommunales über redundante Systeme für Satellitentelefonie, Funk- und Datenkommunikation mit einer Netzersatzanlage bzw. eine unterbrechungsfreie Stromversorgung, die auch bei einem Stromausfall eine elektronische und telefonische Kommunikation ermöglichen. Die Sicherstellung der Kommunikationsfähigkeit der kommunalen Behörden des Zivil- und Katastrophenschutzes obliegt den jeweiligen kommunalen Aufgabenträgern im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung. 3. Verfügen die einzelnen Akteure im Zivil- und Katastrophenschutz über aktuelle Informationen zur Struktur und zu den Spannungsebenen der Übertragungs- und Verteilnetze? Das ist der Landesregierung nicht bekannt. Für die Aufgaben des Zivil- und Katastrophenschutzes ist diese Information nicht relevant. Die zuständigen Behörden benötigen vielmehr einerseits Informationen über die in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich gelegenen schützenswerten Einrichtungen der Stromversorgung. Diese können sie im Informationssystem Gefahrenabwehr des Landes abrufen. Außerdem müssen sie die Ansprechpartner in den Stromversorgungsunternehmen kennen, die Auskunft über die voraussichtliche Dauer und das Ausmaß des Stromausfalls geben können. Der Kontakt mit den jeweiligen Stromversorgungsunternehmen ist bei temporären lokalen Stromausfällen geübte Praxis der Katastrophenschutzbehörden . 4. Gibt es von Seiten des zuständigen Ministeriums – vergleichbar dem Land Hessen – eine Rahmenempfehlung für die unteren Katastrophenschutzbehörden, damit die Folgen eines Stromausfalls für die Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich gehalten werden können? In Abstimmung mit den Kommunalen Spitzenverbänden wird derzeit an einer Empfehlung zu Einsatzmaßnahmen bei Stromausfall gearbeitet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9489 4 5. Wie steht das zuständige Ministerium in Nordrhein-Westfalen zur Erarbeitung eines Krisenmanagement-Handbuchs „Stromausfall“ - vergleichbar dem Land Baden-Württemberg-, um ein bereichs- und organisationsübergreifendes Krisenmanagement in Nordrhein-Westfalen sicherzustellen? Um ein bereichs- und organisationsübergreifendes Krisenmanagement in NordrheinWestfalen sicherzustellen, hat die Landesregierung in ihrem Entwurf des Klimaschutzplans nach § 6 Klimaschutzgesetz NRW unter anderem die Maßnahme "Runder Tisch zur Verwundbarkeit durch großflächigen Stromausfall" vorgesehen. Es handelt sich um eine Maßnahme aus dem Bereich der Anpassung an die Folgen des Klimawandels, da das Stromnetz gerade in Folge der erwarteten Zunahme der Häufigkeit von Extremwetterereignissen im Zusammenhang mit dem Klimawandel künftig gegenüber Sturmschäden, Eisbildung und Hagelschlag in besonderer Weise exponiert sein kann. Die Maßnahme sieht vor, mittels eines Runden Tisches das Szenario eines großflächigen und andauernden Stromausfalls zu analysieren. So soll der Handlungsbedarf zur Vorbereitung auf und die Bewältigung von Stromausfällen für Betreiber kritischer Infrastrukturen (z.B. Energieversorgungsunternehmen, Gesundheitswesen, Telefonnetze/Internet), Behörden und betroffene Organisationen aufgezeigt werden. Dabei werden Aspekte der Klimafolgenanpassung berücksichtigt. Hierzu können beispielsweise auch die Information der Betroffenen zu möglichen Vorsorgemaßnahmen und ggf. die Anpassung oder Erweiterung der Anforderungen an Gefahrenabwehrplanungen sowie an Übungen und Aus- und Fortbildungen gehören. Das vom Bundesamt für den Bevölkerungsschutz und die Katastrophenhilfe mit dem Land Baden-Württemberg und dem Karlsruher Institut für Technologie erarbeitete Handbuch Krisenmanagement Stromausfall ist sehr umfangreich und weist einen hohen Abstraktionsgrad auf. Es basiert auf den Erfahrungen der Übung LÜKEX 2004. Grundsätzlich kann es wegen des Abstraktionsgrades für jegliche Planung auch außerhalb des Landes BadenWürttemberg als Hilfestellung herangezogen werden und so möglicherweise auch Anhaltspunkte für die Arbeiten des „Runden Tisches“ bieten. Dabei muss aber die inzwischen fortgeschrittene Entwicklung seit Erstellung des Handbuchs beachtet werden. Die von der Landesregierung verfolgten Ansätze zielen auf eine stärkere Konkretisierung der Handlungsempfehlungen , als sie das Handbuch bietet.