LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/953 24.09.2012 Datum des Originals: 21.09.2012/Ausgegeben: 27.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 359 vom 22. August 2012 des Abgeordneten Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/716 Sammelvorführungen von Asylbewerbern Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 359 mit Schreiben vom 21. September 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach Berichten der Nachrichtenseite derwesten.de* befand sich vom 13. bis zum 17. August 2012 eine Delegation des Immigration Departments aus Sierra Leone in den Räumen der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund. Vor dieser Delegation fanden so genannte Sammelvorführungen von Asylbewerbern statt. Laut derwesten.de wurden 90 Flüchtlinge aus ganz Deutschland nach Dortmund eingeladen. Rechtsgrundlage der Vorführungen ist § 82 Abs. 4 AufenthG. Demnach „kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint“. In einem ähnlichen Fall kam das Verwaltungsgericht Magdeburg am 12.11.2010 zu dem Urteil (Aktenzeichen: 5 B 206/10 MD), dass es unklar sei, ob es sich bei Vertretern des Immigration Office aus Sierra Leone um „ermächtigte Bedienstete im Sinne der Vorschrift handelt“. Es ergäben sich weiterhin Bedenken, weil die Vorführung nicht in der Botschaft sondern in den Räumen einer deutschen Behörde stattgefunden habe. Für die Vorführungen in den Räumen der Stadt Dortmund lassen sich vergleichbare Umstände feststellen. Das VG Magdeburg bezieht sich auf ein Urteil des VG Bremen vom 08.01.2010 (Aktenzeichen : 4 V 1306/09), das zu dem Schluss kam, dass die Vorspracheaufforderungen aufgrund LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/953 2 der Unklarheiten materiell rechtswidrig seien. Weiter sollen nach dem Bericht von derwesten .de unter anderem die Gesichtsform als Identifikationskriterium verwendet worden sein. Nach einem Bericht der „Anwaltsnachrichten Ausländer- und Asylrecht“ (Heft 4/ 2011) verursachte die Einladung einer Delegation aus Sierra Leone im Jahre 2008 Kosten in Höhe von 49.264,48 EUR – einschließlich Flug- und Hotelkosten, Tagegelder in Höhe von insgesamt 7.200 EUR und Büromaterial. Weiterhin seien Dolmetscherkosten, Kosten für Essen und Aufladungen für Prepaid-Handys und Kosten für Rahmenprogramme (u. a. Besuch eines UEFA-Cup-Spiels) entstanden. Vorbemerkung der Landesregierung Die im Titel der Kleinen Anfrage enthaltene Aussage, dass Asylbewerber Sammelvorführungen unterzogen werden, ist unzutreffend. Asylbewerber halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Ihr Aufenthalt ist hier zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet (vgl. § 55 AsylVfG). Sogenannte Sammelvorführungen werden bei Ausländern durchgeführt, die nicht zum Aufenthalt berechtigt, sondern zum Verlassen des Bundesgebiets verpflichtet sind, diese Ausreiseverpflichtung aber nicht erfüllen und mangels Passpapiere und Identitätsklärung auch nicht abgeschoben werden können. Zur Klärung der Identität und Beschaffung von Heimreisedokumenten werden häufig Vorführungen ausreisepflichtiger Ausländer vor diplomatischem oder konsularischem Personal wie auch vor Delegationen des mutmaßlichen Herkunftsstaates durchgeführt. Rechtsgrundlage für diese Vorführungen ist § 82 Absatz 4 AufenthG. Danach kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint. Auf Wunsch der Länder wurde die Beschaffung von Heimreisedokumenten (wozu auch die Anhörung zur Klärung der Identität und Herkunft zählt) für bestimmte westafrikanische Staaten , so auch für Sierra Leone, gem. § 71 Abs. 3 Nr. 7 AufenthG auf die Bundespolizei "teilzentralisiert ", die in Amtshilfe für die Ausländerbehörden der Länder die Beschaffung von Heimreisedokumenten übernommen hat. Aus anderen Herkunftsstaaten laden in wechselnder Folge die entsprechenden Clearingstellen/Zentralstellen der Länder selbst ein. So erfolgte auch die Einladung der Delegation aus Sierra Leone und die Organisation der in der Zeit vom 13. bis 17. August 2012 durchgeführten Anhörungen (in Amtshilfe) durch die Bundespolizei; die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Dortmund stellte hierfür lediglich die Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf der Basis der vom Bundesministerium des Innern übermittelten Informationen. Dies vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/953 3 1. Wodurch wurde – angesichts der Beschlüsse der VG Bremen und Magdeburg – rechtlich sichergestellt, dass es sich bei den Vertretern des Immigration Departments aus Sierra Leone um ermächtigte Bedienstete im Sinne des § 82 Abs. 4 AufenthG handelt? Die Mitglieder der Delegation wurden mit Verbalnote des Außenministeriums der Republik Sierra Leone (Ministry of Foreign Affairs and International Cooperation) vom 22.06.2012 gegenüber der Deutschen Botschaft in Accra benannt. Darin wird die Kompetenz der Delegation ausdrücklich bestätigt. Zudem wurde mit Schreiben vom 31.07.2012 die Beteiligung der Botschaft Sierra Leones mitgeteilt. Die Rechtmäßigkeit dieser Vorführung wurden durch aktuelle Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Potsdam vom 13.08.2012 (VG 8 L 439/12) und Gera vom 14.08.2012 (4 E 680/12) bestätigt. Hinsichtlich des Verfahrens bei Delegationen, die von der Bundespolizei eingeladen werden, verweise ich im Übrigen auf die Antwort der Bundesregierung vom 01.12.2011 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur "Praxis der Anhörung von Geduldeten durch Vertreter von mutmaßlichen Herkunftsstaaten" (Bundestags-Drucksache 17/8042). 2. Welche Kriterien werden zur Feststellung der Staatsangehörigkeit der Flüchtlin- ge verwendet? Gegenstand der Anhörungen sind stets die Angaben der anzuhörenden Person selbst zu ihrem Herkunftsland im bisherigen ausländerrechtlichen Verfahren. Dies können z. B. Angaben aus einem abgeschlossenen Asylverfahren oder vorhandene Unterlagen (Zeugnisse o.ä.) sein. Bei der Befragung selbst wird auf die bisher vorgetragene Herkunft des Ausländers eingegangen, insbesondere auf Kenntnisse über das Land / die Herkunftsregion, zu seinem vorgetragenen Werdegang (Schlüssigkeit, Nachvollziehbarkeit), zu Kenntnissen über das politische und gesellschaftliche Leben, uvm. Auch die Sprache kann einer von mehreren Anhaltspunkten sein. Es ist jedoch stets die sorgfältig abgewogene Gesamtschau aller vorliegenden Informationen, die letztlich zur abschließenden Entscheidung über die Herkunft führt. Im Ergebnis kann dieses Verfahren auch dazu führen, dass dem Ausländer ein Bleiberecht in Deutschland zuerkannt wird. 3. Welche Kosten verursachte der Besuch der Delegation? Bitte, soweit möglich, aufschlüsseln nach Verwendungszweck, z. B. Flugkosten, Hotelkosten, Büromaterial , Rahmenprogramm etc. Durch die Anhörung sind Kosten von insgesamt 25.545,73 € entstanden. 4. Waren bei den Anhörungen Dolmetscher vor Ort, die für die Bundespolizei und Mitarbeiter der ZAB die Anhörungen übersetzt haben? Ja. 5. Wurden auch minderjährige Personen vorgeführt? Ja. In einem Fall führt das Ergebnis voraussichtlich zu einem Bleiberecht in Deutschland.