LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9537 20.08.2015 Datum des Originals: 20.08.2015/Ausgegeben: 25.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3665 vom 9. Juli 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/9266 Nordrhein-westfälische Wirtschaft warnt vor Zinswende bei Staatsanleihen – Welche Planungen verfolgt der Finanzminister für Zinsausgaben und Umschuldungen in der Zukunft? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 3665 mit Schreiben vom 20. August 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Trotz eines kontinuierlich steigenden absoluten Schuldenstandes sind die Ausgaben des Landes Nordrhein-Westfalen für den Schuldendienst in den vergangenen Jahren gesunken. Wurden im Jahr 2008 laut Haushaltrechnung noch 4,8 Mrd. Euro für Zinszahlungen an den Kapitalmarkt benötigt, sind es im Jahr 2015 „nur“ noch 3,4 Mrd. Euro. Für das Jahr 2018 plant die Landesregierung derzeit allerdings wieder Zinsausgaben in Höhe von 4,2 Mrd. Euro ein: Jahr 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Zinsausgaben in Mrd. Euro 4,8 4,6 4,5 4,3 4,1 3,9 3,6 3,4 3,6 3,9 4,2 Quellen: 2008-2013: Rechnungsergebnisse, LT-DS 16/6501; 2014-2015: HHG 2015; 2016-2018: MFP 2014-2018, LT-DS 16/6501. Die Tabelle lässt die Auswirkungen des Rückgangs der Zinslasten auf den Landeshaushalt aufgrund des historisch niedrigen Zinsniveaus deutlich werden. Im aktuellen Haushaltsjahr 2015 bewirken die Zinsminderausgaben immerhin eine Entlastung von rund 1,2 Mrd. Euro im LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9537 2 Vergleich zum Höchststand im Jahr 2008. Experten gehen davon aus, dass das Land allein in den Jahren 2010 bis 2014 eine Zinsbelastung in der Größenordnung von sechs Milliarden Euro infolge der Niedrigzinsphase eingespart hat. Der eingeplante Anstieg der Zinsausgaben in der Mittelfristigen Finanzplanung ist auf eine eher konservative Kalkulation der Landesregierung zurückzuführen. Die Landesregierung unterstellte im Jahr 2013 folgende Zinssätze für die Refinanzierung auslaufender Kredite bis zum Jahr 2017: Jahr 2013 2014 2015 2016 2017 Refinanzierungszinssatz 1,5 % 2,5 % 3,5 % 3,5 % 3,75 % Quelle: LT-DS 16/3810. In der jüngeren Vergangenheit hat sich tendenziell die weitere Absenkung des Zinsniveaus fortgesetzt. Einzelnen Quellen ist jedoch zu entnehmen, dass offenbar die Talsohle bei der Zinsentwicklung bereits durchschritten sein könnte und daher die Zinssätze für deutsche Staatsanleihen – und auch für Schuldverschreibungen des Landes Nordrhein-Westfalen – perspektivisch wieder ansteigen dürften. Die Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte wären entsprechend negativ. Exemplarisch hat der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) am 11. Mai 2015 die Landesregierung angesichts steigender Renditen bei Staatsanleihen vor einer Zunahme des Haushaltsdefizits gewarnt und auch vom Finanzminister ernsthafte Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung eingefordert. In der Stellungnahme des Verbandes heißt es unter anderem: „Wir erleben gerade einen kleinen Crash bei den Staatsanleihen. Das wird die Refinanzierung bei neu aufgelegten Papieren verteuern und den Druck auf den Landeshaushalt erhöhen . Die Europäische Zentralbank hat mit der Monetarisierung der Staatsschulden eine regelrechte Flucht aus öffentlichen Anleihen ausgelöst und damit unfreiwillig die Zinswende eingeleitet. Angesichts steigender Inflationserwartungen wenden sich Anleger auf der Suche nach renditeträchtigeren Anlagen von Staatsanleihen ab und verteuern die Refinanzierung öffentlicher Schulden. NRW wird die Folgen der Zinswende abfedern müssen, ohne die Konjunktur abzuwürgen. Nach wie vor ist die Investitionsnachfrage in NRW schwach. Das gilt sowohl für die Privatwirtschaft, als auch für Land und Kommunen. Die Landesregierung ist dennoch zum Sparen verdammt. Es kann nur bedingt gelingen, das niedrige Zinsniveau durch langlaufende Anleihen einzufrieren, um den Haushalt zu stabilisieren. Schritte zur Haushaltskonsolidierung müssen zeitnah eingeleitet werden, auch wenn Etatkürzungen schmerzen. Die Zeit des politischen Schlaraffenlandes mit teuren Geschenkorgien geht zu Ende.“ Die dpa meldet am 13. Mai 2015, der Bund müsse deutlich mehr Zinsen für neue Schulden zahlen. Unterschiedliche deutsche Medien haben sich in der Folgezeit mit einer denkbar höheren öffentlichen Belastung für den Schuldendienst auseinandergesetzt. Diese Debatte kann der Landesregierung angesichts des dramatischen Schuldenberges des Landes auch nicht gleichgültig sein. Tatsächlich lässt sich ferner feststellen, dass die von der Deutschen Bundesbank ermittelte Umlaufrendite – also der durchschnittliche Renditewert aller inländischen, bereits emittierten Anleihen erster Bonität, insbesondere Staatsanleihen, welche sich aktuell noch im Umlauf befinden – nach einem niedrigen Stand von 0,05 Prozent im April 2015, sich auf einen Kurs LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9537 3 von 0,68 Prozent am 3. Juli 2015 erhöht haben. Hierbei handelt es sich um einen deutlichen Anstieg, auch wenn das Niveau natürlich weiterhin äußerst moderat ausfällt. 1. Aus konkret welchen einzelnen Erkenntnissen heraus teilt der Finanzminister die einzelnen Befunde der oben zitierten BVMW-Lageanalyse jeweils (nicht)? Einschätzungen von Wirtschaftsverbänden zur künftigen Zinsentwicklung kommentiert die Landesregierung nicht. Hinsichtlich der eigenen Einschätzung wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Die Konsequenzen, die sich aus einer solchen Zinsentwicklung für den Landeshaushalt insgesamt ergeben, wurden in der Mittelfristigen Finanzplanung 2014-2018 berücksichtigt . 2. Welche Indikatoren erkennt die Landesregierung für eine aktuelle oder zukünftige Veränderung des Zinsniveaus bei Schuldverschreibungen des Landes? Veränderungen des Zinsniveaus lassen sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Wesentliche Einflussfaktoren sind das reale Wirtschaftswachstum, die Inflationsrate, die Zinsentwicklung in anderen Währungsräumen, der geldpolitische Kurs der Zentralbank und geopolitische Entwicklungen mit Auswirkungen auf das Angebot an anlagebereitem Kapital, insbesondere in Deutschland bei sinkender Nachfrage der öffentlichen Kreditnehmer, sowie diesbezügliche Erwartungen der Marktteilnehmer. Die Verzinsung neu aufgenommener Haushaltskredite hängt darüber hinaus von der Laufzeit des jeweiligen Kredits ab. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig sehr niedrigen Zinsen ist mittelfristig eher mit einem moderaten Zinsanstieg als mit einem weiteren Rückgang des Zinsniveaus zu rechnen. Das gilt insbesondere für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung des Anleihekaufprogramms der Europäischen Zentralbank, mit der im Herbst 2016 gerechnet wird. Zu den der Mittelfristigen Finanzplanung 2014-2018 zugrunde liegenden Annahmen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. 3. Welche Kredithöhe beabsichtigt die Landesregierung nach heutigem Erkenntnisstand jeweils jährlich von 2015 bis 2019 umzuschulden? Nach derzeitigem Stand werden in den Jahren 2015 bis 2019 Haushaltskredite in folgender Höhe fällig: 2015 19,4 Mrd. € 2016 18,0 Mrd. € 2017 16,4 Mrd. € 2018 12,6 Mrd. € 2019 10,7 Mrd. € Hinzu kommen Neuabschlüsse mit kurzer Laufzeit beziehungsweise Fälligkeit innerhalb des vorgenannten Zeitraums. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9537 4 4. Welcher Zinssatz wird bzw. wurde für die zu refinanzierenden Kredite und die Netto-Kreditaufnahme in den Jahren 2013 bis 2019 jeweils jährlich unterstellt? Der Mittelfristigen Finanzplanung liegen Zinssätze für die zu refinanzierenden Kredite von 2013 1,5% bis 2018 aufwachsend auf 4,0% zugrunde. 5. Welche Zinsausgaben würden sich für die Jahre 2015 bis 2019 rechnerisch ergeben , wenn der niedrige Zinssatz des Jahres 2015 für die notwendige Refinanzierung von Krediten bis 2019 unterstellt werden kann? Eine solche Kalkulation ist nicht valide und rein hypothetisch. Für im ersten Halbjahr 2015 aufgenommene Haushaltskredite wurde eine durchschnittliche Effektivverzinsung von 0,51% erzielt. Falls sämtliche neu aufzunehmenden Kredite bis einschließlich 2018 diese Verzinsung aufweisen würden (erstmalige Auswirkung im Folgejahr), ergäben sich folgende Zinsausgaben (OGr. 57): 2015 3,4 Mrd. € (unverändert) 2016 3,3 Mrd. € 2017 3,1 Mrd. € 2018 3,0 Mrd. € 2019 2,8 Mrd. € Es handelt sich dabei um fiktive Werte. Unter Berücksichtigung der jüngsten Zinsentwicklung ist damit zu rechnen, dass die Verzinsung neu aufgenommener Haushaltskredite künftig höher liegen wird. So lag der Marktzins (Swapsatz) für die Laufzeit 10 Jahre in der Zeit vom 1.1.2015 bis 30.06.2015 bei durchschnittlich 0,77%. Der aktuelle Wert (16.7.2015) liegt mit 1,17% bereits höher.